Australien/USA 2022 · 160 min. · FSK: ab 6 Regie: Baz Luhrmann Drehbuch: Baz Luhrmann, Sam Bromell, Craig Pearce, Jeremy Doner Kamera: Mandy Walker Darsteller: Austin Butler, Olivia DeJonge, Tom Hanks, Dacre Montgomery, David Wenham u.a. |
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Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne... | ||
(Foto: Warner Bros.) |
Go on back to see the gypsy
He can move you from the rear
Drive you from your fear
Bring you through the mirror
He did it in Las Vegas
And he can do it here
– Bob Dylan, Went to See the Gypsy
Wie im Märchen kamen mir nach und nach drei Wünsche in den Sinn, nachdem ich das erste Mal von Baaz Luhrmanns Elvis-Projekt gehört hatte.
1. Dass der Saal, in dem ich sitze und Elvis sehe, so toben würde, wie er bei der Premiere von Elvis während der Premiere in Cannes getobt haben soll.
2. Dass es ein Film wie Rocketman sein möge, die so
wilde wie konsequente Filmbiografie von Dexter Fletcher über Elton John.
Aber 3. und vielleicht am meisten wünschte ich mir, dass die innere Geschichte von Luhrmanns Film der von Bob Dylans enigmatischen Elvis-Song Went to See the Gypsy aus dem Jahr 1970 (auf dem großartigen Album New
Morning) nachgehen würde, in dem Dylan (u.a.) eine Begegnung mit Elvis nachzeichnet, die es, wie Dylan 2009 lächelnd zugab, nie gegeben hat, die aber dennoch Elvis‘ Leben und sein Wirken auf den Punkt brachte.
Keiner meiner Wünsche wurde erfüllt. Die Stimmung im Saal war mies und eigentlich hatte hinterher jeder etwas an Luhrmanns Filmbiografie auszusetzen und das nicht nur, weil Luhrmanns Film nicht weiter von Rocketman hätte entfernt sein können. Denn zeichnete Fletchers Film endlich einmal einen Musiker nach, der aus seinen Fehlern lernt und nicht dem üblichen Stationendrama von Aufstieg, Fall und dann und wann Wiederaufstieg wie etwa im kürzlich erschienenen Respect über Aretha Franklin folgte, unterlegt mit dem Soundtrack eines Lebens, so haben wir bei Elvis eigentlichen den Prototypen dieses Schicksal-Clubs vor Augen. Aus armen Verhältnissen kommend transformiert er die Musik und sich selber und gleich auch noch die Gesellschaft mit, geht dann aber mit seinen leidenschaftlich gesammelten Attributen eines neureichen Lebens genauso sang- und klanglos unter wie so viele andere Musiker seiner und der folgenden Generationen.
Und dann ist dieser Elvis auch ganz und gar nicht Dylans Elvis.
Doch schon nach zehn Minuten ist das alles egal, sollen die Wünsche ruhig unerfüllt bleiben, denn Luhrmann schafft einen anderen Elvis, stellt überraschend andere Lebenskoordinaten ins Zentrum, die dann so überzeugen und auf positive Weise polarisieren, wie das schon in Luhrmanns Adaption von Der große
Gatsby der Fall war.
Denn im Kern ist Elvis nicht wie der Titel es vermuten lässt, das Porträt eines Einzelnen, sondern eine Vater-Sohn-Geschichte, die zwischen Elvis (Austin Butler) und seinem Manager Col. Tom Parker (Tom Hanks). Eine Beziehung, die nach dem frühen Tod der Mutter ähnliche Missbrauchs-Elemente entwickelt, wie zwischen Elvis und seiner Mutter (Helen Thomson), die ihren Sohn erst durch ihren Tod aus ihrer symbiotischen Umklammerung entlässt. Parker soll dem labilen Vater (Richard Roxburgh) zur Seite stehen und wird zur Ersatzmutter, mit ähnlichen Erwartungshaltungen und Grenzüberschreitungen, die auch die Mutter beim frühen Aufstieg ihres Sohnes setzte.
Gerade in diesem ersten Teil, dem gelungensten Teil von Luhrmanns Film, überzeugt Luhrmann nicht nur durch virtuos-assoziative Kamerafahrten und Schnitte, die zum einen Elvis' Unterschichtherkunft charakterisieren, eine Herkunft, die Fluch und Segen zugleich ist. Denn Luhrmann zeigt in wenigen präzisen Momenten, wie etwa dem Blick durchs Astloch in eine andere Welt (der Musik), die Einflüsse durch die afro-amerikanische Kultur, die Elvis sich nur deshalb aneignen konnte, weil er in ihr lebte, der es als Kind unbewusst so machte, wie später Eric Burdon, der als Erwachsener mit afro-amerikanischen Musikern lebte, um den Blues und den Gospel zu verstehen.
Elvis saugt diese Kultur mit der Muttermilch auf und kann mit diesem ja noch überhaupt nicht legalen Spagat zwischen zwei Kulturen auch gut leben und erarbeitet sich mit seiner Musik dann auch ein Alleinstellungsmerkmal. Denn es gelingt ihm mit seiner musikalischen Transformation, einen der Grundbausteine amerikanischer Gegenkultur zu legen, der anders als vergleichbare Größen der amerikanischen Counter Culture wie Pete Seeger, nicht nur das Great American Songbook mit dem Banjo bediente, sondern mit der Inkorporation von afro-amerikanischen Musikelementen und der dementsprechenden Körpersprache zum ersten Mal ein Publikum (und zwar vor allem Frauen), zu ekstatischen Momenten führen konnte, später und bis heute eine Selbstverständlichkeit moderner, populärer Musik. Aber damals in den 1950er Jahren so neu und furchteinflößend, dass Elvis in Konflikt mit dem Gesetz kam.
Doch es ist dann weniger das Gesetz, das Elvis ins Straucheln bringt, als seine Herkunft. Denn anders als die aus bildungsbürgerlichen Familien stammenden Musiker wie Pete Seeger (oder später Bob Dylan, Elton John oder Mick Jagger), unterliegt Elvis den Erwartungshaltungen seiner Klasse: große Häuser, große Autos, glitzernde Klamotten und eine mangelhaft entwickelte, »ungebildete« Menschenkenntnis, die gerne einen Manager mit einem Ersatzvater- oder Mutter verwechselt und erst dann realisiert, das Haus und Hof verloren ist, wenn es bereits zu spät ist.
Diese Entwicklung zeigt Luhrmanns Elvis atemberaubend auf und überrascht auch im zweiten Teil des Films mit einer faszinierenden Mischung aus elliptischem und epischem Erzählen und vor allem mit großartigen audiovisuellen Gedankenspielen wie jenem der Aneignung von traditioneller afro-amerikanischer Musik durch Elvis, das aber nur als ein Stadium von vielen dargestellt wird, denn plötzlich hören wir im Amerika der frühen 1960er Jahre, als Elvis hüftschwenkend durch die Stadt schlendert, Hip-Hop-Klang-und-Sprachkörper in den Straßenzügen wummern, die Musik der Zukunft, die genauso wie die Musik von Elvis hier ihre Ursprünge hat.
Im letzten Teil verliert sich Luhrmann fast so wie Elvis selbst in Las Vegas, werden die Best-Of-Hits schallplattenartig runtergedudelt und ist der Film nun wirklich pures Stationen-Drama, hält sich dabei jedoch einfach zu lange auf der Endstation auf, die Austin Butler dann auch nicht mehr ausfüllen kann, weil er weder alt noch kaputt genug ist, um den durch Drogen und Depressionen aufgedunsenen Elvis noch zu verkörpern.
Dennoch gelingt es Luhrmann auch hier mit einer letzten großen melodramatischen Szene am Flughafen noch einmal all seine leidenschaftlichen Register dramatischer Verdichtung und Vergrößerung zu ziehen und am Ende dann doch für einen Moment – und das ist wunderbar – ganz bei Dylan zu sein, und seinem Elvis, dem Obdachlosen, oder wie Dylan es ausdrückt, dem »Gypsy«, den es einmal gab, der aber schon damals nicht zu fassen, nicht zu begreifen war. Wohl auch, weil er sich selbst nicht fassen und begreifen, stehen bleiben und heimisch werden konnte. Ein verlorener Sohn, der auch schon deshalb nicht zu seiner Familie (und sich selbst) zurückkehren konnte und früh sterben musste, weil er keine Familie mehr hatte.
Es war eine der eindrucksvollsten Vorführungen beim diesjährigen Filmfestival von Cannes, und ohne Frage einer der Höhepunkte in diesem Jahr an der Croisette – und vielleicht überhaupt im Kino-Jahr 2022. Und wenn der Australier Baz Luhrmann nicht bereits zweimal zuvor – mit Moulin Rouge und mit Der große Gatsby – Cannes eröffnet hätte, dann hätte er es vielleicht diesmal auch machen dürfen. In jedem Fall wäre Elvis in seiner Kombination aus Starkino und Autorenfilm, Showbusiness und dessen abgründiger Reflexion, aus Musik und Melodram, perfekt für dieses Mekka des Kinos gewesen.
Dieser Film ist Jahrmarktsfilm und Spektakel der Attraktionen in Reinform – kurz: essentielles Kino.
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Jahrzehnte nach seinem frühen Tod im Sommer 1977 ist es unmöglich, die Wirkung überhaupt zu ermessen, die Elvis Presley auf seine Zeitgenossen in den Fünfziger Jahren hatte, oder sich die Reichweite der kulturellen Revolution vor Augen zu führen, die »Elvis« seinerzeit bedeutete.
In gewisser Weise sind der Sänger und seine Songs ein Teil des kollektiven Unbewussten geworden: Seine Haare, seine Stimme, seine Anzüge, und selbst noch die heute absurd anmutenden Kostüme am Ende seiner Karriere haben mythologische Konturen angenommen.
Das Kuriose ist, dass ausgerechnet eine so magnetische Figur, die mit dem Image des Antiautoritären und der Revolte gegen die Elterngeneration assoziiert wird, ihr Leben unter der Kontrolle eines seltsamen Ersatzvaters verbracht hat, der sich mit »Colonel Parker« anreden ließ, und als Manager des Künstlers diesen bereits zur »Marke« machte, als Elvis noch komplett unbekannt war.
Parker war es, der das weltweite Phänomen namens »Elvis Presley« schuf, der den jungen Mann in eine wahre Geldmaschine verwandelte und ihn noch über seinen frühen Tod im Alter von 42 Jahren hinaus sowohl finanziell als auch psychologisch ausbeutete.
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Es ist insofern ganz angemessen, dass die Hauptfigur dieses Films trotz seines Titels eben jener »Colonel Parker« ist, und dass diese von dem bekanntesten Schauspieler im Ensemble gespielt wird, von Weltstar Tom Hanks, dem es auch hier gelingt, unter seine leutselige, freundliche »all american« Oberfläche eine dämonisch schillernde Komponente zu legen.
Aber der australische Regisseur Baz Luhrmann interessiert sich auch in diesem Film nicht für Moral, sondern für die schillernden Oberflächen seines Stoffes. Und er kann bei jeder neuen Intrige und jedem neuen Manipulationsakt seiner Hauptfigur Parker mit der sicheren Komplizenschaft des Kinopublikums rechnen. Denn auch wir Zuschauer wollen den Elvis, den wir kennen: den Elvis der Bühne, der Verführung, der Sexyness, den 'weißen Schwarzen'.
Baz Luhrmann ist ein Aufklärer im Sinne der Postmoderne: einer, der dekonstruiert, einer der das Skelett der großen Erzählung namens Elvis Presley freilegt, und der den Star als Konstrukt einer Starindustrie, das Gefühl als Gleitmittel des Geschäfts und die Moral als Maske der Macht offen zur Schau stellt.
So ist Elvis auch hier das, was er auch im echten Leben vor allem war: In erster Linie eine Figur für die Bühne und lange Zeit das willenlose Objekt allerlei Begehrlichkeiten: Seiner Fans, seiner Liebhaberinnen, seiner Mutter und vor allem seine Managers. Denn der Rummelplatz-Experte Parker wittert sofort die Sensation, als er Elvis sieht. Er spürt: Die Wirkung dieses Sängers, sein Gesang und die Bühnenshow gehen über das Alltägliche hinaus. Parker katapultiert Elvis auf die Karrierebahn – doch bald widersetzt sich das Geschöpf dem strengen Manager.
Zugleich ist er natürlich trotz allem der Titelheld, auch wenn er im Film über große Längen die Rolle des Objekts und Nebendarstellers übernimmt, für die Wirkung von entscheidender Bedeutung – und der relativ unbekannte Austin Butler liefert eine bewundernswerte Leistung als Presley ab, indem er dessen Manierismen perfekt einfängt und zugleich – was noch wichtiger ist – dem Musiker Menschlichkeit und Verletzlichkeit einflößt, und dessen Zerbrechlichkeit im Laufe der Erzählung immer deutlicher macht.
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Das Ergebnis ist das Portrait eines musikalischen Superhelden, aber auch eine scharfe Analyse der Starindustrie, des Ineinandergreifens von Ausbeutung und Versprechen, Verführung und Verdienst. Der ausschweifende barocke Stil des Australiers – Splitscreens, Zeitlupen, Gewitter aus schnellen Montagen, symbolische Vermischungen von Objekten, zum Beispiel dem Stock des Colonels und dem »Banditenarm« eines Spielautomaten – passt dazu perfekt. Auch Baz Luhrmann, der schon immer einer war, der die große Geste und den Aplomb liebte, hat in Elvis Presley einen Gegenstand gefunden, der seinem melodramatischen Stil und seiner opernhaften Filmsprache überaus angemessen ist. Mit Wucht wirft er die Gefühle der Figuren und die Farben der Kostüme al fresco und gleichberechtigt auf die Leinwand – ein abstrakter Expressionist des Kinos, dessen Filme immer glitzernder, mit falschen Diamanten besetzter Rock'n'Roll sind.
Jederzeit wird dem Zuschauer deutlich gemacht, dass hier kein Realismus angestrebt wurde; Luhrmanns Kino ist ein materialistisches Kino der Effekte und Objekte, ein Kino das seine Mittel nie zu verbergen sucht, sondern offen zur Schau stellt – aber auch nicht als intellektueller Verfremdungseffekt – sondern mit dem Stolz des Neureichen, der sich einen Rolls Royce leisten kann und das natürlich auch tut: 'Schaut her, was ich alles kann und mich einfach mal zu machen traue.'
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Elvis Presley und der erwähnten Kulturrevolution, die sein Stil noch mehr als seine Musik bedeuteten, ist das ganz und gar angemessen.
Luhrmann visualisiert diese Wirkung in furiosen Montagen: Er springt von der Bühne zu den Frauen im Publikum, aus dem Gesang ins Gestöhn, aus der musikalischen Bewegung in die sexuelle.
Es ist ein Kino des Schocks und der dynamischen Übertreibung – dies ist kein Zufall, sondern eine kalkulierte Tugend des Australiers – dem einmal mehr mit Elvis ein großartiger hochunterhaltsamer Kinofilm gelungen ist.