Drei Gesichter

Se rokh

Iran 2018 · 101 min. · FSK: ab 12
Regie: Jafar Panahi
Drehbuch: ,
Kamera: Amin Jafari
Darsteller: Jafar Panahi, Behnaz Jafari, Marziyeh Rezaei, Maedeh Erteghaei, Narges Del Aram u.a.
Weniger ein feministischer Film als ein entlarvender Blick auf die Männer

Mit dem Geländewagen durch die Filmgeschichte

Das erste Gesicht erscheint aus dem Halb­dunkel, grob­körnig, im Hoch­format, auf dem Display des Smart­phones. Die junge Frau wendet sich in ihrem Handy­video an eine Freundin, die die Nachricht an die bekannte Schau­spie­lerin Behnaz Jafari, die eigent­liche Adres­satin der Botschaft, weiter­leiten soll. Das vier­ein­halb­minü­tige Video ist vers­tö­rend. Es klagt an, dass auf frühere Hilferufe nicht reagiert wurde. Die junge Frau wollte Schau­spie­lerin werden, hat die Aufnah­me­prü­fung bereits bestanden, dann aber auf Wunsch der Eltern gehei­ratet. Nun wird ihr entgegen der Verein­ba­rung das Schau­spiel­stu­dium untersagt. Behnaz Jafari, deren Filme die Eltern gerne sehen, sollte vermit­teln. Doch nun ist die junge Frau verzwei­felt. Sie ist irgendwo in einer Höhle. An der Decke ein Ast, um den ein Seil hängt. Die junge Frau legt sich die Schlaufe um den Hals, verab­schiedet sich, bedankt sich fürs Zusehen, dann bricht das Video ab.

Das zweite Gesicht, nun im gewohnten 16:9 Format, ist das der Schau­spie­lerin Behnaz Jafari. Auch sie wirkt aufge­wühlt und verstört, im Dunkel einer nächt­li­chen Autofahrt erleuchtet nur das bläuliche Bild­schirm­licht ihr Gesicht. Immer wieder schaut sie sich das Video an. Ist das Video echt? Ist da nicht ein Schnitt am Ende, der andeutet, dass der Selbst­mord nicht vollzogen wurde? Und überhaupt, wenn die junge Frau sich in der Höhle tatsäch­lich umge­bracht hat, wer kann dann das Video verschickt haben? Wie fiktiv, wie doku­men­ta­risch ist diese Botschaft der Unbe­kannten?

Drei Gesichter (Se rokh) ist bereits der vierte Film, den Jafar Panahi seit dem 2010 erst­in­stanz­lich verhängten und später bestä­tigten Berufs­verbot reali­siert hat. Aus dem prekären Ausnah­me­zu­stand ist inzwi­schen Alltag geworden. Der Umgang mit dem Berufs­verbot, den Heim­lich­keiten und Zensur­be­din­gungen, das Austesten des dennoch Machbaren scheint (noch) souver­äner und, im positiven Sinne, routi­nierter. Im Vergleich zu den Vorgän­gern wirkt Drei Gesichter leichter, spie­le­ri­scher und stimmt viel­schich­ti­gere Themen an.

Dennoch ist klar, dass sich der Film vorrangig an ein inter­na­tio­nales Publikum richtet. Im Inland kann der verbotene Film natürlich weiterhin nicht offiziell aufge­führt werden. Wie bereits This Is Not A Film (2011), feierte auch Drei Gesichter beim Film­fes­tival in Cannes im Sommer 2018 Welt­pre­miere. Geschlos­sener Vorhang (2013) und Taxi Teheran (2015) wurden jeweils auf der Berlinale präsen­tiert.

Die Räume sind von Film zu Film weiter geworden. Vom abge­schlos­senen Apartment zum großzügi­geren Feri­en­haus am Kaspi­schen Meer, dessen Blick aus dem Fenster zumindest an die Weite der Außenwelt erinnert. In Taxi Teheran wurde aus dem Auto­in­nen­raum der Stadtraum zurück­er­obert. Panahis heller Gelän­de­wagen in Drei Gesichter bahnt sich nun den Weg in und durch die kurvigen Berg­straßen der irani­schen Provinz Ost-Aser­bai­dschan. Jafar Panahi ist hier, 440 Kilometer von Teheran entfernt, in dem Hundert­tau­send-Einwohner-Städtchen Mianeh vor acht­und­fünfzig Jahren auf die Welt gekommen. In den Herkunfts­dör­fern seiner Eltern und Groß­el­tern fanden die Dreh­ar­beiten zu Drei Gesichter statt. Auch die junge Schau­spie­lerin aus dem Handy­video, Marziyeh Rezaei, sagt, dass sie aus einem Dorf in der Nähe von Mianeh kommt. Der Rückzug in den länd­li­chen Raum und die fami­liären Verbin­dungen erlauben nun immer wieder kurz­zeitig, die Innen­räume zu verlassen. Dennoch findet auch in diesem Roadmovie vieles innerhalb des Autos statt. Der Rück­zugs­raum erlaubt offene Gespräche. Vor allem Panahi, dessen Reise­verbot sehr viel strenger durch­ge­setzt wird als sein Berufs­verbot, bleibt immer wieder wartend und beob­ach­tend im geschlos­senen Wagen zurück.

»Das ist doch alles insze­niert!«

In Drei Gesichter ist die Frage »was ist real und was ist fiktiv« allge­gen­wärtig und nicht einfach oder gar eindeutig zu beant­worten. Die Schau­spie­lerin Behnaz Jafari beschäf­tigt diese Frage ganz besonders. Sie findet viele Indizien, die darauf hindeuten, dass das Video letztlich insze­niert ist, die jedoch meist von Jafar Panahi entkräftet werden. Jafari ist sich ziemlich sicher, keine frühere Nachricht von Marziyeh erhalten zu haben. Die Video­bot­schaft ging über den im Iran beliebten Instant-Messaging-Dienst Telegram von einer unbe­kannten Nummer direkt an Panahi, der sie infor­mierte. Immer wieder muss sie daher Panahi bitten, ihr den Bild­schirm seines Handys zu entsperren, damit sie das Video sehen kann. Das Video scheint echt. Aber hat Panahi ihr nicht kürzlich erst eine Rolle in seinem neuen Film angeboten, der das Thema Selbst­mord behandeln soll? Steckt er mit der jungen Frau unter einer Decke? Schließ­lich ist Jafari gerade in einer anderen Film­pro­duk­tion der bekannten Regis­seurin Manijeh Hekmat beschäf­tigt und kann nicht so einfach dem Filmset fern­bleiben, um in die aser­bai­dscha­ni­sche Provinz zu reisen. Die Regis­seurin Hekmat, mit der Panahi tele­fo­niert, um Jafari zu entschul­digen, ist über die Absage ihrer Darstel­lerin sehr erzürnt und betont, dass der im Video gezeigte Selbst­mord nirgends gemeldet worden sei. Auch ein Anruf von Panahis Mutter dreht weiter an der Verwir­rungs­schraube. Sie hat Gerüchte gehört, dass ihr Sohn mit der bekannten Schau­spie­lerin unterwegs sei. »Drehst du etwa wieder einen Film«, fragt sie, was ihr Sohn vor der laufenden Kamera vehement verneint.

So reflek­tiert Drei Gesichter meis­ter­haft ambi­va­lent nicht nur über den Status von Filmen, sondern auch über die Ästhe­tiken des Doku­men­ta­ri­schen, die Rolle und Verant­wor­tung von Film­schaf­fenden und die iranische Film­ge­schichte.
Die Haupt­dar­steller Jafari, Panahi und Rezaei treten unter ihren eigenen Namen auf. In ihren Rollen sind sie Schau­spie­le­rinnen und Regisseur, dennoch sind sie nur Charak­tere eines Spiel­films. Die unscharfe Trennung zwischen Person und Figur wird später im Dorf immer wieder thema­ti­siert, etwa wenn Jafari mit ihrem Rollen­namen aus einer bekannten TV-Serie ange­spro­chen und auf ihre Rollen­ei­gen­schaften fest­ge­schrieben oder wenn über Schau­spie­le­rinnen abwertend als »Gauk­le­rinnen« gespro­chen wird. In den Mitteln der sozialen Medien, die Rezaie für ihre Ziele einsetzt, spitzt sich die Unent­scheid­bar­keit von Selbst­in­sze­nie­rung, Authen­ti­zitäts­gesten und Realität noch zu.

Drei Gene­ra­tionen Schau­spie­le­rinnen

Unter der Verwechs­lung von Insze­nie­rung und Realität hatten Schau­spie­le­rinnen schon immer zu leiden, vor allem wenn Rollen­ei­gen­schaften auf den Charakter der Darstel­lenden rück­be­zogen wurden. Ein Beispiel hierfür ist die 1950 geborene Schau­spie­lerin Shahrzad, bürger­lich Kobra Saeedi, die vor der Revo­lu­tion ein bekannter Filmstar war. Im Genre des Film Farsi spielte sie oft erotische Tänze­rinnen und Prosti­tu­ierte. Nach der Revo­lu­tion wurden ihre Filme verboten und sie konnte nicht mehr als Schau­spie­lerin arbeiten. Wichtig ist sie insbe­son­dere auch als eine der ersten Regis­seu­rinnen der irani­schen Film­ge­schichte. 1979 drehte sie den Spielfilm Maryam und Mani, dessen Drehbuch sie auch schrieb. Heute lebt sie weit­ge­hend zurück­ge­zogen und verarmt, ist aber weiterhin künst­le­risch aktiv. In den letzten Jahren wurden sie und ihr künst­le­ri­sches Werk wieder­ent­deckt; aus dem kultu­rellen Gedächtnis war sie jedoch nie ganz verschwunden. Zwei jüngere Doku­men­tar­filme aus der irani­schen Diaspora stellen sie vor: Razor’s Edge: The Legacy Of Iranian Actresses (1930-79) von Bahman Magh­soudlou aus dem Jahr 2016 und insbe­son­dere Shahrzaad’s Tale des Kanadiers Shahin Parhami aus dem Jahr 2015.

In Drei Gesichter ist Shahrzad das abwesende dritte Gesicht. Die junge Marziyeh findet bei ihr in einer Hütte am Rand des Dorfes Unter­schlupf. In den Gesprächen der Dorf­be­wohner wird sie wieder­holt erwähnt. Hier hakt es jedoch immer wieder im Drehbuch. In den Gesprächen mit den Dorf­be­woh­nern tut Panahi so, als wüsste er nicht, von wem die Rede ist. Später, als Jafari ihm erklärt, dass er im Haus der alten Frau nicht will­kommen ist, weil sie Regis­seure wieder­holt als über­griffig erlebt habe, stimmt Panahi jedoch vers­tänd­nis­voll zu und ergänzt die Aussage sogar.

Shahrzad, die seit Jahr­zehnten nicht mehr arbeiten darf, ist ein Spie­gel­bild des mit einem Berufs­verbot belegten Regis­seurs. Trotz ihrer Rolle im Film taucht sie selbst an keiner Stelle auf. Aus dem Pres­se­heft zum Film erfährt man, dass Panahi nach den Dreh­ar­beiten zu ihr nach Isfahan gefahren sei, wo sie inzwi­schen lebt, um ihre Zustim­mung für ihre Rolle im Film einzu­holen. Dort entstand auch die Idee, dass sie selbst eines ihrer Gedichte rezitiert. Körper­lich abwesend, spricht ihre Stimme im Film zum Publikum aus dem Off.

In Drei Gesichter sieht man durch das Fenster und die zuge­zo­genen Vorhänge zu lauten Rhythmen sche­men­haft die drei Schau­spie­le­rinnen tanzen. Tanz ist für Frauen im Iran, sei es auf der Leinwand oder auf der Bühne, verboten. Die Ächtung Shahrzads hängt insbe­son­dere auch mit dem nach­re­vo­lu­ti­onären Tanz­verbot und der damit stets ange­nom­menen Dekadenz zusammen. Diese nächt­liche ausge­las­sene Szene, die Panahi aus dem Auto­fenster heraus beob­achtet, ist daher eine der subver­sivsten des Films.

Mit Shahrzad kommt auch ein #MeToo-Moment in Drei Gesichter. Die Schau­spie­lerin Jafari hatte zuvor schon wie nebenbei bemerkt, dass sie in der Vergan­gen­heit mehrfach ihre Tele­fon­nummer wechseln musste, um Stalkern und anderen Beläs­ti­gungen zu entgehen.

Roadtrip durch die Film­ge­schichte

Auch wenn Drei Gesichter vorrangig auf ein inter­na­tio­nales Publikum ausge­richtet ist, dem der eklatante Stadt-Land-Unter­schied im Iran manchmal etwas zu deutlich erklärt werden muss, sind viele inter­tex­tu­elle Refe­renzen auf die reiche iranische Film­ge­schichte für westliche Zuschauer nicht ganz so einfach zu dechif­frieren.
Am deut­lichsten sind noch die filmi­schen Verbeu­gungen vor den Filmen von Abbas Kiaro­stami: die Frage nach dem Selbst­mord erinnert an Der Geschmack der Kirsche (1997), die Fahrten der städ­ti­schen Besucher durch die schmalen, sich schlän­gelnden Berg­straßen hin zur abge­schie­denen dörf­li­chen Berg­be­völ­ke­rung lassen Erin­ne­rungen an Der Wind wird uns tragen (1999) wach werden. Die eindring­liche Szene mit dem erschöpften Zucht­bullen, der die Straße blockiert, und die innige Beziehung seines Besitzers zum Tier gemahnen an den Kultfilm des neuen irani­schen Kinos Die Kuh (1969) von Dariush Mehrjui. Und die starke abwesende Präsenz von Shahrzad ruft die populären Filme des vorre­vo­lu­ti­onären Kinos ins Gedächtnis.

Bei dieser Rück­be­sin­nung auf Film Farsi, auf die populären, melo­dra­ma­ti­schen Filme, die oft Geschichten über Rache und beschmutzte Fami­li­en­ehre erzählen, werden die gesell­schaft­li­chen Wider­sprüche besonders deutlich. Ein alter Dorf­be­wohner erinnert sich an seinen Lieb­lings­schau­spieler Behrouz Vossoughi, »ein starker Mann voller Ehre«, und hat sogar ein altes Film­plakat von ihm aufbe­wahrt. Vossoughi, der seit der Revo­lu­tion im Exil in den USA lebt und der mit Bahman Ghobadis Jahres­zeit des Nashorns (2012) ein Comeback feierte, stand mehrmals gemeinsam mit Shahrzad vor der Kamera, unter anderem in Qeysar (1969) von Masoud Kimiai, wo er einen dunklen Rächer und Mörder spielte. Doch während die Schau­spie­lerin wegen ihrer Rolle als Tänzerin gesell­schaft­lich als ehrlos gilt, wird der Darsteller des brutal rächenden Qeysar als Held und männ­li­ches Idol verehrt.
Vossoughi ist vom alten Mann auser­wählt, die Vorhaut seines Sohnes zu erhalten, um diese an einer geeig­neten Stelle zu vergraben. So sollen nach den Vorstel­lungen des Vaters die guten Eigen­schaften des Schau­spie­lers auf den Sohn über­tragen werden. Die Schau­spie­lerin Jafari soll doch bitte das kleine Päckchen mitnehmen und an Panahi weiter­rei­chen, der für die Weiter­gabe an Vossoughi sorgen soll. Ein Ding der Unmög­lich­keit, denn Vossoughi darf seit der Revo­lu­tion nicht mehr in den Iran einreisen und Panahi hat striktes Ausrei­se­verbot.

Zwei Wochen nach der Welt­pre­miere von Drei Gesichter in Cannes starb Naser Malek Motiei, ein weiterer Haupt­dar­steller aus Qeysar. Er war, wie Shahrzad, nach der Revo­lu­tion im Land geblieben und hatte ebenfalls Berufs­verbot. Bei seiner Beer­di­gung wurde er erstmals wieder öffent­lich erwähnt und gewürdigt. Daraufhin wurden Rufe laut, dass die Regierung endlich die Filmstars der vorre­vo­lu­ti­onären Zeit, allen voran Vossoughi, wieder ins Land einreisen lassen solle. Viele namhafte Film­schaf­fende richteten sich dazu mit einem offenen Brief an Präsident Rouhani.

Frauen und Männer

In den deutsch­spra­chigen Bespre­chungen von Drei Gesichter wird der Film oft als femi­nis­ti­sche Äußerung des Regis­seurs inter­pre­tiert. Suzanne Cords beispiels­weise versteht Drei Gesichter als »Roadmovie gegen das Patri­ar­chat«. Die eman­zi­pierten Schau­spie­le­rinnen werden dabei gegen die rück­s­tän­digen, unge­bil­deten und unter­drückten Dorf­frauen in Stellung gebracht. Doch ganz so eindeutig liegt der Fall nicht, sondern spiegelt oft nur klischee­hafte Vorstel­lungen über die Geschlech­ter­ver­hält­nisse im Iran wider.
Zunächst irritiert, wie abfällig die Frauen der Film­branche selbst mit anderen Frauen umgehen. Die deutsch-iranische Jour­na­listin und Autorin Fahimeh Farsaie hat die Darstel­lung der Frau­en­fi­guren in Panahis Film analy­siert und versteht Drei Gesichter gar als »anti­fe­mi­nis­ti­sches Manifest«.

Die Regis­seurin Manijeh Hekmat etwa beschimpft in Panahis Drehbuch und Film die sie verset­zende Schau­spie­lerin Jafari gegenüber Panahi als »Verrückte«. Diese wiederum verprü­gelt die junge Schau­spiel­schü­lerin Marziyeh, sobald sie ihrer habhaft wird, aufs Heftigste. Soll dieses aggres­sive Verhalten der Frauen, ihre Gewalt und ihre Belei­di­gungen, etwa zeigen, dass sie Männern an Durch­set­zungs­fähig­keit in nichts nach­stehen? Gleich­zeitig sind die Frauen im Dorf nicht so hilflos, wie viele meinen. Marziyehs Mutter hat ihren aggres­siven Sohn Mehdi durchaus unter Kontrolle und sperrt ihn im Haus ein. Und Marziyeh selbst wird durch ihren Griff zur Handy­ka­mera zur Autorin ihres Schick­sals.

Inter­es­santer scheint womöglich der Blick auf die Männer. Die alten Dorf­be­wohner hängen an ihren Tradi­tionen fest. Während der Besitzer des Zucht­bullen erst sicher­stellt, dass die Schau­spie­lerin auch wirklich kein aser­bai­dscha­ni­sches Türkisch versteht, bevor er vor Panahi ausführ­lich die heraus­ra­genden Zuch­tei­gen­schaften und die Potenz seines Tieres lobt, spricht der späte Vater mit Behnaz Jafari ganz begeis­tert über die Vorhaut seines Sohnes. Wo die alten Männer blind auf ihre tradi­tio­nelle patri­ar­chale Rolle vertrauen, geht die größte und direk­teste Bedrohung von Männern der jüngeren Gene­ra­tion wie Marziyehs Bruder Mehdi aus.
Doch auch auf die »modernen« Männer kann man nicht zählen. Marziyeh berichtet, dass ihr Ehemann selbst vor der männ­li­chen Insti­tu­tion des Militärs auf der Flucht sei. Ab und an käme er ins Dorf zurück, nur um dann alsbald wieder unter­zu­tau­chen. Unter­s­tüt­zung kann sie von ihm keine erwarten. Und was ist mit Panahi selbst? Konflikten geht er im Film aus dem Weg. Der Konfron­ta­tion mit Mehdi entzieht er sich. In den hand­festen Streit zwischen Behnaz Jafari und Marziyeh Rezaei greift er nicht ein. Als ihn Jafari darum bittet, sie nachts ins Dorf zu begleiten, schläft er lieber weiter im Auto. Und im entschei­denden Moment, da bei Marziyehs Eltern vermit­telt werden soll, dass sie die Schau­spiel­schule besuchen darf, schickt er Jafari vor mit dem Argument »Frauen können das besser«. Passi­vität wird so zum männ­li­chen Privileg. Doch ob das als explizite Selbst­kritik verstanden werden darf, bleibt ange­sichts der kaum reflek­tierten Eitelkeit in anderen Szenen offen. Ein wesent­li­cher Gewinn ist dieses »moderne« Männ­er­bild gegenüber den tradi­tio­nellen Patri­ar­chen, die ihre Bedeutung an kleinen Fleischs­tück­chen, sei es Hoden oder Vorhaut, fest­ma­chen, aber auch nicht. So bleibt das letzte Bild samt seiner leisen Ironie sympto­ma­tisch. Der Mann bleibt wartend im Auto zurück, die Frauen machen sich auf den Weg und gehen schon mal voraus.