Dänemark 2010 · 95 min. · FSK: ab 12 Regie: Nikolaj Arcel Drehbuch: Nikolaj Arcel, Rasmus Heisterberg Kamera: Rasmus Videbæk Darsteller: Thure Lindhardt, Tuva Novotny, Rosalinde Mynster, Signe Egholm Olsen, Henning Valin u.a. |
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Männer haben immer zu tun |
»Lebe dein Leben wie ein verfluchtes Gitarrensolo.«
Der dänische Regisseur und Drehbuchautor Nikolaj Arcel, der dieses Jahr mit seinem Film Die Königin und der Leibarzt den Silbernen Bären für das beste Drehbuch gewann, ist nun auch mit dem zeitlich früher entstandenen Film Die Wahrheit über Männer (2010) zu sehen.
Mads (Thure Lindhardt) hat alles, was man Anfang Dreißig erwarten kann: Er ist erfolgreich im Beruf als Drehbuchautor für Serien, hat eine schöne Frau und zieht gerade in sein neues Eigenheim. Während seine Frau Marie bei der Housewarming-Party eine liebevolle Lobeshymne auf ihn und ihre 10jährige Beziehung hält, steht er völlig neben sich und merkt, dass er nur noch Beobachter seines eigenen Lebens ist. Da er dazu noch feststellt, dass Marie eigentlich gar nicht sein Typ ist und er sich beruflich langweilt, zieht er nach einer unvermeidlichen Aussprache kurzerhand aus und kündigt auch seinen sicheren Job, um endlich den ultimativen wahren Film zu schreiben.
Auf äußerst abwechslungsreiche, unterhaltsame und visuell vielseitige Weise setzt uns Arcel auf eine Achterbahn der Gefühle und Stimmungen, Geschichten und Gestalten, wenn wir Mads dabei zusehen, wie er alles anders machen und sein Leben wie ein Gitarrensolo leben will, wie er es als 17-Jähriger einst von sich selbst forderte. Keine Kompromisse mehr! Dabei unterstützen ihn seine Freunde Louise und Peter, die ihm in zahlreichen Gesprächen Spiegel und Vertraute sind.
Wer kennt nicht die Wünsche nach den höchsten Zielen, den größten Sehnsüchten, der maximalen Verwirklichung? Umso spannender ist es, dem großen Experiment als Zuschauer zu folgen: Mit rasantem Schwung beginnt Mads in einem leeren Zimmer eine riesige Wand mit Ideenzetteln für Filme zu spicken. Gleichzeitig sucht er seine Traumfrau, zunächst durch ein Wiedersehen mit der unerreichbaren Jugendliebe, später in einer stürmischen Beziehung zu der 19jährigen Kunststudentin Julie (bezaubernd: Rosalinde Mynster), die ihn mit seinen eigenen Spießeranteilen konfrontiert. Thure Lindhardt kann ein ein herrlich naives Gesicht machen und spielt das alles überzeugend und in vielen Schattierungen.
Der Rhythmus des Films ist schnell, aber nie hektisch, die Musik unterstützt stets perfekt die jeweilige Stimmung, das Tempo ist wunderbar ausbalanciert zwischen ruhigeren Gesprächs- und Selbsteflexions-Szenen und dann wieder wilden und bunten Taumel-Episoden. Es ist unglaublich, was Arcel dabei alles an optischen Erzählvarianten einfällt, die spektakulärste Idee dabei der Zug, der durchs Zimmer rast und Mads buchstäblich überfährt. Witzig sind die eingefügten Animationsfilmszenen aus Mads erstem und einzigen Kinoerfolg, dessen Comic-Protagonisten in seinem Kopf ein Eigenleben führen.
Doch der Film folgt natürlich den ehernen Gesetzen der Dramaturgie: Mads schlägt knallhart auf dem Boden der Tatsachen auf, verliert fast alles, was ihm wichtig ist und landet schließlich wieder im letzten Zufluchtsort für Verzweifelte: im Kinderzimmer seines Elternhauses. Aus der Traum der maximalen Selbstverwirklichung? Wirklich originell am Skript des Films ist, wie Mads das Drehbuch-Muster seiner TV-Serien in seinem eigenen Leben wiedererkennt und daraufhin sein Leben analysiert und wieder in Ordnung bringt. Er findet den Auslöser seiner Krise in dem Sturz eines Freundes ins Koma, was er zunächst völlig verdrängte, was ihm aber seine eigene Sterblichkeit vor Augen führte und die Frage nach dem »Soll das alles gewesen sein?« in Gang setzte.
Beruhigt kann der Zuschauer dem Ausgang des Experiments folgen, das die eigene Lebenserfahrung bestätigt: die Rückkehr zu den Kompromissen, das Ende des Solos, das kleine Glück in der Beziehung zum eigenen Kind, der alte Job, Familien-Patchwork-Realität und – statt des ultimativen Films – Teil zwei des ersten Kinoerfolgs. Das ist alles ist, wie schon der Titel, sehr selbstironisch, da hier ein Drehbuchautor von einem Drehbuchautor erzählt – und auch ein wenig weise und nicht sehr revolutionär.
Nicht verschweigen sollte man die psychologischen Leerstellen und Ungereimtheiten des Films, wenn dem Zuschauer beispielsweise überhaupt nicht klar wird, was in der Partnerschaft von Mads und Marie nicht gestimmt hat oder warum Mads Marie nach dem Scheitern der Beziehung zu Julie plötzlich wieder liebt (hier die typischen Schwarzweiß-Erinnerungsfotos vom Strand) und er ein Kind mit ihr haben will. Insofern geht es in diesem wirklich sehenswerten Film mehr um die großen Bögen und Rhythmen im Leben der Männer und nicht um die differenzierte Feindiagnostik gelingender und misslingender Beziehungen.
Beschwingt und nachdenklich auf dem Nachhauseweg treibt einen dann noch die eine Frage aus dem Film um: Würdest du deinen eigenen (Lebens-)Film gern anschauen?