Die Mitchells gegen die Maschinen

The Mitchells vs. The Machines

USA 2021 · 105 min. · FSK: ab 6
Regie: Mike Rianda, Jeff Rowe
Produktion: Phil Lord, Christopher Miller u.a.
Drehbuch: ,
Musik: Mark Mothersbaugh
Schnitt: Greg Levitan
(K) eine ganz normale Familie?
(Foto: Netflix)

Krieg als Familientherapie

Beste Vorgaben machen noch keinen besten Film, aber immerhin ragen die Mitchells zumindest über die Animation und in ihrer Ehrenrettung einer dysfunktionalen Familie aus dem Zeichentrickeinheitsbrei positiv heraus

Bei dem Produ­zenten-Drehbuch- und Regie-Duo Phil Lord und Christoph Miller kann man schon in Versu­chung geraten, Kritik einfach mal Kritik sein zu lassen und sich zu entspannen. Sei es Cloudy with a Chance of Meatballs, 21 Jump Street oder und vor allem das Anima­tions-Meis­ter­werk Spider-Man: Into the Spider-Verse zeigen eine kreative Stoßkraft, die nicht nur außer­or­dent­lich ist, sondern vor allem auch damit überzeugt, den klas­si­schen Fami­li­en­film mit unge­wöhn­li­chen Themen und Inter­pre­ta­tionen zu reani­mieren.

Auch bei Die Mitchells gegen die Maschinen, bei denen Lord und Miller produ­ziert und den Kreativ-Direktor der Ausnahme-Anima­ti­ons­serie Gravity Falls als Regisseur mit an Bord geholt haben, sieht die Sache an sich gut aus, wird eine Geschichte erzählt, die im Kern durchaus Über­ra­schungen und eine eher unge­wöhn­liche Fami­li­en­moral bereit­stellt und das Ganze außerdem noch mit einem überaus wilden Coming-of-Age- und Dystopie-Remix unterlegt.

Erzählt wird im Kern die Eman­zi­pa­ti­ons­ge­schichte von Katie Mitchell, der ältesten Tochter der Mitchells, die kurz vor dem Absprung aus ihrem Eltern­haus steht und in Michigan, auf der anderen Seite der USA, auf eine Film­hoch­schule gehen will. Ihr Vater Rick hat jedoch nicht nur große Probleme, seine Tochter los- und in Frieden ziehen zu lassen, sondern isoliert sich durch seine tech­no­phobe Grund­hal­tung auch von den übrigen Fami­li­en­mit­glie­dern – von seiner für ihre Arbeit lebende Frau Linda und seinem Dino­sau­rier-affinen, vorpu­ber­tären Sohn Aaron. Um zu retten, was schon nicht mehr zu retten ist, zwingt Rick die Familie zu einem Roadtrip, dessen Ziel Katies neue Hoch­schule sein soll. Das Bonding-Expe­ri­ment, das sich wie eine bonbon­far­bene Werbe­bro­schüre für die perfekte Familie ansieht, wird jedoch über­ra­schend aufge­wertet, als sich die in einer Paral­lel­hand­lung vorge­stellten neuen Haus­halts­ro­boter eines Startups so eman­zi­pieren, wie es sich Katie viel­leicht selbst für sich und ihre Familie gewünscht hätte, und der Mensch­heit den Krieg erklären.

Vor allem bis zu dieser narra­tiven Weiche ist The Mitchells vs. the Machines über­ra­schendes und psycho­lo­gisch aufre­gendes Neuland, werden mit trie­fender Ironie klas­si­sche Fami­li­en­mo­delle dekon­stru­iert, wird Über­el­tern-Verhalten liebevoll kriti­siert und puber­täres Aufbe­gehren als so schwierig wie noch nie darge­stellt, wollen Eltern doch nicht mehr nur Eltern, sondern auch beste Freunde sein.

In deutlich düste­reren Farben und äußerst über­zeu­gend hat dies bereits Henry Selicks Stop-Animation-Film Coraline umgesetzt, für die Mitchells wählen die Macher aller­dings ein erheblich helleres Szenario. Das liegt nicht am fast schon grellen Anima­ti­ons­stil, der wie in Spider-Man: Into the Spider-Verse immer wieder innovativ und über­sprühend gemäl­de­ar­tige Comic-Panels aufbietet, sondern auch an der thera­peu­ti­schen Grundidee. Boxt sich Coraline am Ende allein in die Freiheit und Unab­hän­gig­keit, funk­tio­nieren die Mitchells als Fami­li­en­the­rapie. Denn die Bedrohung durch die kollek­tive Robo­ter­dik­tatur ist zum einen als Feindbild so stark, dass es die Fami­li­en­mit­glieder zu einem neuen Denken und einem unab­hän­gigen, reiferen Zusam­men­halten thera­piert, zum anderen zeigt das »Rollen­mo­dell« der Roboter auch, dass eine zu hier­ar­chi­sche Beziehung zu den Eltern (also dem Erfinder und Software-Entwickler aka Eltern) letzt­end­lich ins Verderben führt.

Die Mitchells gegen die Maschinen verspielt diese aufre­gende Entwick­lung im zweiten Teil, da statt auf die Entwick­lung zunehmend auf die kämp­fe­ri­sche Ausein­an­der­set­zung fokus­siert wird, der Film immer greller, immer lauter und immer schneller wird, er fast schon an den Stil des spani­schen Comic-Zeichners Francisco Ibáñez und seine Reihe Clever & Smart erinnert. Das ist schade, ist das Potential doch viel größer.

Denn vom Anfang bis zum Ende stecken die Mitchells voller popkul­tu­reller Refe­renzen, wird von Termi­nator 2, über The Shining, Dr. Stran­gelove, Greta Gerwig, Céline Sciamma, Lynne Ramsay, Hal Ashby und noch viel mehr drunter und drüber, hin- und herzi­tiert, Zitate, die man bei dem zuneh­menden Tempo und Maschi­nen­lärm kaum mehr sieht oder hört. Und dann haben wir mit den Mitchells einen jener raren, klugen Fami­li­en­filme, der sich im Grunde sogar einem Happy End verwei­gert, wird doch ange­deutet, dass es dann doch mehr als einen Krieg braucht, um eine dysfunk­tio­nale Familie zu einer Vorzei­ge­fa­milie zu machen, es wohl gerade das auch nicht braucht, sondern viel eher die Vorzei­ge­fa­mi­lien thera­piert gehören.

Die Mitchells gegen die Maschinen ist seit dem 23. April 2021 auf Netflix abrufbar.