Mexiko 1993 · 94 min. · FSK: ab 16 Regie: Guillermo del Toro Drehbuch: Guillermo del Toro Kamera: Guillermo Navarro Darsteller: Federico Luppi, Ron Perlman, Claudio Brook, Margarita Isabel, Tamara Shanath u.a. |
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Cronos, zwischen Skarabäus und Fabergé-Ei | ||
(Foto: Warner Home Video Verleih) |
Der mexikanische Filmemacher Guillermo del Toro gehört spätestens seit Pans Labyrinth (2006) zusammen mit dem Neuseeländer Peter Jackson zu den ganz Großen des fantastischen Films. Ausgerechnet für den eher verunglückten Shape of Water – Das Flüstern des Wassers (2017) erhielt del Toro den Oscar als bester Regisseur. Darüber hinaus erhielt der Film den Oscar als bester Film und für die beste Filmmusik und das beste Szenenbild. Sein Debütfilm Cronos von 1993 war zu seiner Entstehungszeit mit einem Budget von zwei Millionen Dollar der teuerste mexikanische Film. Mit diesem Horrorfilm verwirklichte del Toro als Regisseur und Drehbuchautor bereits vieles, was auch für seine späteren Filme charakteristisch sein würde. Aber insbesondere ist Cronos ein origineller Vertreter des Vampirfilms.
Der alternde Antiquitätenhändler Jesus Gris (Federico Luppi) befindet sich zusammen mit seiner Enkelin Aurora (Tamara Shanath) in seinem Laden. Er findet im Sockel der Holzskulptur eines Erzengels eine etwa faustgroße goldene Apparatur, deren Form eine Mischung aus einem Fabergé-Ei und einem Skarabäus ist. Als er die Apparatur an einer Feder aufzieht, sticht der Käfer Jesus mit seinen Krallen in die Hand. Daraufhin entwickelt Jesus eine größere Vitalität und einen großen Durst nach menschlichem Blut. Kurz darauf findet der an Krebs sterbende Industrielle Dieter de la Guardia (Claudio Brook) die Aufzeichnungen des Alchimisten, der im 14. Jahrhundert diese »Cronos« genannte Apparatur geschaffen hat. Er schickt seinen amerikanischen Neffen Angel (Ron Perlman) los, um diese Jesus zu entwenden.
Seit Friedrich Wilhelm Murnaus Nosferatu – Eine Symphonie des Grauens (1922) kennen wir Vampire im Film als unheimliche Wesen, die ihre langen Eckzähne in die Halsschlagadern ihrer Opfer schlagen, um deren Blut zu trinken. Ganz anders ist dies in Cronos. In Guillermo del Toros Film ist es die käferartige Apparatur, deren Krallen sich in das Fleisch bohren. Sie saugen jedoch kein Blut, sondern injizieren das von einer im Inneren der Apparatur befindlichen Larve stammendes Sekret in die Blutlaufbahn des Trägers. Dieses Sekret hat eine verjüngende Wirkung und führt zu Unsterblichkeit. Zu den Nebenwirkungen zählen die bei Vampiren bekannten Symptome wie großer Blutdurst und eine Überempfindlichkeit gegen Tageslicht.
Nachdem Jesus die Wirkung der Cronos-Apparatur erfährt, begibt er sich anders als in anderen Vampirfilmen auch nicht auf die Jagd nach Opfern, denen er das Blut aussaugen kann. Stattdessen leckt er beispielsweise einen Blutfleck vom Kachelboden in einer Herrentoilette auf. Cronos ist auch kein Horrorfilm, der Schocks verbreitet, sondern die Erzählung von zwei Männern auf der Suche nach Unsterblichkeit. Eine besondere Vertiefung erfährt hierbei die Beziehung von Jesus zu seiner schweigenden Enkeltochter Aurora. Ihnen beiden entgegengesetzt sind der sterbende Dieter und dessen infantiler Neffe Angel. Dass Dieter ausgerechnet dieses ungeschlachte Riesenbaby zu einem Killer abrichtet, zählt zu humorigen Untertönen des Films. Offen witzig ist zudem ein Leichenwäscher, der Kaugummi kaut und in einer Arbeitspause eine Banane isst.
Mehr als Spannung und Schrecken interessieren Guillermo del Toro in Cronos die menschlichen Beziehungen und die Atmosphäre. Wie in Abel Ferraras Die Frau mit der 45er Magnum (1981) wird auch die zuvor stets schweigende Aurora am Ende des Films ein einziges Wort sagen, als die Beziehung zu ihrem Großvater zu eskalieren droht. Und ganz am Ende des Films wird die Szenerie plötzlich in gleißend helles Licht getaucht. Dahingegen zeichnet sich Cronos während seiner restlichen Laufzeit durch ein konsequent düsteres Farbschema aus. Tatsächlich herrscht in vielen Szenen eine so geringe Beleuchtung, dass wir die Protagonisten oft nur als dunkle Schatten durch das Bild huschen sehen. Zur besonderen Stimmung des Films tragen auch Elemente bei, wie aus dem Auge einer Statue krabbelnde Kakerlaken, die goldenen Zahnräder des geheimnisvollen Mechanismus der Cronos-Apparatur sowie die bereits erwähnten Krallen, die sich in das Fleisch des Cronos-Trägers graben.
Cronos verbindet klassische Horrorelemente mit einer originellen Geschichte. Was dem Film an Spannung und an Schreckmomenten abgeht, macht er durch seine Charaktere und seine Atmosphäre wett. In seinem Debüt präsentiert sich Guillermo del Toro als ein versierter Drehbuchautor und Regisseur, der bereits von Anfang an eigene Wege einschlägt. Deshalb lohnt es sich, Cronos wiederzuentdecken.