Burning Days

Kurak Günler

Türkei 2022 · 130 min. · FSK: ab 16
Regie: Emin Alper
Drehbuch:
Kamera: Christos Karamanis
Darsteller: Selahattin Pasali, Erol Babaoglu, Ekin Koç, Selin Yeninci, Erdem Senocak u.a.
Zwei Seiten der Wahrheit...
(Foto: Cinemien)

Der Untergang der Welt wie wir sie kennen

Emin Alpers Politthriller über eine kleine Gemeinde in der Türkei zeigt, was zunehmend in der ganzen, großen Welt passiert – die Aushebelung der Demokratie und des Rechtsstaats. Das ist großartiges, erschütterndes Kino

Emin Alper, der bereits in seinen drei letzten Filmen Tepenin ardi – Beyond the Hill (2012), Abluka – Jeder misstraut jedem (2015) und Eine Geschichte von drei Schwes­tern (2019) die türki­schen Gesell­schafts­struk­turen mal scharf, dann aber auch wieder fast schon zärtlich hinter­fragte und für seinen kreativen und immer wieder über­ra­schenden Umgang mit dieser Thematik zahl­reiche Preise erhielt, setzt auch in seinem neuesten Film Burning Days einen starken gesell­schafts­po­li­ti­schen Akzent.

Er erzählt die Geschichte des jungen Staats­an­walts Emre (Sela­hattin Paşalı), der nach seiner Verset­zung in eine kleine türkische Stadt nach einem herz­li­chen Empfang zunehmend in Konflikt mit den indigenen Regeln gerät. Vor allem die über­mäßige Nutzung des Grund­was­sers, das zu nach­hal­tigen Einbrüchen, riesigen Kratern in der Land­schaft geführt hat und über gefälschte geolo­gi­sche Gutachten von der poli­ti­schen Elite klein­ge­redet wird, lässt Emre zunehmend einen konfron­ta­tiven Kurs nehmen, ohne Rücksicht auf die gesell­schaft­li­chen Impli­ka­tionen und die Gefahr, die dadurch auch für ihn entsteht.

Alper ergänzt dieses Szenario um einen subtilen Verge­wal­ti­gungs­fall und die kompli­zierte Beziehung Emres zu dem Jour­na­listen Murat (Ekin Koç), die örtliche Richterin und die sichtlich über­for­derte Polizei. Dadurch etabliert Alper sehr geschickt die hori­zon­tale Gewal­ten­tei­lung einer funk­tio­nie­renden Demo­kratie in seine Geschichte und demons­triert in eindring­li­chen, hypno­ti­schen Szenen, wie leicht dieses System zu erschüt­tern ist.

Dabei gelingt ihm mit der eindring­li­chen Kamera von Christos Karamanis eine Atmo­sphäre, die in ihrer Ambi­va­lenz und zirkulären Suche nach Wahrheit an die meis­ter­liche Drama­turgie in Nic Pizzo­lattos erster Staffel von True Detective erinnert, in dem sich ebenfalls zwei völlig unter­schied­liche Charak­tere in einem feind­li­chen, dege­ne­rierten gesell­schaft­li­chen Umfeld gemeinsam nicht nur auf die Suche nach der äußeren, sondern auch den inneren Wahr­heiten eines jeden der Betei­ligten macht.

Alper erzählt diesen Weg so unter­gründig wie gnadenlos und vergisst auch nicht, seiner »türki­schen« Geschichte einen zunehmend univer­salen Tonfall zu verleihen. So wird nicht nur klar, dass wir hier einem funk­tio­nie­renden Staats­system beim Sterben zusehen, sondern dass dieses Sterben nicht nur türkisch ist – was bei der Politik Erdogans ja nur allzu offen­sicht­lich scheint – sondern dass das, was hier passiert, im Moment überall auf der Welt in fast jeder Demo­kratie geschieht. Korrup­tion bei Gewalt und Umwelt­sünden eben so schlei­chend wie in dieser Klein­stadt imple­men­tiert werden und die Demagogie der herr­schenden Eliten die Massen so geschickt zu instru­men­ta­li­sieren versteht, wie es hier gezeigt wird.

Gleich­zeitig wird dieser thetische Aspekt nie über­stra­pa­ziert, bleibt Alper immer auch bei seinen Prot­ago­nisten und ihren verschlun­genen, leidenden Bezie­hungen und einer faszi­nie­renden, sehr »mensch­li­chen« Ambi­va­lenz, die durch Alpers hervor­ra­gendes Ensemble bis in den tiefsten Schrecken hinein über­zeu­gend darge­stellt wird.