USA/F 2005 · 106 min. · FSK: ab 0 Regie: Jim Jarmusch Drehbuch: Jim Jarmusch Kamera: Frederick Elmes Darsteller: Bill Murray, Jeffrey Wright, Sharon Stone, Frances Conroy, Jessica Lange u.a. |
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Die Einsamkeit des Langstreckenfliegers |
Vor einem Jahr konnte man Bill Murray in Jim Jarmusch' Episodenfilm Coffee and cigarettes als ziemlich nervösen Kaffeejunkie im Gespräch mit RZA und GZA vom Wu-Tang Clan erleben. In Jarmusch' neuem Film Broken Flowers erleben wir Murray nun am anderen Ende der Aufgeregtheitsskala; ein Mann am absoluten Motivationsnullpunkt.
Der von ihm dargestellte Don Johnston hat es im Computerbereich zu ziemlichen Wohlstand gebracht, attraktive Frauen scheinen beinahe magisch von ihm angezogen, mit der lebhaften Großfamilie nebenan pflegt er eine sehr herzliche Freundschaft und auch sonst scheint kein Schatten über seinem Leben zu liegen. Trotzdem ist Don in der Motivationskrise. Endlos hockt und liegt er auf der Couch, sieht fern oder starrt einfach nur vor sich hin. Als ihn seine Freundin verlässt, ist er zu antriebslos, sie davon abzuhalten.
In diesem Moment erhält er einen mysteriösen Brief, der drei markante Eigenschaften besitzt. Er ist schweinchenrosa, anonym und er behauptet, dass Don unwissentlich der Vater eines 19jährigen Sohns ist, der sich auf die Suche nach ihm gemacht hat. Während selbst diese Nachricht Don nicht aus seiner Lethargie reißen kann, weckt sie bei seinem kriminalistisch interessierten Nachbarn Winston derart großes Interesse, dass er Don eine minuziös geplante Reise zu vier ehemaligen Freundinnen und somit potentiellen Müttern vorlegt.
Also macht sich Don auf, besucht seine Verflossenen und versucht (von Winston vorher darauf geschult) Anhaltspunkte zu finden, die dafür sprechen, es mit der Mutter seines möglichen Sohns zu tun zu haben. Das klingt einfacher als es tatsächlich ist, weshalb er sich mit jedem Autobahn- und Flugkilometer von der Lösung des Mysteriums weiter zu entfernen scheint.
Man könnte sich die Kritik zu diesem Film einfach machen und sagen: Broken Flowers ist ein in jeder Hinsicht typischer Jim Jarmusch-Film. Für die »Eingeweihten« würde diese Aussage vermutlich ausreichen, um ihnen ein versonnenes Lächeln ins Gesicht zu zaubern und sie umgehend in die nächste Abspielstätte zu locken. Allen anderen sei kurz erklärt, was diese Aussage bedeutet.
Die Literaturkritikerin Iris Radisch hat kürzlich die Theorie angeführt, dass alle großen Schriftsteller ein Leben lang an ein und demselben Buch schreiben (bitte das unscheinbare Wort »an« nicht überlesen). Wenn man diese Behauptung analog auf das Kino anwendet, dann gehört Jim Jarmusch ganz klar zu den großen Regisseuren. Auch wenn er Sujets, Drehorte und Handlungen wechselt, so bleiben doch Grundstimmung und -motive unverkennbar gleich.
Dem zum Trotz wirken seine Filme nie wie Stückwerk oder ein zusammenhangloses Konglomerat. Die einzelnen Teile werden bei Jarmusch von einer unsichtbaren Klammer, die sich aus den gerade aufgezählten Punkten ergibt, zusammengehalten.
Das geht so weit, dass man seine Filme vermutlich sogar problemlos ineinander schneiden könnte (eine Taxifahrt aus Night on earth, schnell einen Kaffee und eine Zigarette, dann zum Flug mit Don zur nächsten Freundin, noch ein Kaffee, einchecken im Hotel in Memphis...), was die Anfangstheorie vom einen, großen Film, an dem ein Regisseur sein Leben lang dreht, aufs Beste belegen würde.
Wenn bisher fast nur von der Arbeit des Regisseurs bei Broken Flowers die Rede war, soll das nicht heißen, dass nur er Wichtiges geleistet hat.
Positiv zu erwähnen ist etwa die hervorragende Kameraführung von Frederick Elmes, die stimmungsvolle Musik von Mulatu Astatke und einmal mehr ein sehr gutes Ensemble von Darstellern. Jede Einzelleistung würde eine Erwähnung verdienen, vor allem die vielen (in mancherlei Hinsicht) wunderbaren weiblichen Rollen.
Aber nur die vom Hauptdarsteller Bill Murray wollen wir hier kurz eingehender betrachten.
Ganz unauffällig lässt Murray sein übliches Rollenklischee zwischen sympathischem Arschloch und sarkastischem Melancholiker weitgehend hinter sich und zeichnet das Bild eines wirklich liebenswerten Menschen, dem irgendwie die Kraft fehlt, sich gegen seine Umwelt durchzusetzen (das letzte Mal sah man eine solcherart gelungene Figur von Jeff Bridges in Texasville). Als Zuschauer hat
man anfangs noch so seine Zweifel, ob dieser Don nicht doch ein gemeiner Kerl ist, doch dann geschieht mehrmals dieses kleine Wunder und die Mundwinkel von Bill Murray heben sich und tatsächlich, er lächelt!
Nun hat Bill Murray schon zuvor gelächelt, nur war das üblicherweise abschätzig, sardonisch, gequält, schadenfroh, angewidert, etc. Hier dagegen ist es einfach nur freundlich.
Ein netter, melancholischer Kerl, aber kein armer Tropf; von den Umständen geleitet und trotzdem souverän; kein Schönling und leicht unbeholfen, mit einem wahnsinnigen Schlag bei den Frauen: das kommt einem doch bekannt vor. Und tatsächlich kann man in Bill Murrays Performance durchaus eine sehr subtile (und schon lange überfällige) Reminiszenz an Humphrey Bogart sehen.
Solche Anspielungen und Reminiszenzen schätzt Jim Jarmusch, der diese Stilmittel immer wieder gekonnt verwendet. Murray ist der richtige Mann, um es adäquat umzusetzen und seine Fähigkeiten zu kommunizieren ohne etwas zu sagen und sein Talent für minimalistischen Slapstick machen ihn zum perfekten Jarmusch-Darsteller.
Zum Schluss sei noch auf das Ende von Broken Flowers hingewiesen. Natürlich wird es hier nicht verraten, aber es sei erwähnt, dass es zu den besten des Kinojahres zählt.
Und es ist absolut typisch für Jim Jarmusch.