Bohemian Rhapsody

USA 2018 · 135 min. · FSK: ab 6
Regie: Bryan Singer, Dexter Fletcher
Drehbuch:
Kamera: Newton Thomas Sigel
Darsteller: Rami Malek, Lucy Boynton, Gwilym Lee, Ben Hardy, Joseph Mazzello u.a.
Ein wirklich lang­wei­liger Film. Und dann irgendwie doch nicht...

»The Show must go on!«

Als wir noch nicht wussten, was »Queen« war, fanden wir »Queen« auch nicht ganz so toll. Sie waren die feinen Londoner Pinkel, die auf die Arbei­ter­jungs aus Liverpool und Manchester folgten, sie waren die, die studiert hatten: Ein Astro­phy­siker (Komponist und Gitarrist Brian May), ein Zahn­tech­niker und Biologe (Komponist und Schlag­zeuger Roger Taylor), ein Elek­tro­tech­niker (Bassist John Deacon) und ein Kunst­stu­dent (Komponist und Sänger Freddy Mercury), sie waren Snobs, die von Scara­mouche und Galileo sangen, von Beelzebub und der Oper, die das erste richtige Musik­video der Popge­schichte drehten, und dass ihr Aufstieg die Verbür­ger­li­chung des Pop in den 70ern symbo­li­sierte, seinen Eingang in den Kanon der Künste und die Welt der Fußnoten und Bildungs­an­spie­lungen, das haben nicht nur wir erst rück­bli­ckend begriffen.
Wir sahen nur die Ober­fläche. Wir dachten, wenn wir überhaupt etwas dachten mit sieben, acht, neun oder zehn Jahren: Was sind denn das für komische Jungs? Und hielten sie für eine Fort­set­zung von »Smokie« oder »Bay City Rollers« mit längeren Haaren. Ich geb’s zu: 1978/79 kannte ich Queen von irgend­woher, aber sie haben mich nicht inter­es­siert, ich war dafür einfach zu jung.

Dass »Queen« großartig ist, ungemein reich­haltig, phan­ta­sie­voll, klug, herz­zer­reißend, manchmal genial, dass Freddy Mercury einer der aller­al­ler­besten Bühnen­en­ter­tainer seiner Gene­ra­tion war, dass Brian Mays Gitarre so klang wie keine zweite, und dass das auch daran lag, dass er mit Münzen statt mit Blättchen spielte, um das alles zu begreifen, dafür musste es Mitte der Achtziger werden, also schon fast zu spät. Gern wäre ich Freddy Mercury begegnet, als er in München lebte – auch seine München-Zeit ist so eine Episode aus dem großar­tigen, wahn­sin­nigen, anek­do­ten­rei­chen, heute voll­kommen verges­senen und voll­kommen unglaub­li­chen Pop-München der Sechziger, Siebziger und frühen achtziger Jahre, für das wir zu spät geboren wurden.

Bryan Singer oder doch nicht Bryan Singer?

Dieser Film erzählt all diese tollen Atmo­s­phären und Gefühle und Gedanken und die dazu­gehö­rige Geschichte nicht. Manchmal fragt man sich, ob er überhaupt eine Geschichte erzählt. Es geht um Queen und Freddy Mercury, und die Bilder hangeln sich an den entspre­chenden Fakten entlang. Der Film, der als Regie­ar­beit Bryan Singers (X-Men) verkauft wird, obwohl Singer drei Wochen vor Ende der Dreh­ar­beiten nach internen Querelen entlassen wurde und Singer deshalb weder die letzten Drehtage noch den Schnitt beglei­tete.

Der Film setzt London 1970 ein; mit dem »Swinging London« ist es da allmäh­lich vorbei, die Beatles lösen sich auch auf – Zeit also für etwas Neues. Als ein einsamer, irgendwie beson­derer junger Mann dann drei Jungs kennen­lernt, denen gerade der Sänger abhan­den­ge­kommen ist, ist dieses Neue da: »Queen«.

Dieser ganze Anfang ist ein bisschen lang­weilig, Nicht weil das alles unin­ter­es­sant wäre, oder es eigent­lich anders herum war, sondern weil überhaupt nichts passiert, das man nicht kennt, das einen irgendwie aus der Fassung bringt. Der junge Freddy hat Ärger mit den Eltern, die indischs­täm­mige Parsen, die aus Sansibar nach London gekommen waren, wollen, das aus dem Jungen was Anstän­diges wird, und er nicht immer in so bunten Kleidern herum­läuft. Quelle surprise!
Und als »Queen« noch nicht »Queen« war, wusste keiner, was »Queen« war. Auch keine origi­nelle Erkenntnis.

So geht es weiter; über den ganzen Film bemüht sich Bryan Singer oder wen wir dafür halten sollen, so ziemlich jede Konven­tion des Musik-Biopic, die uns allen einfällt, abzuhaken: Für die Jungs gibt es viele Schwie­rig­keiten zu über­winden, und auf jede Schwie­rig­keit folgt bald eine Lösung.
Die Band braucht Geld. Also verkaufen sie den Wagen und setzen alles auf eine Karte. Mit Erfolg. Sie brauchen einen Manager. Da ruft der Manager von Elton John an. Der verschafft ihnen einen BBC-Auftritt, und dann eine USA-Tournee – in ameri­ka­ni­schen Filmen ist die USA-Tournee für eine europäi­sche Band immer das Nonplus­ultra. Auch sehr lang­weilig.

Keiner glaubt an Freddy – doch dann lernt er ein Mädchen kennen. Sie verlieben sich, und das Mädchen glaubt an ihn. Bewun­dernd blickt sie ihn an, wenn er auf zum ersten Mal der Bühne steht.
Moment mal: Ein Mädchen? War Freddy Mercury nicht schwul? Doch war er, aber damals noch nicht. Mit Mary Austin war er bis 1975 liiert, und auch danach blieben sie lebens­lange Freunde und Mary erbte schließ­lich Mercurys Vermögen.
Später ist der Film dann recht keusch, wenn es um schwule Liebe geht: Mit Mary sehen wir Freddy im Bett, mit Jungs nicht. Und Mary blickt bewun­dernd auf seinen Bühnen­auf­tritt, die Jungs nicht.

Dann wird die neue LP, »A night in the Opera« mit dem Titelsong »Bohemian Rhapsody« produ­ziert. Wieder glaubt keiner an diese schrille, neuartige Musik. Außer ihnen selbst. Dann haben sie noch mehr Erfolg, werden noch reicher, bleiben doch die netten Jungs, streiten sich selten.

Vor allem glaubt Mercury an sich: »We'll find a way.«, »Wir finden einen Weg.« sagt Freddy wieder und wieder. Geht es nach diesem Film, dann war »Queen« eine One-Man-Show, wo es doch tatsäch­lich eine höchst gleich­be­rech­tigte Band war. Einige der erfolg­reichsten »Queen«-Hits wurden von Brian May oder Roger Taylor kompo­niert. Immerhin eine Szene zeigt, dass es May ist, der »We Will Rock you« erfindet.
Aber auch hier wird vor allem eine Geschichte bebildert. Aber was ist hier eigent­lich die Geschichte?

»Wir sind eine Rockband, nicht die 'Village People'«

Bitte nicht miss­ver­stehen: Das kann man sich alles sehr gut angucken, »Bohemian Rhapsody« ist ein unter­halt­samer Film, und die Musik von Queen ist großartig. Es wird hier klar, das ist einer der Vorzüge von »Bohemian Rhapsody«, dass Freddy Mercury in erster Linie ein großar­tiger Künstler war. Originell, mit ener­ge­ti­schen, charis­ma­ti­schen Bühnen­auf­tritten und dem Mut, sich immer neu zu erfinden. Er wurde mit vier zusätz­liche Schnei­de­zähnen geboren. Das verschaffte ihm nicht nur sein charak­te­ris­ti­sches Aussehen, sondern vor allem mehr Stimm­um­fang. Rami Malek spielt den Sänger engagiert – an die Wirkung des echten Freddy Mercury, kommt er aber nicht heran. Manchmal ist der Film immerhin sogar witzig. Etwa in der Szene, in denen eine berühmte Passage aus »A night in the opera« wieder und wieder einge­spielt werden muss, um das »Galileo!« noch höher klingen zu lassen.
Oder wenn Brian treffend zu Freddy nach dessen radikalem Outfit­wechsel zu Kurz­haar­schnitt und Schnauzer sagt: »Hey, wir sind eine Rockband, nicht die 'Village People'«

Gegen Ende folgt die letzte Konven­tion: Krise, Streit, Abstieg, also symbo­li­scher Tod – und Wieder­ge­burt. Freddy will eine Platte aufnehmen, das läuft nicht (was nicht ganz der histo­ri­schen Tatsachen entspricht), er hat einen bösen Freund, der ihn verrät, bekommt AIDS und kehrt geläutert nach London und zur Band zurück, und gegen Ende haben die vier dann einen trium­phalen 20-Minuten-Auftritt beim Live-Aid-Konzert für Afrika im Wembley-Stadion 1985. Dass Freddy Mercury danach noch über sechs Jahre lebte, und drei LP’s aufnahm, erfährt der, der es nicht weiß, nur aus dem Nachspann.

Bohemian Rhapsody, benannt ausge­rechnet nach dem unge­wöhn­lichsten, über­ra­schendsten, avant­gar­dis­tischsten Song von »Queen« wird gerade dieser Unge­wöhn­lich­keit an keiner Stelle gerecht. Da gilt dann die gleiche Fest­stel­lung wie bei dem noch um einiges miss­glück­teren Werk ohne Autor des deutschen Regie­grafen: Keiner wird gezwungen, einen Film über einen Künstler zu machen. Aber wenn man es tut, sollte man sich zumindest annähe­rend auf Augenhöhe bewegen.

So aber ist Bohemian Rhapsody eigent­lich ein wirklich lang­wei­liger Film. Und dann irgendwie doch nicht, denn da ist ja noch die Musik.