Baby Driver

GB/USA 2017 · 113 min. · FSK: ab 16
Regie: Edgar Wright
Drehbuch:
Kamera: Bill Pope
Darsteller: Ansel Elgort, Lily James, Kevin Spacey, Jon Bernthal, Eiza González u.a.
Immer wieder deutlich smarter, als vermutet.

Bleifuß mit Musik im Ohr

Baby Driver ist ein zunächst denkbar dämlich wirkender Filmtitel, der jedoch in Wirk­lich­keit wunderbar zusam­men­fast, worum sich Edgar Wrights (Shaun of the Dead) neuer Film dreht:

Zunächst ist „Baby Driver“ ein Song von Simon & Garfunkel – eines der zahllosen Musik­stücke, die in diesem Action­thriller im iPod der Haupt­figur ertönen. Dieser Prot­ago­nist ist ein blut­junger Flucht­wa­gen­fahrer, den seine deutlich älteren Gangs­ter­kol­legen alle nur „Baby“ nennen. Dieser Spitzname erinnert an reale Gangs­ter­le­genden, wie den in den 1930er-Jahren aktiven Bankräuber „Babyface Nelson“.

Bankraub ist auch das Geschäft von Baby (Ansel Elgort) und seinem Boss Doc (Kevin Spacey). Doc orga­ni­siert mit wech­selnden Teams Banküber­fälle in Atlanta. Einzig sein bester Mann Baby ist als Flucht­wa­gen­fahrer immer mit dabei. Baby ist in seinem Metier zwar ein echter Virtuose, aber nicht wirklich frei­willig in diesem Business gelandet. Einst hatte er Doc ein Auto geklaut und wurde dabei erwischt. Jetzt muss er dafür seine Fahr­dienste leisten. Auch ansonsten hat Babys Beziehung zu schnellen Flitzern eher trau­ma­ti­sche Ursprünge. Als Kind hatte Baby zusammen mit seinen Eltern einen Auto­un­fall, den er als einziger überlebte. Seither leidet Baby an einem starken Tinnitus, den er mittels musi­ka­li­scher Dauer­be­schal­lung aus dem iPod überdeckt.

Natürlich ist der Filmtitel Baby Driver auch eine direkte Referenz an die genialen Flucht­wa­gen­fah­r­er­thriller Driver von Walter Hill und Drive von Nicolas Winding Refn. Dabei ist letzterer eine Verfil­mung des sehr lesens­werten gleich­na­migen Romans von James Sallis. Wie diese großen Vorbilder startet auch Baby Driver mit einer furiosen Car-Chase-Szene, in der Baby zeigt, weshalb er der wohl beste Mann in seinem Fach in der ganzen Stadt ist. Doch anders, als seine stoischen Neo-Noir-Vorgänger, zappelt Baby beim Warten auf seinen Einsatz wie ein Verrückter herum und trommelt dabei auf die Wagentür und das Lenkrad seines knall­roten Flucht­wa­gens den Takt zu der über seine Kopfhörer erklin­genden Musik der Jon Spencer Blues Explosion.

Da Baby seine Kopfhörer nur sehr selten abnimmt, begleitet die von ihm gehörte Musik als fast konstant durch­ge­hender Sound­track den gesamten Film. Und da das Hören von Musik für Baby aufgrund seines extrem ener­vie­renden Tinnitus quasi lebens­not­wendig ist, ist die Musik in diesem Film weit mehr, als lediglich eine klang­liche Unter­ma­lung der Bilder. Dieses übliche Verhältnis von Bild und Ton wird von Edgar Wright in Baby Driver praktisch auf den Kopf gestellt. So hat der britische Filme­ma­cher die Bilder der Verfol­gungs­jagden mithilfe von animierten Skizzen exakt zum Rhythmus der jeweils gespielten Musik passend entwi­ckelt und exakt auf die Beats hin geschnitten. Das Ergebnis ist eine Einheit von Bild und Musik, wie man sie nur höchst selten im Kino erlebt. Durch sie wird Baby Driver fast zu einem Musical im Action­thriller-Gewand.

Zu diesen Musi­cal­ein­flüssen zählt auch, dass Baby Driver eine harte Gangs­ter­story mit fast märchen­haften Elementen verknüpft. Zu jenen gehörten eine roman­ti­sche Lovestory, ein behin­derter Pfle­ge­vater sowie die Tatsache, dass Baby trotz aller Coolness und Maul­faul­heit kein harter Knochen, sondern ein sehr empfind­samer junger Mann ist. Deshalb ist die Besetzung der Haupt­figur mit dem eher aus Filmen, wie der Krebs­drama-Teenage-Lovestory Das Schicksal ist ein mieser Verräter, bekannten Ansel Elgort ein genialer Schachzug. Obwohl Baby ein ähnlich undurch­sich­tiger Charakter, wie seine Flucht­wa­gen­fah­rer­kol­legen aus Driver und Drive ist, stattet Elgort seine Figur mit einer Mensch­lich­keit aus, die Baby zum emotio­nalen Zentrum des Films macht.

Diese so coole wie empfind­same Haupt­figur bewahrt Baby Driver immer wieder erfolg­reich davor, zu einem zu gewollten Tarantino-Verschnitt zu verkommen. Denn seine hart­ge­sot­tenen Gangs­ter­kol­legen sind allesamt psycho­pa­thi­sche oder sonst wie über­zo­gene Pulp-Charak­tere. Besonders genüss­lich spielt dies Kevin Spacey als der so trockene, wie knall­harte Draht­zieher Doc aus. Sein hiesiger Part ist immer hart an der Grenze zu einer Parodie seiner Rollen in Filmen, wie Die üblichen Verdäch­tigen.

Doch auch in dieser Hinsicht vermag Baby Driver immer wieder zu über­ra­schen. Denn trotz des unge­nierten Aufgrei­fens zahl­rei­cher Stan­dard­typen und -Situa­tionen aus der großen, wohl­be­kannten Genre­film­kiste, erweist sich das auf einem Buch von Josh Boone aufbau­ende Drehbuch von Scott Neustadter und Michael H. Weber immer wieder als deutlich smarter, als vermutet. So bietet der Film gerade gegen Ende mehrere wirklich uner­war­tete Wendungen, die manchen vorher­ge­henden tiefen Griff in die Genrefilm-Klischee­kiste im Nach­hinein als cleveres Kalkül entlarven. Und wie der grelle Filmmix aus Action, Musical, Neo-Noir und Pulp Fiction geht auch dieses Kalkül wunderbar auf.