Avengers: Endgame

USA 2019 · 182 min. · FSK: ab 12
Regie: Anthony Russo, Joe Russo
Drehbuch: ,
Kamera: Trent Opaloch
Darsteller: Robert Downey jr., Chris Hemsworth, Mark Ruffalo, Chris Evans, Scarlett Johansson u.a.
Die Masse macht’s?

No one's ever really gone

Am Ende von Avengers: Infinity War sitzt der kosmische Ober­bö­se­wicht Thanos in tiefer innerer Befrie­di­gung vor einem male­ri­schen, fast schon kitschigen Land­schafts­idyll, im Wissen, sein Lebens­werk vollendet zu haben – nämlich die Hälfte aller Lebewesen auszu­lö­schen. Es war klar, dass das Ableben von Helden wie Spider-Man und Black Panther nach ihren jeweils sehr erfolg­rei­chen Debüts nicht von Dauer sein würde. Bei den Veteranen des Marvel Cinematic Universe stellt sich schon eher die Frage nach der Zukunft – mit diesem Film sind die Verträge von Robert Downey, Jr., Chris Evans und Chris Hemsworth erfüllt.

Vor seiner größten Zäsur steht das MCU somit, nach elf Jahren und 22 Filmen – ein mega­lo­ma­ni­sches Unter­fangen, das das Gegen­warts­kino nach­haltig geprägt hat. Super­helden wurden zur wert­vollsten Währung in Hollywood, Hits mit flie­genden Über­men­schen werden in Serie produ­ziert, selbst in dem tradi­tio­nell nicht als starken Superhero-Markt geltenden Deutsch­land haben sich die Marvel-Helden mitt­ler­weile als Kassen­ma­gneten etabliert, sich ihre Ziel­gruppe quasi selbst geschaffen, das kine­ma­to­gra­fi­sche Bewusst­sein einer ganzen Gene­ra­tion mitge­staltet. Einen größeren Anspruch als gut gemachte Popcorn-Filme zu sein, haben diese Filme dabei nicht, nicht selten sind sie austausch- und vorher­sehbar.

Avengers: Endgame ist der epische Schluss­punkt der soge­nannten »dritten Stufe« des MCU und schlägt gleich­zeitig den Bogen zurück zu dessen Anfängen. Übrig geblieben nach Thanos' fataler Reini­gungs­ak­tion sind die sechs ursprüng­li­chen Avengers, die mit den kata­stro­phalen Folgen ihres Schei­terns auf einer wie verwaist schei­nenden Erde umzugehen lernen müssen. Jedes Mitglied tut dies auf seine sehr indi­vi­du­elle Weise. Natürlich finden diese Sechs und ihre Verbün­deten einen Weg, sich ein weiteres Mal zusam­men­zu­raufen und die Gescheh­nisse rück­gängig zu machen. Mit welchen Mitteln sie das schaffen, über­rascht nicht. Logik­pro­bleme sind hierbei einkal­ku­liert. Jedoch wird diese Ausgangs­si­tua­tion für Marvel-Verhält­nisse kreativ und intel­li­gent weiter­ge­sponnen, denn bis es zum unaus­weich­li­chen finalen Konflikt kommt, werden in mehreren Erzähl­strängen neben der äußeren Action sowohl die als bekannt voraus­ge­setzten (Vor-)Geschichten der Figuren und auch die des MCU, nicht ohne augen­zwin­kernde Selbst­re­fe­ren­zia­lität, mitver­han­delt. Dieser Film macht von Anfang an klar, dass er zwar in einer Konti­nuität steht, aber doch ganz anders als seine Vorgänger ist.

Überhaupt ist die Seria­lität elemen­tarer Bestand­teil des Zuschau­er­ver­trags: Wer Infinity War nicht gesehen hat, hat von Endgame wenig. Auch die Kenntnis der anderen Filme ist sehr zu empfehlen, denn Endgame steckt keine Sekunde seiner Erzähl­zeit in Expo­si­tion. Etwa drei Stunden haben sich die Regis­seure Anthony und Joe Russo für dieses letzte Kapitel der sich über mehrere Filme erstre­ckenden »Infinity-Stones«-Saga gegönnt, und diese Zeit ist sinnvoll genutzt. Lobens­wer­ter­weise versucht der Film nämlich gar nicht erst, den bis zur völligen Konfusion action-orien­tierten Vorgänger in ebenjener Hinsicht zu über­trumpfen, sondern inves­tiert seine Zeit vielmehr in die Figuren. Wo Infinity War von einer Schnit­zel­jagd auf bunte Steine handelt, in der die Helden gegenüber dem Antago­nisten ein verschwin­dendes Profil aufweisen, stehen im neuen Film die persön­li­chen Geschichten der sechs »alten« Avengers im Fokus; die Vergel­tung an Thanos bietet nur den äußeren Rahmen, und dies kommt dem Film sehr zugute. Man fühlt sich an den Mecha­nismus von Quentin Taran­tinos Zwei­teiler Kill Bill erinnert: Der geerdete Grundton des Sequels bringt das vogel­wilde Spektakel des Vorgän­gers erst in eine dringend notwen­dige Balance.

Es ist faszi­nie­rend zu sehen, mit welcher Selbst­ver­s­tänd­lich­keit die Autoren davon ausgehen können, dass ihr Publikum die Figuren kennt und mag. Hier verschmelzen drama­ti­sches und episch-serielles Erzählen in zuvor im Kino kaum gesehener Weise – drama­ti­sche Spitzen nähren sich aus einer über elf Jahre miter­lebten Vorge­schichte. Sicher darf man keine Charak­ter­zeich­nungen à la Kazan erwarten, denn es muss eine Vielzahl an heroi­schen Figuren mit ihren comic­ty­pisch-über­le­bens­großen Dilemmas über­zeu­gend geführt werden, und zwar am besten so, dass minder­jäh­rige Fans nicht früh­zeitig von Bord gehen. Der Film nutzt dann auch ausgiebig erzäh­le­ri­sche Klischees, um seine Ziele möglichst ökono­misch zu erreichen. Dies ist eine perfekt geschmierte Maschine in einem Milli­ar­den­fran­chise, die liefern muss. Nichts­des­to­trotz hat der Film recht hohe Ambi­tionen fürs Genre, und verhebt sich nicht daran. Man fühlt sich als erwach­sener Zuschauer tatsäch­lich ernst genommen, weil Themen wie Verant­wor­tung und Schuld nicht routi­niert abge­han­delt werden, sondern den ganzen Film über stark präsent sind, ihm eine Grun­die­rung geben.

Am Ende häutet sich das MCU, lässt das Alte hinter sich, um Platz für das Neue zu schaffen. Avengers: Endgame ist aus diesem Grund auch für Kino-Inter­es­sierte jenseits der Fan-Community sehens­wert: es ist ein Film über Abschiede. Es gibt lauter kleine, und einige große davon zu sehen. Abschiede, die eine emotio­nale Gravitas aufweisen, weil sie sich auf mensch­liche Bezie­hungen gründen. Da erscheint es wie göttliche Fügung, dass der im November verstor­bene Marvel-Übervater Stan Lee in diesem Film den letzten seiner obli­ga­to­ri­schen Kurz­auf­tritte hat. Plötzlich denkt man wieder an Luke Skywalker, der tref­fen­der­weise bemerkt: »No one’s ever really gone«. Das gilt im Kino allemal.

Niedergang des Westens

»The Hardest Choice requires the strongest will.«
Thanos in: »Avengers: Endgame«

»Wer große Dramen sucht, findet sie eher bei Batman in Gotham City.«
Daniel Kothen­schulte

Das Marvel Universum (MCU) ist zumindest in einem tatsäch­lich der Vorschein unserer Zukunft: Es prak­ti­ziert die Vermi­schung der Prin­zi­pien von Kino und Nichtkino. Es wendet das Seri­en­prinzip des Fern­se­hens und der Streaming-Dienste auf das Kino an: Mehr­tei­lig­keit, Fort­set­zungen, Spin-Offs, Cliff­hanger. Und dieser Film, der mal wieder reißbrett­ge­plante »erfolg­reichste Film aller Zeiten« (gibt es eigent­lich etwas noch Lang­wei­li­geres!!!), ist ein klas­si­scher Straßen­feger.

Zugleich steht dieser Film für alles, was im Kino gerade schlecht funk­tio­niert: Die ewigen Wieder­ho­lungen und immer dünneren Wieder­auf­güsse des Gleichen, die Mega­lo­manie, die Humor­lo­sig­keit, die Künst­lich­keit, die Fanhö­rig­keit, der Popu­lismus.

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Erstaun­lich, wie ernst es manche Kollegen trotzdem nehmen. Wie wenig Distanz sich gerade jene Kollegen gestatten, die ansonsten jeden Film von Schanelec und Weerasethakul zum neuen Meis­ter­werk erklären: Da ist »Avengers«, dann angeblich »trotzdem meistens ziemlich toll«; da wird dann »nuan­cierte Figu­ren­zeich­nung« angemerkt, werden Invest­ment­tips gegeben: »Da sind die drei Stunden gut angelegt«, und schließ­lich gibt’s noch Lob für poli­ti­sche Korrekt­heit: »man merkt dabei auch, wie viel sich in den Jahren seit 2008 (als der erste Iron Man herauskam) iden­ti­täts­po­li­tisch verändert hat.«

Wenn schon, dann könnte man beim Schurken Thanos eigent­lich anfangen. Was der macht, könnte auch Greta gefallen: Er lebt in einer Hütte, heizt mit gesam­meltem Holz und erholt sich vom Dasein als Öko-Terrorist: Die halbe Welt­be­völ­ke­rung rottete er aus, um durch dieses notwen­dige Übel Über­be­völ­ke­rung und Ressour­cen­ver­schwen­dung zu stoppen.

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Wir sehen eine US-Durch­schnitts­fa­milie am Sonn­tag­nach­mittag. Hotdogs werden zube­reitet, ein Junge spielt Baseball, der Vater übt mit der Tochter Bogen­schießen. Kurz dreht er sich weg – und plötzlich sind alle anderen verschwunden.
Mit einer Horror­szene, mit Verlust und Melan­cholie geht es los.

Besagter Vater ist Clint Francis Barton, die bürger­liche Existenz des Super­helden Hawkeye. Mehr als irgendwo sonst entlarvt sich das MCU in dieser frühen Szene auch als Traum des kleinen Ami-Spießers, der seine halb­p­re­käre Existenz nur dadurch aushält, dass er sich einbildet, eigent­lich ein Superheld zu sein. Klarer­weise drehen die MCU-Geschichten das regres­sive Schema einfach um: Sie erzählen Geschichten von Super­helden, die davon träumen, ganz normale Fami­li­en­väter, Durch­schnitts­ver­diener und Spießbürger zu sein. Sogar Tony Stark, der Ironman und Multi­mil­li­ardär, kehrt in diesem Film, so scheint es, den Wolken­krat­zern und Stahl­ka­rossen den Rücken, zieht in ein Haus am See und hat mit Dauer­as­sis­tentin Pepper Potts eine kleine Tochter. Das kann nicht lange gut gehen.

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Die Horror­szene zu Beginn ist auch der Anschluss an das Geschehen von Anthony und Joe Russos Avengers: Infinity War, das Ende des dritten Teils der Avengers-Geschichte. In dem hatte der univer­sale Ober­schurke Thanos (Josh Brolin) fünfzig Prozent aller lebenden Kreaturen vernichtet, egal ob Tiere, Menschen oder Super­helden.
Es ist kompli­ziert. Man muss die Übersicht behalten. Wir sind im vierten Teil von »Phase 3«.

Man muss sich schon ein bisschen auskennen im Universum der Comic-Firma Marvel, um diesen Film überhaupt verstehen und wirklich schätzen zu können. Denn Avengers ist sozusagen das Über-Narrativ des Marvel-Univer­sums. Um es für alle Nicht­in­for­mierten trotzdem sehr grob zusam­men­zu­fassen: Es geht darum, dass besagter Ober­schurke nur mit vereinten Kräften und Arbeits­tei­lung zu besiegen ist. Darum schließen sich alle Super­helden, obwohl sie längst ihre eigenen Aufträge (und Filme) haben, zu einem Bündnis auf Zeit zusammen: Iron Man (Robert Downey Jr.), Spider-Man (Tom Holland), Incredible Hulk (Mark Ruffalo), Captain America (Chris Evans), Black Widow (Scarlett Johansson), Thor (Chris Hemsworth) und Black Panther (Chadwick Boseman) bilden die »Avengers«, die Rächer.

Zunächst aber herrschen, wie gesagt, Trauma und Melan­cholie. »Jeder will ein Happy End, aber das kann es nicht immer geben«, spricht mit prophe­ti­scher Gabe Iron Man zu Beginn für den Fall seines Todes auf Band. Er hat kaum noch Sauer­stoff auf seinem Raum­schiff. Dann aller­dings wird er gerettet, in einem spek­ta­ku­lären ersten Auftritt der charis­ma­ti­schen Brie Larson als »Captain Marvel«. Dann trifft er auf die übrigen über­le­benden Kollegen. Und dann... und dann – man verrät nicht zuviel, wenn man verrät, dass Thanos bald darauf getötet wird – denn der eigent­liche Clou von Endgame ist, dass in dieser Handlung sehr viele Figuren sterben, wieder­auf­er­stehen oder sogar doppelt vorhanden sind. Zu erklären, warum, würde hier zu weit führen, aber es hat mit Quan­ten­physik und Zeit­reisen zu tun. Die Vergan­gen­heit liegt in der Zukunft. Die Helden reisen hier mehrfach hin und her durch die Zeit: Mal in die Siebziger-Jahre, wo sie Väter, Exlieben oder Kollegen in Jung treffen – so bekommt Michael Douglas hier einen compu­ter­tech­nisch gene­rierten Kurz­auf­tritt als junger Mann. Oder es geht nur ein paar Jahre zurück. Auch da hilft Text­si­cher­heit und Figu­ren­kenntnis der Zuschauer. Denn in der Vergan­gen­heit treffen sie sich selbst, kämpfen sogar gegen sich und scheinen zunächst mit ihrer Mission Erfolg zu haben. Doch dann kommt auch der Unhold Thanos durchs Zeitloch aus der Vergan­gen­heit quick­le­bendig ins Hier und Jetzt und will die Erde ein zweites Mal vernichten.

Fast alles in diesem Film ist über­le­bens­groß: Bereits der Prolog dauert eine halbe Stunde. Danach geht es hin und her, jede Figur wird irgendwie abge­han­delt, jede Neben­figur darf noch einmal durchs Bild gehen. Sogar Marisa Tomei, die gefühlt 33. in der Reihe, hat laut Abspann einen eigenen Assis­tenten. Robert Downey Jr. hat sogar einen eigenen Koch, der auch noch so heißt: Tamie Cook. Es gibt also Hier­ar­chien. Im Zentrum stehen diesmal eindeutig Iron Man, Captain America und Newco­merin Captain Marvel. Stilis­tisch ist das aufregend und bombas­tisch insze­niert. Dieser Film hat für alle etwas: Neben Douglas gibt es auch markante Neben­auf­tritte von Robert Redford, Tilda Swinton und Angela Basset. Es gibt gute Witze, dann wieder Melo­dra­matik, Ernst, und das Bemühen um Tiefe. Und viele Film­ver­weise: Zurück in die Zukunft, The Big Lebowski.

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Was dieser Film dagegen über­ra­schen­der­weise am wenigsten hat: Action! Dies dürfte der actionärmste Super­hel­den­film der Marvel-Geschichte sein.
Die vorher­seh­bare Riesen­ma­te­ri­al­schlacht am Ende dauert nicht allzu lange. Dafür gibt es dann nach dem eigent­li­chen Ende auch noch einen Epilog, der wiederum viele Film­mi­nuten verschlingt.
Vieles macht Avengers: Endgame trotzdem besser als sein steifer Vorgänger Infinity War.

Nur dass er seine Helden sterben lässt und gleich­zeitig das Prinzip des digitalen Kinos – die Möglich­keit der Zeitreise und der Wieder­auf­er­ste­hung – auf sie anwendet, ist ein Fehler. Abgesehen davon, dass gerade Iron Man nie sterben sollte, ist der wahre Tod des Iron Man, dass er nicht sterben kann.

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Man muss das alles nicht ernst­nehmen. Man kann es aber. Und wenn man es tut, wenn man glaubt, dass in derar­tigen popu­lär­kul­tu­rellen Mytho­lo­gien, wie sie das Marvel-Universum darstellt, ein gesell­schaft­li­ches und kultu­relles Unbe­wusstes sich ausdrückt, dann hat uns dieser Film einiges über uns selbst zu erzählen.

Avengers: Endgame handelt vom Endspiel des Westens. Der Film bringt uns bei, Nieder­lagen einzu­ste­cken, wieder aufzu­stehen, einen neuen Anlauf zu versuchen. Der Film erzählt davon, wie man mit Traumata umgeht, und was man tun sollte, wenn man verloren hat. Und nicht zuletzt bringt er uns bei, wofür es sich zu leben lohnt, und wofür zu sterben.

»Philo­so­phieren heißt Sterben lernen«, schrieben die römischen Stoiker Cicero und Seneca. Nicht jeder, der Sterben lernt, wird aber dadurch zum Philo­so­phen. Der Film übt es trotzdem mit uns ein, trainiert den Tod, um ihn gleich­zeitig zu bannen. Ein Warm­laufen, ein Vorlaufen zum Tode.

Das geschieht zum einen, indem der Film vom Altern der Helden erzählt. Sie haben Falten, sie haben Traumata, sie sind müde. Unter ihnen haben es die alten weißen Männer eindeutig am Schwersten. Das »diversity washing« macht auch vor den Super­helden nicht halt. Und so wird »Captain America« am Ende seine Figur einem Schwarzen »übergeben«. Da schlägt Moral den Sinn, Symbol die Notwen­dig­keit, poli­ti­sche Bieder­keit die Eleganz.

In alldem ist es die Abendröte des Westens, von der dieser Film erzählt – monu­mental, pathe­tisch und apoka­lyp­tisch. Das ist irgendwie sehens­wert. Aber lustig ist es nicht.