Alle für Ella

Deutschland 2022 · 100 min. · FSK: ab 6
Regie: Teresa Fritzi Hoerl
Drehbuch: , ,
Kamera: Fabian Rösler
Darsteller: Lina Larissa Strahl, Safira Robens, Malene Becker, Tijan Marei, Gustav Schmidt u.a.
Abschied von gestern und morgen
(Foto: Weltkino/Universal)

Am rosaroten Strand der Isar

Teresa Hoerl remixed in ihrem Sozialmärchen gelungen Aschenputtelmotive mit Splittern gegenwärtiger Jugend- und Musikkultur und streift dabei immer wieder auch bitterböse Realitäten

Seit Garry Marshalls grund­le­gender Aschen­puttel-Neuin­ter­pre­ta­tion Pretty Woman (1990) ist der Strom an Filmen dieser Art eigent­lich nie abge­bro­chen und hat sich in Zeiten neoli­be­raler Dogmen fast noch verstärkt und es vor zwei Jahren mit dem tollen Cook Off sogar in den Filmkanon Zimbabwes geschafft.

Aber soweit müssen wir im Normal­fall natürlich gar nicht reisen. So wie jetzt etwa, da Teresa Hoerl, die vor zwei Jahren mit ihrem hervor­ra­genden Jugend-Depres­sions-Drama Nothing More Perfect auf sich aufmerksam machte, das alte Aschen­put­tel­motiv an die rosaroten Strände der Isar verlegt hat. Anders als in ihrem immer wieder düsteren und beklem­menden Debüt, hat sich Hoerl dieses Mal jedoch für einen Musik- und Coming-of-Age-Film mit erheblich leich­terer Tonlage entschieden.

Die Tonlage ist natürlich allein schon durch die Musik gegeben, die ja auch in einer Ausnah­me­serie wie Glee die schwie­rigsten Themen auf ein allgemein konsu­mier­bares Niveau hievte. In Alle für Ella sind das vor allem zwei Grund­themen: das Erwach­sen­werden einer Mädchen­clique, die Musik macht, aber auch ansonsten alles teilt und nun zum Abitur und anste­henden Zukunfts­pla­nungen ahnt, dass die festen Bande, die sie sich geschaffen haben, die nahe Zukunft mögli­cher­weise nicht überleben werden. Zum anderen stellt Hoerl die soziale Kluft in einer der teuersten Städte Deutsch­lands ins Zentrum. Denn Ella (Lina Larissa Strahl) macht zwar das Abitur, muss ihrer als Putzfrau in einer reichen Bogen­hau­sener Villa in München arbei­tenden Mutter aber immer wieder aushelfen, um ihr Leben und auch ihre musi­ka­li­sche Zukunft zu finan­zieren, die sich kurz vor dem Abitur haupt­säch­lich auf einen Song-Contest ausrichtet, an dem auch Leon teilnimmt, der – wie es der Zufall so will – in eben der Bogen­hau­sener Villa als verzo­gener Sohn wohnt, in dem Ella und ihre Mutter putzen.

Diese Grund­kon­stel­la­tion bietet nicht nur ein musi­ka­lisch span­nendes Kontrast­pro­gramm (böser, doppel­mo­ra­liger Rapper vs. sympa­thi­sche, authen­ti­sche Girlgroup), sondern macht aus Hoerls Film auch einen schönen Sommer­film über München. Zwar werden dabei auf dem Weg von Bogen­hausen in die Plat­ten­bau­sied­lung in Neuper­lach oder ins dann schon eher hippe Münchner Nieder­ber­gergelände (Bahn­wärter Thiel) und Muff­at­hallen-Areal ein paar Mal zu oft die Brücken der Isar gekreuzt, um das Ziel zu erreichen, doch egal – die dann doch komple­xeren Facetten, die München zu bieten hat, werden deutlich und vor allem die Moral der Geschichte auch sozi­al­geo­gra­fisch tragfähig und nach­voll­ziehbar.

Doch es gibt natürlich noch mehr, das an diesem Jugend­film gefällt und über­rascht, der nicht nur mit einem gut gebauten Drehbuch (Timo Baer, Anja Scharf) überzeugt, das eine immer wieder wilde Grat­wan­de­rung zwischen jugend­li­chem Melo- und Sozi­al­drama, also einem gut situ­ierten Sozi­al­mär­chen austa­riert, sondern der auch durch seine hervor­ra­genden Schau­spieler Spaß macht. Nicht nur Milan Peschel als Lehrer Böblinger-Moll darf endlich einmal ohne allzu viel Over­ac­ting bril­lieren, auch Ellas Freun­dinnen nimmt man sowohl ihre musi­ka­li­schen als auch sozialen Fähig­keiten ab.

Allen voran jedoch überzeugt Lina Larissa Strahl, die jeder Mitt­zwan­ziger durch ihre Hexen­rolle in Detlev Bucks Bibi & Tina erinnern dürfte. Und die ja schon vor dieser Rolle das gemacht hat, was sie in Ansätzen auch in diesem Film darstellt: mit ihrem Song Freakin’ Out (2013) an einem Nach­wuchs­song­wett­be­werb teil­zu­nehmen. Und dann auch nach ihrem großen Erfolg in den Bibi & Tina- Filmen sich weniger um Filme und Schau­spie­lerei als um ihre eigene Musik gekümmert hat. Doch nicht nur ihre musi­ka­li­sche Erfahrung kommt in Alle für Ella zum Tragen, auch schau­spie­le­risch hat sich Strahl inzwi­schen von alten Rollen­mus­tern eman­zi­piert und trägt maßgeb­lich dazu bei, dass Alle für Ella nicht nur ein klas­si­scher Jugend­film, sondern viel­leicht mehr noch einer der wenigen, raren Fami­li­en­filme geworden ist, der tatsäch­lich für alle Gene­ra­tionen funk­tio­niert.