Deutschland 2024 · 110 min. · FSK: ab 16 Regie: Camilla Guttner Drehbuch: Camilla Guttner Kamera: Luca Bigazzi Darsteller: Maja Bons, Luise Aschenbrenner, Jean-Marc Barr, Andreas Lust, Christoph Luser u.a. |
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Schulterschlag des Meisters | ||
(Foto: Weltkino Filmverleih) |
»Man lernt hier sehr wenig, es fehlt an Lehrkräften, und wir Knaben vom Institut Benjamenta werden es zu nichts bringen, das heißt, wir werden alle etwas sehr Kleines und Untergeordnetes im späteren Leben sein.« In Camilla Guttners Film Die Akademie liegt der Kunststudentin Johanna Benz, genannt Jojo, zunächst nichts ferner als solch ein resignativer Satz. Es handelt sich um die Tagebuchnotiz, die der Schweizer Schriftsteller Robert Walser seinen Protagonisten Jakob von Gunten schreiben lässt, als dieser den ersten Tag in der Dienerschule Institut Benjamenta hinter sich gebracht hat. Jakob will eine »reizende kugelrunde Null« werden, Jojo aber unbedingt Malerin, wie schon ihre Großmutter, die von keiner Geringeren als Isolde Barth gespielt wird.
1909 ist der Roman »Jakob von Gunten« erschienen, als es die Münchner Akademie der Bildenden Künste vis-à-vis vom Siegestor bereits seit 101 Jahren gab. Vier Säulen und zwei Reiterstatuen zieren ihren Eingang, den auch schon die Studenten Lovis Corinth, Paul Klee oder Giorgio de Chirico passierten. Voller Stolz und Zuversicht erklimmt Jojo die Stufen des mächtigen Gebäudes. Doch die Euphorie der 19-Jährigen erfährt den ersten Dämpfer, als sie vom missgünstigen Assistenten ihres Professors Robert Copley (Jean-Marc Barr) erfährt, dass sie nur zur Probe aufgenommen wurde. Anziehung und Abstoßung bestimmen ab da Jojos Verhältnis zu ihrem launischen Professor, der ausschließlich auf Englisch doziert.
Die Akademie ist wie »Jakob von Gunten« eine klassische Initiationserzählung, ein visueller Entwicklungsroman. Camilla Guttner, deren Spielfilmdebüt Blauhimmel mit zwölf Preisen ausgezeichnet wurde, kehrte für ihren zweiten Film an ihre eigene Ausbildungsstätte zurück. Wie ihr Szenenbildner Markus Dicklhuber hat Guttner sowohl an der Kunstakademie als auch an der Münchner Hochschule für Film und Fernsehen studiert. Die Bilder ihrer Hauptfigur Jojo hat die Regisseurin selbst gemalt. Diese authentische Perspektive verleiht ihrem Film gehörige Tiefe. Die Akademie (Ausstattung: Cora Wimbauer) schwelgt nur so von zwei- und dreidimensionalen Kunstwerken, ein amüsanter Gastauftritt reiht sich an den anderen. So ist zum Beispiel der ernste Musiker Dagobert mit von der Partie oder der »Eggman« York van Besser im Glitzeroutfit. Er führt ein riesiges silbernes Ei im Handwagen mit sich, was er auch im realen Leben zuweilen tut.
»Die Akademie gebiert Ungeheuer und zerrüttet die Seelen«, erfährt Johanna. Sie beginnt es allmählich zu glauben, als sie ein Kommilitone bedroht und plötzlich ihre Bilder verschwinden. Maja Bons spielt Jojo mit hinreißendem Staunen und einer gehörigen Portion Trotz. In der Begründung des 46. Bayerischen Filmpreises, den die 22-jährige Berlinerin in der Kategorie Nachwuchsschauspiel entgegennehmen konnte, heißt es: »Stärke und Sensibilität, Hoffnungen und Enttäuschungen werden von Maja Bons so selbstverständlich nebeneinander ausgebreitet, dass uns das Leben einer jungen Frau direkt anschaut.«
Angelehnt an eigene Erfahrungen lässt Camilla Guttner so hervorragende Schauspieler wie den Wiener Wahlberliner Andreas Lust einen despotischen Professor darstellen, der sich genüsslich in Provokationen ergeht. Nachdem er die »mystische« Qualität der Bilder eines Eleven lobt, setzt er sich auf dessen Schoß und bittet den verdutzten jungen Mann vor der versammelten Meisterklasse um einen Blowjob. Als die Studierenden ungläubig lachen, versichert Professor Roeg: »Ich will Ihnen nur begreiflich machen, dass Sie sich wehren müssen.«
Jojos attraktive Freundin Siri Grün (Luise Aschenbrenner), die ihrem Nachnamen entsprechend nur Linien in dieser einen Farbe zieht, wird von Roeg ebenso witzig wie rüde aus dem Saal hinauskomplimentiert. Jojo tut sie daraufhin leid, sie bietet Siri an, mit ihr gemeinsam auszustellen. Das erweist sich als folgenreicher Fehler, der die Mechanismen des Kunstbetriebs in aller Schäbigkeit vor Augen führt.
Die MeToo-Debatte winkt von ferne, wird aber nie aufdringlich inszeniert. Als Kameramann konnte Camilla Guttner den italienischen Altmeister Luca Bigazzi gewinnen, über den sie an der HFF ein Porträt gedreht hatte. Bigazzi war unter anderem für die Bildgestaltung von Paolo Sorrentinos Werken Il Divo und La grande bellezza verantwortlich und erhielt sieben Mal den italienischen Filmpreis »Donatello«. Die Art, wie er die farbensprühende und manchmal bedrückende Atmosphäre der Kunstakademie einfängt, erzeugt eine besondere Intensität.
Die Akademie thematisiert die Herausforderungen und Kämpfe, die angehende Künstlerinnen und Künstler an einer renommierten Institution wie der Münchner Akademie durchmachen. Diese duale Natur der Ausbildungsstätte wird durch die eindringliche Darstellung der Figuren und die brillante visuelle Umsetzung überzeugend vermittelt. So gelingt Camilla Guttner und ihrem Team eine optisch opulente und ausgesprochen unterhaltsame Hommage an die künstlerische Identitätssuche. Die Reflexion über institutionelle Machtstrukturen hätte man sich allerdings noch deutlich kritischer gewünscht.