Großbritannien 2014 · 98 min. · FSK: ab 6 Regie: Iain Forsyth, Jane Pollard Drehbuch: Iain Forsyth, Jane Pollard, Nick Cave Musik: Nick Cave, Warren Ellis Kamera: Erik Wilson Schnitt: Jonathan Amos |
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Poetisches Vergnügen |
Biopics über Musiker sind oft langatmige Vehikel, die der Eigenwerbung dienen, um sich noch einen letzten Happen aus dem verebbenden Business zu schnappen. Daran haben sich schon die hochkarätigsten Regisseure verhoben. Martin Scorsese, der den eigenschöpferischen Anteil zugunsten der Rolling-Stones-Maschinerie zurückstellte (Shine A Light), oder Wim Wenders mit seinem in Nostalgie schwärmender Konzertfilm BAP. Nun also Nick Cave.
Cave selbst gefiel aus diesem Genre nur die „Metallica“-Doku Some Kind of Monster, in der ein Psychiater noch rechtzeitig die Band-Kollaboration aufhält. Und so bedient sich auch Cave ein paar Hilfsmitteln. Mit den beiden Künstlern Jane Pollard und Ian Forsyth bricht er zu einer 24-stündigen James-Joyce-Passage seiner semifiktionalen Biographie auf. Natürlich darf geprunkt und mit großen Ringen gewedelt werden, „What shalls?“ – Der Mann hat sich schließlich 25 Jahre Heroin reingegöbelt, kam aber aus der Nummer noch rechtzeitig raus. Er gehörte nie zu den verdrossenen ewig gestrigen Musikern, die nur noch im kollektiven Gedächtnis kleben, weil der letzte Schuss ein Denkmal für ihre katastrophale Desillusionierung war. Dazu ist Cave zu vielseitig: Dichter, Musiker, Drehbuchschreiber, Schauspieler, Romancier, und wahrscheinlich widmet er sich aus Langeweile auch mal der Bildhauerei oder geht mit Matthew Barney und Eric Kandel rätselhaften Szenen im (Neuro-) Universum nach – und Banksy steht daneben und sprayt.
Mit Found-Footage-Bilddokumenten seiner Musikerkarriere, die im unaufhörlichen Fluss auf einen zurasen, wird der Film eröffnet. Caves Kaputtheit in den 1980er Jahren, mit seiner schönen „bloody sister in spirit“ P.J. Harvey beim „Henry-Lee“-Song, der blendend heißen Sirene Anita Lane, Exzessgöttin Lydia Lunch – und Gudrun Guts kühler Kopf ragt auch kurz aus der Bilderflut hervor, bis am 20.000. Tag der altmodische, aufziehbare Vintage-Wecker klingelt und Nick Cave neben seiner hüllenlosen Frau Susie Bick, Model/Schauspielerin, aufwacht, sich zur Morgentoilette bewegt – im schwarzen Anzug, schimmernder eleganter Rüstung, im weißen Hemd, locker bis zur Brust aufgeknöpft – und sich an eine mechanische Schreibmaschine zum Texten setzt. Geschmackssichere Prunk- und Stildarbietung. Man wäre nicht überrascht, noch einen Tizian oder Ensor zu sehen.
Und so geht es weiter. Nick Cave fährt im Jaguar an Brightons Küstenstreifen entlang. Seine Stimme moderiert im Off gleichmäßig den Fluss der Zeit, und man hat den Eindruck, dass nicht mal eine Bodenwelle diese fein kalibrierte Stimmung stören kann. Das Cave-Archiv wird besucht. Ein paar Bilder pickt er heraus, und wie bei einer Powerpoint-Präsentation steht er mit Zeigestöckchen vor Konzertbildern der Band „Birthday Party“ und weist schmunzelnd auf eine „German person“, die sich ganz ungezwungen auf der Bühne entleeren wird. Noch ein kurzer Exkurs, wie Bassistin Tracy Pew ausflippte und der Störenfried „entsorgt“ wurde.
Nick Cave nimmt auf seiner Passage den Schauspieler Ray Winstone mit. Später besucht Cave seinen Grinderman-Musikerkollegen Warren Ellis. Von der Küche ins Studio. Ellis scherzt, dass sich eine Cavesche Tonfolge mehr wie Lionel Ritchie anhört, was ausgelassen registriert wird.Unter dem lakonisch graugeschäumten Himmelsgewölbe sitzt plötzlich Blixa Bargeld auf dem Beifahrersitz. Seit dem abrupten Weggang des genialen wie egomanischen Mitmusikers 2003 haben sich die beiden anscheinend nicht mehr gesehen. Blixa Bargeld stellt sachlich, ohne Geschwafel, fest, dass Mitspielen in zwei Bands und gleichzeitig eine Ehe zu führen ihm nicht möglich war. Ein hübscher Kontrast: Der eine, anscheinend spindeldürr auf Lebenszeit, ein hagerer, schlaksiger Hüne, mit betonten Geheimratsecken und langem Haar, während der andere anscheinend doch auf Länderreisen in Gourmet-Restaurants hängenblieb und in seinem Anzug mittlerweile so imposant aussieht wie der Impressario einer von Franz Hals gemalten Haarlemer Schützengilde – es fehlt nur noch der plissierte Kragen. Dem Filmfluss ist es angemessen, dass Nick Cave seinen ehemaligen Begleiter nicht weiter bedrängt. Aber es wäre schon interessant gewesen zu wissen, ob hinter dieser Wahrheit doch noch exaltierte Diven-Launigkeiten stecken.
Nick Caves Œuvre erhielt in den letzten Jahren einen bizarren Schub zur Ikone und Kultmarke: früher der finstre Star, der mit seinen Dämonen, Mördern, vampiresken Kräften mit der „Birthday Party“ rang, nun in den nächsten Filmsequenzen einer, der einen Kinderchor beim Üben zu „Push away the Sky“ begleitet – weiterentwickelt zu einem freudianischen Psychoanalytiker, bei dem Ironie und leichter Narzissmus aus dem klugen Gespräch durchschimmern. Eine erfundene Szenerie, die die markante Silhouette einmal mehr zum Schillern bringt. Kylie Minogue – alterslos und sympathisch – begleitet den Musiker auf der Rückbank. Sie ist ja nicht nur das Trällerpüppchen, sondern auch eine ordentliche Schauspielerin, wie Holy Motors zeigte. Beide haben sich viel zu verdanken, und sie hat sich wohl als schönste Wasserleiche in die Geschichte der Music-Clips eingeschrieben. In gelockerter Stimmung gibt die jede Geste und Bewegung kontrollierende Künstlerin preis, dass sie Angst vor dem Alleinsein und der Einsamkeit habe – ein berührender Moment, der einen kurz durch das Fenster der glücksversprechenden Fassade blicken lässt.
Cave amüsiert sich daheim mit den beiden Söhnen bei Scarface, und für einen kurzen Moment will der Zuschauer diese scheinbar authentische traute Einigkeit und Heimeligkeit glauben. Aber dazu ist Cave zu sehr Künstler, der um die apollinischen und dionysischen Mächte weiß und recht gut ahnt, wann er sie einsetzen muss.
Am Schluss sieht man den einer hochgeschossene Skulptur gleichen Nick Cave, wie er in einem kleinen Club das Album „Push the Sky Away“ vorstellt. Im goldglänzenden Hemd bewegt er seine Beine eruptiv, als müssten sie das Abgründige noch mehr betonen und mit mäanderndem „Keep on pushing“ endet der Film. Und der Mann, der einen maßgeschneiderten Anzug der Düsternis trägt, wandelt durch einen Lichtkorridor, in dem nur noch schwach die Scherenschnitte der einst grausigen Szenen seiner Lyrics unscharf dahinziehen.
Demjenigen, der von dem Film Skandale oder Melodramatik erwartet, dem seien The Osbournes empfohlen. In 20.000 Days on Earth wechseln sich kunstvoll inszenierte fotografische Tableaus mit wahren Begebenheiten ab, während der Himmel am Chain Pier in Brighton, wie von Constable gemalt, sein graues Gewebe mit Licht durchbricht.
Ein poetisches Vergnügen für denjenigen, der mit Cave gerne einen Tag in dessen Leben durchmessen mag; ein eher zweifelhaftes für den Hardcore-Fan, der den Schlamm der Vergangenheit und den Nervenkitzel bitter vermissen wird.