»In mir schlummert so eine Mischung aus Abscheu und Sehnsucht« |
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| Andreas Prochaska (2010) | ||
| (Foto: Wikimedia Commons · Manfred Werner - Tsui, CC BY-SA 3.0) | ||
Willkommen zurück auf der Leinwand: 2014 kam Andreas Prochaskas Das finstere Tal in die Kinos, basierend auf dem Roman von Thomas Willmann. Seither hat er viele hochkarätige Serien gedreht (SPUREN DES BÖSEN, DAS BOOT, LOVE SUCKS). Mit Welcome Home Baby aber kehrt er heim zum Spielfilm.
Eine junge Berlinerin (Julia Franz Richter) erbt unerwartet ein Haus in der österreichischen
Provinz. Die Reise dorthin wird zum Body Horror-Trip der Seele, zu einer Konfrontation mit Herkunft und Mutterschaft.
Thomas Willmann traf Andreas Prochaska in Wien zum Gespräch.
artechock: Was war der allererste Keim, aus dem dann Welcome Home Baby wuchs?
Andreas Prochaska: Es gab eine Begebenheit in meiner Jugend, wo ein Schulfreund von mir ein Haus geerbt hat von einem Vater, den er nicht kannte. Das war in der Nähe von Südfrankreich, glaub ich. Und dieser Freund ist dann dorthin gefahren. Und hat Fotos von Knaben gefunden. Recht viel mehr weiß ich gar nicht über die Geschichte, das ist jetzt sicher 40 Jahre her. Mir ist das immer im Hinterkopf hängen geblieben – die Vorstellung: Wie muss das sein, wenn einer der Menschen, der sozusagen verantwortlich dafür ist, dass du auf diesem Planeten bist, möglicherweise ein Monster ist? Ich habe immer wieder darüber nachgedacht und mir gedacht, da steckt eine Geschichte drin. Dann kam Covid – und ich habe davor eine Fernsehproduktion gemacht, bei der ich innerhalb von sechs Wochen zwei Drehbücher um- und neu schreiben musste. Daraus hat sich eine gewisse Hybris entwickelt, ich sei jetzt auch als Autor super. Ich hab mir dann gedacht, okay, ich schreibe jetzt über Weihnachten ein Drehbuch. Hatte dann am 23. Dezember begonnen und am sechsten Jänner tatsächlich 85 Seiten von... etwas gehabt. Es gab da dieses Paar, es gab das Haus, es gab ein grobes Konstrukt – aber es hat relativ wenig zu tun mit dem, was jetzt auf der Leinwand zu sehen ist. Damit hat dann sozusagen das Leid begonnen. (Lacht)
artechock: Wo war der Punkt, an dem du dann andere Autorinnen ins Boot geholt hast?
Andreas Prochaska: Nachdem ich glaub ich vier Fassungen fabriziert habe, die dann immer schlechter geworden sind und am Ende nur noch eine Ansammlung von Filmreferenzen waren, habe ich das Gefühl gehabt, okay, entweder ich such mir jetzt professionelle Hilfe, oder ich werfe das ganze Ding in den Mülleimer. Ich habe dann eben die Daniela [Baumgärtl] und den Constantin [Lieb] bei einer Robert Habeck »Schimmelreiter«-Verfilmung [DIE FLUT – TOD AM DEICH] kennengelernt. Das war eine sehr beglückende Zusammenarbeit. Man sucht ja als Regisseur immer Autor*innen, mit denen man kann und mit denen man eine gemeinsame Sprache findet. Die beiden haben dann sehr schnell zugesagt, einzusteigen. Und haben gefühlt alles weggeschmissen, was da war. Sie haben zwei oder drei Fassungen geschrieben, über die man immer wieder geredet hat. Und es gab dann einen Punkt, wo ich mir gedacht hab, okay, das ist jetzt alles gut und interessant – aber für mich zumindest hatte es noch nicht diese Kino-Gewalt, nach der ich gesucht habe. Ich bin dann wie mit der Kettensäge, wie ein Bulldozer einfach mal über das Drehbuch gefahren, habe alle Dinge nochmal reingepfeffert, die mir emotional, erzählerisch und visuell am Herzen lagen. War dann sehr glücklich, dass Constantin und Daniela nicht gesagt haben: »Oida, geh Scheißen...« Sondern den Ball wieder aufgenommen und das, was ich da so reingetrümmert habe, in eine Form gebracht haben, die finanzierungstauglich war.
artechock: Also ziemlich das Gegenteil von wie es damals beim finsteren Tal war, wo ja sehr schnell ein Drehbuch stand, das dann auch im Wesentlichen die Basis blieb.
Andreas Prochaska: Der Vorteil bei Das finstere Tal war, dass es eine hervorragende Romanvorlage gab (Lachen) und man wusste, wohin es führt. Die Figuren waren sehr schnell klar. Man kann die zwei Filme überhaupt nicht vergleichen – Das finstere Tal war ein sehr klarer Genre-Wurf, eine klassische Rache-Geschichte. Auch wenn wir im Prozess relativ viel verändert haben im Vergleich zum Roman, war die Struktur eigentlich immer da. Und das war bei Welcome Home Baby gar nicht der Fall. Es gab irgendwann mal den Punkt, wo wir uns alle bewusst entschieden haben, klassische Erzählmuster einfach ein bisserl hinter uns zu lassen und sehr stark auf »Erlebnis« und fast körperliche Erfahrungen zu setzen. Was natürlich eine Gratwanderung war, weil man sich dadurch in die Gefahr begeben hat, dass man zwischen den Stühlen sitzt. Ich bin aber froh, dass wir dieses Risiko eingegangen sind.
artechock: Mit dem Drehbuch war aber noch lange nicht die endgültige Form des Films gefunden, oder?
Andreas Prochaska: Ich habe das bei keinem Film so stark erlebt wie bei dem –, dass das Material in jeder Phase ständig Eigenleben entwickelt hat. Er hat sich dann durch die Motivsuche und die Arbeit mit allen Gewerken, ob das jetzt Szenenbild, Kostüm, Kamera war, nach und nach herausgeschält. Das war schon ein sehr starker gemeinsamer Prozess. Der hat mit der Carmen [Kamerafrau Carmen Treichl] und mir begonnen, weil wir schon während wir die Serie LOVE SUCKS gedreht haben, immer wieder über diesen Film gesprochen haben. Und versucht haben, die visuellen Themen und die visuelle Grammatik zu finden: Wie können wir das, was im Drehbuch steht, in Bilder übersetzen, die hoffentlich im Kopf bleiben. Dann ist natürlich der Claus Amler, der Szenenbildner, dazugekommen, der das Projekt auch von der ersten Idee an begleitet hat. Er hat angefangen, Motive zu scouten. Wo man sich sehr viel über Farben, über Orte, über Gefühle, über Atmosphären ausgetauscht hat. Ich bin mit dem Claus auch tagelang im Auto gesessen, wo wir immer wieder über das Ende geredet und gerätselt haben. Claus ist ja nicht nur Szenenbildner, sondern auch ein total filmverrückter Mensch, der gefühlt 3000 Filme mehr gesehen hat als ich. Und der auch inhaltlich immer ein guter Sparringpartner war. Die Julia Franz Richter habe ich hier in diesem Café getroffen, in dem wir jetzt sitzen. Und mit ihr sehr intensiv über das Buch und den Inhalt gesprochen. Weil ich, als Mann, der eine Geschichte über eine junge Frau erzählt, dieser Frauenfigur nichts überstülpen wollte, womit Julia, die das Gesicht und das Herz des Films ist, nicht einverstanden ist. Mir war wichtig, dass das ein Umfeld war, wo ich mich immer wieder vergewissern konnte, dass das, was wir hier machen, einer weiblichen Identität entspricht, die in diesem Film porträtiert wird. Und eben auch der Blick durch die Kamera ein – was immer das heißt – weiblicher Blick ist. Da kam mit der Carmen nicht nur sozusagen eine künstlerische Energie, sondern auch eine sehr große Sensibilität. Weil das Schlimmste sind schöne Bilder – man sucht ja immer nach dem richtigen Bild. Wir haben versucht, das Haptische in dieser Geschichte wo immer es ging zu unterstützen. Die ersten Einstellungen des Films sind noch vor Drehbeginn entstanden. Mit so einer Schnorchelkamera sind wir aus einer Rinderspeiseröhre rausgefahren, sind in einer Makrowelt über ein Stück Rindfleisch gefahren, das wir mit einem Bunsenbrenner behandelt haben. Sind mit dieser Kamera durchs Moos gekrochen. Um uns zu Beginn aus dem Inneren dieses Organischen heraus in irgendeine Form von Realität zu rotieren. Vielleicht – jetzt interpretiere ich aber – als Verweis, dass es so eine Ur-Suppe gibt, aus der wir alle kommen. (Lacht)
artechock: Du hast vorhin halb scherzhaft von »Leiden« gesprochen. War es für dich ein Leiden, dass der Prozess so organisch war – oder war es auch befreiend und spannend zu sagen, das arbeitet bis zum Schluss?
Andreas Prochaska: Das Leiden hat sich auf die Phase bezogen, wo ich allein mit dem Stoff war und gemerkt hab, ich bin nicht gut genug, um den zu bewältigen. Ab da, wo wir zu dritt waren, war es ein total spannendes Ping-Pong-Spielen. Der ganze Prozess war eigentlich total bereichernd, auch dann beim Drehen. Natürlich gab es auch immer Momente... Also wo ich die ersten Schnittphase hinter mir hatte, hab ich das Gefühl gehabt, meine Karriere ist jetzt zu Ende. Als ich den ersten Rohschnitt für mich angeschaut habe, hab ich mir gedacht, Gott, das ist einfach ein hanebüchener Krempel. Bin dann wie ein geprügelter Hund durchs Haus geschlichen – und meine Frau hat gesagt: »Jetzt zeig’s doch mal her!« Ich habe es dann mit meiner Frau und meinem jüngsten Sohn angeschaut, und die waren beide eigentlich sehr überrascht von dem Film. Mein Sohn hat am nächsten Tag gesagt, er hat nicht gewusst, ob er den Film gesehen oder geträumt hat. Da hab ich das Gefühl gehabt, okay, vielleicht ist es jetzt doch kein so Riesen-Topfen.
artechock: Im Schnitt ist dann auch nochmal viel passiert, oder?
Andreas Prochaska: Der Schnittprozess war auf jeden Fall ein Prozess der Verdichtung und der Reduktion. Der Film war anfangs noch stärker im Genre verankert, und wir haben dann eigentlich alles eliminierten, was zu effektik war und zu vordergründig. Zum Leidwesen der Produzenten möglicherweise... (lacht)
artechock: Du hast von den Filmreferenzen in einer frühen Drehbuchfassung gesprochen. Was waren Deine cineastischen Einflüsse?
Andreas Prochaska: Ich habe den Film The Father nur einmal gesehen, dieses Demenzdrama mit Anthony Hopkins. Den fand ich als Film gar nicht so überwältigend, aber das, was dieser Mensch durchlitten hat, was Anthony Hopkins da gespielt hat, hat mich tief beeindruckt und beschäftigte. Ich hab den sozusagen als emotionale Referenz irgendwo im Körpergedächtnis abgespeichert. Ansonsten hab ich oft an Filme gedacht wie Don’t Look Now (Wenn die Gondeln Trauer tragen), Filme, die ein Rätsel bleiben. Natürlich habe ich fast alles gesehen, was David Lynch gemacht hat. Ich bin ein großer Verehrer von Jonathan Glazer, der sich ja gefühlt mit jedem Film neu erfindet und der auch in seiner Arbeit immer etwas Verstörendes hat, was einem langfristig im Körpergedächtnis bleibt. Nach sowas hab ich gesucht. Bei einer Vorführung in New York war die erste Frage, ob ich die Hauptdarstellerin besetzt habe, weil sie eine entfernte Ähnlichkeit zu Mia Farrow hat. Immer wieder werde ich auf Rosemaries Baby angesprochen – an den ich lustigerweise kaum gedacht habe, obwohl dir die Referenzen natürlich ins Gesicht plärren... Ich hab vieles sozusagen in meinem System gehabt, was sich auf die eine oder andere Art manifestiert hat.
artechock: Du hast mir im Laufe des Entstehungsprozesses mal gesagt, Realitätsverlust sei eine der größten Horrorvorstellungen für Dich. Man kann den Film auch als Psychose-Erfahrung auffassen...
Andreas Prochaska: Das ehrt mich, ohne dass es total bewusst intendiert war. Vielleicht war ich während des Drehs selbst am Rande einer Psychose. (Lacht) Aber jeder Mensch kennt doch dieses Ding: Du gehst von einem Zimmer ins andere, weil du irgendwas holen wolltest, und dann stehst du da und weißt nicht mehr, warum du eigentlich in dem Zimmer bist. Dieses Gefühl sozusagen zur Potenz versucht der Film mit der Hauptfigur zu erzeugen – und gleichzeitig aber eine Figur zu erzählen, die sich diesem Zustand nicht kampflos hingibt. Sondern mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln versucht, aus dieser Kopfhölle herauszukommen. Es ist nicht nur eine Visualisierung einer Psychose, sondern es erzählt schon eine Geschichte. Was für mich total interessant war, schon im Drehbuch, in der Inszenierung, im Schnitt und in der Arbeit mit meinem Komponisten, war... nicht »vage zu bleiben«, sondern nicht vorhersehbar zu sein. Wenn in der Komposition der nächste Ton antizipierbar war, wurde es zur Melodie, und ich hatte das Gefühl, dann kann man sich quasi zurücklehnen, weil dann ist es klassische Filmmusik. Und das hat sich nicht richtig angefühlt. Genauso war es beim Schreiben und Inszenieren. Es gibt ja viele Themen, die man in dem Film entdecken kann – aber in dem Moment, wo man ein Thema stärker unterstrichen hatte, sei es jetzt im Drehbuch oder im Schnitt oder in der Inszenierung, dann hat es sich plötzlich banal angefühlt. Dann wurde es zu einer Botschaft, und dann hab ich das Gefühl gehabt, es verliert den Zauber.
artechock: Interessant, dass ein Film über Geburt und Werden selbst so eine Art starke Geburtserfahrung im Werden durchgemacht hat...
Andreas Prochaska: Ich bin froh, dass Du das sagst, und nicht ich. Weil ich würde den Teufel tun, Erklärungen und Interpretationen zu liefern. Aber natürlich wird das Thema Geburt ja quasi schon in den ersten zehn Minuten relativ explizit gesetzt. Wo ich als Mann wie vor einem Rätsel stehe: Was bedeutet es, dass ein anderes Leben in dir selber entsteht? Ich kann das ja als Mann in keiner Weise nachvollziehen. Ich war zwar bei vier Geburten meiner Kinder dabei – aber da steht man halt nur daneben und hofft aufs Beste. Dieser Gewaltakt, den das bedeutet, ein anderes Wesen auf die Welt zu bringen, war etwas, das mich nachhaltig beschäftigt hat. Lustigerweise war in meinem ersten Kurzfilm, einer Science-Fiction-Dystopie, Fertilität auch schon ein Thema. Da geht’s um einen Astronauten, der in eine Welt zurückfällt, in der es nurmehr alte Menschen gibt, und er ist der letzte fruchtbare Mensch. Also irgendwas ist da in meinem System, was mich offenbar beschäftigt. (Lacht)
artechock: Ja, das ist ja auch beim finsteren Tal eines der zentralen Themen.
Andreas Prochaska: Absolut. Was mich auch immer wieder beschäftigt, ist natürlich Heimat und Tradition.
artechock: Herkunft, in geografischer wie biologischer Hinsicht...
Andreas Prochaska: Genau – in mir schlummert da so eine Mischung aus Abscheu und Sehnsucht. Welcome Home Baby ist ein Film, wo die Heimat kein sehr freundlicher Ort ist, in die die Protagonistin zurückkehrt. Aber dass man Teil von etwas ist, mit dem man auf irgendeine Art untrennbar verbunden ist – das zu akzeptieren oder überwinden ist etwas, was mich einfach interessiert.
artechock: Du hast vorhin gesagt, es hatte anfangs nicht die Wucht, die Du Dir für Kino vorstellst. Was ist für dich der Unterschied zwischen Arbeiten für den Bildschirm und für die Leinwand?
Andreas Prochaska: Es ist ganz profan gesprochen zuerst der Ton. Dieses immersive Erlebnis, das du bei einer guten Projektion mit einer guten Tonanlage hast, wo du sozusagen den Bildern, dem Film ausgeliefert bist – das kannst du nur an diesem Ort, der sich halt Kino nennt, erleben. Allein schon wenn ich seh, wie Fernseher standardmäßig eingestellt sind und wie Menschen zu Hause Filme schauen, da krieg ich die Vollkrise... Und im Fernsehen will man ja immer gern alles erklärt haben, will, dass am Schluss alles geklärt ist – da ist selten Raum für wirkliche Ambivalenz. Die Filme, die mich am stärksten beschäftigen, sind die, die fragmentarisch bleiben, die Dinge nicht zu Ende erzählen, die rätselhaft bleiben. Für mich ist das Schlimmste, was einem im Film passieren kann, dass beim Abspann die einzige Frage ist: Wo geht man hin, ein Bier trinken? Dem habe ich versucht, zumindest bewusst entgegenzuwirken, selbst auf die Gefahr hin, dass ich viele Zuschauer*innen verstöre.
artechock: Ohne zuviel zu spoilern: Das Ende wird teilweise etwas kontrovers aufgenommen. Wie siehst du das?
Andreas Prochaska: Es war jedenfalls nicht intendiert, zu sagen, die Frau ist nur komplett wenn sie ein Kind und einen Mann hat. Was ich mir gewünscht habe, ist, dass du mit dieser Figur gestärkt aus dem Film herausgehst. Das Leben passiert. Ich sag das als jemand, dem zwei Kinder quasi passiert sind. Und man muss damit irgendwie... dealen. Manchmal werden dir von der Welt Entscheidungen einfach abgenommen. Julia, ich, und Daniela, unsere Drehbuchautorin, haben da sehr lange sehr intensiv darüber diskutiert, wie das geht, um eben genau nicht diesen Effekt zu erzielen, der vielleicht missverstanden werden kann. Ich habe einen total interessanten Kommentar auf Letterboxed gelesen, wo eine Frau geschrieben hat: Wenn du das Patriarchat bloß mit dem Matriarchat ersetzt, dann ersetzt du ein System gegen ein anderes System. Und eigentlich wollen wir ja die Welten verbinden, und nicht die Männer gegen die Frauen, und die Frauen gegen die Männer ausspielen. Idealerweise findet man einen Weg, wie man koexistieren kann. Das klingt vielleicht sozialromantisch... dass es eben diese Gleichberechtigung gibt. Man kann sich dann vielleicht nach Welcome Home Baby noch Die My Love anschauen... (Lacht) Als Double Feature. Und vielleicht davor In die Sonne schauen. Dann hat man auf jeden Fall einen spannenden Abend, glaube ich. (Lacht)
artechock: Und am Ende hat ja die Frau das Steuer in der Hand...
Andreas Prochaska: Aus meiner Sicht ist ihre Entscheidung am Ende ein Zeichen von Größe. Ich habe generell das Gefühl, wenn man mit einer Figur so viel erlebt, dann möchte man auch Hoffnung für diese Figur haben. Wenn ich mich richtig erinnere, war beim »Finsteren Tal« im Roman die Luzi am Ende nicht schwanger. Ich habe den [Drehbuchautoren] Martin Ambrosch damals gebeten: Ich brauche am Ende irgendwie einen Hoffnungsschimmer. Und dann ist er mit diesem Voice-Over-Satz gekommen, dass zum ersten Mal quasi ein Kind unterwegs ist, das nicht aus dieser Hölle geboren wurde. Das hat für mich dem Ganzen, trotz aller Brutalität und Härte, etwas gegeben, das einem Hoffnung gibt. Für mich ist das Schlimmste – abgesehen davon, dass man einen Film gleich vergisst – wenn ich aus einem Film rausgehe und in kompletter Hoffnungslosigkeit bin. Auch das muss es geben. Die 120 Tage von Sodom braucht man nicht erwähnen, aber zum Beispiel ein Film wie Henry – Portrait of a Serial Killer. Wenn du rausgehst und einfach nur verzweifelst an der Menschheit. Von Irreversibel will ich gar nicht anfangen. Das sind Dinge, die hat man einmal in sein Leben reingelassen, die möchte man aber ganz schnell wieder... (Lacht)
artechock: Nach dem langen Gestationsprozess war jetzt auch der Weg in die Welt seltsam lang, von der Berlinale-Premiere im Februar bis jetzt zum deutschen Kinostart. Wie hast Du den erlebt?
Andreas Prochaska: Ich war jetzt zuletzt in Biberach und in Radstadt, auf zwei kleinen Festivals. Wo ich schon gemerkt habe, dass ein Teil des Publikums immer irritiert ist. Dann gibt es aber auch Leute, die gehen fast mit so einem Glühen aus dem Saal. Du merkst, dass das ganz viel getriggert, gelöst, mit den Menschen gemacht hat. Ich habe das Gefühl, wenn Leute sich darauf einlassen, werden sie auch belohnt. Es ist komisch, wenn ich das sage – aber es war meine Erfahrung, über Grenzen hinweg. Ich war in New York bei einem Screening, da waren junge Amerikanerinnen Anfang 30, die gesagt haben, sie müssen den Film allen ihren Freundinnen empfehlen. Weil er da einen Nerv trifft, auch was Lebensentscheidungen betrifft. Da war die Natur mit uns Männern... ich will nicht sagen gnädig, aber wir sind halt anders disponiert. Als Frau ab 30 muss man sich einfach mit dieser Frage konfrontieren – wie will man sein Leben gestalten. Das kriegt natürlich eine gewisse Dringlichkeit, die der Film auch thematisiert – den Druck, der auf Frauen lastet.
artechock: Gibt es jetzt rückblickend etwas, woran du immer noch arbeiten würdest?
Andreas Prochaska: Es gibt bei jedem Film diesen Moment, wo man sagt: Okay, in der Phase, in der ich jetzt in meinem Leben mit dem Material bin, ist das die richtigste Version des Films. Wenn ich den Film heute drehen würde, wäre es ein anderer Film. Der Maler muss auch irgendwann einmal sagen, er legt jetzt den Pinsel weg. Das hat alles was mit Energie zu tun. Was raus muss, muss irgendwann mal raus. Und dann ist auch gut – und dann muss das Kind selber laufen.
artechock: Ich danke Dir für das Gespräch!