»Blasen, die die Welt befreien« |
||
Plakat zu Julia Dahrs und Kisilu Musyas Thank You for the Rain |
Das Gespräch führte Sabine Matthes
Peter M. Mudamba ist Programm-Direktor von DOCUBOX, dem »East African Documentary Film Fund» – in Nairobi, Kenia. DOCUBOX unterstützt vor allem unabhängige Dokumentarfilmer aus Ostafrika (Kenia, Tansania, Ruanda und Uganda), die mit ihren Filmen gesellschaftsrelevante Themen ansprechen und Grenzen jeder Art überschreiten wollen. Dazu gehört in den letzten Jahren auch das immer dringlicher werdende Problem von Klimaveränderungen im ostafrikanischen Raum.
Der von DOCUBOX produzierte, preisgekrönte Film Thank You for the Rain (2017) läuft kommende Woche auch in München: im Pädagogischen Institut, am 24.09.2019 um 18 Uhr.
Artechock: »Ein Land ohne Dokumentarfilm ist wie eine Familie ohne Fotoalbum« (Patricio Guzmán) ist der Leitspruch von DOCUBOX. Seit der Gründung 2013 haben Sie bereits 40 Filme unterstützt. Worum geht es dabei?
Peter M. Mudamba: Wir glauben, dass die Welt zunehmend den enormen sozialen Impact von Dokumentarfilmen und den Wert von Filmen allgemein erkennt. Dass die Notwendigkeit, mittels Dokumentarfilm Kultur zu schaffen und Politik zu beeinflussen, noch nie so groß war, wie heute. Wir erkennen die Wichtigkeit von Dokumentarfilm und Film, weil sie effektive Werkzeuge sind. Trotz der großen Schwierigkeiten, denen sich unabhängige Filmemacher in Ostafrika ausgesetzt sehen, kämpfen sie darum, unbekannte Geschichten zu erzählen, die die Anliegen und Vielfalt ihrer Kulturen und Gemeinschaften zeigen. Deswegen sind wir da, um die Filmschaffenden aufzubauen, ihre Geschichten zu erzählen.
Als einziger Dokumentarfilm-Fund in Ostafrika arbeitet DOCUBOX intensiv daran, Ostafrikas wachsender Dokumentarfilm-Gemeinde Gelegenheiten zu bieten, um zu lernen, Erfahrungen auszutauschen, sich zu vernetzen und von einem gedeihlichen Umfeld zu profitieren. Unsere Mission ist es, talentierten, beseelten und fokussierten ostafrikanischen Filmemachern, die wichtige und ungewöhnliche Geschichten erzählen wollen, zu ermöglichen, wirkungsvolle unabhängige Dokumentarfilme zu produzieren, die neue Fakten über Milieus, Identitäten und Leute ans Licht bringen – für ein Publikum in Ostafrika und der ganzen Welt. Mein Lieblings-DOCUBOX-Film ist »New Moon« (2018), der bereits Preise in Luxor, Sansibar und Durban gewonnen hat. Der Film sollte sich um das größte Hafenprojekt der ostafrikanischen Küste drehen, wandelte sich aber zur Selbstfindung einer jungen Frau zwischen liberaler Modernität, muslimischem Glauben und Spiritualität.
Wie finanzieren Sie sich und generieren Ihr Publikum?
Mudamba: Wir bekommen finanzielle Unterstützung von Organisationen, wo wir gegenseitig profitieren, insbesondere wenn es um Themen des sozialen Wandels geht. Wir haben Glück, von mehreren Partnern unterstützt zu werden: Ford Foundation, Climate Justice Resilience Fund, British Council, Comic Relief, Doc Society, früher auch von der dänischen Botschaft in Nairobi, HIVOS und anderen. Wir wollen aber, dass ein großer Teil unserer Förderung aus Kenia selbst kommt, weil wir dann glaubwürdiger sind, als wenn sie nur von außerhalb kommt.
Publikum generieren wir auf verschiedene Weise. Wir haben unsere kostenlosen Vorführungen von Dokumentarfilmen mit anschließenden Q&A bei der Alliance Française Nairobi. Außerdem haben wir ein beliebtes und einzigartiges Konzept, das wir »Shorts, Shorts and Shots« nennen, für ein zahlendes Publikum: das kommt in Shorts, wir zeigen sorgfältig ausgewählte Short Films und trinken anschließend gemeinsam Shots. Dieses Konzept wächst rasant und wurde von anderen Festivals übernommen. Wir brauchen Leute, die Dokumentarfilme machen, die viele Zuschauer gewinnen welche den Impact spüren, um den Wandel zu beschleunigen, den wir uns alle wünschen.
Ein hochaktuelles und bewegendes Beispiel dafür ist Thank You for the Rain (2017), wo die norwegische Filmemacherin Julia Dahr und der kenianische Farmer und Amateur-Filmer Kisilu Musya gemeinsam dessen verzweifelten und heroischen Kampf gegen den Klimawandel dokumentieren. Extreme Dürren und zerstörerische Unwetter bedrohen die Existenz seiner Dorfgemeinschaft und zwingen ihn, vom lokalen zum internationalen Klimaaktivisten aufzusteigen, der daheim Bäume pflanzt und bei der Klimakonferenz COP 21 in Paris spricht. Trotz Resignation (»Politiker wollen nicht zuhören, weil sie es selbst nicht erleben«) und Zweifeln (»Ameisen tun sich zusammen und sorgen für Nahrung. Wir nicht. Das zeigt doch, dass wir das Leben nicht ernstnehmen«) bleibt er stark, denn: »Nicht zu tun, was getan werden muss, ist Schwäche.« Bei der Nairobi Premiere kamen 600 Zuschauer und der Film dient als ein Werkzeug für Klimawandel-Bewusstsein für Farmer, Studenten und Regierungen. Bewirkt der Film etwas?
Mudamba: Die nationale Wirkung von Thank You for the Rain ist, dass, wenn Kisilu mit dem Filmvorführ-Team erscheint, dies seine Kyavonda Gemeinschaft bei jeder Filmvorführung zu neuen Baumpflanz-Aktivitäten motiviert. Dennoch fordern sie, seitdem sie den Film gesehen haben, dass ein Damm für sie gebaut wird – was eine der größten Veränderungen im Leben der Kyavonda-Leute in Kitui sein wird. Als diese Forderung in einem unserer Anträge gemacht wurde, stimmte der »Climate Justice Resilience Fund« zu, auf der »We Can Fight Climate Change«-Plattform Gelder zur Verfügung zu stellen, und jetzt wird ein Damm gebaut in Kyavonda, Kitui, und er füllt sich bereits langsam mit Wasser mit dem verspäteten Regen. Die Impact-Filmvorführungen die weiterhin in den Schulen der Gegend stattfinden, bewirken, dass Studenten nach solchen Vorführungen aktiv beim Bäumepflanzen mitmachen und sich verpflichten, zu helfen und sich darum zu kümmern, diese Bäume aufzuziehen, bis sie groß sind, und dies sollte früher oder später ihre Lebensumstände bessern durch die positive Veränderung ihrer Umwelt.
Was unterscheidet Kenias Filmindustrie von Nigerias Nollywood, Afrikas größter Filmindustrie?
Mudamba: Kenianer sind generell sehr wählerisch und deswegen ist es weniger leicht, Kenianer zufriedenzustellen als Nigerianer. Kenianer waren lange Zeit gewohnt, ausländische Inhalte anzusehen, anstatt eigene. Die hohe Qualität hat dazu geführt, dass kenianische Filmemacher ihre Messlatte ziemlich hoch legen, in Bezug auf Produktionsqualität und starke Geschichten. Das führte zur Produktion von exzellenten Filmen wie Nairobi Half Life, Supa Modo oder Rafiki. Wir erwarten auch noch mehr erstklassige Dokumentarfilme wie New Moon und Thank You for the Rain. Dies wird großen Einfluss auf die Haltung der Kenianer zu eigenen Filmen haben – so, wie sich auch in der Musik-Szene die Vorliebe für ausländische Musik jetzt zur lokalen Musik hin verändert hat.
Erstaunlich ist der hohe Frauenanteil unter Kenias Filmschaffenden.
Mudamba: In der Tat, 90% der kenianischen Top-Produzenten sind weiblich und 70% der großen kenianischen Filmemacher. Das kann an den vielen wunderbaren weiblichen Filmemachern der letzten Jahre liegen, die positiven Einfluss hatten. Frauen wie Njeri Karago, Anne Mungai, Judy Kibinge etc. haben den Weg geleuchtet, sie waren Pioniere einer erstklassigen Kultur von Filmschaffenden und damit gute Vorbilder für weibliche Produzenten und Filmemacher, ihrem Beispiel zu folgen. In anderen Bereichen des Films findet man jedoch eine große männliche Dominanz.
Kürzlich ist der kenianische Autor und Aktivist Binyavanga Wainaina gestorben – eine der ersten Persönlichkeiten Kenias, die sich 2014 öffentlich zu seiner Homosexualität bekannte. Er kämpfte gegen Puritanismus, Intoleranz, abergläubischen Traditionalismus in Kenia und gegen das Fortleben kolonialistischer Denkmuster. LGBT-Aktivisten versuchten dieses Jahr vergeblich, das aus britischer Kolonial-Zeit stammende Gesetz der Kriminalisierung von schwulem Sex vor Kenias Oberstem Gericht zu kippen. Was denken Sie darüber?
Mudamba:Wenn wir über Binyavanga Wainaina und seinen kreativen Geist sprechen, darf man nicht vergessen, dass er die Schreibkultur in dieser Region mit Kwani Publications neu entfacht hat. Auch als Aktivist hatte er eine Art, furchtlos das herüberzubringen, an was er glaubte. Jede Form von Beschneidung der fundamentalen Menschenrechte oder der Meinungsfreiheit ist ungerecht. Als Kreative und freie Blasen blühen und gedeihen wir in Räumen, die frei sind von Verletzungen dieser Rechte und Zensur unserer Arbeit. Wir haben eine neue progressive Verfassung, getragen von einem Geist, dass Kenianer unabhängig von ihren Unterschieden bezüglich Rasse, Stamm, Glaube oder sexueller Orientierung zusammenleben. Ich hoffe nicht, dass uns archaische diskriminierende Gesetze, koloniale Gesetze beschränken, wie es die Kolonialherren wollten.
Kreative nutzen ihre Freiräume, um Außenseitern Gehör zu verschaffen. Sei es das ghanaische Hip-Hop-Duo »Fokn Bois« mit seinem Song Strong Homosexual Guys oder die kenianische Filmemacherin Wanuri Kahiu mit ihrer lesbischen Liebesgeschichte Rafiki, die beim diesjährigen FESPACO, Afrikas größtem Filmfestival in Burkina Faso, ein Lieblingsfilm war. In Cannes wurde er gezeigt, in Kenia verboten. Welche Erfahrungen haben Sie mit Zensur?
Mudamba: Ich kann nur über unsere gegenwärtige Situation in Kenia sprechen. DOCUBOX, als eine von 18 Mitglieds-Organisationen der größeren »Creative Economy Working Group«, CEWG, unterstützt die freie Meinungsäußerung aller Kenianer, aber speziell aller Kreativen des Landes, was Filmemacher einschließt. Als Teil der CEWG haben wir Wanuri gerne in ihrem Fall geholfen, Rafiki von der Zensur des »Kenya Film Classification Board«, KFCB, frei zu bekommen. Diese Art von Unterstützung wollen wir jedem Filmemacher zukommen lassen, dessen Arbeit von Zensur betroffen ist, solange die Arbeiten kein Sicherheitsrisiko darstellen. So hoffen wir, dem KFCB klarzumachen, dass das C in seinem Namen für »Classification« und nicht für »Censorship« steht. Wir möchten, dass sich das KFCB um seine Aufgabe kümmert und nicht darüber hinausgeht, um Kenias Kreative an ihrem kreativen Prozess zu hindern.
Was war Ihr erstes Kinoerlebnis? Welche Filme haben Sie geprägt?
Mudamba: Ich kann mich nicht wirklich an meinen allerersten Kinofilm erinnern. Aber Action-Filme wie Bruce Lee oder Bud Spencer und Terence Hill sind meine eindrücklichsten Kindheitserinnerungen. Diese und ebenso die Kampf-TV-Shows wie Wrestling-Weltmeisterschaften haben uns geprägt und hart gemacht für die Bedingungen, unter denen wir auf der Eastlands-Seite von Nairobi aufgewachsen sind. Wir lernten früh, wie man zurückschlägt und seinen Platz in der Gesellschaft behauptet. In sehr jungen Jahren haben mir Film und Bühne das große Potenzial für Veränderung, das ich besitze, bewusst gemacht – als ich vom Verbot der politischen Stücke von Ngugi wa Thiong´o erfuhr und wie die damalige Regierung ihn und seine Stücke wahrnahm, als ich jung war. Als ich diesen Weg einschlug, wusste ich um die befreiende Kraft des Künstlers. Ich habe auch den Film Love Brewed in the African Pot als eine Pionierarbeit für afrikanischen Film mit Unterhaltungswert geliebt, und die Arbeiten von Ousmane Sembene aus französisch West-Afrika.
Sie sagen: »Theaterleute, Filmemacher und Künstler sind die Blasen, die die Welt befreien.« Ehe Sie zum Film kamen, haben Sie am Theater Blasen produziert – wie war das?
Mudamba: Mein Theaterleben war erstaunlich. Meine Vorliebe, in multi-disziplinären Bühnenproduktionen zu arbeiten, wo Poetry, Musik und Tanz verschmelzen, wurde noch größer, und ich konnte reisen. Während meiner aktivsten 20 Jahre im Theater, von 1990 – 2010, ist die Theater-/Performance-Szene sehr gewachsen. Zu der Zeit war ich Mentor und habe Schauspieler der Mbalamwezi Players ausgebildet. Die Mbalamwezi Theatre Awards haben viele der heutigen großen Bühnen- und Leinwandkünstler Kenias entdeckt und ausgezeichnet, wie die Oscar-Gewinnerin Lupita Nyong´o, als sie noch Studentin war. Ich glaube daran, klein anzufangen und zu Riesen zu werden. Aber noch mehr glaube ich an die transformative Kraft der Bühnen- und Leinwandperformance, wo der darstellende Künstler der beste Freiheitskämpfer der korrupten Räume bleibt. Als Künstler müssen wir daran arbeiten, unsere Räume und Regionen von jeglichen Vorurteilen und Voreingenommenheiten zu befreien.
Was hat Sie vom Theater zum Dokumentarfilm gebracht?
Mudamba: Ich wechselte langsam von Bühnenproduktionen zu Leinwandproduktionen, als ich merkte, dass ich meinen Teil zu dem Genre beigetragen hatte. Später wurde ich als Mitglied des Führungsausschusses und Schatzmeister der »Kenya Film and Television Professional Association«, KFTPA, gewählt, wo ich viel über die Herausforderungen lernte, denen die Filmindustrie in Kenia ausgesetzt ist. Das brachte mich in eine Position, wo ich Lösungen für die Filmindustrie allgemein suchte, und fast gleichzeitig wurde die Stelle bei der Gründung von DOCUBOX ausgeschrieben, und so bewarb ich mich und bekam den Job als Programmdirektor. Wir sind eine eng verwobene Familie, die ganz wild darauf ist, Filmemachern zu helfen, ihre Probleme zu lösen und sie und ihre Arbeit zum Leuchten zu bringen.