19.09.2019

»Blasen, die die Welt befreien«

Thank you for the rain
Plakat zu Julia Dahrs und Kisilu Musyas Thank You for the Rain

Der Programm-Direktor von DOCUBOX, Peter M. Mudamba, über seine Arbeit, die Frau­en­quote in Kenia, Zensur und Doku­men­tar­filme wie Thank You for the Rain, die nicht nur die afri­ka­ni­sche Perspek­tive zeigen, sondern auch Vorkämpfer für sozialen Wandel und Klima­schutz sind

Das Gespräch führte Sabine Matthes

Peter M. Mudamba ist Programm-Direktor von DOCUBOX, dem »East African Docu­men­tary Film Fund» – in Nairobi, Kenia. DOCUBOX unter­s­tützt vor allem unab­hän­gige Doku­men­tar­filmer aus Ostafrika (Kenia, Tansania, Ruanda und Uganda), die mit ihren Filmen gesell­schafts­re­le­vante Themen anspre­chen und Grenzen jeder Art über­schreiten wollen. Dazu gehört in den letzten Jahren auch das immer dring­li­cher werdende Problem von Klima­ver­än­de­rungen im ostafri­ka­ni­schen Raum.

Der von DOCUBOX produ­zierte, preis­ge­krönte Film Thank You for the Rain (2017) läuft kommende Woche auch in München: im Pädago­gi­schen Institut, am 24.09.2019 um 18 Uhr.

Artechock: »Ein Land ohne Doku­men­tar­film ist wie eine Familie ohne Fotoalbum« (Patricio Guzmán) ist der Leit­spruch von DOCUBOX. Seit der Gründung 2013 haben Sie bereits 40 Filme unter­s­tützt. Worum geht es dabei?

Peter M. Mudamba: Wir glauben, dass die Welt zunehmend den enormen sozialen Impact von Doku­men­tar­filmen und den Wert von Filmen allgemein erkennt. Dass die Notwen­dig­keit, mittels Doku­men­tar­film Kultur zu schaffen und Politik zu beein­flussen, noch nie so groß war, wie heute. Wir erkennen die Wich­tig­keit von Doku­men­tar­film und Film, weil sie effektive Werkzeuge sind. Trotz der großen Schwie­rig­keiten, denen sich unab­hän­gige Filme­ma­cher in Ostafrika ausge­setzt sehen, kämpfen sie darum, unbe­kannte Geschichten zu erzählen, die die Anliegen und Vielfalt ihrer Kulturen und Gemein­schaften zeigen. Deswegen sind wir da, um die Film­schaf­fenden aufzu­bauen, ihre Geschichten zu erzählen.

Als einziger Doku­men­tar­film-Fund in Ostafrika arbeitet DOCUBOX intensiv daran, Ostafrikas wach­sender Doku­men­tar­film-Gemeinde Gele­gen­heiten zu bieten, um zu lernen, Erfah­rungen auszu­tau­schen, sich zu vernetzen und von einem gedeih­li­chen Umfeld zu profi­tieren. Unsere Mission ist es, talen­tierten, beseelten und fokus­sierten ostafri­ka­ni­schen Filme­ma­chern, die wichtige und unge­wöhn­liche Geschichten erzählen wollen, zu ermög­li­chen, wirkungs­volle unab­hän­gige Doku­men­tar­filme zu produ­zieren, die neue Fakten über Milieus, Iden­ti­täten und Leute ans Licht bringen – für ein Publikum in Ostafrika und der ganzen Welt. Mein Lieblings-DOCUBOX-Film ist »New Moon« (2018), der bereits Preise in Luxor, Sansibar und Durban gewonnen hat. Der Film sollte sich um das größte Hafen­pro­jekt der ostafri­ka­ni­schen Küste drehen, wandelte sich aber zur Selbst­fin­dung einer jungen Frau zwischen liberaler Moder­nität, musli­mi­schem Glauben und Spiri­tua­lität.

Wie finan­zieren Sie sich und gene­rieren Ihr Publikum?

Mudamba: Wir bekommen finan­zi­elle Unter­s­tüt­zung von Orga­ni­sa­tionen, wo wir gegen­seitig profi­tieren, insbe­son­dere wenn es um Themen des sozialen Wandels geht. Wir haben Glück, von mehreren Partnern unter­s­tützt zu werden: Ford Foun­da­tion, Climate Justice Resi­li­ence Fund, British Council, Comic Relief, Doc Society, früher auch von der dänischen Botschaft in Nairobi, HIVOS und anderen. Wir wollen aber, dass ein großer Teil unserer Förderung aus Kenia selbst kommt, weil wir dann glaub­wür­diger sind, als wenn sie nur von außerhalb kommt.

Publikum gene­rieren wir auf verschie­dene Weise. Wir haben unsere kosten­losen Vorfüh­rungen von Doku­men­tar­filmen mit anschließenden Q&A bei der Alliance Française Nairobi. Außerdem haben wir ein beliebtes und einzig­ar­tiges Konzept, das wir »Shorts, Shorts and Shots« nennen, für ein zahlendes Publikum: das kommt in Shorts, wir zeigen sorg­fältig ausge­wählte Short Films und trinken anschließend gemeinsam Shots. Dieses Konzept wächst rasant und wurde von anderen Festivals über­nommen. Wir brauchen Leute, die Doku­men­tar­filme machen, die viele Zuschauer gewinnen welche den Impact spüren, um den Wandel zu beschleu­nigen, den wir uns alle wünschen.

Ein hoch­ak­tu­elles und bewe­gendes Beispiel dafür ist Thank You for the Rain (2017), wo die norwe­gi­sche Filme­ma­cherin Julia Dahr und der kenia­ni­sche Farmer und Amateur-Filmer Kisilu Musya gemeinsam dessen verzwei­felten und heroi­schen Kampf gegen den Klima­wandel doku­men­tieren. Extreme Dürren und zerstö­re­ri­sche Unwetter bedrohen die Existenz seiner Dorf­ge­mein­schaft und zwingen ihn, vom lokalen zum inter­na­tio­nalen Klimaak­ti­visten aufzu­steigen, der daheim Bäume pflanzt und bei der Klima­kon­fe­renz COP 21 in Paris spricht. Trotz Resi­gna­tion (»Politiker wollen nicht zuhören, weil sie es selbst nicht erleben«) und Zweifeln (»Ameisen tun sich zusammen und sorgen für Nahrung. Wir nicht. Das zeigt doch, dass wir das Leben nicht ernst­nehmen«) bleibt er stark, denn: »Nicht zu tun, was getan werden muss, ist Schwäche.« Bei der Nairobi Premiere kamen 600 Zuschauer und der Film dient als ein Werkzeug für Klima­wandel-Bewusst­sein für Farmer, Studenten und Regie­rungen. Bewirkt der Film etwas?

Mudamba: Die nationale Wirkung von Thank You for the Rain ist, dass, wenn Kisilu mit dem Film­vor­führ-Team erscheint, dies seine Kyavonda Gemein­schaft bei jeder Film­vor­füh­rung zu neuen Baum­pflanz-Akti­vitäten motiviert. Dennoch fordern sie, seitdem sie den Film gesehen haben, dass ein Damm für sie gebaut wird – was eine der größten Verän­de­rungen im Leben der Kyavonda-Leute in Kitui sein wird. Als diese Forderung in einem unserer Anträge gemacht wurde, stimmte der »Climate Justice Resi­li­ence Fund« zu, auf der »We Can Fight Climate Change«-Plattform Gelder zur Verfügung zu stellen, und jetzt wird ein Damm gebaut in Kyavonda, Kitui, und er füllt sich bereits langsam mit Wasser mit dem verspä­teten Regen. Die Impact-Film­vor­füh­rungen die weiterhin in den Schulen der Gegend statt­finden, bewirken, dass Studenten nach solchen Vorfüh­rungen aktiv beim Bäume­pflanzen mitmachen und sich verpflichten, zu helfen und sich darum zu kümmern, diese Bäume aufzu­ziehen, bis sie groß sind, und dies sollte früher oder später ihre Lebens­um­s­tände bessern durch die positive Verän­de­rung ihrer Umwelt.

Was unter­scheidet Kenias Film­in­dus­trie von Nigerias Nollywood, Afrikas größter Film­in­dus­trie?

Mudamba: Kenianer sind generell sehr wähle­risch und deswegen ist es weniger leicht, Kenianer zufrie­den­zu­stellen als Nige­rianer. Kenianer waren lange Zeit gewohnt, auslän­di­sche Inhalte anzusehen, anstatt eigene. Die hohe Qualität hat dazu geführt, dass kenia­ni­sche Filme­ma­cher ihre Messlatte ziemlich hoch legen, in Bezug auf Produk­ti­ons­qua­lität und starke Geschichten. Das führte zur Produk­tion von exzel­lenten Filmen wie Nairobi Half Life, Supa Modo oder Rafiki. Wir erwarten auch noch mehr erst­klas­sige Doku­men­tar­filme wie New Moon und Thank You for the Rain. Dies wird großen Einfluss auf die Haltung der Kenianer zu eigenen Filmen haben – so, wie sich auch in der Musik-Szene die Vorliebe für auslän­di­sche Musik jetzt zur lokalen Musik hin verändert hat.

Erstaun­lich ist der hohe Frau­en­an­teil unter Kenias Film­schaf­fenden.

Mudamba: In der Tat, 90% der kenia­ni­schen Top-Produ­zenten sind weiblich und 70% der großen kenia­ni­schen Filme­ma­cher. Das kann an den vielen wunder­baren weib­li­chen Filme­ma­chern der letzten Jahre liegen, die positiven Einfluss hatten. Frauen wie Njeri Karago, Anne Mungai, Judy Kibinge etc. haben den Weg geleuchtet, sie waren Pioniere einer erst­klas­sigen Kultur von Film­schaf­fenden und damit gute Vorbilder für weibliche Produ­zenten und Filme­ma­cher, ihrem Beispiel zu folgen. In anderen Bereichen des Films findet man jedoch eine große männliche Dominanz.

Kürzlich ist der kenia­ni­sche Autor und Aktivist Binya­vanga Wainaina gestorben – eine der ersten Persön­lich­keiten Kenias, die sich 2014 öffent­lich zu seiner Homo­se­xua­lität bekannte. Er kämpfte gegen Puri­ta­nismus, Into­le­ranz, aber­gläu­bi­schen Tradi­tio­na­lismus in Kenia und gegen das Fortleben kolo­nia­lis­ti­scher Denk­muster. LGBT-Akti­visten versuchten dieses Jahr vergeb­lich, das aus briti­scher Kolonial-Zeit stammende Gesetz der Krimi­na­li­sie­rung von schwulem Sex vor Kenias Oberstem Gericht zu kippen. Was denken Sie darüber?

Mudamba:Wenn wir über Binya­vanga Wainaina und seinen kreativen Geist sprechen, darf man nicht vergessen, dass er die Schreib­kultur in dieser Region mit Kwani Publi­ca­tions neu entfacht hat. Auch als Aktivist hatte er eine Art, furchtlos das herüber­zu­bringen, an was er glaubte. Jede Form von Beschnei­dung der funda­men­talen Menschen­rechte oder der Meinungs­frei­heit ist ungerecht. Als Kreative und freie Blasen blühen und gedeihen wir in Räumen, die frei sind von Verlet­zungen dieser Rechte und Zensur unserer Arbeit. Wir haben eine neue progres­sive Verfas­sung, getragen von einem Geist, dass Kenianer unab­hängig von ihren Unter­schieden bezüglich Rasse, Stamm, Glaube oder sexueller Orien­tie­rung zusam­men­leben. Ich hoffe nicht, dass uns archai­sche diskri­mi­nie­rende Gesetze, koloniale Gesetze beschränken, wie es die Kolo­ni­al­herren wollten.

Kreative nutzen ihre Freiräume, um Außen­sei­tern Gehör zu verschaffen. Sei es das ghanai­sche Hip-Hop-Duo »Fokn Bois« mit seinem Song Strong Homo­se­xual Guys oder die kenia­ni­sche Filme­ma­cherin Wanuri Kahiu mit ihrer lesbi­schen Liebes­ge­schichte Rafiki, die beim dies­jäh­rigen FESPACO, Afrikas größtem Film­fes­tival in Burkina Faso, ein Lieb­lings­film war. In Cannes wurde er gezeigt, in Kenia verboten. Welche Erfah­rungen haben Sie mit Zensur?

Mudamba: Ich kann nur über unsere gegen­wär­tige Situation in Kenia sprechen. DOCUBOX, als eine von 18 Mitglieds-Orga­ni­sa­tionen der größeren »Creative Economy Working Group«, CEWG, unter­s­tützt die freie Meinungs­äuße­rung aller Kenianer, aber speziell aller Kreativen des Landes, was Filme­ma­cher einschließt. Als Teil der CEWG haben wir Wanuri gerne in ihrem Fall geholfen, Rafiki von der Zensur des »Kenya Film Clas­si­fi­ca­tion Board«, KFCB, frei zu bekommen. Diese Art von Unter­s­tüt­zung wollen wir jedem Filme­ma­cher zukommen lassen, dessen Arbeit von Zensur betroffen ist, solange die Arbeiten kein Sicher­heits­ri­siko darstellen. So hoffen wir, dem KFCB klar­zu­ma­chen, dass das C in seinem Namen für »Clas­si­fi­ca­tion« und nicht für »Censor­ship« steht. Wir möchten, dass sich das KFCB um seine Aufgabe kümmert und nicht darüber hinaus­geht, um Kenias Kreative an ihrem kreativen Prozess zu hindern.

Was war Ihr erstes Kino­er­lebnis? Welche Filme haben Sie geprägt?

Mudamba: Ich kann mich nicht wirklich an meinen aller­ersten Kinofilm erinnern. Aber Action-Filme wie Bruce Lee oder Bud Spencer und Terence Hill sind meine eindrück­lichsten Kind­heits­er­in­ne­rungen. Diese und ebenso die Kampf-TV-Shows wie Wrestling-Welt­meis­ter­schaften haben uns geprägt und hart gemacht für die Bedin­gungen, unter denen wir auf der Eastlands-Seite von Nairobi aufge­wachsen sind. Wir lernten früh, wie man zurück­schlägt und seinen Platz in der Gesell­schaft behauptet. In sehr jungen Jahren haben mir Film und Bühne das große Potenzial für Verän­de­rung, das ich besitze, bewusst gemacht – als ich vom Verbot der poli­ti­schen Stücke von Ngugi wa Thiong´o erfuhr und wie die damalige Regierung ihn und seine Stücke wahrnahm, als ich jung war. Als ich diesen Weg einschlug, wusste ich um die befrei­ende Kraft des Künstlers. Ich habe auch den Film Love Brewed in the African Pot als eine Pionier­ar­beit für afri­ka­ni­schen Film mit Unter­hal­tungs­wert geliebt, und die Arbeiten von Ousmane Sembene aus fran­zö­sisch West-Afrika.

Sie sagen: »Thea­ter­leute, Filme­ma­cher und Künstler sind die Blasen, die die Welt befreien.« Ehe Sie zum Film kamen, haben Sie am Theater Blasen produ­ziert – wie war das?

Mudamba: Mein Thea­ter­leben war erstaun­lich. Meine Vorliebe, in multi-diszi­plinären Bühnen­pro­duk­tionen zu arbeiten, wo Poetry, Musik und Tanz verschmelzen, wurde noch größer, und ich konnte reisen. Während meiner aktivsten 20 Jahre im Theater, von 1990 – 2010, ist die Theater-/Perfor­mance-Szene sehr gewachsen. Zu der Zeit war ich Mentor und habe Schau­spieler der Mbalam­wezi Players ausge­bildet. Die Mbalam­wezi Theatre Awards haben viele der heutigen großen Bühnen- und Lein­wand­künstler Kenias entdeckt und ausge­zeichnet, wie die Oscar-Gewin­nerin Lupita Nyong´o, als sie noch Studentin war. Ich glaube daran, klein anzu­fangen und zu Riesen zu werden. Aber noch mehr glaube ich an die trans­for­ma­tive Kraft der Bühnen- und Lein­wand­per­for­mance, wo der darstel­lende Künstler der beste Frei­heits­kämpfer der korrupten Räume bleibt. Als Künstler müssen wir daran arbeiten, unsere Räume und Regionen von jeglichen Vorur­teilen und Vorein­ge­nom­men­heiten zu befreien.

Was hat Sie vom Theater zum Doku­men­tar­film gebracht?

Mudamba: Ich wechselte langsam von Bühnen­pro­duk­tionen zu Lein­wand­pro­duk­tionen, als ich merkte, dass ich meinen Teil zu dem Genre beige­tragen hatte. Später wurde ich als Mitglied des Führungs­aus­schusses und Schatz­meister der »Kenya Film and Tele­vi­sion Profes­sional Asso­cia­tion«, KFTPA, gewählt, wo ich viel über die Heraus­for­de­rungen lernte, denen die Film­in­dus­trie in Kenia ausge­setzt ist. Das brachte mich in eine Position, wo ich Lösungen für die Film­in­dus­trie allgemein suchte, und fast gleich­zeitig wurde die Stelle bei der Gründung von DOCUBOX ausge­schrieben, und so bewarb ich mich und bekam den Job als Programm­di­rektor. Wir sind eine eng verwobene Familie, die ganz wild darauf ist, Filme­ma­chern zu helfen, ihre Probleme zu lösen und sie und ihre Arbeit zum Leuchten zu bringen.

top