»Mit meinen Filmen will ich die Leute stören« |
||
»Ich mochte immer schon die neorealistischen Filmemacher.« Hier: Lola im Kampf gegen Armut und Wind |
||
(Foto: Rapid Eye Movies) |
Es ist ein ziemlich trauriger Text, mit dem die »Süddeutsche Zeitung« meint, Brillante Mendoza verreißen zu müssen. Traurig vor allem als Symptom des Zustands deutscher Filmkritik, jedenfalls einer bestimmten, inzwischen schwer gealterten Generation. Natürlich klingt es gut, wenn man schreiben kann: Hört her, hier ist einer, der wird von aller Welt gefeiert – ich aber weiß es besser. Ich weiß, dass dieser Mann ganz schrecklich ist. Denn das und nur das steht in dem SZ-Text vom 20.7.: Wo Filmkritik rettende Kritik sein und Verständnis wecken könnte, wird sie vernichtende, desinteressierte, erfahrungslose, eine, die nichts erzählt, aber alles vorher weiß und das Wundern längst verlernt hat, sich dafür der billigsten Tricks bedient, wie eines Hinweises auf Mendozas Vergangenheit als Werbefilmer, und sich spreizt im herrschaftlichen Ton des Feldherrenhügels, von dem aus die Artilleriesalven abgefeuert werden. Wir werden auch von den beiden Filmen noch erzählen, die von Mendoza gerade noch im Kino zu sehen sind, von Kinatay, der den Regiepreis in Cannes gewann und mit dem Mendoza den endgültigen internationalen Durchbruch geschafft hat, und von Lola. Jetzt und hier aber soll er zunächst einmal selbst zu Wort kommen.
1960 geboren, begann Brillante Mendoza erst mit 45 als Filmregisseur zu arbeiten. Vorher arbeitete er als Production Designer vor allem in der Werbung. Seit 2005 hat er acht Spielfilme gedreht, die letzten drei liefen in den Wettbewerben der wichtigsten Filmfestivals. Spätestens seit 2009 gilt Mendoza als Shootingstar des internationalen Autorenfilms. Zur Zeit laufen gleich zwei Filme von ihm im Kino: Kinatay und Lola. Mit Brillante Mendoza sprach Rüdiger Suchsland.
artechock: Man kann sagen, dass alle Ihre Filme ein bisschen mit Voyeurismus arbeiten, dass Sie uns zu Augenzeugen machen, von etwas, was wir eigentlich nicht sehen dürfen oder wollen. Was für eine Haltung wünschen Sie sich vom Publikum?
Brillante Mendoza: Ich will, dass das Publikum teilnimmt. Ich mag es nicht, wenn das Publikum sich zu eindimensional verhält. Wir sind es gewohnt, einen Film aus der Distanz zu betrachten. Wir wissen fast immer: Kino ist Kino. Es ist nicht echt, nicht wahrhaftig. Ich will solche Authentizität und Wahrhaftigkeit. In meiner Art Kino geht es darum, das Publikum am Film zu beteiligen. Sie müssen den Schmutz förmlich riechen können. Manchmal wollen das die Leute nicht. Sie wollen das Kino Kino bleibt – eine Lüge. Sie sollen den Lärm hören können, ein Teil davon sein, Dinge sehen, die sie nicht sehen wollen. Und ich will sie dazu herausfordern zuzuhören und hinzugucken.
Das exakt ist es, was in Kinatay und in Serbis passiert. Manchmal ist das Publikum auf solche Erfahrungen nicht vorbereitet. Und wehrt sich. Darum war die Reaktion auf Kinatay gemischt. Nicht alle Leute mögen so etwas...
artechock: Aber das hatten Sie schon vorher erwartet?
Mendoza: Ja. Das Publikum ist heute abenteuerlustiger. Sie wollen vom Filmemacher herausgefordert werden. Und es stört sie nicht, wenn das geschieht. Aber natürlich wird ein Teil der Zuschauer immer konservativ bleiben. Ich finde das auch verständlich, und ich begrüße es auch, wenn ein Film umstritten ist.
Die Leute werden über meine Filme immer debattieren: Die einen werden es mögen, die anderen nicht. Darum geht es im Kino. Es soll eine kontinuierliche Diskussion auslösen, die andauert. Das gilt nicht nur für meinen Film.
artechock: Kinatay wurde in Cannes und wird auch jetzt durch Teile der Filmkritik skandalisiert. Ist Ihnen das recht?
Mendoza: Mit meinen Filmen will ich die Leute stören und manchmal verstören. Nicht immerzu, aber sie sollen nachdenken. Sie sollen über den Film diskutieren, und zwar nicht nur direkt nach Filmende, sondern am besten auch eine Woche oder einen Monat später. Ich will, dass mein Film in ihnen weiterexistiert, dass die Leute meinen Film nicht so schnell loswerden.
artechock: Sind Schock, Überraschung und Verstörung also ein essentieller Bestandteil der cinematographischen Erfahrung?
Mendoza: Ein Teil von ihr ja, aber nicht das Ganze: Auch Liebe und Anteilnahme gehören wesentlich zum Kinoerlebnis – eben alles, was zu unserem Leben gehört. Jede Facette unserer Lebenserfahrung sollte sich im Kino spiegeln. Wenn wir jemanden bedauern, genauso, wie wenn wir durch etwas schockiert und herausgefordert sind.
artechock: Ihre Filme werden von europäischen Kritikern oft als sozialer oder politischer Kommentar verstanden...
Mendoza: Sie können auch gar nichts anderes sein. Sie basieren auf der Wirklichkeit. Der politisch-soziale Kommentar liegt in der Wirklichkeit selbst. Es liegt einfach alles da auf der Straße, ob man das nun mag oder nicht. Ob man nun ein Militanter ist oder nicht... Man kommt nicht darum herum. Ich bezeichne mich nicht als militanten Filmemacher. Ich will einfach meine Filme machen. Aber die politischen Themen sind selbstevident. Man
kann sie nicht ignorieren, wenn man auf den Philippinen Filme macht.
Natürlich: Wenn ich Filme mit einer konventionelleren Struktur machen würde, dann würde ich möglicherweise mehr die gute Seite zeigen, oder irgendetwas, was man sich wünscht...
artechock: In einem höheren Sinn ist natürlich jeder Hollywood-Film auch ein sozialer Kommentar...
Mendoza: Ganz genau...
artechock: ...aber Ihre Filme scheinen doch einen ganz bestimmten Realismus zu haben. Einen speziellen Zugang. Wie wichtig ist es für Sie, das Leben auf den Philippinen zu zeigen?
Mendoza: Sehr wichtig. Denn ich will so viel Leben, wie ich kann, in meine Filme packen. Das Leben, wie ich es sehe, und so ehrlich und wahrhaftig, wie möglich. Je mehr das gelingt, um so besser ist der Film. Das ist die Art Kino, die ich zu machen versuche. Ich versuche, das Leben auf die Leinwand zu bringen. Auch das Leben jenseits der Geschichten. Die besten Filme sind in sich dreidimensional ganz ohne technische 3D-Effekte.
Man soll
die Figuren als Menschen erkennen, nicht Schauspieler. Nicht Darsteller.
artechock: Was genau bedeutet Wahrhaftigkeit für Sie?
Mendoza: Wahrhaftigkeit ist, wie man auf die Menschen blickt. Und wie man mit dem umgeht, was um einen herum geschieht, was ich sehe und erlebe. Auch wenn es etwas Böses ist. Selbst wenn ich Angst habe, etwas zu zeigen, werde ich es zeigen, wenn es der Wahrheit entspricht: So exakt und detailliert und aufrichtig in der Darstellung, wie möglich – das heißt Wahrhaftigkeit. Ein Kino ohne Schatten, ohne den Versuch, irgendetwas zu verstecken.
artechock: Wie arbeiten Sie eigentlich? Sie scheinen sehr schnell zu drehen, alles wirkt ungemein spontan... Sind die Filme trotzdem geschrieben?
Mendoza: Es ist wenig improvisiert. Die Filme sind alle zuvor in Drehbuchform konzipiert. Zunächst mal basieren sie alle auf dem realem Leben in den Philippinen. Wir nennen sie „gefundene Geschichten“ (found stories). Ich habe natürlich eine Ausgangsidee, aber darauf basierend suche ich Geschichten, Fakten, Figuren – alles, was in das Drehbuch hinein kommt. Ich lasse mich von dem inspirieren, was um mich herum geschieht: Die Einfälle zu Kinatay und Lola entstanden jeweils durch kleine Meldungen im Fernsehen.
Mir ist Zeit sehr wichtig. Ein Film dauert 90 bis 120 Minuten. Aber ich will in allen meinen Filmen Sequenzen in Realzeit haben, in denen der Zuschauer die Dauer spürt, das Vergehen der Zeit.
Auch bei den Räumen handelt es sich um „gefundene Orte“, also möglichst reale Schauplätze, wo die Geschichten des Films fast passiert sind, oder sogar wirklich passiert sind. Auch hier geht es darum, dem Leben so nahe wie möglich zu kommen.
artechock: Ihre Filme sind einander in der Herangehensweise ähnlich, und zugleich wirken sie sehr unterschiedlich: Sie decken eine große Spannbreite ab: In Tirador führen Sie in einer Form, die an Short Cuts erinnert, verschiedene Episoden zusammen; in Serbis geschieht fast alles in einem einzigen unterteilten Raum, einem Haus, das einen Kinosaal enthält. Und es gibt eine recht genau umrissene, übersichtliche Gruppe von Personen. In Kinatay steht ein einziger Mann im Zentrum, wir begleiten ihn auf einer Reise.
Alles ist mit anderen Worten sehr verschieden. Wo kommt diese Spannbreite her? Geht es Ihnen um immer neue handwerkliche Herausforderungen?
Mendoza: Die handwerkliche Herausforderung ist da natürlich nicht das Wichtigste. Am wichtigsten ist die Ausgangsidee des jeweiligen Films, davon hängt mein Stil ab: Was ich erzählen will, und wie ich es erzählen will.
Zum Beispiel: In Tirador wollte ich, dass das Publikum ganz emotional in der Aktion drin sein würde. Man sollte geradezu selbst in dieser Welt der Taschendiebe aus den Slums stecken, man sollte sehen können, wie diese Leute leben, die Rastlosigkeit der Menschen. Darum ist die Kamera ständig bewegt. Die Schauspieler agieren sehr unmittelbar.
Ganz anders bei Foster Child: Darin ging es um Liebe unter Armen. Ich habe das
in einem sehr langsamen, fast schon langweiligen Tempo geschildert. Denn ich wollte einfach die Frau in ihrem Alltag verfolgen. Sie ist müde, sie hat es nicht eilig. In Tirador oder Serbis ging es darum, dieses ganze Chaos der Straße und öffentlicher Plätze einzufangen.
In Serbis hatte ich verschiedene Charaktere. Da musste ich ihnen fast wie ein Voyeur überallhin folgen, auch an private Orte, in intimen Situationen – und ihr Leben aus der Perspektive von jemandem zeigen, der ihnen aus der Ferne zuschaut. Der nicht alles mag, was er sieht, nicht alles sehen will, was er gezeigt bekommt.
So geht es auch den Kinozuschauern: Wenn man im Kino ist, gibt es Dinge, die man mag, und Dinge, die man nicht
mag.
In Kinatay handelt es sich natürlich um etwas völlig anderes: Da wollte ich, dass das Publikum in die Lage eines Augenzeugen versetzt wird. Wenn man in eine Umgebung geworfen wird, die einen beunruhigt, wo man spürt, wie es einem geht, dessen eigenes Leben auf dem Spiel steht – diesen Eindruck wollte ich hervorrufen.
Also: Es variiert. Es hängt von der
Ausgangsidee ab, davon, wie meine Botschaft oder das, was ich sagen möchte, stärker wirkt.
artechock: Welche anderen Filmemacher haben Sie beeinflußt?
Mendoza: Ich mochte immer schon die neorealistischen Filmemacher aus Italien und Frankreich. Nicht weil ich genau das gleiche tun würde – schon klar, dass meine Filme dem Neorealismus näher stehen, als manch anderer Filmrichtung. Aber ich spüre, dass es diese Art Kino ist, die ich wirklich machen will. Ich werde immer Klassiker wie Fahrraddiebe lieben, oder Sie küssten und sie schlugen ihn; auch der frühe Truffaut ist für mich ein Neorealist.
artechock: Das Autorenkino ist heute auch seinen eigenen Moden unterworfen. Gerade sind die Philippinen sehr in Mode. Das hat viel Gutes, aber es birgt auch Gefahren. Sie haben einen französischen Produzenten. Wie stellen Sie sicher, dass Sie Sie selbst bleiben, sich treu bleiben? Wie vermeiden Sie die Gefahr des Kolonialismus?
Mendoza: Ich versuche, auf die Hauptsache konzentriert zu bleiben. Ich lasse mich von Preisen und von dem Erfolg, der jetzt kommt, nicht besonders beeindrucken. Das ist sozusagen der Bonus, aber nicht das, worum es wirklich geht. Wir arbeiten hart, damit wir mehr Filme dieser Art machen. Der internationale Erfolg verschafft mir ein größeres Publikum. Aber sie wollen ja die Filme sehen, die ich mache.
Immer, wenn mich verschiedene Produzenten ansprechen, sage ich ihnen: Ich arbeite nur zu meinen Bedingungen, in meiner Weise und meine Art, Geschichten erzählen werde.
Es war ein Vorteil, dass ich ausländische Investoren habe. Aber sie kennen meine Grenzen. Und die sind ja genau der Grund, warum sie mit mir arbeiten wollen. Ich sage ihnen immer ganz direkt: Meine jetzigen Filme sind genau die Filme, die ich machen will. Und bei jedem Film werde ich die Verantwortung tragen. Besonders in allen kreativen Fragen.
Ich sehe mich als einen Filmemacher, der wirklich Glück hat: Ich bin wirklich unabhängig. Auch innerhalb der Filmszene der Philippinen, und im Vergleich zu anderen philippinischen Independent-Filmemachern. Ich habe meine eigene Produktionsfirma. Ich bin nicht Mitglied irgendeiner Organisation.
Das heißt nicht, dass ich mit den anderen nichts zu tun haben will. Aber ich arbeite lieber unabhängig. Das hat Vor- und Nachteile. Aber ich sehe lieber die Vorteile als die Nachteile.
artechock: Was ist eigentlich das Geheimnis der Philippinen? Woher kommt der derzeitige Boom, der ja auch ein Boom des Stils ist?
Mendoza: Vielleicht geschehen auf den Philippinen wirklich neue Dinge. Aber der Boom ist schon ganz wesentlich ein Resultat der neuen Technologien. Digitalisierung und Videotechnologie machen es viel einfacher, Filme zu drehen. Sie sind billig. Wir wissen, wie teuer 35mm- und 16mm-Filmmaterial sind. Kaum einer kann auf 35mm drehen. Mit digitalem Material kann jeder seine Ideen und Einfälle ausprobieren. Das führt zu viel Freiheit. Früher hat man zu den Mainstream-Regisseuren aufgeschaut, als wären sie die einzigen, die wüssten, wie es geht. Heute wissen es alle besser. Heute sind die philippinischen Filmemacher sehr frei.
Früher hatten viele Regisseure Angst vor Zurückweisung. Sie trauten sich nicht, Filme mit provokanten Themen zu drehen. Heute trauen sich alle mehr. Die Filmemacher sind mutiger und im positiven Sinn aggressiver geworden. Sie haben keine Angst mehr, sie sind weniger konform. Der einst dominierende Stil des kitschigen Philippino-Melodramas dominiert nicht mehr.
Was mit mir und Lav Diaz, Raya Martin, Aurelius Solito und anderen passiert ist, ist, dass wir mutiger sind, dass wir den Mut gefunden haben, einfach unsere Geschichten auch zu machen. Wenn man in einem Land wie den Philippinen lebt, sind die Geschichten endlos. Wieso sollte ich Filme außerhalb der Philippinen drehen, wenn das Land doch so reich an Geschichten ist. Es ist unerschöpflich.
Es ist anders, wenn man auf den Philippinen dreht: Das Filmemachen ist billig, die Leute sind sehr sehr hilfsbereit. Es ist unkompliziert. Darum kann ich so schnell drehen. Ja, ich drehe schnell, aber warum auch nicht. Es gibt keine Förderung, auf die ich warten müsste. Es ist nicht teuer. Die Leute unterstützen einen – nicht nur die Künstler, nicht nur Schauspieler, auch das Team in der Postproduktion.
Früher musste ich Schulden machen. Jetzt kann ich sie zurückzahlen. Alle waren sehr hilfsbereit, obwohl ich kein Geld hatte. Durch Cannes folgten auch weitere Preise. Es gab Geld von der Regierung – das ging direkt an die Postproduktion.
artechock: Kommen Ihre Filme auch in den Philippinen heraus?
Mendoza: Zur Zeit ist das in meiner Heimat eher ein begrenztes Kunstfilm-Publikum, wie die Studenten und Cinephile. Das Mainstreampublikum geht bisher nicht rein. Ich würde mir wünschen, eine größeres Publikum zu finden. Aber ich habe es nicht eilig. Ich bin mir ganz sicher, dass sich irgendwann in der Zukunft mehr Leute für diese Art Kino interessieren werden – vielleicht erlebe ich es noch. Ich sage gar nicht: So und nicht anders
muss alles Kino sein. Aber ich selbst will das Publikum schon mit Alternativen zum Üblichen konfrontieren. Gerade auf den Philippinen dominiert der Mainstream. Auf der ganzen Welt werden wir alle mit den gleichen Mainstream-Blockbustern aus Hollywood berieselt. Ich sage gar nicht, dass ich diesem Kino nicht auch etwas abgewinnen kann. Ich gucke mir immer wieder auch Hollywood an, aber es sollte nicht das einzige sein, was wir sehen.
Mit meiner Tochter gehe ich oft ins
Mainstream-Kino...
artechock: Wie alt ist sie?
Mendoza: 13 Jahre alt. Und schon sie macht die Erfahrung, dass das zwar schöne Filme sind, dass sie einem aber zumeist dauerhaft nichts geben. Man vergisst sie ganz schnell. Meiner Art Kino geht es um andere Dinge – ich weiß sehr genau, dass ich etwas wirklich Neues mache.