31.12.2009

»Alle Filme sind Doku­men­tar­filme!«

Porträt Ed Lachman mit schwarzem Hut
Ed Lachman bei Ken Park

Kameramann Ed Lachman über seine Anfänge mit Werner Herzog, die Arbeit mit der Kamera, und das künstlerische Erbe der sechziger Jahre

Ed Lachman ist einer der besten und viel­sei­tigsten ameri­ka­ni­schen Kame­ramänner. 1948 in Morris­town, New Jersey geboren kam er über seine Mutter, die Besit­zerin mehrerer Kinos war, schon in seiner Kindheit mit dem Medium Film in Berührung. Später studierte er in Europa Kunst­ge­schichte und Malerei. Nach Anfängen im Doku­men­tar­film arbeitete er in den späten 70ern zunächst für Werner Herzog und andere Regis­seure des Neuen Deutschen Films, in den Folge­jahren unter anderem für Paul Schrader, Larry Clark und Sofia Coppola, mehrfach mit Steven Soder­bergh, Robert Altman und Todd Haynes. Zuletzt arbeitete Lachman wieder in Europa, zusammen mit dem öster­rei­chi­schen Regisseur Ulrich Seidl an dessen Import Export und derzeit an Seidls neuem Projekt. Im November ehrte die Kölner Kunst­film­bi­en­nale und das Museum Ludwig Lachman, der auch als Fotograf arbeitet, mit einer umfang­rei­chen Retro­spek­tive – dort entstand das folgende Interview von Rüdiger Suchsland.

artechock: Wir Europäer haben in der Regel das Modell des Autoren­films im Kopf: Der künst­le­ri­sche Schöpfer eines Films ist danach der Regisseur. Die anderen sind Zuar­beiter. Im Engli­schen spricht man immerhin schon mal vom Director of Photo­graphy, das klingt gleich ganz anders? Jetzt gab es in Köln bei der Kunst­film­bi­en­nale gerade eine Retro­spek­tive zu ihrem Werk? Man sieht Sie also dort als eigen­s­tän­digen Künstler mit einem Werk­zu­sam­men­hang. Was passiert, wenn zwei „Autoren“ zusam­men­kommen, wenn Sie zum Beispiel für Wenders arbeiten, oder Soder­bergh? Wie groß ist überhaupt der Anteil eines Kame­ra­manns an dem fertigen Film?

Ed Lachman: Ja, nun: Für mich ist die Sprache des Kinos eine Sprache der Bilder. Einige Regis­seure denken visuell, andere nicht. Insofern verändert sich die Beziehung durch den Typ Regisseur, mit dem man zusam­men­ar­beitet. Man passt sich anein­ander an.
Regis­seure wie Wenders oder der Öster­rei­cher Ulrich Seidl haben ihre eigene, sehr spezi­fi­sche Film­sprache, und als Kame­ra­mann setzt man diese Sprache um.

Dann gibt es aber andere Regis­seure, die ihre Sprache erst finden müssen. Ich mag es, mit beiden Regis­seurs-Typen zu arbeiten. Ich arbeite immer wieder gern mit Erst­lings­re­gis­seuren zusammen: Sie haben so viele Ideen, oft gute, aber sie sind noch auf der Suche. Aber dann auch wieder mit Regis­seuren, die ihre Sprache erst finden müssen. Proble­ma­tisch sind die Regis­seure dazwi­schen. [Lacht] Denn die wissen nicht genau, was sie eigent­lich mit der Bild­ge­stal­tung wollen, da wird alles sehr inkon­sis­tent

Jede Geschichte ist in sich einzig­artig und muss ihre eigene visuelle Sprache finden. Meine Rolle ist also immer die, mit dem Regisseur den Schlüssel zu finden, und diese Sprache zu erschließen. Das kann im Schau­platz liegen, im Drehbuch, in den Einstel­lungen, in allen möglichen Formen, an ein Thema heran­zu­gehen. Die Zusam­men­ar­beit beginnt also sehr früh.

Mit Hilfe der Literatur dringt man sehr leicht in die Innenwelt einer Figur ein, man kann sehr einfach ausdrü­cken, was jemand denkt oder fühlt, egal ob es in der ersten oder dritten Person geschrieben ist. Aber es ist oft schwer, einen Ort oder eine exakte Zeit zu beschreiben. Im Film ist es genau umgekehrt: Mit einer einzigen Einstel­lung ist oft ein Schau­platz etabliert. Die Umgebung des Charak­ters. Aber es ist viel schwerer, ins Innere einer Figur einzu­dringen.

Ich versuche in meiner Bild­ge­stal­tung genau das: Das Innen­leben durch das Äußere zu beschreiben. Das ist es, woran ich immer mit einem Regisseur arbeite. Und mit dem Produk­ti­on­de­si­gner. Denn der ist für die Palette und den Look eines Films genauso wichtig, wie der Kame­ra­mann. Also sehr früh geht es auch um Farben, Licht, Kostüme, Möbel und solche Dinge? Denn es ist, wie Sie sagen: Jeder ist anders. Manche verlassen sich bei der Visua­li­sie­rung stark auf mich, bei anderen ist es eine Team­ar­beit.

artechock: Nehmen wir einen Film wie The Virgin Suicides von Sofia Coppola: Der wurde vor zehn Jahren gedreht und war seiner­zeit deren erster Film. Wenn wir ihn heute ansehen, dann ist es auf der einen Seite ganz eindeutig ein Ed-Lachman-Film, ande­rer­seits sieht man auch schon fast alles von Sofia Coppola. Wenn ich Ihnen jetzt sage: Ich mag die Bilder sehr. Lobe ich dann Sie, oder sage ich etwas über Coppola?

Lachman: Nun, sie hat die Wahl getroffen, mit mir zu arbeiten. Wir haben sehr eng zusam­men­ge­ar­beitet, und sie hat mir ganz offen­sicht­lich erlaubt, ihr dabei zu helfen, eine Bild­sprache zu entwi­ckeln. Aber sie hatte auch selbst ganz klare visuelle Bezüge: Die Foto­gra­fien von Jürgen Teller, moderne japa­ni­sche Photo­gra­phien, die sehr stark das Alltags­leben in den Fokus nehmen, den Impres­sio­nismus, und sie hat in Gesprächen auch das Kino der 70er Jahre erwähnt. Das alles zusammen waren wiederum Hinweise für mich, was sie wollte

Ein Schau­spieler bekommt ein Drehbuch, und inter­pre­tiert dann die Rolle nach dem Buch und den Hinweisen des Regis­seurs. Ich fühle mich als Kame­ra­mann in einer ganz ähnlichen Rolle: Ich bin als Kame­ra­mann ein weiterer Schau­spieler: Der Schau­spieler führt etwas auf und das ist etwas Leben­diges. Und Bilder haben für mich einen bestimmten Rhythmus. In der Foto­grafie wie im Film sind Bilder sehr nahe an Musik in dem Sinn, dass sie eine nonver­bale Form sind. Wie kreieren wir eine Geschichte in nonver­baler Sprache? Das ist es, was ich an der Arbeit mit der Kamera so aufregend finde: Denn wir können ohne Worte sehr präzis erzählen, wir können auf diese Weise Ideen entwi­ckeln.
Bilder können auch als Kontra­punkt zur Narration wirken.
Gerade solche Über­le­gungen waren bei der Arbeit mit Sofia Coppola essen­tiell: Und sie wusste genau, was sie nicht wollte. Darum hat sie mir erlaubt, ihr Vorschläge zu machen. Und sie konnte darauf antworten.

artechock: Die Idee, Kame­ra­ar­beit mit Musik zu verglei­chen ist mir sehr sympa­thisch. Fühlen Sie sich als eine Art Musiker oder Tänzer?

Lachman: Ja, darum verglich ich es mit Schau­spie­lerei. Man versenkt sich in ein Gefühl. Darum mag ich es, dass mir in Low-Budget-Filmen erlaubt ist, die Kamera selbst zu führen – in den USA war das ja lange Zeit gewerk­schaft­lich verboten: Auf diese Weise kann ich viel besser direkt mit einem Schau­spieler koope­rieren, und einen gemein­samen Rhythmus finden.

artechock: Was inter­es­siert Sie als Ameri­kaner daran, auch immer wieder mit europäi­schen Regis­seuren zusam­men­zu­ar­beiten, wie etwa mit Ulrich Seidl, mit dem Sie jetzt gerade nach Import Export den zweiten Film gemacht haben?

Lachman: Nun, ich komme ja von der Malerei her, und habe Kunst­ge­schichte studiert. Daher hat mich auch zunächst das europäi­sche Kino mehr inter­es­siert, als das ameri­ka­ni­sche. Der persön­li­chere Zugang zu Geschichten, die eigene Hand­schrift: Wenders' Ansatz ist ganz anders, als der von Werner Herzog oder der von Fass­binder oder der von Berto­lucci. Diesen Regis­seuren war es wichtig, etwas ganz Eigenes zu schaffen. Und Europa hat einfach eine längere Tradition der Bilder­kunst – wenn Sie an Malerei denken oder auch an Archi­tektur. Amerika hat nur Wortkunst: Literatur und Theater. Das geht bis in die 50er und 60er Jahre.
Mich haben seiner­zeit die Filme des Neorea­lismus stark beein­druckt: Rosselini und de Sica. Später dann Antonioni, dann Fellini, der auf seine Art den Neorea­lismus zurück­weist, und ihm einen etwas persön­li­cheren, subjek­ti­veren Blick­winkel entgegen setzt.

In den 70er Jahren war es dann Deutsch­land: Ich sah Alice in den Städten von Wenders und Herzogs ersten Film Lebens­zei­chen. Die haben mich sehr bewegt. Ich traf Werner Herzog – ich weiß nicht mehr genau wo, in Berlin oder in New York –, wir wurden Freunde, und es war Werner, der mir meine ersten ernst­haften Jobs gab, ohne das er auch nur irgend­etwas von mir gesehen hatte. Ich hatte bis dahin nur ein paar unwich­tige Filme gemacht. Das war 1977. Wir arbei­teten zunächst an der Doku­men­ta­tion La Soufrière – Warten auf eine unaus­weich­liche Kata­strophe und dann an dem Spielfilm Stroszek mit Thomas Mauch.

So war das europäi­sche Kino eigent­lich meine Geburts­stunde als Kame­ra­mann. Unmit­telbar danach wurde ich dann an Wim Wenders weiter­ge­reicht, der gerade in New York war, um mit Robby Mueller Der ameri­ka­ni­sche Freund zu drehen. Da habe ich ausge­holfen, ich war eine Art Assistent.

artechock: Haben Sie in Amerika mehr Freiheit?

Lachman: Meistens, ja. Zumindest habe ich das Gefühl, nichts Tolles mehr von Hollywood zu erwarten. Ich habe es erlebt. Ich habe mit ein paar guten Regis­seuren wie mit Steven Soder­bergh gear­beitet. Jetzt bin ich älter und ich habe den Wunsch zu meinen künst­le­ri­schen Wurzeln zurück­zu­kehren. Ich will mit Leuten arbeiten, bei denen ich etwas mehr Einfluss auf den ganzen Film haben kann. Was mir an Hollywood Furcht einjagt: Jeder ist ersetzbar. Vom Regisseur abwärts. Ich meine das gar nicht wertend, es ist eine nüchterne Fest­stel­lung. Künst­le­ri­sche Hand­schriften sind dort nicht sehr gefragt.

Und in Europa gibt es für einen Kame­ra­mann mehr Respekt: Durch die Produk­tion wie durch den Regisseur.
Sie sind daran inter­es­siert, was man selber in ein Projekt einbringt. In einigen Hollywood-Produk­tionen hatte ich mich stark wie ein bloßes Rad in einer Maschine gefühlt. Ich bin ersetzbar wie jeder. Ich möchte lieber mit jemandem arbeiten, der findet, dass ich dem Film etwas geben kann, was ein anderer nicht könnte.

Und mich inter­es­sieren die Geschichten einfach mehr, die zum Beispiel ein Ulrich Seidl erzählt. Ich finde er ist einzig­artig, radikal, er entwi­ckelt eine völlig neue Form des Geschich­ten­er­zäh­lens. Und mich inter­es­sieren einfach Leute, die das Geschich­ten­er­zählen voran bringen wollen.
Das wunder­bare an Ulrich ist, dass er moralisch ist, ohne mora­lis­tisch zu sein. Import Export ist ein Film voller Mitgefühl. Der Zusam­men­bruch des Ostens – ökono­misch, politisch, sozial – von dem Import Export handelt, ist ein Kontra­punkt zu dem, was im Westen passiert.
Ich fahre jetzt nach Wien, um mit der Arbeit an meinem nächsten Film zu beginnen.

artechock: Wie kam es zu dieser Zusam­men­ar­beit?

Lachman: Ich hatte zuvor den Film Ken Park gemacht, zusam­menmit Larry Clark, wir hatten beide die Co-Regie. Werner Herzog hatte den Film gesehen, und mir ein vergif­tetes Kompli­ment gemacht: »Guter Film, aber Kinder­kram im Vergleich zu Ulrich Seidl. Du musst Dir Ulrich Seidls Filme ansehen.« Im gleichen Jahr ging ich zur Viennale und fragte dort den Leiter Hans Hurch: »Wer ist dieser Ulrich Seidl? Kann ich dessen Filme ansehen?« Die haben mir dann seine frühen Filme gezeigt, und das hat mir gut gefallen. Am meisten Mit Verlust ist zu rechnen. Und man hat uns vorge­stellt. Ulrich kannte Ken Park, also gab es eine gewisse Vertraut­heit, aber es war alles doch sehr höflich und formal. Später gab es dann eine Seidl-Retro­spek­tive in Amsterdam. Dort trafen wir uns wieder, gingen Abend­essen, und dabei hat er mich dann gefragt, ob ich mit ihm an seinem nächsten Film arbeiten wollte. Ich habe sofort zugesagt.

artechock: Wie war die Erfahrung für Sie?

Lachman: Wunder­voll. Ein symbio­ti­sches gegen­sei­tiges Vers­tändnis. Mich hat vor allem inter­es­siert, wie er sich seinen Schau­spie­lern und Laien­dar­stel­lern annähern würde, um diese beson­deren Auftritte zu erreichen. Und wie er seine Bild­sprache entwi­ckeln würde.

artechock: Die Filme von Ulrich Seidl liegen bereits relativ nahe an jenen Filmen, die man in Europa Expe­ri­men­tal­film oder Avant­gar­de­film nennt, und vorzugs­weise im Museum zeigt. Manche Filme­ma­cher stellen lieber im Museum aus, Harun Farocki sagt, er habe dort viel mehr Zuschauer, als im Kino. Macht die Unter­schei­dung zwischen solchen Filmen fürs Kino und solchen fürs Museum für Sie als Kame­ra­mann überhaupt Sinn?

Lachman: Ich möchte lieber denken: Gute Filme sind „Kunst­filme“. Für mich ist das die einzige gültige Defi­ni­tion. Ich möchte da nicht unter­scheiden. Auch manche Holly­wood­filme können Kunst sein, und verdienen das Museum, aber der richtige Ort für Filme ist das Kino. Die Aufmerk­sam­keit des Publikums dort ist größer, die Erfahrung inten­siver.

Ich denke aber, jeder versucht seinen eigen Weg zu finden. Witzi­ger­weise wollen heute ja alle möglichen bildenden Künstler Kino machen, und alle Kino­re­gis­seure Muse­ums­kunst. Warum soll man das auch nicht vermi­schen? Es geht letzt­end­lich nur um den kreativen Prozess.

artechock: Lernen Sie heute noch etwas Neues bei einem Dreh?

Lachman: Absolut! Jeden Tag lerne ich etwas. Das ist das wunder­bare am Bilder­schaffen und das, was uns jung hält. Ich denke, wer mit Kunst zu tun hat, bleibt auf seine Art ewig jung: Man muss offen bleiben und auf seine Umgebung eingehen. Man muss erfahren, was um einen herum passiert. Das ist es eigent­lich was mit dieser Analogie gemeint ist: Künstler seien wie Kinder. Wir sind offen für Erfah­rungen und müssen uns der Welt in offen­her­ziger Weise nähern.

artechock: Ist es dann viel­leicht so, dass Sie als Kame­ra­mann, während ein Regisseur alles Mögliche orga­ni­sieren und zusam­men­halten muss, ratio­na­li­sieren muss, wie eine Art Lunge des Films wirken: Durch die Kamera atmet der Film.

Lachman: Genau: Sie antworten auf die Umgebung. Und dort, wo ich auch Regie geführt habe, wie bei dem Larry-Clark-Projekt, habe ich die Kame­ra­ar­beit am meisten genossen: Wenn Du Regisseur bist, kommt jeder mit jedem kleinen Problem zu Dir. Du bist der ulti­ma­tive Problem­löser und Entscheider. Wenn Du der Kame­ra­mann bist, muss sich jeder um Deine Probleme kümmern – und nicht nur darum: Du bist der Reso­nanz­körper für alle anderen. Du kannst jeder­manns Freund sein – was ein Regisseur nicht sein darf –, Du bekommst alles, was Du brauchst, um Deine Arbeit zu machen.

artechock: Ist es eigent­lich schwie­riger für einen Kame­ra­mann, wie bei Ulrich Seidl mit Laien zu arbeiten? Wie kommu­ni­zieren Sie mit den Darstel­lern?

Lachman: Ich mag keine tech­ni­schen Abspra­chen. Ich sage Darstel­lern auch nicht, ob ich eine Nahauf­nahme mache oder so etwas. Seit ich einst mit Doku­men­tar­filmen ange­fangen habe, habe ich das Gefühl: Alle Filme sind Doku­men­tar­filme. Man doku­men­tiert eine bestimmte Zeit an einem bestimmten Ort. Wir kommen wieder zurück auf die Idee der Offenheit: Man muss auf das Licht reagieren, auf das Spiel der Darsteller, auf die Emotionen durch die die Charak­tere gehen.
Was mich daran faszi­niert: In einem gewissen Sinn mache ich nichts anderes, als meine eigenen Erfah­rungen fest­zu­halten, die Erfah­rungen in der Situation, mit dem Drehbuch, mit diesen Schau­spie­lern, diesem Ort und dem augen­blick­li­chen Licht. Ich reagiere auf das, was ich jetzt und hier erlebe.

artechock: Welcher Ihrer Filme war die inter­es­san­teste Erfahrung?

Lachman: Import Export war eine der größten Erfah­rungen für mich. Und dann Ken Park, weil ich durch die Kamera in vielen Momenten Regie geführt habe. Ich muss auch I’m Not There mit Todd Haynes nennen, denn dieser Film spiegelt meine eigene Entwick­lung als Filme­ma­cher: Die Bilder der Sechziger Jahre, die wir versucht haben, wieder zu erschaffen. Ich wurde zu dem, der ich bin, in dieser Zeit, und auch durch die Musik und alles andere, wofür Bob Dylan stand.

Keinen Film wollte ich lieber machen, als diesen. Denn ich dachte es müsste unmöglich sein, für Dylans Leben oder seine Musik ange­mes­sene Bilder zu finden, zumal Dylan selbst bereits Bilder dafür gefunden hat. Aber Todd dachte anders, und es ist ihm gelungen, das kultu­relle und poli­ti­sche Spektrum zu spiegeln, in dem Dylan lebt, und so von Dylans Krea­ti­vität zu erzählen, nicht ein konven­tio­nelles Biopic anzu­lie­fern.
Der Film ist eine Feier unser eigenen Erfah­rungen in den Sech­zi­gern.

artechock: Wenn Sie an diese Zeit zurück­denken: Natürlich war es Ihre eigene Jugend, und jeder ist ein wenig nost­al­gisch gegenüber seiner eigenen Jugend. Aber die Sechziger waren auch die Jugend der Welt und der west­li­chen Gesell­schaften. Und mir, der ich diese Zeit nicht miterlebt habe, geht es immer wieder so, dass ich Ihre Gene­ra­tion dafür beneide, in dieser Periode gelebt zu haben. Mit welchen Gefühlen schauen Sie heute auf das Kino, die Kunst und die Politik der Sechziger zurück?

Lachman: Nun, wir sind nicht gerade voran­ge­kommen. [Lacht] Es gibt im Gegenteil viele Rück­schritte. Die Leute sind heute viel konser­va­tiver in ihrem Kunst­ge­schmack, und die Künstler selbst in ihrem Stil. Natürlich gibt es immer Einzelne, denen Durch­brüche gelingen. Aber die Hoff­nungen und Träume unserer Gene­ra­tion wurden korrum­piert, sie werden auch bewusst verächt­lich gemacht von der Rechten. Die Sechziger waren gerade für die Künste eine sehr frucht­bare Periode. Wir dachten wir wüssten, was richtig ist. Das braucht die Kunst und das brauchen auch Gesell­schaften. Heute haben die Leute vor allem viele Zweifel, was richtig und was falsch ist.

artechock: Sie zweifeln sogar daran, dass so etwas wie richtig und falsch überhaupt existiert?

Lachman: Ganz genau. Wir sind sehr zynisch und rela­ti­vis­tisch geworden. Ich weiß auch nicht, ob wir damals wirklich wussten, was richtig ist. Aber immerhin haben wir geglaubt, wir wüssten es. Und es war klar, wer die Guten und wer die Bösen sind. Heute ist es weniger klar. Oder es ist genauso klar, aber viel schwerer, die Bösen zu bekämpfen. Aber es ist jeden­falls kompli­zierter zu sagen, was richtig und falsch ist.

Steven Soder­bergh spielt damit sehr clever in dem Film THE LIMEY. Er nimmt diese ganzen Schau­spieler, die Ikonen des früheren Kinos sind, wie Peter Fonda und Terrence Stamp, die Sprecher ihrer Gene­ra­tion waren, und spielt damit in Form des Film Noir Genres, zeigt, wie sie korrum­piert wurden.

artechock: Haben Sie an irgend­einem Punkt in ihrem Leben jemals an so etwas wie Revo­lu­tion geglaubt, an einen großen grund­sätz­li­chen Wandel der gesell­schaft­li­chen und kultu­rellen Verhält­nisse?

Lachman: Ich habe dem poli­ti­schen Spektrum nie vertraut. Ich war natürlich immer ein Links­li­be­raler. Darum habe ich auch immer gern mit Regis­seuren gear­beitet, die ähnliche Ansichten hatten, die auf der Seite des Indi­vi­duums gegen die Gesell­schaft standen. Künstler müssen die Verhält­nisse in Frage stellen, das ist ihre Aufgabe.

artechock: Gibt es so etwas, wie poli­ti­sche Bilder? Sind Bilder politisch?

Lachman: Absolut. Wie man ein Bild zeigt, über wen man Geschichten erzählt, warum man etwas erzählt? Alles steht in einem poli­ti­schen Zusam­men­hang. Es gibt auch visuelle Klischees und Verein­fa­chungen analog zur einfachen Drei-Akt-Erzähl­struktur.
Wenn man schon nicht die richtigen Antworten geben kann, sollte man zumindest die richtigen Fragen stellen. Das kann man auch mit Bildern.

artechock: Die klas­si­sche Kategorie, mit der man Bilder betrachtet, ist Schönheit – die Frage, ob ein Bild schön ist. Was ist die Politik der Schönheit? Wie politisch ist Schönheit?

Lachman: Das ist Korrup­tion. Die Frage nach der Schönheit korrum­piert. Wichtiger ist die Frage nach der Wahrheit eines Bildes. Schönheit bedeutet einfache Lösung, leichter Ausweg. Inter­es­santer ist es, Bilder tiefer zu unter­su­chen, und ihre Wider­sprüche zu entdecken.

artechock: Ande­rer­seits kann Wahrheit auch schön sein?

Lachman: Absolut. Aber ich versuche, Schönheit in der Welt zu finden, in der ich existiere. Ich finde Ulrich Seidls Filme schön. Ich versuche nur diesen bour­goisen Mittel­klasse-Blick zu vermeiden, der in eine Welt hinein­guckt, an der er nicht teil hat. Aber wer Bilder macht, hat immer das Problem, dass er sich über das erhebt, was er da aufzeichnet.

artechock: Haben Sie auch Filme gemacht, die sie später bedau­erten?

Lachman: Ja, das kommt vor. Nur für Geld. Inter­es­san­ter­weise bin ich zweimal bei solchen Projekten raus­ge­flogen. Einer war Bad Santa. Ich wollte den Unterleib unserer Welt zeigen. Die Wein­steins wollten ein zweites Get Shorty. Und es gab das Vorhaben – weißgott warum – ein Remake von Die Reife­prü­fung zu drehen.
Ich denke nicht, dass man mich anheuert, um das zu machen, was alle machen.

artechock: Wie beein­flusst die Einfüh­rung der digitalen Techniken Ihre Arbeit?

Lachman: Ich glaube die tech­ni­schen Aspekten werden nie die Geschichten beein­flussen die wir erzählen. Das Bezeich­nende an den digitalen Techniken ist, wie wir über sie reden: Wenn wir sie loben, sagen wir: »Es sieht aus wie Film«. Niemand sagt: »Es sieht aus, wie digital.«

Ich bin mit Film aufge­wachsen, nicht mit Computern. Das heißt nicht, dass ich nicht den Wert von Computern erkenne, aber meine Augen sind darauf trainiert, Bilder als Film­bilder zu begreifen. Das analoge Bild fühlt sich anders an. Licht stellt das Bild her, und mit Licht wird es gezeigt.