»Alle Filme sind Dokumentarfilme!« |
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Ed Lachman bei Ken Park |
Ed Lachman ist einer der besten und vielseitigsten amerikanischen Kameramänner. 1948 in Morristown, New Jersey geboren kam er über seine Mutter, die Besitzerin mehrerer Kinos war, schon in seiner Kindheit mit dem Medium Film in Berührung. Später studierte er in Europa Kunstgeschichte und Malerei. Nach Anfängen im Dokumentarfilm arbeitete er in den späten 70ern zunächst für Werner Herzog und andere Regisseure des Neuen Deutschen Films, in den Folgejahren unter anderem für Paul Schrader, Larry Clark und Sofia Coppola, mehrfach mit Steven Soderbergh, Robert Altman und Todd Haynes. Zuletzt arbeitete Lachman wieder in Europa, zusammen mit dem österreichischen Regisseur Ulrich Seidl an dessen Import Export und derzeit an Seidls neuem Projekt. Im November ehrte die Kölner Kunstfilmbiennale und das Museum Ludwig Lachman, der auch als Fotograf arbeitet, mit einer umfangreichen Retrospektive – dort entstand das folgende Interview von Rüdiger Suchsland.
artechock: Wir Europäer haben in der Regel das Modell des Autorenfilms im Kopf: Der künstlerische Schöpfer eines Films ist danach der Regisseur. Die anderen sind Zuarbeiter. Im Englischen spricht man immerhin schon mal vom Director of Photography, das klingt gleich ganz anders? Jetzt gab es in Köln bei der Kunstfilmbiennale gerade eine Retrospektive zu ihrem Werk? Man sieht Sie also dort als eigenständigen Künstler mit einem Werkzusammenhang. Was passiert, wenn zwei „Autoren“ zusammenkommen, wenn Sie zum Beispiel für Wenders arbeiten, oder Soderbergh? Wie groß ist überhaupt der Anteil eines Kameramanns an dem fertigen Film?
Ed Lachman: Ja, nun: Für mich ist die Sprache des Kinos eine Sprache der Bilder. Einige Regisseure denken visuell, andere nicht. Insofern verändert sich die Beziehung durch den Typ Regisseur, mit dem man zusammenarbeitet. Man passt sich aneinander an.
Regisseure wie Wenders oder der Österreicher Ulrich Seidl haben ihre eigene, sehr spezifische Filmsprache, und als Kameramann setzt man diese Sprache um.
Dann gibt es aber andere Regisseure, die ihre Sprache erst finden müssen. Ich mag es, mit beiden Regisseurs-Typen zu arbeiten. Ich arbeite immer wieder gern mit Erstlingsregisseuren zusammen: Sie haben so viele Ideen, oft gute, aber sie sind noch auf der Suche. Aber dann auch wieder mit Regisseuren, die ihre Sprache erst finden müssen. Problematisch sind die Regisseure dazwischen. [Lacht] Denn die wissen nicht genau, was sie eigentlich mit der Bildgestaltung wollen, da wird alles sehr inkonsistent
Jede Geschichte ist in sich einzigartig und muss ihre eigene visuelle Sprache finden. Meine Rolle ist also immer die, mit dem Regisseur den Schlüssel zu finden, und diese Sprache zu erschließen. Das kann im Schauplatz liegen, im Drehbuch, in den Einstellungen, in allen möglichen Formen, an ein Thema heranzugehen. Die Zusammenarbeit beginnt also sehr früh.
Mit Hilfe der Literatur dringt man sehr leicht in die Innenwelt einer Figur ein, man kann sehr einfach ausdrücken, was jemand denkt oder fühlt, egal ob es in der ersten oder dritten Person geschrieben ist. Aber es ist oft schwer, einen Ort oder eine exakte Zeit zu beschreiben. Im Film ist es genau umgekehrt: Mit einer einzigen Einstellung ist oft ein Schauplatz etabliert. Die Umgebung des Charakters. Aber es ist viel schwerer, ins Innere einer Figur einzudringen.
Ich versuche in meiner Bildgestaltung genau das: Das Innenleben durch das Äußere zu beschreiben. Das ist es, woran ich immer mit einem Regisseur arbeite. Und mit dem Produktiondesigner. Denn der ist für die Palette und den Look eines Films genauso wichtig, wie der Kameramann. Also sehr früh geht es auch um Farben, Licht, Kostüme, Möbel und solche Dinge? Denn es ist, wie Sie sagen: Jeder ist anders. Manche verlassen sich bei der Visualisierung stark auf mich, bei anderen ist es eine Teamarbeit.
artechock: Nehmen wir einen Film wie The Virgin Suicides von Sofia Coppola: Der wurde vor zehn Jahren gedreht und war seinerzeit deren erster Film. Wenn wir ihn heute ansehen, dann ist es auf der einen Seite ganz eindeutig ein Ed-Lachman-Film, andererseits sieht man auch schon fast alles von Sofia Coppola. Wenn ich Ihnen jetzt sage: Ich mag die Bilder sehr. Lobe ich dann Sie, oder sage ich etwas über Coppola?
Lachman: Nun, sie hat die Wahl getroffen, mit mir zu arbeiten. Wir haben sehr eng zusammengearbeitet, und sie hat mir ganz offensichtlich erlaubt, ihr dabei zu helfen, eine Bildsprache zu entwickeln. Aber sie hatte auch selbst ganz klare visuelle Bezüge: Die Fotografien von Jürgen Teller, moderne japanische Photographien, die sehr stark das Alltagsleben in den Fokus nehmen, den Impressionismus, und sie hat in Gesprächen auch das Kino der 70er Jahre erwähnt. Das alles zusammen waren wiederum Hinweise für mich, was sie wollte
Ein Schauspieler bekommt ein Drehbuch, und interpretiert dann die Rolle nach dem Buch und den Hinweisen des Regisseurs. Ich fühle mich als Kameramann in einer ganz ähnlichen Rolle: Ich bin als Kameramann ein weiterer Schauspieler: Der Schauspieler führt etwas auf und das ist etwas Lebendiges. Und Bilder haben für mich einen bestimmten Rhythmus. In der Fotografie wie im Film sind Bilder sehr nahe an Musik in dem Sinn, dass sie eine nonverbale Form sind. Wie
kreieren wir eine Geschichte in nonverbaler Sprache? Das ist es, was ich an der Arbeit mit der Kamera so aufregend finde: Denn wir können ohne Worte sehr präzis erzählen, wir können auf diese Weise Ideen entwickeln.
Bilder können auch als Kontrapunkt zur Narration wirken.
Gerade solche Überlegungen waren bei der Arbeit mit Sofia Coppola essentiell: Und sie wusste genau, was sie nicht wollte. Darum hat sie mir erlaubt, ihr Vorschläge zu machen. Und sie konnte darauf antworten.
artechock: Die Idee, Kameraarbeit mit Musik zu vergleichen ist mir sehr sympathisch. Fühlen Sie sich als eine Art Musiker oder Tänzer?
Lachman: Ja, darum verglich ich es mit Schauspielerei. Man versenkt sich in ein Gefühl. Darum mag ich es, dass mir in Low-Budget-Filmen erlaubt ist, die Kamera selbst zu führen – in den USA war das ja lange Zeit gewerkschaftlich verboten: Auf diese Weise kann ich viel besser direkt mit einem Schauspieler kooperieren, und einen gemeinsamen Rhythmus finden.
artechock: Was interessiert Sie als Amerikaner daran, auch immer wieder mit europäischen Regisseuren zusammenzuarbeiten, wie etwa mit Ulrich Seidl, mit dem Sie jetzt gerade nach Import Export den zweiten Film gemacht haben?
Lachman: Nun, ich komme ja von der Malerei her, und habe Kunstgeschichte studiert. Daher hat mich auch zunächst das europäische Kino mehr interessiert, als das amerikanische. Der persönlichere Zugang zu Geschichten, die eigene Handschrift: Wenders' Ansatz ist ganz anders, als der von Werner Herzog oder der von Fassbinder oder der von Bertolucci. Diesen Regisseuren war es wichtig, etwas ganz Eigenes zu schaffen. Und Europa hat
einfach eine längere Tradition der Bilderkunst – wenn Sie an Malerei denken oder auch an Architektur. Amerika hat nur Wortkunst: Literatur und Theater. Das geht bis in die 50er und 60er Jahre.
Mich haben seinerzeit die Filme des Neorealismus stark beeindruckt: Rosselini und de Sica. Später dann Antonioni, dann Fellini, der auf seine Art den Neorealismus zurückweist, und ihm einen etwas persönlicheren, subjektiveren Blickwinkel entgegen setzt.
In den 70er Jahren war es dann Deutschland: Ich sah Alice in den Städten von Wenders und Herzogs ersten Film Lebenszeichen. Die haben mich sehr bewegt. Ich traf Werner Herzog – ich weiß nicht mehr genau wo, in Berlin oder in New York –, wir wurden Freunde, und es war Werner, der mir meine ersten ernsthaften Jobs gab, ohne das er auch nur irgendetwas von mir gesehen hatte. Ich hatte bis dahin nur ein paar unwichtige Filme gemacht. Das war 1977. Wir arbeiteten zunächst an der Dokumentation La Soufrière – Warten auf eine unausweichliche Katastrophe und dann an dem Spielfilm Stroszek mit Thomas Mauch.
So war das europäische Kino eigentlich meine Geburtsstunde als Kameramann. Unmittelbar danach wurde ich dann an Wim Wenders weitergereicht, der gerade in New York war, um mit Robby Mueller Der amerikanische Freund zu drehen. Da habe ich ausgeholfen, ich war eine Art Assistent.
artechock: Haben Sie in Amerika mehr Freiheit?
Lachman: Meistens, ja. Zumindest habe ich das Gefühl, nichts Tolles mehr von Hollywood zu erwarten. Ich habe es erlebt. Ich habe mit ein paar guten Regisseuren wie mit Steven Soderbergh gearbeitet. Jetzt bin ich älter und ich habe den Wunsch zu meinen künstlerischen Wurzeln zurückzukehren. Ich will mit Leuten arbeiten, bei denen ich etwas mehr Einfluss auf den ganzen Film haben kann. Was mir an Hollywood Furcht einjagt: Jeder ist ersetzbar. Vom Regisseur abwärts. Ich meine das gar nicht wertend, es ist eine nüchterne Feststellung. Künstlerische Handschriften sind dort nicht sehr gefragt.
Und in Europa gibt es für einen Kameramann mehr Respekt: Durch die Produktion wie durch den Regisseur.
Sie sind daran interessiert, was man selber in ein Projekt einbringt. In einigen Hollywood-Produktionen hatte ich mich stark wie ein bloßes Rad in einer Maschine gefühlt. Ich bin ersetzbar wie jeder. Ich möchte lieber mit jemandem arbeiten, der findet, dass ich dem Film etwas geben kann, was ein anderer nicht könnte.
Und mich interessieren die Geschichten einfach mehr, die zum Beispiel ein Ulrich Seidl erzählt. Ich finde er ist einzigartig, radikal, er entwickelt eine völlig neue Form des Geschichtenerzählens. Und mich interessieren einfach Leute, die das Geschichtenerzählen voran bringen wollen.
Das wunderbare an Ulrich ist, dass er moralisch ist, ohne moralistisch zu sein. Import
Export ist ein Film voller Mitgefühl. Der Zusammenbruch des Ostens – ökonomisch, politisch, sozial – von dem Import Export handelt, ist ein Kontrapunkt zu dem, was im Westen passiert.
Ich fahre jetzt nach Wien, um mit der Arbeit an meinem nächsten Film zu beginnen.
artechock: Wie kam es zu dieser Zusammenarbeit?
Lachman: Ich hatte zuvor den Film Ken Park gemacht, zusammenmit Larry Clark, wir hatten beide die Co-Regie. Werner Herzog hatte den Film gesehen, und mir ein vergiftetes Kompliment gemacht: »Guter Film, aber Kinderkram im Vergleich zu Ulrich Seidl. Du musst Dir Ulrich Seidls Filme ansehen.« Im gleichen Jahr ging ich zur Viennale und fragte dort den Leiter Hans Hurch: »Wer ist dieser Ulrich Seidl? Kann ich dessen Filme ansehen?« Die haben mir dann seine frühen Filme gezeigt, und das hat mir gut gefallen. Am meisten Mit Verlust ist zu rechnen. Und man hat uns vorgestellt. Ulrich kannte Ken Park, also gab es eine gewisse Vertrautheit, aber es war alles doch sehr höflich und formal. Später gab es dann eine Seidl-Retrospektive in Amsterdam. Dort trafen wir uns wieder, gingen Abendessen, und dabei hat er mich dann gefragt, ob ich mit ihm an seinem nächsten Film arbeiten wollte. Ich habe sofort zugesagt.
artechock: Wie war die Erfahrung für Sie?
Lachman: Wundervoll. Ein symbiotisches gegenseitiges Verständnis. Mich hat vor allem interessiert, wie er sich seinen Schauspielern und Laiendarstellern annähern würde, um diese besonderen Auftritte zu erreichen. Und wie er seine Bildsprache entwickeln würde.
artechock: Die Filme von Ulrich Seidl liegen bereits relativ nahe an jenen Filmen, die man in Europa Experimentalfilm oder Avantgardefilm nennt, und vorzugsweise im Museum zeigt. Manche Filmemacher stellen lieber im Museum aus, Harun Farocki sagt, er habe dort viel mehr Zuschauer, als im Kino. Macht die Unterscheidung zwischen solchen Filmen fürs Kino und solchen fürs Museum für Sie als Kameramann überhaupt Sinn?
Lachman: Ich möchte lieber denken: Gute Filme sind „Kunstfilme“. Für mich ist das die einzige gültige Definition. Ich möchte da nicht unterscheiden. Auch manche Hollywoodfilme können Kunst sein, und verdienen das Museum, aber der richtige Ort für Filme ist das Kino. Die Aufmerksamkeit des Publikums dort ist größer, die Erfahrung intensiver.
Ich denke aber, jeder versucht seinen eigen Weg zu finden. Witzigerweise wollen heute ja alle möglichen bildenden Künstler Kino machen, und alle Kinoregisseure Museumskunst. Warum soll man das auch nicht vermischen? Es geht letztendlich nur um den kreativen Prozess.
artechock: Lernen Sie heute noch etwas Neues bei einem Dreh?
Lachman: Absolut! Jeden Tag lerne ich etwas. Das ist das wunderbare am Bilderschaffen und das, was uns jung hält. Ich denke, wer mit Kunst zu tun hat, bleibt auf seine Art ewig jung: Man muss offen bleiben und auf seine Umgebung eingehen. Man muss erfahren, was um einen herum passiert. Das ist es eigentlich was mit dieser Analogie gemeint ist: Künstler seien wie Kinder. Wir sind offen für Erfahrungen und müssen uns der Welt in offenherziger Weise nähern.
artechock: Ist es dann vielleicht so, dass Sie als Kameramann, während ein Regisseur alles Mögliche organisieren und zusammenhalten muss, rationalisieren muss, wie eine Art Lunge des Films wirken: Durch die Kamera atmet der Film.
Lachman: Genau: Sie antworten auf die Umgebung. Und dort, wo ich auch Regie geführt habe, wie bei dem Larry-Clark-Projekt, habe ich die Kameraarbeit am meisten genossen: Wenn Du Regisseur bist, kommt jeder mit jedem kleinen Problem zu Dir. Du bist der ultimative Problemlöser und Entscheider. Wenn Du der Kameramann bist, muss sich jeder um Deine Probleme kümmern – und nicht nur darum: Du bist der Resonanzkörper für alle anderen. Du kannst jedermanns Freund sein – was ein Regisseur nicht sein darf –, Du bekommst alles, was Du brauchst, um Deine Arbeit zu machen.
artechock: Ist es eigentlich schwieriger für einen Kameramann, wie bei Ulrich Seidl mit Laien zu arbeiten? Wie kommunizieren Sie mit den Darstellern?
Lachman: Ich mag keine technischen Absprachen. Ich sage Darstellern auch nicht, ob ich eine Nahaufnahme mache oder so etwas. Seit ich einst mit Dokumentarfilmen angefangen habe, habe ich das Gefühl: Alle Filme sind Dokumentarfilme. Man dokumentiert eine bestimmte Zeit an einem bestimmten Ort. Wir kommen wieder zurück auf die Idee der Offenheit: Man muss auf das Licht reagieren, auf das Spiel der Darsteller, auf die Emotionen durch
die die Charaktere gehen.
Was mich daran fasziniert: In einem gewissen Sinn mache ich nichts anderes, als meine eigenen Erfahrungen festzuhalten, die Erfahrungen in der Situation, mit dem Drehbuch, mit diesen Schauspielern, diesem Ort und dem augenblicklichen Licht. Ich reagiere auf das, was ich jetzt und hier erlebe.
artechock: Welcher Ihrer Filme war die interessanteste Erfahrung?
Lachman: Import Export war eine der größten Erfahrungen für mich. Und dann Ken Park, weil ich durch die Kamera in vielen Momenten Regie geführt habe. Ich muss auch I’m Not There mit Todd Haynes nennen, denn dieser Film spiegelt meine eigene Entwicklung als Filmemacher: Die Bilder der Sechziger Jahre, die wir versucht haben, wieder zu erschaffen. Ich wurde zu dem, der ich bin, in dieser Zeit, und auch durch die Musik und alles andere, wofür Bob Dylan stand.
Keinen Film wollte ich lieber machen, als diesen. Denn ich dachte es müsste unmöglich sein, für Dylans Leben oder seine Musik angemessene Bilder zu finden, zumal Dylan selbst bereits Bilder dafür gefunden hat. Aber Todd dachte anders, und es ist ihm gelungen, das kulturelle und politische Spektrum zu spiegeln, in dem Dylan lebt, und so von Dylans Kreativität zu erzählen, nicht ein konventionelles Biopic anzuliefern.
Der Film ist eine Feier unser eigenen
Erfahrungen in den Sechzigern.
artechock: Wenn Sie an diese Zeit zurückdenken: Natürlich war es Ihre eigene Jugend, und jeder ist ein wenig nostalgisch gegenüber seiner eigenen Jugend. Aber die Sechziger waren auch die Jugend der Welt und der westlichen Gesellschaften. Und mir, der ich diese Zeit nicht miterlebt habe, geht es immer wieder so, dass ich Ihre Generation dafür beneide, in dieser Periode gelebt zu haben. Mit welchen Gefühlen schauen Sie heute auf das Kino, die Kunst und die Politik der Sechziger zurück?
Lachman: Nun, wir sind nicht gerade vorangekommen. [Lacht] Es gibt im Gegenteil viele Rückschritte. Die Leute sind heute viel konservativer in ihrem Kunstgeschmack, und die Künstler selbst in ihrem Stil. Natürlich gibt es immer Einzelne, denen Durchbrüche gelingen. Aber die Hoffnungen und Träume unserer Generation wurden korrumpiert, sie werden auch bewusst verächtlich gemacht von der Rechten. Die Sechziger waren gerade für die Künste eine sehr fruchtbare Periode. Wir dachten wir wüssten, was richtig ist. Das braucht die Kunst und das brauchen auch Gesellschaften. Heute haben die Leute vor allem viele Zweifel, was richtig und was falsch ist.
artechock: Sie zweifeln sogar daran, dass so etwas wie richtig und falsch überhaupt existiert?
Lachman: Ganz genau. Wir sind sehr zynisch und relativistisch geworden. Ich weiß auch nicht, ob wir damals wirklich wussten, was richtig ist. Aber immerhin haben wir geglaubt, wir wüssten es. Und es war klar, wer die Guten und wer die Bösen sind. Heute ist es weniger klar. Oder es ist genauso klar, aber viel schwerer, die Bösen zu bekämpfen. Aber es ist jedenfalls komplizierter zu sagen, was richtig und falsch ist.
Steven Soderbergh spielt damit sehr clever in dem Film THE LIMEY. Er nimmt diese ganzen Schauspieler, die Ikonen des früheren Kinos sind, wie Peter Fonda und Terrence Stamp, die Sprecher ihrer Generation waren, und spielt damit in Form des Film Noir Genres, zeigt, wie sie korrumpiert wurden.
artechock: Haben Sie an irgendeinem Punkt in ihrem Leben jemals an so etwas wie Revolution geglaubt, an einen großen grundsätzlichen Wandel der gesellschaftlichen und kulturellen Verhältnisse?
Lachman: Ich habe dem politischen Spektrum nie vertraut. Ich war natürlich immer ein Linksliberaler. Darum habe ich auch immer gern mit Regisseuren gearbeitet, die ähnliche Ansichten hatten, die auf der Seite des Individuums gegen die Gesellschaft standen. Künstler müssen die Verhältnisse in Frage stellen, das ist ihre Aufgabe.
artechock: Gibt es so etwas, wie politische Bilder? Sind Bilder politisch?
Lachman: Absolut. Wie man ein Bild zeigt, über wen man Geschichten erzählt, warum man etwas erzählt? Alles steht in einem politischen Zusammenhang. Es gibt auch visuelle Klischees und Vereinfachungen analog zur einfachen Drei-Akt-Erzählstruktur.
Wenn man schon nicht die richtigen Antworten geben kann, sollte man zumindest die richtigen Fragen stellen. Das kann man auch mit Bildern.
artechock: Die klassische Kategorie, mit der man Bilder betrachtet, ist Schönheit – die Frage, ob ein Bild schön ist. Was ist die Politik der Schönheit? Wie politisch ist Schönheit?
Lachman: Das ist Korruption. Die Frage nach der Schönheit korrumpiert. Wichtiger ist die Frage nach der Wahrheit eines Bildes. Schönheit bedeutet einfache Lösung, leichter Ausweg. Interessanter ist es, Bilder tiefer zu untersuchen, und ihre Widersprüche zu entdecken.
artechock: Andererseits kann Wahrheit auch schön sein?
Lachman: Absolut. Aber ich versuche, Schönheit in der Welt zu finden, in der ich existiere. Ich finde Ulrich Seidls Filme schön. Ich versuche nur diesen bourgoisen Mittelklasse-Blick zu vermeiden, der in eine Welt hineinguckt, an der er nicht teil hat. Aber wer Bilder macht, hat immer das Problem, dass er sich über das erhebt, was er da aufzeichnet.
artechock: Haben Sie auch Filme gemacht, die sie später bedauerten?
Lachman: Ja, das kommt vor. Nur für Geld. Interessanterweise bin ich zweimal bei solchen Projekten rausgeflogen. Einer war Bad Santa. Ich wollte den Unterleib unserer Welt zeigen. Die Weinsteins wollten ein zweites Get Shorty. Und es gab das Vorhaben
– weißgott warum – ein Remake von Die Reifeprüfung zu drehen.
Ich denke nicht, dass man mich anheuert, um das zu machen, was alle machen.
artechock: Wie beeinflusst die Einführung der digitalen Techniken Ihre Arbeit?
Lachman: Ich glaube die technischen Aspekten werden nie die Geschichten beeinflussen die wir erzählen. Das Bezeichnende an den digitalen Techniken ist, wie wir über sie reden: Wenn wir sie loben, sagen wir: »Es sieht aus wie Film«. Niemand sagt: »Es sieht aus, wie digital.«
Ich bin mit Film aufgewachsen, nicht mit Computern. Das heißt nicht, dass ich nicht den Wert von Computern erkenne, aber meine Augen sind darauf trainiert, Bilder als Filmbilder zu begreifen. Das analoge Bild fühlt sich anders an. Licht stellt das Bild her, und mit Licht wird es gezeigt.