»Es ist Zeit, in die Offensive zu gehen« |
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So sah mal Werbung fürs Kino aus | ||
(Grafik: Kinokampagne) |
Die bestehenden Verhältnisse umzukrempeln könnte das Credo von Mikosch Horn sein. Seit 2014 tragen er und seine Partner Patrick Horn und Stefan Butzmühlen mit Grandfilm zur cineastischen Grundversorgung bei. Der Filmverleih bringt international hoch angesehene Titel wie Lucrecia Martels Zama, den Berlinale-Gewinner Synonymes von Nadav Lapid oder Bertrand Bonellos Zombi Child in die Kinos. Eigentlich arbeitet Mikosch Horn im Filmhaus Nürnberg, das als kommunales Kino größere Freiheiten in der Programmgestaltung hat und mit anspruchsvollen Reihen und Filmtalks sogar Cineasten in München oder Berlin sehnsüchtig werden lässt. Mikosch Horn, der vor zwei Jahren auch den Hauptverband Cinephilie ins Leben gerufen hat, hält nicht still. Jetzt hat er im Hauptverband zusammen mit dem Bundesverband Kommunale Filmarbeit die Streaming-Plattform »Cinemalovers« lanciert, die den Kinoraum mit dem »virtual space« versöhnen könnte. Erste Kinos sind bereits im Netz: Es streamen die Kinemathek Karlsruhe, das Cine K Oldenburg, das Filmmuseum Potsdam, das Kino im Künstlerhaus Hannover und das Wolf Kino Berlin, außerdem das Filmhaus Nürnberg, wo alles begann. Seit Dienstag ist auch der Berliner Indiekino Club ein Cinemalover. Dafür gab es sogar Förderung durch das Medienboard Berlin-Brandenburg.
Das Gespräch führte Dunja Bialas.
artechock: Wir alle streamen gerade exzessiv Filme, weil die Kinos geschlossen sind. Corona macht hier eine Entwicklung sichtbar, die sich für Cineasten ziemlich unheimlich anfühlt: Die Filme kommen uns nicht abhanden, aber der Kinoraum. Du selbst arbeitest im Filmhaus Nürnberg, bist mit „Grandfilm“ außerdem Verleiher und durch die Kinoschließung also doppelt betroffen. Wie erlebst du die momentane Situation?
Mikosch Horn: Mir fehlt das Kino. Als wir letzten Sommer das Filmhaus wieder aufmachen konnten, war das ein Höhepunkt des Jahres. Und es war ein Moment tiefster Trauer, als wir am ersten November unsere letzte Vorstellung im Kino hatten. Wir haben Tagebuch eines Sünders mit Marcello Mastroianni gezeigt. Der Film sollte eigentlich der Auftakt zu einer Werkschau mit Filmen von Valerio Zurlini sein. Jetzt liegen die Cinecittà-Filmkopien im Filmhaus, und wir hoffen, dass wir sie irgendwann zeigen können. Insofern: Ja, das Kino als Ort vermisse ich total. Das Streamen ist kein Ersatz, auch wenn ich mir jetzt einen Beamer angeschafft habe, damit ich Filme mit großem Bild sehen kann.
artechock: Seit einiger Zeit betreibt das Filmhaus Nürnberg einen digitalen Kinosaal: das „Kino 3“. Wie ist es dazu gekommen? Wie verhält sich das „Kino 3“ zu eurem normalen Kinoprogramm?
Horn: Die Idee zum Kino 3 als digitalem Schaufenster für das Filmhaus hatten wir schon 2019. Damals ging es vor allem darum, wie man Menschen wieder ins Kino bekommen kann. Das Filmhaus Nürnberg leidet wie viele andere Kinos daran, dass das Publikum immer älter wird und der Kontakt zu den Jüngeren kaum da ist. Schon länger gibt es in den Kinoverbänden die Einsicht, man müsste online mehr Werbung machen. Aber einfach eine neue »Komm, wir gehen ins Kino«-Kampagne auf den Social-Media-Kanälen kann es nicht sein. Wir haben erkannt, dass die Kinos digital eigentlich keine Rolle spielen. Man hat eine Website, verkauft Tickets online. Aber wir kommunizieren mit unserem Publikum nicht und bieten im Internet keine Anlaufstelle. Mit diesen Überlegungen waren wir auch schon vor Corona immer wieder im Gespräch mit technischen Anbietern, ob man nicht eine Möglichkeit für ein digitales Angebot finden könnte. Damals ging es aber auch noch vor allem darum, auf bereits Bestehendes im Netz zu verweisen, das z.B. zu unseren Werkschauen und unserem Programm gepasst hätte, oder Hinweise auf Bücher oder Essays zu geben, die unser eigenes Programm ergänzen. Die Grundidee war, ein Angebot zu schaffen, Menschen, die sich überwiegend im Internet aufhalten, wieder ins Kino zu locken. Ich habe relativ früh gesehen, dass es nichts bringt, vor dem Internet davonzulaufen. Zwar kann man sich sagen: »Ich habe den schönsten Kinosaal«, und sich dahinter verschanzen. Aber das nützt nichts, wenn das am Publikum vorbeiläuft.
Dann kam der erste Lockdown. Aufgrund unserer vielen Vorgespräche hatten wir die technischen Möglichkeiten an der Hand, das „Kino 3“ schnell ins Leben zu rufen. Unserem Stammpublikum mit der Filmhaus-Freundschafts-Karte haben wir das Angebot gemacht, ihnen Filme nach Hause zu bringen, und damit wiederum auch Menschen angesprochen, die eigentlich gar nicht streamen. Mit dem Kino 3, das aus dem Filmhaus kam, hatten sie einen Bezug zum Angebot. Als wir im Sommer dann mit 15 Plätzen nur sehr eingeschränkt unser Kino wieder öffnen konnten, haben wir das Programm im Kinosaal mit anderen Filmen online ergänzt. Zum Beispiel haben wir zu Dao Yinans The Wild Goose Lake im Kinosaal seinen früheren Film Feuerwerk am helllichten Tage (2014) online gezeigt.
artechock: Das Online-Programm richtet sich mit der Querverbindung zum Kinosaal also dezidiert an das Filmhaus-Publikum?
Horn: Ja, das gibt es nur im Abo, in Verbindung mit der Filmhaus-Freundschafts-Karte. Das hat dazu geführt, dass die Karte wieder in großer Stückzahl gekauft wurde. Es hat auch in die andere Richtung funktioniert, die Leute haben die Karte für das Online-Angebot gekauft und sind dann im Sommer auch ins Kino gekommen. Jetzt mit dem zweiten Lockdown ist das „Kino 3“ noch wichtiger geworden.
Wir wollen online auf bestimmte Filme aufmerksam machen, als Schaufenster für unser Kinosaal-Programm. Ein Online-Angebot machen, das ich als Kinobetreiber selbst gut finde und empfehlen kann, aber nicht als Ersatz, sondern nur als Ergänzung. Eine ganze Werkschau würde ich online nicht zeigen.
Wir haben mit drei Filmen pro Woche begonnen und dann ganz schnell reduziert. Jetzt sind wir bei einem Film pro Woche. Mehr schafft das Publikum nicht, und ich will ja auch keine Online-Videothek sein. Die Reduzierung des Angebots kam sehr gut an, die Leute haben sich die Filme angesehen, auch weil sie das Gefühl hatten, das ganze Programm verfolgen zu können. Entscheidend ist, dass wir die Filme heraussuchen, und die Leute nicht vor einem riesigen Angebot stehen. Das bringt für sie auch den Zufall und die Überraschung ins Spiel, etwas, was beim Kino und Filmeschauen wichtig ist. Bei Netflix oder Amazon passiert mir das nicht: Entweder weiß ich, was ich sehen will, oder man sieht immerzu die gleichen von Algorithmen bestimmten Filme.
artechock: Ihr macht auch Filmeinführungen, damit stellt ihr ja auch so etwas wie die Illusion her, im Kinosaal zu sein und direkten Kontakt zum Publikum zu haben.
Horn: Das haben wir von Anfang an gemacht, das ist uns wichtig. Wir machen viele Einführungen, haben auch immer Gäste, das versuchen wir jetzt im Online-Kinosaal zu imitieren. Was uns auch wichtig ist: Im „Filmclub“ stellen wir Filme vor und unterhalten uns danach mit dem Publikum, während des Lockdowns eben auch online. Das waren mit die schönsten Momente, weil man wieder Filmgespräche führen konnte und gespürt hat, dass das Publikum froh ist, einen persönlichen Kontakt zu halten.
artechock: Nicht alle Kinos können so kurzfristig ein eigenes Streaming-Portal aus dem Boden stampfen. Was für ein Aufwand steckt dahinter?
Horn: Die Einrichtung der Plattform ging technisch recht einfach. Wir haben mit der „Filmwerte GmbH“ einen tollen Partner. Sie betreiben auch „Filmfriends“, das Portal der Stadtbibliotheken. Aber es ist in der Durchführung sehr aufwendig, neben unserer normalen Kinoarbeit könnten wir das vermutlich gar nicht in dem Umfang leisten. Auch wenn man nur einen Film pro Woche hat, muss man diesen hochladen, im Netz präsentieren, eine Einführung machen, Links zu Paratexten heraussuchen. Aufwendig ist auch die Verwaltung der Nutzer*innen. Außerdem die Rechtefragen abklären, das ist noch mal komplizierter als beim normalen Kinobetrieb. Verleiher haben die VoD-Rechte oft gar nicht. Für sie sind auch oft unsere relativ kleinen Abnahme-Pakete mit einem Film für 300 Abonnent*innen nicht interessant, die wollen größere Volumen. Das alles ist nicht trivial.
artechock: Wäre es dann nicht einfacher, gleich die Filme aus eurem eigenen Verleihprogramm zu zeigen?
Horn: Für viele Filme haben wir selbst die VoD-Rechte nicht. Grandfilm-Filme laufen im Filmhaus natürlich wie sonst auch, das geht nach inhaltlichen Kriterien, nicht nach den Verleihern. Neue Visionen, Filmkinotext, Real Fiction oder eksystent sind zum Beispiel sehr gute Vertragspartner, das bestimmt die Filmauswahl natürlich auch mit.
artechock: Nach dem Nürnberger Kino 3 hast du jetzt eine bundesweites Streaming-Projekt ins Leben gerufen: Cinemalovers. Was verbirgt sich dahinter?
Horn: Cinemalovers gab es als Projekt sogar schon vor dem Kino 3, das ging Anfang 2019 los. Gleichzeitig hat das Arsenal Berlin mit „arsenal 3“ einen digitalen Kinosaal gestartet, also ebenfalls lange vor Corona. Unsere Idee der „Cinemalovers“ haben wir mit dem Bundesverband Kommunale Filmarbeit, dem Dachverband der kommunalen Kinos entwickelt. Damals war Lars Henrik Gass mit im Vorstand. Zu dritt, Lars Henrik Gass, der Filmkurator Jens Geiger und ich, wollten wir das dann zu Beginn des ersten Lockdowns schnell auf die Beine stellen und haben noch Ende März 2020 einen Förderantrag bei der Filmförderungsanstalt (FFA) gestellt. Das Kino 3 im Filmhaus haben wir in diesem Zusammenhang als eine Art Pilotprojekt gestartet.
Die Förderung durch die FFA wurde dann wegen Corona ausgesetzt, am Ende wurde der Antrag abgelehnt. Die FFA wollte kein digitales Format für die Kinos fördern. Ihre Ansicht ist: Kinos sollen Kino machen, das Streamen überlassen wir Netflix und Co., bloß keine Verbindung zwischen Kino und Streamen herstellen!
Im Corona-Jahr 2020 haben sich dann aber immer mehr Kinos gefunden, die selber streamen und bei Cinemalovers mitmachen wollten. Im Herbst 2020 haben wir beschlossen, das Projekt ohne Förderung zu starten, auch weil wir glauben, ein bezahlbares Modell hinzubekommen. Filmwerte GmbH hat eine technische Basis hergestellt, die erschwinglich ist, und die Kinos können nun individuell bei der jeweiligen Länderförderung einen Antrag stellen. HessenFilm hat z.B. eine Förderung von zehn Cinemalover-Kinos zugesagt, da kann man sich gerade bewerben.
artechock: Wie funktioniert Cinemalovers?
Horn: Jedes Kino hat seinen eigenen digitalen Kinoraum, also genau wie das Filmhaus Nürnberg oder das Arsenal Berlin. Mit seinem eigenen Publikum, alle Nutzerdaten verbleiben beim jeweiligen Kino. Das gestaltet für seinen digitalen Saal ein komplett eigenes Programm. Cinemalovers bietet darüber hinaus auch in Abstimmung mit den Kinos ein kuratiertes Programm an.
Der solidarische Gedanke ist: Cinemalovers besorgt mindestens 52 Filme im Jahr, für jede Woche einen, die den Kinos zur Verfügung stehen. Die Filme werden jeweils einen Monat auf den unterschiedlichen digitalen Leinwänden präsentiert. Das Programm kann sich terminlich an den Erstaufführungen der Kinos oder an anderen Ereignissen orientieren (aktuell z.B. Filme zur Berlinale) , aber auch individuell festgelegt werden. Die Kinos sollen in der Gestaltung so unabhängig wie möglich sein, gleichzeitig sollen durch die Gemeinschaftsarbeit aber auch erleichternde Synergien erzeugt werden.
artechock: Könnte man als Cinemalover grundsätzlich das Programm der anderen Kinos besuchen?
Horn: Das ist nicht vorgesehen. Die digitalen Kinosäle sollen an die lokalen Kinos gebunden sein. Wenn ich das Programm der anderen Kinos sehen will, muss ich dort Mitglied werden. Sonst wäre es ja doch wieder nur eine weitere Streaming-Plattform mit vielen Filmen.
artechock: Könnte ich mir auch eine Eintrittskarte nur für einen einzigen Film kaufen?
Horn: Auch das ist nicht das Konzept. Rein technisch wäre das aber möglich, und ein paar Kinos überlegen schon in diese Richtung. Wenn sich abzeichnet, dass aktuelle Filme und Erstaufführungen schneller im Stream landen oder wegen Corona direkt online ausgewertet werden, wäre das unter Umständen eine Option. Man könnte dann einen Aufpreis verlangen. So ähnlich war das z.B. jetzt mit dem Film von Milo Rau Das neue Evangelium, bei dem ich als Kino aber auf dessen Internetauftritt verweisen musste und einen Obolus bekam. Das kann ein Kino eigentlich nicht wollen. Die Leute sollen den Film bei mir sehen! Bei Cinemalovers bleiben die Besucher*innen beim Kino und wechseln nicht auf eine andere Plattform. Am Ende werden nicht die Kinos am Erlös der Verleiher oder der VoD-Plattformen beteiligt, sondern die Verleiher am Erlös der Kinos, wie es auch sonst ist.
artechock: Wäre das eine Kompromisslösung für den ewigen Streit um die Auswertungsfenster?
Horn: Im aktuellen Entwurf zur Novellierung des Filmförderungsgesetzes gibt es einen Passus, der besagt, dass unter besonderen Umständen die Sperrfrist außer Kraft gesetzt werden kann. »Flexibilisierung der Sperrfristenregelungen in Fällen höherer Gewalt« heißt es im Gesetzesentwurf. Die Diskussion ist bereits massiv im Gange.
artechock: Besteht nicht die Gefahr, dass die Filme, die kein großes Publikum an die Kinokasse locken, schnell in den Stream abgeschoben werden?
Horn: Wenn ich einen Film schätze, will ich ihn als Kinomacher möglichst lange im Kino halten. Als Verleiher aber weiß ich auch, dass dies in der Praxis oft nicht umsetzbar ist. Andererseits ist es ja jetzt schon so, dass es für bestimmte Filme gar keine Kinoorte mehr gibt. Wenn der Film dann wenigstens in einem digitalen Kinoraum zu sehen wäre, würde dies für den lokalen Besucher die Situation sogar verbessern. Aber es bleibt ambivalent. Ich möchte als Kinobetreiber und als Verleiher immer das Kino verteidigen, sehe aber eine Realität, die daran vorbeigeht. Ganz tolle Filme kommen in weiten Teilen Deutschland schon gar nicht mehr oder nur sehr kurz ins Kino.
artechock: Durch das Streamen scheint sich ein Graben aufzutun zwischen jenen, die das Kino verteidigen wollen, und Leuten, die das Streamen hochhalten. Schließt die Idee von Cinemalovers diesen Graben, indem die Synergien betont werden und der Kinoraum gleichzeitig das Zentrum bleibt?
Horn: Ja, Cinemalovers soll die Leute zurück zum Kino führen, beim Kino halten und mir gleichzeitig als Kinobetreiber die Möglichkeit geben, online im Kontakt zum Publikum zu stehen. Ich möchte neue Leute ins Kino bringen, gleichzeitig aber den digitalen Raum nicht den großen Online-Videotheken überlassen. Cinemalovers gibt den Leuten die Möglichkeit, Filme in meinem digitalen Kino-Raum zu sehen.
artechock: Also das Kino angesichts der Streaming-Plattformen nicht in die Defensive, sondern in die Offensive bringen?
Horn: In der Defensive ist das Kino leider sowieso genug. Es ist Zeit, da wieder rauszukommen und selbstbewusst zu sagen: Kuratieren können wir besser als die großen Anbieter. Online genauso wie im Kinoraum.
Cinemalovers
cinemalovers.de
Bundesverband Kommunale Filmarbeit e.V.
kommunale-kinos.de
Filmhaus Nürnberg
kunstkulturquartier.de/filmhaus
Kino 3 im Filmhaus Nürnberg
kunstkulturquartier.de/filmhaus/kino-3
arsenal 3 Berlin
arsenal-3-berlin.de
Offenlegung: Dunja Bialas gehört zu den Gründungsmitgliedern des Hauptverband Cinephilie.