Sexualität ist keine Privatsache |
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| Auch der Kuss gehört in die Öffentlichkeit: Nicht der Homosexuelle ist pervers… | ||
| (Foto: WDR · Rosa von Praunheim) | ||
Zum Abschied ein Fest. Gerade noch hatte er seinen 83. Geburtstag gefeiert. Am 25. November. Und drei Wochen später, am vergangenen Freitag hat er geheiratet: Seinen langjährigen Partner, mit dem er seit 2008 zusammen war. 2023 hat er da schon überlebt. Da hätte er nämlich sterben sollen – zumindest, wenn es nach jener betrunkenen Astrologin gegangen wäre, die ihm einst vorausgesagt hatte, 2023 werde es soweit sein.
Jetzt aber ist Rosa von Praunheim, deutscher
Filmregisseur, Autor, Filmprofessor und Vorreiter der Schwulenbewegung in der Nacht zu diesem Mittwoch in Berlin gestorben.
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Woran ich mich als erstes erinnere: Vor allem, was für ein charmanter Typ er war, ein guter Typ, auch ein gut aussehender, nach Außen zumindest immer gut gelaunt, einer der sehr viele Leute kannte, sowohl aus der eigenen Vergangenheit, aber er hatte auch eine Beziehung zu den Jungen – er war schließlich sieben Jahre lang Filmprofessor in Potsdam-Babelsberg, da hat er eine ganze Menge junge Leute um sich geschart und geprägt –, einer, mit dem man sofort per Du war, einer
der letzten und recht typischen 68er.
Ich habe ihn erst die letzten 25 Jahre gekannt, also schon als älteren Herrn, und da war er ruhig und charmant, ganz anders als das »Böser-Bube«-Image, das ihm anhaftete. Die Nuller Jahre waren auch das Jahrzehnt, wo die großen Kämpfe hinter ihm lagen, die Zeit wo er schon gesiegt hatte, wo aus dem Underdog und Outsider eine Instanz geworden war. Er genoss diese Verwandlung erkennbar.
In Berlin konnte man ihm gar nicht entgehen: Bunt und schrill
gekleidet, wie sonst nur Wim Wenders, besuchte er mindestens jede zweite Filmparty, und wenn man nicht gewusst hätte, wen man da vor sich hatte, hätte man ihn manchmal auch für einen immerhin ansteckend gut gelaunten Spinner halten können, der sich etwas über Gebühr aufspielte.
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Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Welt in der er lebt – der Titel jenes seiner angeblich über 150 Filme, mit dem er 1971 berühmt wurde, war Programm und beschrieb die Lage allzu treffend, mit der er als junger Mann konfrontiert war. Man vergisst es und kann es sich heute kaum noch vorstellen, wie Schwule damals gelebt haben, oder leben mussten: Sie waren Outcast, von Strafe bedroht, mussten ihre Sexualität verstecken, durften nicht als Paare in Wohnungen zusammen wohnen oder einander über Nacht besuchen. Schwulenstrichs und Schwulenbordelle mussten permanent mit Polizei-Razzien rechnen, und gehörten zu einer Halbwelt, in der Kriminalität und Drogenmissbrauch fester Bestandteil waren – und das wendete sich dann wieder gegen das Image der Schwulen. Und dann, als es ein bisschen besser geworden war, in den liberalen 70er-Jahren und auch durch Praunheims Mitwirkung, kam Aids. Die Krankheit traf die schwulen Kreise besonders hart, wurde als »Schwulenpest« zum Mittel neuer öffentlicher Diffamierung. Praunheim drehte: »Ein Virus kennt keine Moral.« Das war Programm.
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Über fast alles in seinem Leben hat Rosa von Praunheim Filme gemacht, Filme sehr eigener Art: Im Gegensatz zu anderen, offen schwulen Filmemachern, wie Rainer Werner Fassbinder oder Werner Schroeter – der eine Weile mit Praunheim liiert war –, ist Rosa von Praunheim viel stärker auch ein politischer Aktivist gewesen. Er hat Dinge direkt ausgesprochen, die bei anderen verklausulierter und theoretischer verhandelt wurden. Rosa von Praunheim war kein Theoretiker, er war Praktiker, er war klar, es war immer eindeutig, was er wollte. Er hat auch mit verschiedenen Genres geliebäugelt, auch mit dem Trash – lobend, in einem sehr guten Sinne gemeint – er spielte auch mit Einfällen und mit Aktualität.
Denken wir nur, dass er einen Film Rosas Welt genannt hatte, also selbstironisch; dass er einen Film gemacht hat mit dem Titel Die Jungs vom Bahnhof Zoo – der natürlich direkt anspielte auf den Bestsellerroman und Film Christiane F., der aber eben dann ganz klar und offen
auch von den Schwulenstrichs erzählt, die es um den Berliner Bahnhof Zoo herum auch gibt, und die nicht so gerne im Film zum Thema gemacht werden. Christiane F., das hatte noch einen gewissen Glamour: Drogenchic und hübsche Mädchen, die Die Jungs vom Bahnhof Zoo hatten nichts mehr davon. Er hat auch einen Film
und ein Musical über den Schlagersänger Rex Gildo gemacht, darin hat er Rex Gildo als schwulen Mann geoutet, als er die Geschichte seines Sterbens und Todes und seiner Depressionen erzählt hat.
Es gibt auch eine große Traurigkeit in vielen Filmen von Rosa von Praunheim, sie sind ernste Untersuchungen, Melodramen voller Sinn für Gefühle und Gefühlswelten, und er ist darin auch in die unangenehmen Seiten des Lebens direkt reingegangen.
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Es ist dabei wichtig zu betonen, dass Rosa von Praunheim, so bedeutend er für die Schwulenbewegung war, keineswegs in seiner Filmemacher-Arbeit auf diese reduziert werden sollte. Er hat längst nicht nur solche Filme gemacht. Zwar kenne ich keinen Film, in dem es nicht auch eine schwule Figur gibt, warum auch nicht, und diese Filme werden dadurch noch nicht zu einem »Schwulenfilm«. So hat er zum Beispiel einen Film über Kannibalismus gemacht, über den »Kannibalen von Rothenburg«, ein Skandal-Film damals, weil er Sachen gezeigt hat, von denen die Moralhüter des deutschen Films nicht wollen, dass sie gezeigt werden und das war zu einer Zeit, als das Schwulsein im Film schon längst kein Problem mehr war. Oder sein ganz wichtiger Film 2005 Männer, Helden, schwule Nazis, in dem er über die sonderbare Nähe zwischen den Männerphantasien der Schwulen und denen der Faschisten, über die Schnittmenge zwischen beiden einen Film macht. Und dann der Film über seine Mutter – der ist besonders wichtig. Dies ist ein Film über die Generation, die den Krieg als junge Frau erlebt hat und die fliehen musste, in diesem Fall von Riga aus dem Baltikum.
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Er hat auch Theaterstücke geschrieben, Musicals, wie »Die Insel der Perversen«. Zwei Bühnenstücke allein im Jahr 2024. Man kann nicht sagen, dass er in Rente ging. Mit schönen Titeln wie: »Jeder Idiot hat eine Oma, nur ich nicht.« und »Hitlers Ziege und die Hämorrhoiden des Königs«.
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Es muss auch betont werden, dass er offenbar ein wirklich guter, einflussreicher Filmlehrer war. Er hat seinen Studenten viel beigebracht. Dabei konnte er auch hart sein: Ich habe einmal einen öffentlichen Auftritt erlebt, wo er nach der Premiere eines Films bei der Berlinale aus dem Publikum heraus sich ins Filmgespräch eingemischt hat und die Regisseurin, immerhin seine Studentin, hart kritisiert hat, nach dem Motto, er habe es ihr doch gesagt, was die Fehler des Films sind, und sie habe die nicht eliminiert.
Als Filmprofessor wie als Filmemacher hat er zum einen natürlich den Studenten wie auch schon vorher der deutschen Filmszene gezeigt, dass man aktivistische Filme machen kann. Er hat Tabus gebrochen und gezeigt, dass es kein Thema gibt, das irgendwie verboten ist.
Besonders wichtig ist, dass er den Leuten gezeigt hat, dass man nicht immer unbedingt viel Geld braucht um einen Film zu machen; dass man nicht auf die Filmförderung warten muss, und sich nicht von Menschen und
Gremienmitgliedern abhängig machen darf, die noch nie selber Filme gemacht haben, aber immer genau wissen, was nicht geht, nicht sein darf. Und wie man etwas nicht erzählen sollte. Rosa von Praunheim hat es im Gegensatz zu sehr vielen Kollegen geschafft, immer wieder und ganz regelmäßig Filme zu machen, präsent zu sein.
Er hat wirklich anarchistisch und »von unten« Filme gemacht, Leute überredet, umsonst mitzuspielen oder ihm ein bisschen Geld zu geben – und er war überhaupt kein Purist!
Das ist sehr sehr wichtig, denn im deutschen Film dominiert jenseits des Fernsehens und ein paar Ausnahmen wie Mascha Schilinskis In die Sonne schauen ein Filmemachen, das vor allem formal puristisch ist und
lackiert und sehr sehr bürgerlich. Ein Kino, in dem alles anständig und rein und »richtig« ist, auch filmtechnisch alles stimmt: Immer ist das Licht genau da, wo es hingehört, sind die Farben Komplementärfarben.
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Gegenüber dieser ganzen Welt war Rosa von Praunheim der Gegenpol: Ein Enfant Terrible des kindlich unbürgerlichen Filmemachens. Einer, der sich einen Spaß daraus gemacht hat, unsaubere Filme zu drehen, Filme, die nicht perfekt, aber trashig waren, Fehler hatten, die aber keine wirklichen Fehler sind, denn seine Filme funktionieren ja, wenn sie Spaß machen, oder etwas zu sagen hatten – das alles hat er vielen Jungen beigebracht, das hatte für viele etwas extrem Befreiendes.
Nicht alle seine Filme sind gut, das könnte man guten Gewissens so nicht behaupten, aber einige sind sehr gut, und andere sind wichtig.
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Er war Aktivist und als solcher lange auch der »Aushängeschwule« für die Medien. Irgendwann hat er das Spiel mitgespielt, vor allem im Boulevard und in den Talkshows, hat diese politisch genutzt auf jede erdenkliche Art, hat sich eingesetzt für die Schwulenbewegung und sexuelle Freiheit in jeder Hinsicht und schon lange bevor das ganze chic war und bevor es das Kürzel LGTBQA+ und Regenbogenflaggen am Parlament gab.
Dazu gehört auch sein ganz gewiss umstrittenstes Anliegen:
das Zwangsouting von Menschen, die keine Lust hatten, über ihre sexuelle Orientierung in der Öffentlichkeit zu sprechen oder denen das sogar berufliche Nachteile brachte. Wie den TV-Talk-Koch Alfred Biolek und den Komiker Hape Kerkeling, die er 1991 im Fernsehen geoutet hat.
Praunheim, der gerne geschickt mit Gegenfragen antwortete und sein Gegenüber durch Direktheit verblüffte, erklärte, es gehe ihm um Verantwortung. Menschen, die in den Medien präsent seien, hätten eine Verantwortung, zu zeigen, dass Homosexualität eine gleichberechtigte Lebensform sei. »Wir müssen sichtbar sein.« Viele kritisierten das als übergriffig, er war sich sicher, gegen die große Mehrheit Recht zu haben: »Sexualität ist keine Privatsache.« Der Gesellschaft gehöre
alles. Totale Transparenz. Ein 68er eben.
Ob er wohl Dinge bereut hat, und fand, dass er nicht alles richtig gemacht habe?
Satanische Sau – wenn man sich mit so einem Filmtitel aus dem Leben verabschiedet, dann kann man jedenfalls nicht alles falsch gemacht haben.