18.12.2025

Sexualität ist keine Privatsache

Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt
Auch der Kuss gehört in die Öffentlichkeit: Nicht der Homosexuelle ist pervers…
(Foto: WDR · Rosa von Praunheim)

Zum Tod des leidenschaftlichen Filmemachers Rosa von Praunheim

Von Rüdiger Suchsland

Zum Abschied ein Fest. Gerade noch hatte er seinen 83. Geburtstag gefeiert. Am 25. November. Und drei Wochen später, am vergan­genen Freitag hat er gehei­ratet: Seinen lang­jäh­rigen Partner, mit dem er seit 2008 zusammen war. 2023 hat er da schon überlebt. Da hätte er nämlich sterben sollen – zumindest, wenn es nach jener betrun­kenen Astro­login gegangen wäre, die ihm einst voraus­ge­sagt hatte, 2023 werde es soweit sein.
Jetzt aber ist Rosa von Praunheim, deutscher Film­re­gis­seur, Autor, Film­pro­fessor und Vorreiter der Schwu­len­be­we­gung in der Nacht zu diesem Mittwoch in Berlin gestorben.

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Woran ich mich als erstes erinnere: Vor allem, was für ein char­manter Typ er war, ein guter Typ, auch ein gut ausse­hender, nach Außen zumindest immer gut gelaunt, einer der sehr viele Leute kannte, sowohl aus der eigenen Vergan­gen­heit, aber er hatte auch eine Beziehung zu den Jungen – er war schließ­lich sieben Jahre lang Film­pro­fessor in Potsdam-Babels­berg, da hat er eine ganze Menge junge Leute um sich geschart und geprägt –, einer, mit dem man sofort per Du war, einer der letzten und recht typischen 68er.
Ich habe ihn erst die letzten 25 Jahre gekannt, also schon als älteren Herrn, und da war er ruhig und charmant, ganz anders als das »Böser-Bube«-Image, das ihm anhaftete. Die Nuller Jahre waren auch das Jahrzehnt, wo die großen Kämpfe hinter ihm lagen, die Zeit wo er schon gesiegt hatte, wo aus dem Underdog und Outsider eine Instanz geworden war. Er genoss diese Verwand­lung erkennbar.
In Berlin konnte man ihm gar nicht entgehen: Bunt und schrill gekleidet, wie sonst nur Wim Wenders, besuchte er mindes­tens jede zweite Filmparty, und wenn man nicht gewusst hätte, wen man da vor sich hatte, hätte man ihn manchmal auch für einen immerhin anste­ckend gut gelaunten Spinner halten können, der sich etwas über Gebühr aufspielte.

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Nicht der Homo­se­xu­elle ist pervers, sondern die Welt in der er lebt – der Titel jenes seiner angeblich über 150 Filme, mit dem er 1971 berühmt wurde, war Programm und beschrieb die Lage allzu treffend, mit der er als junger Mann konfron­tiert war. Man vergisst es und kann es sich heute kaum noch vorstellen, wie Schwule damals gelebt haben, oder leben mussten: Sie waren Outcast, von Strafe bedroht, mussten ihre Sexua­lität verste­cken, durften nicht als Paare in Wohnungen zusammen wohnen oder einander über Nacht besuchen. Schwu­len­strichs und Schwu­len­bor­delle mussten permanent mit Polizei-Razzien rechnen, und gehörten zu einer Halbwelt, in der Krimi­na­lität und Drogen­miss­brauch fester Bestand­teil waren – und das wendete sich dann wieder gegen das Image der Schwulen. Und dann, als es ein bisschen besser geworden war, in den liberalen 70er-Jahren und auch durch Praun­heims Mitwir­kung, kam Aids. Die Krankheit traf die schwulen Kreise besonders hart, wurde als »Schwu­len­pest« zum Mittel neuer öffent­li­cher Diffa­mie­rung. Praunheim drehte: »Ein Virus kennt keine Moral.« Das war Programm.

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Über fast alles in seinem Leben hat Rosa von Praunheim Filme gemacht, Filme sehr eigener Art: Im Gegensatz zu anderen, offen schwulen Filme­ma­chern, wie Rainer Werner Fass­binder oder Werner Schroeter – der eine Weile mit Praunheim liiert war –, ist Rosa von Praunheim viel stärker auch ein poli­ti­scher Aktivist gewesen. Er hat Dinge direkt ausge­spro­chen, die bei anderen verklau­su­lierter und theo­re­ti­scher verhan­delt wurden. Rosa von Praunheim war kein Theo­re­tiker, er war Praktiker, er war klar, es war immer eindeutig, was er wollte. Er hat auch mit verschie­denen Genres gelie­bäu­gelt, auch mit dem Trash – lobend, in einem sehr guten Sinne gemeint – er spielte auch mit Einfällen und mit Aktua­lität.

Denken wir nur, dass er einen Film Rosas Welt genannt hatte, also selbst­iro­nisch; dass er einen Film gemacht hat mit dem Titel Die Jungs vom Bahnhof Zoo – der natürlich direkt anspielte auf den Best­sel­ler­roman und Film Chris­tiane F., der aber eben dann ganz klar und offen auch von den Schwu­len­strichs erzählt, die es um den Berliner Bahnhof Zoo herum auch gibt, und die nicht so gerne im Film zum Thema gemacht werden. Chris­tiane F., das hatte noch einen gewissen Glamour: Drogen­chic und hübsche Mädchen, die Die Jungs vom Bahnhof Zoo hatten nichts mehr davon. Er hat auch einen Film und ein Musical über den Schla­ger­sänger Rex Gildo gemacht, darin hat er Rex Gildo als schwulen Mann geoutet, als er die Geschichte seines Sterbens und Todes und seiner Depres­sionen erzählt hat.
Es gibt auch eine große Trau­rig­keit in vielen Filmen von Rosa von Praunheim, sie sind ernste Unter­su­chungen, Melo­dramen voller Sinn für Gefühle und Gefühls­welten, und er ist darin auch in die unan­ge­nehmen Seiten des Lebens direkt rein­ge­gangen.

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Es ist dabei wichtig zu betonen, dass Rosa von Praunheim, so bedeutend er für die Schwu­len­be­we­gung war, keines­wegs in seiner Filme­ma­cher-Arbeit auf diese reduziert werden sollte. Er hat längst nicht nur solche Filme gemacht. Zwar kenne ich keinen Film, in dem es nicht auch eine schwule Figur gibt, warum auch nicht, und diese Filme werden dadurch noch nicht zu einem »Schwu­len­film«. So hat er zum Beispiel einen Film über Kanni­ba­lismus gemacht, über den »Kanni­balen von Rothen­burg«, ein Skandal-Film damals, weil er Sachen gezeigt hat, von denen die Moral­hüter des deutschen Films nicht wollen, dass sie gezeigt werden und das war zu einer Zeit, als das Schwul­sein im Film schon längst kein Problem mehr war. Oder sein ganz wichtiger Film 2005 Männer, Helden, schwule Nazis, in dem er über die sonder­bare Nähe zwischen den Männer­phan­ta­sien der Schwulen und denen der Faschisten, über die Schnitt­menge zwischen beiden einen Film macht. Und dann der Film über seine Mutter – der ist besonders wichtig. Dies ist ein Film über die Gene­ra­tion, die den Krieg als junge Frau erlebt hat und die fliehen musste, in diesem Fall von Riga aus dem Baltikum.

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Er hat auch Thea­ter­s­tücke geschrieben, Musicals, wie »Die Insel der Perversen«. Zwei Bühnen­s­tücke allein im Jahr 2024. Man kann nicht sagen, dass er in Rente ging. Mit schönen Titeln wie: »Jeder Idiot hat eine Oma, nur ich nicht.« und »Hitlers Ziege und die Hämor­rhoiden des Königs«.

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Es muss auch betont werden, dass er offenbar ein wirklich guter, einfluss­rei­cher Film­lehrer war. Er hat seinen Studenten viel beigebracht. Dabei konnte er auch hart sein: Ich habe einmal einen öffent­li­chen Auftritt erlebt, wo er nach der Premiere eines Films bei der Berlinale aus dem Publikum heraus sich ins Film­ge­spräch einge­mischt hat und die Regis­seurin, immerhin seine Studentin, hart kriti­siert hat, nach dem Motto, er habe es ihr doch gesagt, was die Fehler des Films sind, und sie habe die nicht elimi­niert.

Als Film­pro­fessor wie als Filme­ma­cher hat er zum einen natürlich den Studenten wie auch schon vorher der deutschen Filmszene gezeigt, dass man akti­vis­ti­sche Filme machen kann. Er hat Tabus gebrochen und gezeigt, dass es kein Thema gibt, das irgendwie verboten ist.
Besonders wichtig ist, dass er den Leuten gezeigt hat, dass man nicht immer unbedingt viel Geld braucht um einen Film zu machen; dass man nicht auf die Film­för­de­rung warten muss, und sich nicht von Menschen und Gremi­en­mit­glie­dern abhängig machen darf, die noch nie selber Filme gemacht haben, aber immer genau wissen, was nicht geht, nicht sein darf. Und wie man etwas nicht erzählen sollte. Rosa von Praunheim hat es im Gegensatz zu sehr vielen Kollegen geschafft, immer wieder und ganz regel­mäßig Filme zu machen, präsent zu sein.

Er hat wirklich anar­chis­tisch und »von unten« Filme gemacht, Leute überredet, umsonst mitzu­spielen oder ihm ein bisschen Geld zu geben – und er war überhaupt kein Purist!
Das ist sehr sehr wichtig, denn im deutschen Film dominiert jenseits des Fern­se­hens und ein paar Ausnahmen wie Mascha Schi­lin­skis In die Sonne schauen ein Filme­ma­chen, das vor allem formal puris­tisch ist und lackiert und sehr sehr bürger­lich. Ein Kino, in dem alles anständig und rein und »richtig« ist, auch film­tech­nisch alles stimmt: Immer ist das Licht genau da, wo es hingehört, sind die Farben Komple­men­tär­farben.

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Gegenüber dieser ganzen Welt war Rosa von Praunheim der Gegenpol: Ein Enfant Terrible des kindlich unbür­ger­li­chen Filme­ma­chens. Einer, der sich einen Spaß daraus gemacht hat, unsaubere Filme zu drehen, Filme, die nicht perfekt, aber trashig waren, Fehler hatten, die aber keine wirk­li­chen Fehler sind, denn seine Filme funk­tio­nieren ja, wenn sie Spaß machen, oder etwas zu sagen hatten – das alles hat er vielen Jungen beigebracht, das hatte für viele etwas extrem Befrei­endes.

Nicht alle seine Filme sind gut, das könnte man guten Gewissens so nicht behaupten, aber einige sind sehr gut, und andere sind wichtig.

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Er war Aktivist und als solcher lange auch der »Aushän­ge­schwule« für die Medien. Irgend­wann hat er das Spiel mitge­spielt, vor allem im Boulevard und in den Talkshows, hat diese politisch genutzt auf jede erdenk­liche Art, hat sich einge­setzt für die Schwu­len­be­we­gung und sexuelle Freiheit in jeder Hinsicht und schon lange bevor das ganze chic war und bevor es das Kürzel LGTBQA+ und Regen­bo­gen­flaggen am Parlament gab.
Dazu gehört auch sein ganz gewiss umstrit­tenstes Anliegen: das Zwangs­ou­ting von Menschen, die keine Lust hatten, über ihre sexuelle Orien­tie­rung in der Öffent­lich­keit zu sprechen oder denen das sogar beruf­liche Nachteile brachte. Wie den TV-Talk-Koch Alfred Biolek und den Komiker Hape Kerkeling, die er 1991 im Fernsehen geoutet hat.

Praunheim, der gerne geschickt mit Gegen­fragen antwor­tete und sein Gegenüber durch Direkt­heit verblüffte, erklärte, es gehe ihm um Verant­wor­tung. Menschen, die in den Medien präsent seien, hätten eine Verant­wor­tung, zu zeigen, dass Homo­se­xua­lität eine gleich­be­rech­tigte Lebens­form sei. »Wir müssen sichtbar sein.« Viele kriti­sierten das als über­griffig, er war sich sicher, gegen die große Mehrheit Recht zu haben: »Sexua­lität ist keine Privat­sache.« Der Gesell­schaft gehöre alles. Totale Trans­pa­renz. Ein 68er eben.
Ob er wohl Dinge bereut hat, und fand, dass er nicht alles richtig gemacht habe?

Sata­ni­sche Sau – wenn man sich mit so einem Filmtitel aus dem Leben verab­schiedet, dann kann man jeden­falls nicht alles falsch gemacht haben.