Auf der Suche nach sich selbst |
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| Szene aus dem Eröffnungsfilm, Stelios, von Yorgos Tsemberopoulos | ||
| (Foto: Griechische Filmwoche) | ||
Von Elke Eckert
Veranstalter ist wieder Cinephile München e.V. Das diesjährige Programm setzt sich aus aktuellen Spiel- und Kurzfilmen und zwei Dokumentationen zusammen. Viele dieser Filme, von denen nicht wenige Debüts sind, verbindet ihre Rätselhaftigkeit und der Wunsch ihrer Protagonisten nach individueller Freiheit und Selbstbestimmung.
Der Eröffnungsfilm Stelios lässt das Leben einer griechischen Musiklegende Revue passieren. Stelios Kazantzidis war in seinem Heimatland einer der prägenden Sänger des letzten Jahrhunderts, Generationen von Griechen kannten und liebten seine Stimme. Doch trotz all des Erfolges hatte der Volkssänger kein einfaches Leben. Sein Vater starb früh, weshalb Stelios schon in sehr jungen Jahren hart arbeiten musste, bevor er zufällig von einem Musikproduzenten entdeckt wurde. Es folgten eine große Karriere und eine große Liebe, konfliktreich und schlagzeilenträchtig waren beide. Diese Schattenseiten kommen in Regisseur Yorgos Tsemberopoulos‘ berührender Hommage nicht zu kurz. Auch sein Hauptdarsteller Christos Mastoras überzeugt, nicht nur durch seine Stimme. (Freitag, 14.11. um 19.30 Uhr, Rio Filmpalast, Eröffnung mit Empfang und Mittwoch, 19.11. um 18.30 Uhr, Gasteig HP8)
Ein weiteres Porträt, das allerdings nicht auf einer wahren Geschichte basiert, ist die Tragikomödie The Philosopher. Es geht um einen Intellektuellen, der seinen Studenten so viel zu sagen hätte, wenn sie ihm denn zuhören würden. Zunehmend muss der einst angesehene Filmemacher in halbleeren Hörsälen dozieren, was ihn nicht davon abhält, seinen Idealen treu zu bleiben. Immer in der Hoffnung, seine philosophischen Überzeugungen doch noch an die Frau
oder den Mann zu bringen, auch wenn sein Umfeld immer lauter und oberflächlicher zu werden scheint. Stratos Tzitzis‘ filmische Charakterstudie eines eigenwilligen Einzelgängers ist leise und nachdenklich, aber auch selbstironisch und witzig.
(Freitag, 21.11. ab 19.30 Uhr, Gasteig HP8, Deutschlandpremiere in Anwesenheit des Regisseurs Stratos Tzitzis)
In Vasilis Kekatos‘ Our Wildest Days begibt sich Chloé auf Sinnsuche. Dazu schließt sich die junge Frau aus gutem Hause einer Gruppe Jugendlicher an, die im Wohnmobil durchs Land fährt, um nicht weniger als die Welt zu verbessern. Als Formen des Widerstands wählen sie Empathie und Fürsorge, sie wollen dort helfen, wo Hilfe gebraucht wird. Doch ihr Idealismus stößt durch zwischenmenschliche Konflikte und menschliche Bedürfnisse immer wieder an seine Grenzen. Vasilis Kekatos‘ Spielfilmdebüt ist eine Art soziales Experiment, das einer Gesellschaft, die immer mehr Härte zeigt, etwas Zärtlichkeit entgegensetzen will. (Samstag, 15.11. um 20 Uhr, Münchenpremiere im Theatiner)
Vasilis Kekatos hat auch bei The Distance Between Us And The Sky Regie geführt. Der Kurzfilm von 2019 lief auf mehreren internationalen Filmfestivals und wurde in Cannes als bester Kurzfilm mit der Goldenen Palme ausgezeichnet. Kekatos war der erste griechische Regisseur, der diese Auszeichnung erhalten hat. In seinem kleinen Meisterwerk treffen sich zwei Männer zufällig an einer Tankstelle. Für einen Moment der Nähe will der eine vom anderen das Geld bekommen, das er braucht, um weiterzuziehen… Der prämierte Kurzfilm ist mit Our Wildest Days als Double Feature zu sehen. (Samstag, 22.11. ab 20 Uhr, Gasteig HP8, in Anwesenheit von Hauptdarsteller Ioko Ioannis Kotidis)
Wer möchte ich sein, welche Rolle möchte ich spielen? Und inwieweit kann ich das überhaupt selbst bestimmen? Mit diesen Fragen wird Maria in der surrealen Komödie Murphy’s Law konfrontiert. Die Schauspielerin, die zuvor nicht nur karrieretechnisch in einer Sackgasse steckte, findet sich nach einem schweren Unfall in einer Zwischenwelt wieder, in der neben ihrer Existenz auch die von ihr getroffenen Entscheidungen in Frage gestellt werden. Angelos Frantzis‘ Reflexion über das Scheitern und den Wunsch nach Neubeginn überrascht mit einem fantasievollen Stilmittel-Mix, der mutig, modern und sehr poetisch ist. (Sonntag, 16.11. um 18 Uhr, Deutschlandpremiere im Theatiner)
Um Selbstbestimmung geht es auch in den beiden Dokumentarfilmen des Festivals. Autonomie über den eigenen Körper in unterschiedlichen Ausprägungen ist das Thema von Elina Psykous Dokumentarfilm Stray Bodies. Die Regisseurin reiste dafür durch Europa und traf Menschen, die für ihr Recht auf ein würdevolles Sterben, auf Abtreibung oder auf eine Kinderwunschbehandlung kämpfen. Auch wenn dazu in jedem Land bürokratische und religiöse Hürden zu überwinden sind, zeigt Psykou an berührenden Einzelschicksalen, wie unterschiedlich vor allem die rechtliche Situation in Europa ist und wie tradierte Moralvorstellungen die persönliche Freiheit begrenzen können. (Dienstag, 18.11. um 18.30 Uhr, Gasteig HP8)
In Loxy wird ebenfalls die Geschichte eines Menschen erzählt, der sein Leben so leben möchte, wie es sich für ihn richtig anfühlt. Und deshalb wird Loxandra Loukas, von allen Loxy genannt, Schauspielerin und die erste Darstellerin mit Down-Syndrom am griechischen Nationaltheater. Dass sie dafür nicht nur Talent, sondern vor allem Mut und Hartnäckigkeit brauchte, zeigt das intime Porträt des Regieduos Dimitris Zahos und Thanasis Kafetzis. Und es macht noch etwas sehr deutlich: Loxy will nicht integriert, sondern vor allem nicht ausgeschlossen werden. (Donnerstag, 20.11. um 17.30 Uhr, Münchenpremiere im Gasteig HP8)
Wie Macht und Kontrolle den freien Willen und den Wunsch nach Autonomie jeden Individuums beeinflussen, ist das verbindende Thema in Yorgos Lanthimos‘ verstörendem Episodenfilm Kinds of Kindness. Ein Mann versucht, sich aus der Abhängigkeit von seinem Chef, der gleichzeitig sein Liebhaber ist, zu befreien. Eine Ehefrau scheint nach einem einschneidenden Erlebnis plötzlich eine andere zu sein. Und eine Sekte, in der Gehorsam das oberste Gebot ist, sucht eine neue spirituelle Führerin. Die drei Geschichten sind lose miteinander verknüpft und erinnern in ihrer unterkühlten und sterilen Rätselhaftigkeit an David Lynchs Serienmeisterwerk „Twin Peaks“. Das Schauspielensemble besteht wie so oft bei Lanthimos aus Stars. Mit Emma Stone, Willem Dafoe, Margaret Qualley und Jesse Plemons hat er auch bereits zusammengearbeitet. (Donnerstag, 20.11. um 19.30 Uhr, Gasteig HP8)
Mit einem surrealen Setting besticht das Drama Arcadia, Griechenlands Oscarbeitrag 2026. Eine Neurologin und ein ehemaliger Arzt sollen in einem verlassenen, winterlichen Badeort ein Unfallopfer identifizieren. In der gespenstischen Umgebung verschmelzen Traum und Wirklichkeit. Was ist real, und was nicht? Was ist vergangen, was gegenwärtig? Yorgos Zois‘ Film ist ein Spiel mit
Metaphern für Verlust und Schuld, mysteriös und hypnotisch.
(Sonntag, 16.11. um 20.30 Uhr, Münchenpremiere im Theatiner)
Gleichfalls in ein Labyrinth aus Wahrheit und Fiktion gerät Titos beim Dreh seines ersten Spielfilms. Während der junge Regisseur eine Serienkiller-Story inszeniert, wähnt er sich immer mehr in einer monströsen Mordgeschichte, die sich durchaus real anfühlt… Die Bilder in Christos Massalas Thriller Killerwood sind grausam und düster, seine Erzählweise ist ironisch. Durch diese
Mischung bekommt der Film eine ganz eigene Handschrift.
(Mittwoch, 19.11. um 21 Uhr, Münchenpremiere im Gasteig HP8)
Wie schnell aus Spiel Ernst werden kann, zeigt auch Antonis Tsonis Drama Brando with a Glass Eye. Luca will unbedingt ein großer Schauspieler werden. Doch für den Flug nach New York, wo sein Traum wahr werden soll, fehlt ihm das nötige Kleingeld. Das will er sich zusammen mit seinem Bruder durch einen Überfall beschaffen. Als dabei jemand schwer verletzt wird und sich zwischen dem Opfer und Luca eine Freundschaft entwickelt, hadert Letzterer mit seiner Schuld und
schlittert in eine Identitätskrise. Regisseur Antonis Tsonis hat auch das Drehbuch für sein Spielfilmdebüt geschrieben. In Athen geboren, lebt er heute in Melbourne, wo er erst Jura studiert hat, bevor er mit seinen Kurzfilmen bei internationalen Festivals Aufsehen erregte und Preise gewann.
(Sonntag, 23.11. um 17.30 Uhr, Münchenpremiere im Gasteig HP8)
In Dimitris Nakos‘ Meat ist es ein Mord, der eine ganze Familie erschüttert. Einen Tag bevor Dorfmetzger Takis sein neues Geschäft eröffnen will, tötet sein Sohn einen Nachbarn. Einziger Zeuge der Tat ist Christos, zu dem Takis auch eine enge Beziehung hat… Das beim Toronto International Film Festival uraufgeführte Drama, führt eindrucksvoll vor, wie stark Familienbande sein können, im Guten wie im Bösen. In seiner Ausweglosigkeit gleicht Nakos‘ Debütfilm einer antiken Tragödie. (Freitag, 21.11. um 17.30 Uhr, Münchenpremiere im Gasteig HP8)
Die wiederkehrenden Motive persönliche Freiheit und Identität prägen auch das melancholische Familiendrama Kyuka – Before Summer’s End’s von Kostis Charamountanis. Ein Vater und seine zwei erwachsenen Kinder steuern während ihres Segelurlaubs in der Ägäis die Insel Poros an, auf der die Mutter der beiden lebt. Sie hat die Familie verlassen, als die Zwillinge Babys waren, und die zwei ahnen nicht, dass sie ihr auf Poros über den Weg laufen werden… Kostis Charamountanis‘ leiser Langfilmerstling war in Cannes zu sehen und wurde beim Internationalen Filmfestival in Thessaloniki mit dem Publikumspreis und als bestes Regiedebüt ausgezeichnet. (Samstag, 15.11. um 15 Uhr, Münchenpremiere im Theatiner und Sonntag, 23.11. um 20 Uhr, Gasteig HP8)
Komplettiert wird die Griechische Filmwoche wieder durch ein Kurzfilmprogramm, das in Zusammenarbeit mit dem Thessaloniki International Short Film Festival entstanden ist. In 111 Minuten werden sieben aktuelle Filme gezeigt, bei denen man wie in den Spielfilmen in Traumwelten und Parallel-Universen eintauchen kann. (Samstag, 22.11. ab 17.30 Uhr, Gasteig HP8)
Wer gerne feiert, sollte sich die Opening-Party in der TAM TAM Treppenbar in den Münchner Kammerspielen nicht entgehen lassen. Die DJs ShoeShine Boy und LaRe bringen griechische Beats nach München. Der Eintritt ist frei. (Samstag, 15.11., ab 21.30 Uhr)
Der Eröffnungsfilm Stelios und das Double Feature The Distance Between Us and the Sky und Our Wildest Days werden in der griechischen Originalfassung mit deutschen Untertiteln gezeigt. Kinds of Kindness ist in der englischen Originalfassung mit deutschen Untertiteln zu sehen, alle anderen Filme in der griechischen Originalfassung mit englischen Untertiteln.