13.11.2025

Auf der Suche nach sich selbst

Szene aus Stelios
Szene aus dem Eröffnungsfilm, Stelios, von Yorgos Tsemberopoulos
(Foto: Griechische Filmwoche)

Die Griechische Filmwoche München findet bereits zum 39. Mal statt. Auch in diesem Jahr sind die Filme des Festivals im Rio Filmpalast (Eröffnung), im Theatiner Filmkunst und im Gasteig HP8 zu sehen.

Von Elke Eckert

Veran­stalter ist wieder Cinephile München e.V. Das dies­jäh­rige Programm setzt sich aus aktuellen Spiel- und Kurz­filmen und zwei Doku­men­ta­tionen zusammen. Viele dieser Filme, von denen nicht wenige Debüts sind, verbindet ihre Rätsel­haf­tig­keit und der Wunsch ihrer Prot­ago­nisten nach indi­vi­du­eller Freiheit und Selbst­be­stim­mung.

Der Eröff­nungs­film Stelios lässt das Leben einer grie­chi­schen Musik­le­gende Revue passieren. Stelios Kazantz­idis war in seinem Heimat­land einer der prägenden Sänger des letzten Jahr­hun­derts, Gene­ra­tionen von Griechen kannten und liebten seine Stimme. Doch trotz all des Erfolges hatte der Volks­sänger kein einfaches Leben. Sein Vater starb früh, weshalb Stelios schon in sehr jungen Jahren hart arbeiten musste, bevor er zufällig von einem Musik­pro­du­zenten entdeckt wurde. Es folgten eine große Karriere und eine große Liebe, konflikt­reich und schlag­zei­len­trächtig waren beide. Diese Schat­ten­seiten kommen in Regisseur Yorgos Tsem­be­ro­poulos‘ berüh­render Hommage nicht zu kurz. Auch sein Haupt­dar­steller Christos Mastoras überzeugt, nicht nur durch seine Stimme. (Freitag, 14.11. um 19.30 Uhr, Rio Film­pa­last, Eröffnung mit Empfang und Mittwoch, 19.11. um 18.30 Uhr, Gasteig HP8)

Ein weiteres Porträt, das aller­dings nicht auf einer wahren Geschichte basiert, ist die Tragi­komödie The Philo­so­pher. Es geht um einen Intel­lek­tu­ellen, der seinen Studenten so viel zu sagen hätte, wenn sie ihm denn zuhören würden. Zunehmend muss der einst ange­se­hene Filme­ma­cher in halb­leeren Hörsälen dozieren, was ihn nicht davon abhält, seinen Idealen treu zu bleiben. Immer in der Hoffnung, seine philo­so­phi­schen Über­zeu­gungen doch noch an die Frau oder den Mann zu bringen, auch wenn sein Umfeld immer lauter und ober­fläch­li­cher zu werden scheint. Stratos Tzitzis‘ filmische Charak­ter­studie eines eigen­wil­ligen Einzel­gän­gers ist leise und nach­denk­lich, aber auch selbst­iro­nisch und witzig.
(Freitag, 21.11. ab 19.30 Uhr, Gasteig HP8, Deutsch­land­pre­miere in Anwe­sen­heit des Regis­seurs Stratos Tzitzis)

In Vasilis Kekatos‘ Our Wildest Days begibt sich Chloé auf Sinnsuche. Dazu schließt sich die junge Frau aus gutem Hause einer Gruppe Jugend­li­cher an, die im Wohnmobil durchs Land fährt, um nicht weniger als die Welt zu verbes­sern. Als Formen des Wider­stands wählen sie Empathie und Fürsorge, sie wollen dort helfen, wo Hilfe gebraucht wird. Doch ihr Idea­lismus stößt durch zwischen­mensch­liche Konflikte und mensch­liche Bedürf­nisse immer wieder an seine Grenzen. Vasilis Kekatos‘ Spiel­film­debüt ist eine Art soziales Expe­ri­ment, das einer Gesell­schaft, die immer mehr Härte zeigt, etwas Zärt­lich­keit entge­gen­setzen will. (Samstag, 15.11. um 20 Uhr, München­pre­miere im Theatiner)

Vasilis Kekatos hat auch bei The Distance Between Us And The Sky Regie geführt. Der Kurzfilm von 2019 lief auf mehreren inter­na­tio­nalen Film­fes­ti­vals und wurde in Cannes als bester Kurzfilm mit der Goldenen Palme ausge­zeichnet. Kekatos war der erste grie­chi­sche Regisseur, der diese Auszeich­nung erhalten hat. In seinem kleinen Meis­ter­werk treffen sich zwei Männer zufällig an einer Tank­stelle. Für einen Moment der Nähe will der eine vom anderen das Geld bekommen, das er braucht, um weiter­zu­ziehen… Der prämierte Kurzfilm ist mit Our Wildest Days als Double Feature zu sehen. (Samstag, 22.11. ab 20 Uhr, Gasteig HP8, in Anwe­sen­heit von Haupt­dar­steller Ioko Ioannis Kotidis)

Wer möchte ich sein, welche Rolle möchte ich spielen? Und inwieweit kann ich das überhaupt selbst bestimmen? Mit diesen Fragen wird Maria in der surrealen Komödie Murphy’s Law konfron­tiert. Die Schau­spie­lerin, die zuvor nicht nur karrie­re­tech­nisch in einer Sackgasse steckte, findet sich nach einem schweren Unfall in einer Zwischen­welt wieder, in der neben ihrer Existenz auch die von ihr getrof­fenen Entschei­dungen in Frage gestellt werden. Angelos Frantzis‘ Reflexion über das Scheitern und den Wunsch nach Neubeginn über­rascht mit einem fanta­sie­vollen Stil­mittel-Mix, der mutig, modern und sehr poetisch ist. (Sonntag, 16.11. um 18 Uhr, Deutsch­land­pre­miere im Theatiner)

Um Selbst­be­stim­mung geht es auch in den beiden Doku­men­tar­filmen des Festivals. Autonomie über den eigenen Körper in unter­schied­li­chen Ausprä­gungen ist das Thema von Elina Psykous Doku­men­tar­film Stray Bodies. Die Regis­seurin reiste dafür durch Europa und traf Menschen, die für ihr Recht auf ein würde­volles Sterben, auf Abtrei­bung oder auf eine Kinder­wunsch­be­hand­lung kämpfen. Auch wenn dazu in jedem Land büro­kra­ti­sche und religiöse Hürden zu über­winden sind, zeigt Psykou an berüh­renden Einzel­schick­salen, wie unter­schied­lich vor allem die recht­liche Situation in Europa ist und wie tradierte Moral­vor­stel­lungen die persön­liche Freiheit begrenzen können. (Dienstag, 18.11. um 18.30 Uhr, Gasteig HP8)

In Loxy wird ebenfalls die Geschichte eines Menschen erzählt, der sein Leben so leben möchte, wie es sich für ihn richtig anfühlt. Und deshalb wird Loxandra Loukas, von allen Loxy genannt, Schau­spie­lerin und die erste Darstel­lerin mit Down-Syndrom am grie­chi­schen Natio­nal­theater. Dass sie dafür nicht nur Talent, sondern vor allem Mut und Hart­nä­ckig­keit brauchte, zeigt das intime Porträt des Regieduos Dimitris Zahos und Thanasis Kafetzis. Und es macht noch etwas sehr deutlich: Loxy will nicht inte­griert, sondern vor allem nicht ausge­schlossen werden. (Donnerstag, 20.11. um 17.30 Uhr, München­pre­miere im Gasteig HP8)

Wie Macht und Kontrolle den freien Willen und den Wunsch nach Autonomie jeden Indi­vi­duums beein­flussen, ist das verbin­dende Thema in Yorgos Lanthimos‘ vers­tö­rendem Episo­den­film Kinds of Kindness. Ein Mann versucht, sich aus der Abhän­gig­keit von seinem Chef, der gleich­zeitig sein Liebhaber ist, zu befreien. Eine Ehefrau scheint nach einem einschnei­denden Erlebnis plötzlich eine andere zu sein. Und eine Sekte, in der Gehorsam das oberste Gebot ist, sucht eine neue spiri­tu­elle Führerin. Die drei Geschichten sind lose mitein­ander verknüpft und erinnern in ihrer unter­kühlten und sterilen Rätsel­haf­tig­keit an David Lynchs Seri­en­meis­ter­werk „Twin Peaks“. Das Schau­spiel­ensemble besteht wie so oft bei Lanthimos aus Stars. Mit Emma Stone, Willem Dafoe, Margaret Qualley und Jesse Plemons hat er auch bereits zusam­men­ge­ar­beitet. (Donnerstag, 20.11. um 19.30 Uhr, Gasteig HP8)

Mit einem surrealen Setting besticht das Drama Arcadia, Grie­chen­lands Oscar­bei­trag 2026. Eine Neuro­login und ein ehema­liger Arzt sollen in einem verlas­senen, winter­li­chen Badeort ein Unfall­opfer iden­ti­fi­zieren. In der gespens­ti­schen Umgebung verschmelzen Traum und Wirk­lich­keit. Was ist real, und was nicht? Was ist vergangen, was gegen­wärtig? Yorgos Zois‘ Film ist ein Spiel mit Metaphern für Verlust und Schuld, mysteriös und hypno­tisch.
(Sonntag, 16.11. um 20.30 Uhr, München­pre­miere im Theatiner)

Gleich­falls in ein Labyrinth aus Wahrheit und Fiktion gerät Titos beim Dreh seines ersten Spiel­films. Während der junge Regisseur eine Seri­en­killer-Story insze­niert, wähnt er sich immer mehr in einer mons­trösen Mord­ge­schichte, die sich durchaus real anfühlt… Die Bilder in Christos Massalas Thriller Killer­wood sind grausam und düster, seine Erzähl­weise ist ironisch. Durch diese Mischung bekommt der Film eine ganz eigene Hand­schrift.
(Mittwoch, 19.11. um 21 Uhr, München­pre­miere im Gasteig HP8)

Wie schnell aus Spiel Ernst werden kann, zeigt auch Antonis Tsonis Drama Brando with a Glass Eye. Luca will unbedingt ein großer Schau­spieler werden. Doch für den Flug nach New York, wo sein Traum wahr werden soll, fehlt ihm das nötige Kleingeld. Das will er sich zusammen mit seinem Bruder durch einen Überfall beschaffen. Als dabei jemand schwer verletzt wird und sich zwischen dem Opfer und Luca eine Freund­schaft entwi­ckelt, hadert Letzterer mit seiner Schuld und schlit­tert in eine Iden­ti­täts­krise. Regisseur Antonis Tsonis hat auch das Drehbuch für sein Spiel­film­debüt geschrieben. In Athen geboren, lebt er heute in Melbourne, wo er erst Jura studiert hat, bevor er mit seinen Kurz­filmen bei inter­na­tio­nalen Festivals Aufsehen erregte und Preise gewann.
(Sonntag, 23.11. um 17.30 Uhr, München­pre­miere im Gasteig HP8)

In Dimitris Nakos‘ Meat ist es ein Mord, der eine ganze Familie erschüt­tert. Einen Tag bevor Dorf­metzger Takis sein neues Geschäft eröffnen will, tötet sein Sohn einen Nachbarn. Einziger Zeuge der Tat ist Christos, zu dem Takis auch eine enge Beziehung hat… Das beim Toronto Inter­na­tional Film Festival urauf­ge­führte Drama, führt eindrucks­voll vor, wie stark Fami­li­en­bande sein können, im Guten wie im Bösen. In seiner Ausweg­lo­sig­keit gleicht Nakos‘ Debütfilm einer antiken Tragödie. (Freitag, 21.11. um 17.30 Uhr, München­pre­miere im Gasteig HP8)

Die wieder­keh­renden Motive persön­liche Freiheit und Identität prägen auch das melan­cho­li­sche Fami­li­en­drama Kyuka – Before Summer’s End’s von Kostis Chara­moun­tanis. Ein Vater und seine zwei erwach­senen Kinder steuern während ihres Segel­ur­laubs in der Ägäis die Insel Poros an, auf der die Mutter der beiden lebt. Sie hat die Familie verlassen, als die Zwillinge Babys waren, und die zwei ahnen nicht, dass sie ihr auf Poros über den Weg laufen werden… Kostis Chara­moun­tanis‘ leiser Lang­fil­merst­ling war in Cannes zu sehen und wurde beim Inter­na­tio­nalen Film­fes­tival in Thes­sa­lo­niki mit dem Publi­kums­preis und als bestes Regie­debüt ausge­zeichnet. (Samstag, 15.11. um 15 Uhr, München­pre­miere im Theatiner und Sonntag, 23.11. um 20 Uhr, Gasteig HP8)

Komplet­tiert wird die Grie­chi­sche Filmwoche wieder durch ein Kurz­film­pro­gramm, das in Zusam­men­ar­beit mit dem Thes­sa­lo­niki Inter­na­tional Short Film Festival entstanden ist. In 111 Minuten werden sieben aktuelle Filme gezeigt, bei denen man wie in den Spiel­filmen in Traum­welten und Parallel-Universen eintau­chen kann. (Samstag, 22.11. ab 17.30 Uhr, Gasteig HP8)

Wer gerne feiert, sollte sich die Opening-Party in der TAM TAM Trep­penbar in den Münchner Kammer­spielen nicht entgehen lassen. Die DJs ShoeShine Boy und LaRe bringen grie­chi­sche Beats nach München. Der Eintritt ist frei. (Samstag, 15.11., ab 21.30 Uhr)

Der Eröff­nungs­film Stelios und das Double Feature The Distance Between Us and the Sky und Our Wildest Days werden in der grie­chi­schen Origi­nal­fas­sung mit deutschen Unter­ti­teln gezeigt. Kinds of Kindness ist in der engli­schen Origi­nal­fas­sung mit deutschen Unter­ti­teln zu sehen, alle anderen Filme in der grie­chi­schen Origi­nal­fas­sung mit engli­schen Unter­ti­teln.