09.10.2025

Irgendwas mit Kunst

Bad Painter
Der Maler und seine Gebieterin: Udo Kier und Charlotte Taschen
(Foto: IFFR | Albert Oehlen)

Schmerzende Bohrer, ein Wettstreit unter Freunden, Landschaftsgemälde – das 20. UNDERDOX hat für das Jubiläum zahlreiche Deutschlandpremieren und viele Gäste eingeladen

Von Dunja Bialas

Ein Bohrer drillt sich ins Auge, langsam, schmerz­haft. Body Horror – auch das geht natürlich, wenn man das Motto von UNDERDOX: »das Festival, das die Augen öffnet« ganz wörtlich nimmt.

Zumindest mit dieser Drill-Baby-Drill-Szene öffnet UNDERDOX in seinem 20. Jahr nicht nur die Augen, sondern eröffnet sogar die Jubiläums-Ausgabe des Festivals. Den schmerz­haften Moment verdanken wir dem Maler Albert Oehlen und seinem Lang­film­debüt Bad Painter. Albert Oehlen gehört zusammen mit Julian Schnabel, Malcolm Morley, Neil Jenney, Martin Kippen­berger und anderen zur Bewegung des soge­nannten »Bad Paintings«, die sich zur Aufgabe gemacht hat, absicht­lich fehler­haft und grob zu malen. Kitsch, Appro­pria­tion, Zitat, Parodie, Ironie und Sprach­spiele sind die Kunst­griffe, derer man sich gerne bedient – gegen alle Vorgaben der Malpu­risten.

UNDERDOX zeigt diesen auch filmisch einen Schel­men­streich zu nennenden großen Wurf des Malers (dessen Bruder Markus Oehlen an der Kunst­aka­demie in München unter­rich­tete) in Deutsch­land­pre­miere.

Das Festival hat sich dieses Jahr das Thema »irgendwas mit Kunst« gegeben. Und tatsäch­lich wendet sich UNDERDOX dieses Jahr ganz besonders der Darstel­lung von Kunst im Film, aber eben auch der künst­le­ri­schen Über­for­mung der filmi­schen Werke zu. Seit seiner Gründung im Jahr 2006 bricht das Festival die Sparten auf, macht den Doku­men­tar­film für die Fiktion und die Fiktion für das Doku­men­ta­ri­sche durch­lässig und gesteht allen Filmen ohnehin eine große Expe­ri­men­tier­freu­dig­keit zu.

Im Eröff­nungs-Jubiläums­pro­gramm findet sich auch ein Kurzfilm des Video­künst­lers Ulu Braun, dessen Arbeit Pacific Vein gerade bei VIDEODOX, der große Biennale für Video­kunst aus Bayern, in der Galerie der Künstler*innen in der Maxi­mi­li­ans­straße zu sehen ist. Ulu Braun ist ein Tüftler, und zur Eröffnung hat er mit Gerhard bewiesen, wozu die KI nützlich sein kann. Eben, um eine absichts­voll flache, von Stan­dard­sätzen und eben­sol­chen Situa­tionen durch­tränkte Fantasie über einen der derzeit erfolg­reichsten Maler zu imagi­nieren: Gerhard Richter. Der Film ist voller Glitch und glitscht immer wieder wie schlüpf­rige Seife aus den Händen.

Dann zeigt halt anderes

UNDERDOX hat seit seinem ersten Jahr den über­langen Film etabliert. Während Netflix erst 2007 ins Video-on-Demand-Geschäft einstieg und erste Serien streamte, zeigte UNDERDOX bereits 2006 einen zehn­stün­digen Lav Diaz, also noch bevor das Binge-Watching auf dem Sofa wegen der Seri­en­süch­tig­keit begann, und auch lange bevor Lav Diaz zum Festival-Liebling wurde – dieses Jahr hat ihn sogar das Filmfest München gleich zwei Mal für sich bean­sprucht, ein Grund, weshalb UNDERDOX leider ohne seine Entde­ckung aus dem ersten Jahr auskommen muss. Kein Grund jedoch zur Klage. UNDERDOX hat ohne Wett­be­werb seit jeher damit zu tun, dass es im Grunde keine Deutsch­land-Premiere braucht und daher anderen Festivals den Vortritt lässt. Ande­rer­seits aber wurde das Portfolio von UNDERDOX mitt­ler­weile von etlichen Festivals in Deutsch­land als wertvoll erkannt, weshalb man sich immer mehr in die Quere kommt. Der Satz: »Dann zeigt halt anderes« eines befreun­deten Festi­val­lei­ters, als er UNDERDOX einen Eröff­nungs­film wegschnappte, ist seitdem ein Bonmot der Festi­val­lei­tung – die aus der Autorin dieser Zeilen sowie Werk­statt­kino-Kollek­ti­vist Bernd Brehmer besteht.

Was anderes: Also nicht Lav Diaz dieses Jahr, sondern aus der über­langen Sparte Mondongo aus dem Hause La Flor, einem ersten Mehr­teiler fürs Kino, das vor ein paar Jahren die Cine­as­ten­ge­meinde in große Aufregung vers­tetzte. Der Argen­ti­nier Mariano Llinás insze­niert und doku­men­tiert in Mondongo – so genau kann man das wie in vielen Fällen der UNDERDOX-Filme nicht immer trennen – eine Freund­schaft, die in einen Wett­streit mündet. Eigent­lich geht es zunächst darum, einen Film als Hommage an das Künst­ler­kol­lektiv »Mondongo« in Buenos Aires zu drehen. Dann aber wird das Filmteam zunehmend genervt, und ein erbit­terter Konkur­renz­kampf erwächst – während der Film sich immer mehr traut und die Sparte der ausge­tre­tenen Pfade verlässt.

Filme, während man sie erlebt

Der Länder­fokus des Festivals ruht diesmal auf den Briten und einer Clique aus Filme­ma­chern, die sich zur Natur an den urbanen Rand­ge­bieten hinge­zogen fühlen, gerne wandern und außerdem die Literatur lieben. Um den Schrift­steller Iain Sinclair und die Filme­ma­cher Andrew Kötting und Chris Petit herum hat sich eine schöne Tradition des Perfor­mance-Filme­ma­chens heraus­ge­bildet: die Filme entstehen, während die Prot­ago­nisten sie erleben. So ist die Fahrt auf einem riesigen Schwanen-Paddel­boot vom Strand von Hastings im Südosten Englands ins Londoner Viertel Hackney ein Ausflug, den man sicher­lich kein zweites Mal macht – der Film dazu ein absolutes Vergnügen im größt­mög­li­chen Low-Tech. Andrew Kötting und Chris Petit kommen zum Festival.

Auch der geor­gi­sche Regisseur Alexandre Koberidze sucht ganz absichts­voll den unteren Tech­nik­be­reich und erzielt damit erhebende Lein­wand­ma­lerei-Momente. In Dry Leaf kehrt er zur Technik von Lass den Sommer nie wieder kommen (2017) zurück und kreiert rund um die Geschichte über die verschwun­dene Foto­grafin Lisa pursten Leinwand-Expres­sio­nismus. Auch Alexandre Koberidze wird zum Festival da sein.

Erin­ne­rungen statt Wieder­ho­lungen

Mit den serbi­schen Regis­seure Ivan Marković und Želimir Žilnik – die beide zu Gast sind – knüpft das Festival an einen Länder­schwer­punkt von vor ein paar Jahren an: die jugo­sla­wi­sche Schwarze Welle. Sie wurden zum Ende der mythi­schen Erzäh­lungen vom Sozia­lismus – die Filme der jugo­sla­wi­schen Schwarzen Welle verab­schie­deten sich vom sozia­lis­ti­schen Helden, sprengten die Grenzen der Sujets und der Genres und brachen mit den ideo­lo­gi­schen Werten der sozia­lis­ti­schen Doktrin. In den 1960er und 1970er Jahren entwi­ckelten Regis­seure wie Alexander Petrović, Karpo Godina oder Krsto Papić ein sozi­al­kri­ti­sches, schwarz­hu­mo­riges und von allen Normen befreites Autoren­kino zwischen Dokument und Expe­ri­ment, das sich glei­cher­maßen gegen die Restrik­tionen des sozia­lis­ti­schen Staates richtete.

Der 1942 geborene Žilnik gehört mit seiner Fähigkeit, aus dem Alltag gewöhn­li­cher Menschen fesselnde Erzäh­lungen zu entwi­ckeln, ebenfalls dazu. Außerdem hat er mitt­ler­weile ein Alter erreicht, das ohne Not Ü80 zu nennen ist und dem Žilnik auf keinen Fall mit gebotenem Ernst begegnen möchte. Eighty Plus heißt sein neues Werk im inter­na­tio­nalen Verleih­titel, wovon man sich aber nicht beirren lassen sollte, auch wenn der Film natürlich sehr humorvoll von einem spezi­ellen Coming-of-Age erzählt. Žilnik nimmt auch auf die Schippe, was die Resti­tu­ti­ons­rhe­torik nach dem Kalten Krieg brachte, und macht sich beherzt aus dem Staub, als er ein Haus wieder­be­kommen soll. Auch Žilnik ist zu Gast.

Die Festi­val­leiter wollten im Jubiläums­jahr keine Filme wieder­holen und lieber betrachten, wie sich vergan­gene Schwer­punkte weiter­ent­wi­ckelt haben. Inventory, der Kurzfilm von Marković über die De-Konstruk­tion des Sava Centar, eines inter­na­tio­nalen Kongress-, Kultur- und Geschäfts­zen­trums in Belgrad, gehört ebenfalls dazu. Einst war es Symbol für den Fort­schritt Jugo­sla­wiens. Wie das Land, so zerfiel es selbst. Jetzt wird es Stück für Stück in seine Einzel­teile zerlegt. Der Film des Kame­ra­manns von Angela Schanelec (Music) läuft zusammen mit Maureen Fazen­deiros bild­mäch­tigem The Seasons. Auch Portugal haben die Festi­val­ma­cher schon einen Schwer­punkt gewidmet, der die Schönheit und Gebro­chen­heit der lusischen Filme feierte. Fazen­deiros Film ist eine poetische Reise durch die Alentejo-Region Portugals. Erin­ne­rungen an das Vergan­gene und das gegen­wär­tige Portugal vazio – das in seinem Landes­in­nere buchs­täb­lich leer gewordene Portugal – mischen sich in den doku­men­ta­ri­schen Bildern ebenso wie mit der Fiktion.

20. UNDERDOX
9. bis 15. Oktober 2025

Film­mu­seum München, Theatiner Filmkunst, Werk­statt­kino
Eintritt: 8 Euro

6. VIDEODOX
noch bis 12. Oktober 2025

Perfor­mance und Preis­ver­lei­hung am 12. Oktober ab 15 Uhr