Irgendwas mit Kunst |
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| Der Maler und seine Gebieterin: Udo Kier und Charlotte Taschen | ||
| (Foto: IFFR | Albert Oehlen) | ||
Von Dunja Bialas
Ein Bohrer drillt sich ins Auge, langsam, schmerzhaft. Body Horror – auch das geht natürlich, wenn man das Motto von UNDERDOX: »das Festival, das die Augen öffnet« ganz wörtlich nimmt.
Zumindest mit dieser Drill-Baby-Drill-Szene öffnet UNDERDOX in seinem 20. Jahr nicht nur die Augen, sondern eröffnet sogar die Jubiläums-Ausgabe des Festivals. Den schmerzhaften Moment verdanken wir dem Maler Albert Oehlen und seinem Langfilmdebüt Bad Painter. Albert Oehlen gehört zusammen mit Julian Schnabel, Malcolm Morley, Neil Jenney, Martin Kippenberger und anderen zur Bewegung des sogenannten »Bad Paintings«, die sich zur Aufgabe gemacht hat, absichtlich fehlerhaft und grob zu malen. Kitsch, Appropriation, Zitat, Parodie, Ironie und Sprachspiele sind die Kunstgriffe, derer man sich gerne bedient – gegen alle Vorgaben der Malpuristen.
UNDERDOX zeigt diesen auch filmisch einen Schelmenstreich zu nennenden großen Wurf des Malers (dessen Bruder Markus Oehlen an der Kunstakademie in München unterrichtete) in Deutschlandpremiere.
Das Festival hat sich dieses Jahr das Thema »irgendwas mit Kunst« gegeben. Und tatsächlich wendet sich UNDERDOX dieses Jahr ganz besonders der Darstellung von Kunst im Film, aber eben auch der künstlerischen Überformung der filmischen Werke zu. Seit seiner Gründung im Jahr 2006 bricht das Festival die Sparten auf, macht den Dokumentarfilm für die Fiktion und die Fiktion für das Dokumentarische durchlässig und gesteht allen Filmen ohnehin eine große Experimentierfreudigkeit zu.
Im Eröffnungs-Jubiläumsprogramm findet sich auch ein Kurzfilm des Videokünstlers Ulu Braun, dessen Arbeit Pacific Vein gerade bei VIDEODOX, der große Biennale für Videokunst aus Bayern, in der Galerie der Künstler*innen in der Maximiliansstraße zu sehen ist. Ulu Braun ist ein Tüftler, und zur Eröffnung hat er mit Gerhard bewiesen, wozu die KI nützlich sein kann. Eben, um eine absichtsvoll flache, von Standardsätzen und ebensolchen Situationen durchtränkte Fantasie über einen der derzeit erfolgreichsten Maler zu imaginieren: Gerhard Richter. Der Film ist voller Glitch und glitscht immer wieder wie schlüpfrige Seife aus den Händen.
UNDERDOX hat seit seinem ersten Jahr den überlangen Film etabliert. Während Netflix erst 2007 ins Video-on-Demand-Geschäft einstieg und erste Serien streamte, zeigte UNDERDOX bereits 2006 einen zehnstündigen Lav Diaz, also noch bevor das Binge-Watching auf dem Sofa wegen der Seriensüchtigkeit begann, und auch lange bevor Lav Diaz zum Festival-Liebling wurde – dieses Jahr hat ihn sogar das Filmfest München gleich zwei Mal für sich beansprucht, ein Grund, weshalb UNDERDOX leider ohne seine Entdeckung aus dem ersten Jahr auskommen muss. Kein Grund jedoch zur Klage. UNDERDOX hat ohne Wettbewerb seit jeher damit zu tun, dass es im Grunde keine Deutschland-Premiere braucht und daher anderen Festivals den Vortritt lässt. Andererseits aber wurde das Portfolio von UNDERDOX mittlerweile von etlichen Festivals in Deutschland als wertvoll erkannt, weshalb man sich immer mehr in die Quere kommt. Der Satz: »Dann zeigt halt anderes« eines befreundeten Festivalleiters, als er UNDERDOX einen Eröffnungsfilm wegschnappte, ist seitdem ein Bonmot der Festivalleitung – die aus der Autorin dieser Zeilen sowie Werkstattkino-Kollektivist Bernd Brehmer besteht.
Was anderes: Also nicht Lav Diaz dieses Jahr, sondern aus der überlangen Sparte Mondongo aus dem Hause La Flor, einem ersten Mehrteiler fürs Kino, das vor ein paar Jahren die Cineastengemeinde in große Aufregung verstetzte. Der Argentinier Mariano Llinás inszeniert und dokumentiert in Mondongo – so genau kann man das wie in vielen Fällen der UNDERDOX-Filme nicht immer trennen – eine Freundschaft, die in einen Wettstreit mündet. Eigentlich geht es zunächst darum, einen Film als Hommage an das Künstlerkollektiv »Mondongo« in Buenos Aires zu drehen. Dann aber wird das Filmteam zunehmend genervt, und ein erbitterter Konkurrenzkampf erwächst – während der Film sich immer mehr traut und die Sparte der ausgetretenen Pfade verlässt.
Der Länderfokus des Festivals ruht diesmal auf den Briten und einer Clique aus Filmemachern, die sich zur Natur an den urbanen Randgebieten hingezogen fühlen, gerne wandern und außerdem die Literatur lieben. Um den Schriftsteller Iain Sinclair und die Filmemacher Andrew Kötting und Chris Petit herum hat sich eine schöne Tradition des Performance-Filmemachens herausgebildet: die Filme entstehen, während die Protagonisten sie erleben. So ist die Fahrt auf einem riesigen Schwanen-Paddelboot vom Strand von Hastings im Südosten Englands ins Londoner Viertel Hackney ein Ausflug, den man sicherlich kein zweites Mal macht – der Film dazu ein absolutes Vergnügen im größtmöglichen Low-Tech. Andrew Kötting und Chris Petit kommen zum Festival.
Auch der georgische Regisseur Alexandre Koberidze sucht ganz absichtsvoll den unteren Technikbereich und erzielt damit erhebende Leinwandmalerei-Momente. In Dry Leaf kehrt er zur Technik von Lass den Sommer nie wieder kommen (2017) zurück und kreiert rund um die Geschichte über die verschwundene Fotografin Lisa pursten Leinwand-Expressionismus. Auch Alexandre Koberidze wird zum Festival da sein.
Mit den serbischen Regisseure Ivan Marković und Želimir Žilnik – die beide zu Gast sind – knüpft das Festival an einen Länderschwerpunkt von vor ein paar Jahren an: die jugoslawische Schwarze Welle. Sie wurden zum Ende der mythischen Erzählungen vom Sozialismus – die Filme der jugoslawischen Schwarzen Welle verabschiedeten sich vom sozialistischen Helden, sprengten die Grenzen der Sujets und der Genres und brachen mit den ideologischen Werten der sozialistischen Doktrin. In den 1960er und 1970er Jahren entwickelten Regisseure wie Alexander Petrović, Karpo Godina oder Krsto Papić ein sozialkritisches, schwarzhumoriges und von allen Normen befreites Autorenkino zwischen Dokument und Experiment, das sich gleichermaßen gegen die Restriktionen des sozialistischen Staates richtete.
Der 1942 geborene Žilnik gehört mit seiner Fähigkeit, aus dem Alltag gewöhnlicher Menschen fesselnde Erzählungen zu entwickeln, ebenfalls dazu. Außerdem hat er mittlerweile ein Alter erreicht, das ohne Not Ü80 zu nennen ist und dem Žilnik auf keinen Fall mit gebotenem Ernst begegnen möchte. Eighty Plus heißt sein neues Werk im internationalen Verleihtitel, wovon man sich aber nicht beirren lassen sollte, auch wenn der Film natürlich sehr humorvoll von einem speziellen Coming-of-Age erzählt. Žilnik nimmt auch auf die Schippe, was die Restitutionsrhetorik nach dem Kalten Krieg brachte, und macht sich beherzt aus dem Staub, als er ein Haus wiederbekommen soll. Auch Žilnik ist zu Gast.
Die Festivalleiter wollten im Jubiläumsjahr keine Filme wiederholen und lieber betrachten, wie sich vergangene Schwerpunkte weiterentwickelt haben. Inventory, der Kurzfilm von Marković über die De-Konstruktion des Sava Centar, eines internationalen Kongress-, Kultur- und Geschäftszentrums in Belgrad, gehört ebenfalls dazu. Einst war es Symbol für den Fortschritt Jugoslawiens. Wie das Land, so zerfiel es selbst. Jetzt wird es Stück für Stück in seine Einzelteile zerlegt. Der Film des Kameramanns von Angela Schanelec (Music) läuft zusammen mit Maureen Fazendeiros bildmächtigem The Seasons. Auch Portugal haben die Festivalmacher schon einen Schwerpunkt gewidmet, der die Schönheit und Gebrochenheit der lusischen Filme feierte. Fazendeiros Film ist eine poetische Reise durch die Alentejo-Region Portugals. Erinnerungen an das Vergangene und das gegenwärtige Portugal vazio – das in seinem Landesinnere buchstäblich leer gewordene Portugal – mischen sich in den dokumentarischen Bildern ebenso wie mit der Fiktion.
Filmmuseum München, Theatiner Filmkunst, Werkstattkino
Eintritt: 8 Euro
Performance und Preisverleihung am 12. Oktober ab 15 Uhr