11.09.2025

Was sehen wir eigentlich, wenn wir Film sehen?

Rose Lowder
In der Kamera montiert: Rose Lowders Voiliers et coquelicots
(Foto: exf f. · Rose Lowder)

Ein Besuch des 5. exff im Frankfurter Uni-Kino Pupille

Von Timur Özkan

Glas in Stahl in Reflek­tion. Darin eine Beton­wüste. Darin ein Raum. Darin das Meer. Kürzlich ging das exf f. – Tage des expe­ri­men­tellen Films Frankfurt zu Ende. Man darf es ruhig so ausspre­chen, dieses Festival ist, gerade von München aus gesehen, eine kleine Oase. Ganz dezidiert widmet man sich dem, was unter den breiten Begriff des Expe­ri­men­tal­films fällt, und zeigt dabei kontem­po­räre sowie alte bzw. etablierte Meister, die dennoch genauso selten zu sehen sind, und entdeckt Verges­senes bzw. über Jahr­zehnte in Archiven Vernach­läs­sigtes neu – und das alles analog.

2021 gestartet (u.a., um manche Filme überhaupt erst selbst sehen zu können), lief das Festival dieses Jahr zum fünften Mal an, was zurecht als kleines Jubiläum gefeiert wurde. In den Jahren hat das Kernteam um Martin Klein, Larissa Krampert und Björn Schmitt damit eine kleine Insti­tu­tion geschaffen: Viele der gezeigten Filme sind, sowohl auf

Deutsch­land bezogen als auch außerhalb der USA, eine ziemliche Selten­heit.

Ein Flackern, dann sind die Bilder da

Dies trifft schon auf den Eröff­nungs­abend zu. Mit drei Filmen des ameri­ka­ni­schen Expe­ri­men­tal­fil­mers Peter Hutton, dem im Dialog mit dem Filme­ma­cher Mark LaPore eine Reihe gewidmet ist, startet das Festival. Die Location selbst scheint, zumindest dem ersten Eindruck nach, der unwahr­schein­lichste Ort für die Projek­tion dieser Filme zu sein: Die Pupille, das Kino der Univer­sität, das heißt: ein Saal, der bei Licht eher noch einer Aula gleicht, die Fenster mit dunklen Vorhängen in DIY-Manier abge­dun­kelt. Umso über­raschter ist man, wie dunkel ein solcher Saal dann doch tatsäch­lich werden kann. Ein Flackern, und dann sind sie da, auf der Leinwand, die Bilder von Peter Hutton, proji­ziert auf 16mm, die in digitaler Fassung, wenn überhaupt, als schlechte VHS-Rips im Internet herum­geis­tern. Inmitten der Finanz­me­tro­pole, in einem dunklen Saal, bricht auf einmal das Meer ein.

Dass ein solches Filmfest nicht die Massen anzieht, ist leider zu erwarten, jedoch scheint das bestehende Interesse an dem Festival über die Stadt und den deutsch­spra­chigen Raum hinaus­zu­rei­chen. Gespräche auf u.a. Spanisch und Fran­zö­sisch hört man über die Tage aus verschie­denen Ecken des Saals, Zuschauer aus UK sind anwesend, ebenso wie einige Filme­ma­cher selbst: Robert Beavers, dem das Festival vor zwei Jahren eine Reihe widmete, befindet sich ebenfalls unter den Gästen. Diese Inter­na­tio­na­lität macht einen großen Teil des Charmes dieses Festivals aus, genauso die nahbare Atmo­sphäre zwischen den Projek­tionen, die sich in Gesprächen und Begeg­nungen zwischen den Ange­reisten äußert. Eine Hier­ar­chie zwischen Festi­val­be­trei­bern und geladenen Gästen hier und einem zu bespie­lenden Publikum dort fehlt praktisch volls­tändig; der oft als nur Buzzword exis­tie­rende »Raum für Dialog« kommt hier tatsäch­lich zu seiner Geltung. Es geht um die Sache, die Filme selbst und den ständigen Austausch darüber.

Der Unvoll­endete: Edward Owens

Man mag das Wort »selten« gar nicht so oft in den Mund nehmen, und kommt doch immer wieder nicht drum herum. So sind die Filme von Edward Owens eine der Entde­ckungen des Festivals, ihre Projek­tion eine Rarität. Owens ging als junger Mann nach New York, ermutigt von Gregory J. Marko­poulos (dem das exff letztes Jahr eine Reihe widmete); er hatte die 8mm-Arbeiten des Schülers an der School of the Art Institute of Chicago gesehen hatte. In New York schuf sich Owens bald einen Platz in der Under­ground-Szene und gilt seitdem als eine der wenigen schwarzen Stimmen der US-ameri­ka­ni­schen Avant­garde. Viel zu früh musste Owens seine Karriere beenden, ging zurück nach Chicago und drehte bis zu seinem Tod im Jahr 2010 keinen weiteren Film mehr.

Sein Gesamt­werk, oder das, was dieses hätte sein können, bleibt so betrachtet unvoll­endet, ein Fragment. Das schmale Werk, das uns erhalten bleibt und erst kürzlich restau­riert wurde, zeigt das exff in Deutsch­land­pre­miere. Darunter befinden sich besagte 8mm Filme, die man noch als Erkundung des Mediums betrachten darf, sowie vier längere 16mm-Arbeiten. Während sich die früheren zwei (Autre fois, j'ai aimé une femme und Tomorrow’s Promise) stilis­tisch noch an Marko­pooulos’ Arbeit orien­tieren, schlagen die beiden anderen (Remem­brance: A Portrait Study und Private Imagi­nings and Narrative Facts) einen eigenen Stil ein. Ähnlich zu seinem für uns lücken­haften Leben bleiben seine Filme weitest­ge­hend enig­ma­tisch.

Kame­ra­er­kun­dungen der Welt: Milena Gierke

Eine junge Frau erkundet mit ihrer Kamera die Welt, ihr Umfeld, sich selbst. Sie filmt ihre Umgebung, einzelne Momente, Beiläu­fig­keiten, die durch die Aufmerk­sam­keit, die ihnen mittels der Kamera verliehen wird, aufhören, solche zu sein. Von allen Momenten, die damals zu diesem Zeitpunkt vorbei­ge­zogen sind, sind diese fest­ge­halten, einge­froren, nicht vergessen. Die Umgebung, das ist New York. Ein gutes Jahr war sie dort und doku­men­tierte im Stil eines filmi­schen Tagebuchs ihre Beob­ach­tungen. Jetzt flackern sie in der Dunkel­heit eines Saals auf der Leinwand.

Die Frau – die Regis­seurin – ist Milena Gierke. Sie selbst ist anwesend, sitzt dort hinten neben dem rauschenden Projektor. Früher, so erzählt sie, hat sie ihn noch selbst bedient, die Filme selbst vorge­führt. Mitt­ler­weile lässt ihr die Krankheit nicht mehr die Kraft dazu, jemand anders übernimmt diese Arbeit. Anwesend ist sie dennoch und erzählt, wie sie nach New York ging, filmte und direkt in der Kamera schnitt. Sie montiert direkt beim Filmen, durch die Entschei­dung, wann (und natürlich wie, in welchem Rhythmus) man die Aufnahme startet und abbricht und dann, eventuell Stunden, Tage später, wieder aufnimmt. Die Vermitt­lung dieses Prozesses scheint Gierke am Herzen zu liegen, die Konzen­tra­tion und Aufmerk­sam­keit, die dieses Filmen erfordert, als auch die Konse­quenzen, die sie mit sich trägt. Das Material wird danach nicht mehr bear­beitet, nicht geschnitten, was gefilmt ist, ist erhalten, alles andere für immer dem Vergessen über­lassen. Physical memory. Was bleibt, ist eine Erin­ne­rung, in ihrem Entste­hungs­pro­zess fest­ge­halten, physisch/materiell erhalten, unver­än­der­lich und doch immer wieder abrufbar. Die junge Frau dort vorne erkundet die Welt, in die sie aufbricht, den eigenen Körper, das eigene Gesicht, das von Freunden, erkundet Straßen, Reflek­tionen, Licht, das sich bricht. Die Welt wird durch die Kamera erfasst und gleich­zeitig erst geschaffen. Die Gleich­zei­tig­keit dieser Wirk­lich­keiten, die durch die als Perfor­mance angelegte Projek­tion des Films entsteht, ist sicher einer der schönsten Momente des Festivals.

Was Film sein kann: Rose Lowder

Beschlossen wird das Festival mit Filmen von Rose Lowder, welche in einer seltenen Radi­ka­lität nach dem fragen, was Film überhaupt ist bzw. sein kann. Dabei konzen­triert sich Lowder vor allem auf den Prozess der mensch­li­chen Wahr­neh­mung einer­seits, und erzeugt allein durch die Montage in der Kamera Über­la­ge­rungen, die wie Doppel­be­lich­tungen erscheinen, ande­rer­seits gilt ihre Erkundung auch dem Material selbst. So wird in Roulement, rouerie, aubage ein Wasserrad zur selben Tageszeit auf unter­schied­lich licht­emp­find­li­chem Material gefilmt, selbiges und seine Mate­ria­lität, seine Beschaf­fen­heit, ausge­stellt, erforscht. Dieser Blick, diese radikale Neugier dafür, was wir eigent­lich sehen, wenn wir Film sehen, lässt sich program­ma­tisch auch auf das exff anwenden. Nach den vergan­genen fünf Jahren darf man sich auf die weiteren nur freuen.