Was sehen wir eigentlich, wenn wir Film sehen? |
![]() |
|
In der Kamera montiert: Rose Lowders Voiliers et coquelicots | ||
(Foto: exf f. · Rose Lowder) |
Von Timur Özkan
Glas in Stahl in Reflektion. Darin eine Betonwüste. Darin ein Raum. Darin das Meer. Kürzlich ging das exf f. – Tage des experimentellen Films Frankfurt zu Ende. Man darf es ruhig so aussprechen, dieses Festival ist, gerade von München aus gesehen, eine kleine Oase. Ganz dezidiert widmet man sich dem, was unter den breiten Begriff des Experimentalfilms fällt, und zeigt dabei kontemporäre sowie alte bzw. etablierte Meister, die dennoch genauso selten zu sehen sind, und entdeckt Vergessenes bzw. über Jahrzehnte in Archiven Vernachlässigtes neu – und das alles analog.
2021 gestartet (u.a., um manche Filme überhaupt erst selbst sehen zu können), lief das Festival dieses Jahr zum fünften Mal an, was zurecht als kleines Jubiläum gefeiert wurde. In den Jahren hat das Kernteam um Martin Klein, Larissa Krampert und Björn Schmitt damit eine kleine Institution geschaffen: Viele der gezeigten Filme sind, sowohl auf
Deutschland bezogen als auch außerhalb der USA, eine ziemliche Seltenheit.
Dies trifft schon auf den Eröffnungsabend zu. Mit drei Filmen des amerikanischen Experimentalfilmers Peter Hutton, dem im Dialog mit dem Filmemacher Mark LaPore eine Reihe gewidmet ist, startet das Festival. Die Location selbst scheint, zumindest dem ersten Eindruck nach, der unwahrscheinlichste Ort für die Projektion dieser Filme zu sein: Die Pupille, das Kino der Universität, das heißt: ein Saal, der bei Licht eher noch einer Aula gleicht, die Fenster mit dunklen Vorhängen in DIY-Manier abgedunkelt. Umso überraschter ist man, wie dunkel ein solcher Saal dann doch tatsächlich werden kann. Ein Flackern, und dann sind sie da, auf der Leinwand, die Bilder von Peter Hutton, projiziert auf 16mm, die in digitaler Fassung, wenn überhaupt, als schlechte VHS-Rips im Internet herumgeistern. Inmitten der Finanzmetropole, in einem dunklen Saal, bricht auf einmal das Meer ein.
Dass ein solches Filmfest nicht die Massen anzieht, ist leider zu erwarten, jedoch scheint das bestehende Interesse an dem Festival über die Stadt und den deutschsprachigen Raum hinauszureichen. Gespräche auf u.a. Spanisch und Französisch hört man über die Tage aus verschiedenen Ecken des Saals, Zuschauer aus UK sind anwesend, ebenso wie einige Filmemacher selbst: Robert Beavers, dem das Festival vor zwei Jahren eine Reihe widmete, befindet sich ebenfalls unter den Gästen. Diese Internationalität macht einen großen Teil des Charmes dieses Festivals aus, genauso die nahbare Atmosphäre zwischen den Projektionen, die sich in Gesprächen und Begegnungen zwischen den Angereisten äußert. Eine Hierarchie zwischen Festivalbetreibern und geladenen Gästen hier und einem zu bespielenden Publikum dort fehlt praktisch vollständig; der oft als nur Buzzword existierende »Raum für Dialog« kommt hier tatsächlich zu seiner Geltung. Es geht um die Sache, die Filme selbst und den ständigen Austausch darüber.
Man mag das Wort »selten« gar nicht so oft in den Mund nehmen, und kommt doch immer wieder nicht drum herum. So sind die Filme von Edward Owens eine der Entdeckungen des Festivals, ihre Projektion eine Rarität. Owens ging als junger Mann nach New York, ermutigt von Gregory J. Markopoulos (dem das exff letztes Jahr eine Reihe widmete); er hatte die 8mm-Arbeiten des Schülers an der School of the Art Institute of Chicago gesehen hatte. In New York schuf sich Owens bald einen Platz in der Underground-Szene und gilt seitdem als eine der wenigen schwarzen Stimmen der US-amerikanischen Avantgarde. Viel zu früh musste Owens seine Karriere beenden, ging zurück nach Chicago und drehte bis zu seinem Tod im Jahr 2010 keinen weiteren Film mehr.
Sein Gesamtwerk, oder das, was dieses hätte sein können, bleibt so betrachtet unvollendet, ein Fragment. Das schmale Werk, das uns erhalten bleibt und erst kürzlich restauriert wurde, zeigt das exff in Deutschlandpremiere. Darunter befinden sich besagte 8mm Filme, die man noch als Erkundung des Mediums betrachten darf, sowie vier längere 16mm-Arbeiten. Während sich die früheren zwei (Autre fois, j'ai aimé une femme und Tomorrow’s Promise) stilistisch noch an Markopooulos’ Arbeit orientieren, schlagen die beiden anderen (Remembrance: A Portrait Study und Private Imaginings and Narrative Facts) einen eigenen Stil ein. Ähnlich zu seinem für uns lückenhaften Leben bleiben seine Filme weitestgehend enigmatisch.
Eine junge Frau erkundet mit ihrer Kamera die Welt, ihr Umfeld, sich selbst. Sie filmt ihre Umgebung, einzelne Momente, Beiläufigkeiten, die durch die Aufmerksamkeit, die ihnen mittels der Kamera verliehen wird, aufhören, solche zu sein. Von allen Momenten, die damals zu diesem Zeitpunkt vorbeigezogen sind, sind diese festgehalten, eingefroren, nicht vergessen. Die Umgebung, das ist New York. Ein gutes Jahr war sie dort und dokumentierte im Stil eines filmischen Tagebuchs ihre Beobachtungen. Jetzt flackern sie in der Dunkelheit eines Saals auf der Leinwand.
Die Frau – die Regisseurin – ist Milena Gierke. Sie selbst ist anwesend, sitzt dort hinten neben dem rauschenden Projektor. Früher, so erzählt sie, hat sie ihn noch selbst bedient, die Filme selbst vorgeführt. Mittlerweile lässt ihr die Krankheit nicht mehr die Kraft dazu, jemand anders übernimmt diese Arbeit. Anwesend ist sie dennoch und erzählt, wie sie nach New York ging, filmte und direkt in der Kamera schnitt. Sie montiert direkt beim Filmen, durch die Entscheidung, wann (und natürlich wie, in welchem Rhythmus) man die Aufnahme startet und abbricht und dann, eventuell Stunden, Tage später, wieder aufnimmt. Die Vermittlung dieses Prozesses scheint Gierke am Herzen zu liegen, die Konzentration und Aufmerksamkeit, die dieses Filmen erfordert, als auch die Konsequenzen, die sie mit sich trägt. Das Material wird danach nicht mehr bearbeitet, nicht geschnitten, was gefilmt ist, ist erhalten, alles andere für immer dem Vergessen überlassen. Physical memory. Was bleibt, ist eine Erinnerung, in ihrem Entstehungsprozess festgehalten, physisch/materiell erhalten, unveränderlich und doch immer wieder abrufbar. Die junge Frau dort vorne erkundet die Welt, in die sie aufbricht, den eigenen Körper, das eigene Gesicht, das von Freunden, erkundet Straßen, Reflektionen, Licht, das sich bricht. Die Welt wird durch die Kamera erfasst und gleichzeitig erst geschaffen. Die Gleichzeitigkeit dieser Wirklichkeiten, die durch die als Performance angelegte Projektion des Films entsteht, ist sicher einer der schönsten Momente des Festivals.
Beschlossen wird das Festival mit Filmen von Rose Lowder, welche in einer seltenen Radikalität nach dem fragen, was Film überhaupt ist bzw. sein kann. Dabei konzentriert sich Lowder vor allem auf den Prozess der menschlichen Wahrnehmung einerseits, und erzeugt allein durch die Montage in der Kamera Überlagerungen, die wie Doppelbelichtungen erscheinen, andererseits gilt ihre Erkundung auch dem Material selbst. So wird in Roulement, rouerie, aubage ein Wasserrad zur selben Tageszeit auf unterschiedlich lichtempfindlichem Material gefilmt, selbiges und seine Materialität, seine Beschaffenheit, ausgestellt, erforscht. Dieser Blick, diese radikale Neugier dafür, was wir eigentlich sehen, wenn wir Film sehen, lässt sich programmatisch auch auf das exff anwenden. Nach den vergangenen fünf Jahren darf man sich auf die weiteren nur freuen.