Versprechen vollkommener Uneindeutigkeit |
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Blicke durchs Bullauge: Time and Tide (2000) | ||
(Foto: exf f. · Peter Hutton, Time and Tide) |
Das diesjährige »exf f. – tage des experimentellen films frankfurt« bot die seltene Möglichkeit, den Großteil des filmischen Werks von Peter Hutton auf analogem Film zu erleben. In Kombination mit fünf Filmen von Mark LaPore war die den beiden amerikanischen Filmemachern gewidmete Reihe »collecting images« die umfangreichste des Festivals. In ihr wurden fünf Programme gezeigt, drei davon waren Hutton allein gewidmet, elf seiner Filme wurden insgesamt vorgeführt. Anlässlich dieses Überblicks soll der folgende Text ein paar Überlegungen und Gedanken zu diesem außergewöhnlichen Regisseur festhalten, weniger auf ausgewählte Filme eingehen, als sie als Gesamtwerk begreifen, als etablierte filmische Sprache.
Die erste Auffälligkeit, die sich sämtliche Filme Huttons teilen, ist der konsequente Verzicht auf Ton. Einzig die Bilder werden auf die Leinwand projiziert, keine Musik gibt es, kein Voice-over, keine Sounds, nichts. Zunächst etwas irritierend wirkt diese augenblickliche Intimität, der vollständige Fokus auf die Fotografie. Doch ganz still ist es natürlich trotzdem nicht, man sitzt schließlich in keinem isolierten Raum, hat diese Filme nie ganz für sich. Da wären zunächst einmal die anderen Besucher, unvermeidlich ist ein gelegentliches Räuspern, Trinkgeräusche, Schuhsohlen, die auf dem Parkett scheuern. Und natürlich der Projektor, der unaufhörlich durchrauscht, der als einziger gar nicht ganz still sein kann, der die Bilder auf die Leinwand schnaubt. Gezeigt wurden die Filme in dem Frankfurter Uni-Kino Pupille. Und so sind auch die Wände nicht so isoliert, wie man es aus den meisten Kinosälen kennt, dringen immer wieder Geräusche von draußen herein, hört man einen Streit, schreiende Kinder, einmal gar gedämpfte Klänge einer Party. Eine ganz eigene Filmmusik entsteht, ein aus dem Hintergrund immer wieder hervortretendes Arrangement aus Zufälligkeiten. Die Welt lässt sich nicht ganz ausblenden, Huttons Filme finden lediglich in ihr statt, bilden in ihrer ganzen Anmut doch nur minutenlange Ausbruchsmomente. Es ist schön, diese merkwürdige Überblendung zu erleben, es stört überhaupt nicht, lenkt auch nicht ab, fügt sich ganz harmonisch ein in diese Studien der Welt.
Das hängt zweifelsfrei auch mit der offenen Struktur von Huttons Werk zusammen, jeder Film erlaubt ein gedankliches Ausscheiden und Eintreten zu jeder Sekunde. Es sind in erster Linie Landschaften, die ihn interessieren, viele Flüsse, das Meer natürlich, das Sich-Bewegen auf dem Wasser, auf dem Schiff, das dann zum zweiten Punkt seiner Filme überleitet: Der menschliche Eingriff in diese immer mystischer anmutende Natur. Schiffe zum einen, Frachter oder Fähren, auf denen sich Hutton mit seiner Kamera befindet, durch sie andere, kleinere, sieht, die vorbeiziehen, immer schneller werden als das eigene, in Konkurrenz treten, es überholen. Und Fabriken natürlich, diese unbeweglichen Bauten aus Stahl, die sich beinahe geometrisch in die Panoramen einfügen. Immer gibt es Gegensatzpaare: Das Unberechenbare, Freie der Natur, der Wind auf den Wellen, in den Bäumen, festgehalten in statischen Aufnahmen, höchstens bewegt von den Transportmitteln, auf denen die Kamera steht, montiert wurde. Und dann, konträr, eben genau diese künstlichen Welten, die beim Schiff beginnen, bei Bauwerken enden. Hier bewegt sich nichts mehr, und wenn doch, dann zweckgerichtet, programmiert, künstlich; in diese Welt gesetzt, um in ihr zu arbeiten, determiniert und kalt, statische Objekte, frei von jeder Mystik, jeglicher Anmut. Trotzdem natürlich überwältigend, allerdings nur, weil sie eingrenzen, weil sie diese Natur beschneiden, ihr gegenüberstehen, sich statisch in ihr positionieren. Die Aufnahmen von blanken Oberflächen sind – bewusst – die eindeutigsten, langweiligsten der Filme, erst wenn die Natur versucht, sich ihrer zu bemächtigen, kommt ihnen eine eigene ästhetische Dimension zu, wenn sich Wolken über die Fabriken legen, die mechanischen Gerätschaften Nebel fabrizieren, der sich über den Feldern verbreitet.
Jene Anknüpfungspunkte durchsetzen Huttons Filme. Natürlich hat keiner von ihnen eine »Geschichte«, thematisch sind sie dennoch klar ausgerichtet. Skagafjördur (2004) etwa bildet eine Reise nach Island nach, die drei New York Portraits (1979-1990) befassen sich mit der Topologie von NYC. Dennoch ist keiner dieser Filme abschließend, nie lehrreich im Sinne eines vollendeten Diskurses. Dramaturgien werden vermieden, die Bilderfolgen wirken zufällig, dabei nie wahllos. Es sind die beschriebenen Gegensätze, die entstehenden geometrischen Studien, die zentral sind, die einen Denkraum bilden, der immer wieder ins Abstrakte abschweift. Hutton montiert sehr bedacht, die Bilder folgen nicht unmittelbar aufeinander, sind getrennt durch kurze Schwarzblenden. Jeder Szene wird ein Eigenleben zugestanden, ein Zusammenhang bildet sich vollkommen individuell und subjektiv, es fehlt dankenswerterweise an jeglicher Didaktik. Dennoch korrespondieren diese Einstellungen, werden durchsetzt von einzelnen Bruchmomenten. Erneut natürlich die Fabriken, die künstlichen Gegenpunkte, aber auch Markenlogos und vereinzelte Menschen. In Two Rivers (2003) etwa sieht man Huttons eigene Hand, einen Fingerzeig, der im Bild auf einen bestimmten Bildausschnitt weist. So finden sich doch immer wieder Themen, Denkansätze, die in die Bilder-Abfolge eingreifen, sie strukturieren. In Time and Tide (2000) gelingt dies besonders virtuos, Blicke durch Bullaugen, die nasse Reling, das Stahl des Schiffs. Mal bleibt man an diesen Gedanken hängen, lässt sie eine Dramaturgie entwickeln, mal nimmt man sie lediglich als Standpunktwechsel zur Kenntnis. Die Symbolik ist somit nie nur Kritik, ist gleichermaßen der Boden für kommende Aufnahmen, bleibt immer so beobachtend, dass sie untrennbar mit den Filmen verbunden ist, merkwürdig nachhallt. Warum kommt dieses Bild an genau dieser Stelle, was sagt das über das vorherige Bild aus, was über das nächste? Muss ich – als Zuschauer – diesen kodierten Zugängen mehr beimessen, nur weil sie sich ästhetisch abgrenzen? Es bleibt immer offen, schmälert nie den somnambulen Effekt dieser Filme. Es sind Merkwürdigkeiten in der Welt, zumeist politisch motivierte, Hutton lässt sie aber nie übernehmen, verhandelt sie einfach mit, spart sie also ebensowenig aus.
Dieser Zwischenzustand, dieses traumhafte Verloren-Gehen ist dann auch die große Schönheit dieser Filme. Die meisten Einstellungen sind lange gehalten, lassen die Wolken sich frei bewegen, die Wellen immer weiter voranschreiten, sich überlappen, sich wiederholen. Trotzdem folgen stets die Schnitte, kein Bild kann ewig halten. Und so wünscht man sich doch immer wieder zurückkehren zu können, den Projektor zu stoppen, den Film neu zu starten. Meditativ ist dieser Zustand, sehnsüchtig, man wird ja ohnehin nicht schlau aus dieser umwerfenden Landschaftsfotografie, wenn sie dann auch noch in ihrem eigenen Tempo unaufhörlich voranschreitet, gibt man den Versuch jeden Verstehens auf, ergibt sich diesen linearen Collagen vollkommen.
In einem Interview mit Scott MacDonald (in »A Critical Cinema 3«) beschreibt Hutton sein Werk folgendermaßen:
»I’ve never felt that my films are very important in terms of the History of Cinema. They offer a little detour from such grand concepts. They appeal primarily to people who enjoy looking at nature, or who enjoy having a moment to study something that’s not fraught with information. The experience of my films is a little like daydreaming.«
Er benennt es sehr treffend, das Sich-Verlieren in Einzelbildern, die man langsam, gewissenhaft studiert, die aber doch immer wieder verschwinden, ersetzt werden. Wohin mit den Gedanken, sie einfach mitnehmen ins nächste Bild, oder hinter sich lassen, sie streng dort verorten, wo sie auch aufkamen? Immer wieder schweift man ab, träumt über diese Bilder hinweg, ist beim Alltag, während ein Flugzeug durch die Wolken zieht, bei der Liebe, wenn sich ein paar Wellen brechen, ist dann auf einmal wieder ganz beim Film. So setzt sich jener schließlich aus dem zusammen, das er tatsächlich zeigt, gleichermaßen daraus, was hineingetragen wird. Vom Betrachter, aber auch von allen anderen im Saal, man bedenke die Raumgeräusche, die analoge Kopie.
Und so sind es letztendlich sehnsüchtige Filme, die Werke von Peter Hutton. Eine unglaubliche Liebe und Faszination für die Natur, für ihre Unerklärlichkeit und ihren Zufall, gleichzeitig für den Zustand, aus dem heraus sie betrachtet wird. Industrie, Fortschritt, eine bewegte Zeit, die unaufhörlich nach vorne gleitet, wie die Kamera auf all diesen Schiffen. So hat das Menschengemachte immer etwas Unheimliches, Eingreifendes, Beschneidendes, etwas zu Konkretes, das immer stört, wenn es in die Bilder kommt. Und doch ist es unvermeidlich, bildet es ja gerade die Struktur dieser Filme ab, die selbst nunmal keine Natur sein können, die immer nur danebenstehen, beobachten, etwas vergöttern, das sie nicht erreichen.
In einer Szene von Skagafjördur gibt es eine Überblendung von sich brechenden Wellen und einem Blumenfeld. Es ist der schönste Moment des Films, kann sinnbildlich für die Utopie nach Hutton stehen: Das Aufbrechen von Flächen und Formen, von jeder Geometrie, die sich in eine alles beherrschende Flüssigkeit transformiert. Es ist der beständige, umgreifende Bruch, der keine Vergangenheit mehr kennt, keine Gegenwart, auch keine Zukunft. Die konstante Bewegung, zufällig und ins Nichts hinein, frei von sämtlichen Eingriffen, frei auch von einer Bedeutung, die auf ein Ziel hinausführt.
Doch: Es ist lediglich eine Überblendung, ein ausgestellt künstliches Bild, und natürlich muss es enden. In einer Schwarzblende, in einem Schnitt, in der nächsten Szene, die die Linearität wiederherstellt. Mit ihr kommen neue Gedanken, neue Abschweifungen, neue Tagträume, die von diesem singulären, konkreten Gedanken wegführen, der sich nur eins verspricht: die vollkommene Uneindeutigkeit, die Aufhebung im Unklaren, im romantischen Bild der Natur.