11.09.2025

Versprechen vollkommener Uneindeutigkeit

Time and Tide
Blicke durchs Bullauge: Time and Tide (2000)
(Foto: exf f. · Peter Hutton, Time and Tide)

Ein paar Gedanken zum Werk Peter Huttons, das beim 5. exf f. – Tage des experimentellen Films Frankfurt in analogen Kopien zur Aufführung kam

Von Benedikt Guntentaler

Das dies­jäh­rige »exf f. – tage des expe­ri­men­tellen films frankfurt« bot die seltene Möglich­keit, den Großteil des filmi­schen Werks von Peter Hutton auf analogem Film zu erleben. In Kombi­na­tion mit fünf Filmen von Mark LaPore war die den beiden ameri­ka­ni­schen Filme­ma­chern gewidmete Reihe »coll­ec­ting images« die umfang­reichste des Festivals. In ihr wurden fünf Programme gezeigt, drei davon waren Hutton allein gewidmet, elf seiner Filme wurden insgesamt vorge­führt. Anläss­lich dieses Über­blicks soll der folgende Text ein paar Über­le­gungen und Gedanken zu diesem außer­ge­wöhn­li­chen Regisseur fest­halten, weniger auf ausge­wählte Filme eingehen, als sie als Gesamt­werk begreifen, als etablierte filmische Sprache.

Kein Ton, nur Projek­torrau­schen

Die erste Auffäl­lig­keit, die sich sämtliche Filme Huttons teilen, ist der konse­quente Verzicht auf Ton. Einzig die Bilder werden auf die Leinwand proji­ziert, keine Musik gibt es, kein Voice-over, keine Sounds, nichts. Zunächst etwas irri­tie­rend wirkt diese augen­blick­liche Intimität, der volls­tän­dige Fokus auf die Foto­grafie. Doch ganz still ist es natürlich trotzdem nicht, man sitzt schließ­lich in keinem isolierten Raum, hat diese Filme nie ganz für sich. Da wären zunächst einmal die anderen Besucher, unver­meid­lich ist ein gele­gent­li­ches Räuspern, Trink­geräu­sche, Schuh­sohlen, die auf dem Parkett scheuern. Und natürlich der Projektor, der unauf­hör­lich durch­rauscht, der als einziger gar nicht ganz still sein kann, der die Bilder auf die Leinwand schnaubt. Gezeigt wurden die Filme in dem Frank­furter Uni-Kino Pupille. Und so sind auch die Wände nicht so isoliert, wie man es aus den meisten Kinosälen kennt, dringen immer wieder Geräusche von draußen herein, hört man einen Streit, schrei­ende Kinder, einmal gar gedämpfte Klänge einer Party. Eine ganz eigene Filmmusik entsteht, ein aus dem Hinter­grund immer wieder hervor­tre­tendes Arran­ge­ment aus Zufäl­lig­keiten. Die Welt lässt sich nicht ganz ausblenden, Huttons Filme finden lediglich in ihr statt, bilden in ihrer ganzen Anmut doch nur minu­ten­lange Ausbruchs­mo­mente. Es ist schön, diese merk­wür­dige Über­blen­dung zu erleben, es stört überhaupt nicht, lenkt auch nicht ab, fügt sich ganz harmo­nisch ein in diese Studien der Welt.

Gegen­sätze

Das hängt zwei­fels­frei auch mit der offenen Struktur von Huttons Werk zusammen, jeder Film erlaubt ein gedank­li­ches Ausscheiden und Eintreten zu jeder Sekunde. Es sind in erster Linie Land­schaften, die ihn inter­es­sieren, viele Flüsse, das Meer natürlich, das Sich-Bewegen auf dem Wasser, auf dem Schiff, das dann zum zweiten Punkt seiner Filme über­leitet: Der mensch­liche Eingriff in diese immer mysti­scher anmutende Natur. Schiffe zum einen, Frachter oder Fähren, auf denen sich Hutton mit seiner Kamera befindet, durch sie andere, kleinere, sieht, die vorbei­ziehen, immer schneller werden als das eigene, in Konkur­renz treten, es überholen. Und Fabriken natürlich, diese unbe­weg­li­chen Bauten aus Stahl, die sich beinahe geome­trisch in die Panoramen einfügen. Immer gibt es Gegen­satz­paare: Das Unbe­re­chen­bare, Freie der Natur, der Wind auf den Wellen, in den Bäumen, fest­ge­halten in stati­schen Aufnahmen, höchstens bewegt von den Trans­port­mit­teln, auf denen die Kamera steht, montiert wurde. Und dann, konträr, eben genau diese künst­li­chen Welten, die beim Schiff beginnen, bei Bauwerken enden. Hier bewegt sich nichts mehr, und wenn doch, dann zweck­ge­richtet, program­miert, künstlich; in diese Welt gesetzt, um in ihr zu arbeiten, deter­mi­niert und kalt, statische Objekte, frei von jeder Mystik, jeglicher Anmut. Trotzdem natürlich über­wäl­ti­gend, aller­dings nur, weil sie eingrenzen, weil sie diese Natur beschneiden, ihr gegen­ü­ber­stehen, sich statisch in ihr posi­tio­nieren. Die Aufnahmen von blanken Ober­flächen sind – bewusst – die eindeu­tigsten, lang­wei­ligsten der Filme, erst wenn die Natur versucht, sich ihrer zu bemäch­tigen, kommt ihnen eine eigene ästhe­ti­sche Dimension zu, wenn sich Wolken über die Fabriken legen, die mecha­ni­schen Gerät­schaften Nebel fabri­zieren, der sich über den Feldern verbreitet.

Struktur der Formen, Geschwin­dig­keit der Bilder

Jene Anknüp­fungs­punkte durch­setzen Huttons Filme. Natürlich hat keiner von ihnen eine »Geschichte«, thema­tisch sind sie dennoch klar ausge­richtet. Skagaf­jördur (2004) etwa bildet eine Reise nach Island nach, die drei New York Portraits (1979-1990) befassen sich mit der Topologie von NYC. Dennoch ist keiner dieser Filme abschließend, nie lehrreich im Sinne eines voll­endeten Diskurses. Drama­tur­gien werden vermieden, die Bilder­folgen wirken zufällig, dabei nie wahllos. Es sind die beschrie­benen Gegen­sätze, die entste­henden geome­tri­schen Studien, die zentral sind, die einen Denkraum bilden, der immer wieder ins Abstrakte abschweift. Hutton montiert sehr bedacht, die Bilder folgen nicht unmit­telbar aufein­ander, sind getrennt durch kurze Schwarz­blenden. Jeder Szene wird ein Eigen­leben zuge­standen, ein Zusam­men­hang bildet sich voll­kommen indi­vi­duell und subjektiv, es fehlt dankens­wer­ter­weise an jeglicher Didaktik. Dennoch korre­spon­dieren diese Einstel­lungen, werden durch­setzt von einzelnen Bruch­mo­menten. Erneut natürlich die Fabriken, die künst­li­chen Gegen­punkte, aber auch Marken­logos und verein­zelte Menschen. In Two Rivers (2003) etwa sieht man Huttons eigene Hand, einen Finger­zeig, der im Bild auf einen bestimmten Bild­aus­schnitt weist. So finden sich doch immer wieder Themen, Denk­an­sätze, die in die Bilder-Abfolge eingreifen, sie struk­tu­rieren. In Time and Tide (2000) gelingt dies besonders virtuos, Blicke durch Bullaugen, die nasse Reling, das Stahl des Schiffs. Mal bleibt man an diesen Gedanken hängen, lässt sie eine Drama­turgie entwi­ckeln, mal nimmt man sie lediglich als Stand­punkt­wechsel zur Kenntnis. Die Symbolik ist somit nie nur Kritik, ist glei­cher­maßen der Boden für kommende Aufnahmen, bleibt immer so beob­ach­tend, dass sie untrennbar mit den Filmen verbunden ist, merk­würdig nachhallt. Warum kommt dieses Bild an genau dieser Stelle, was sagt das über das vorherige Bild aus, was über das nächste? Muss ich – als Zuschauer – diesen kodierten Zugängen mehr beimessen, nur weil sie sich ästhe­tisch abgrenzen? Es bleibt immer offen, schmälert nie den somnam­bulen Effekt dieser Filme. Es sind Merk­wür­dig­keiten in der Welt, zumeist politisch moti­vierte, Hutton lässt sie aber nie über­nehmen, verhan­delt sie einfach mit, spart sie also eben­so­wenig aus.

Tagträume

Dieser Zwischen­zu­stand, dieses traum­hafte Verloren-Gehen ist dann auch die große Schönheit dieser Filme. Die meisten Einstel­lungen sind lange gehalten, lassen die Wolken sich frei bewegen, die Wellen immer weiter voran­schreiten, sich über­lappen, sich wieder­holen. Trotzdem folgen stets die Schnitte, kein Bild kann ewig halten. Und so wünscht man sich doch immer wieder zurück­kehren zu können, den Projektor zu stoppen, den Film neu zu starten. Meditativ ist dieser Zustand, sehn­süchtig, man wird ja ohnehin nicht schlau aus dieser umwer­fenden Land­schafts­fo­to­grafie, wenn sie dann auch noch in ihrem eigenen Tempo unauf­hör­lich voran­schreitet, gibt man den Versuch jeden Verste­hens auf, ergibt sich diesen linearen Collagen voll­kommen.

In einem Interview mit Scott MacDonald (in »A Critical Cinema 3«) beschreibt Hutton sein Werk folgen­der­maßen:

»I’ve never felt that my films are very important in terms of the History of Cinema. They offer a little detour from such grand concepts. They appeal primarily to people who enjoy looking at nature, or who enjoy having a moment to study something that’s not fraught with infor­ma­tion. The expe­ri­ence of my films is a little like dayd­rea­ming.«

Er benennt es sehr treffend, das Sich-Verlieren in Einzel­bil­dern, die man langsam, gewis­sen­haft studiert, die aber doch immer wieder verschwinden, ersetzt werden. Wohin mit den Gedanken, sie einfach mitnehmen ins nächste Bild, oder hinter sich lassen, sie streng dort verorten, wo sie auch aufkamen? Immer wieder schweift man ab, träumt über diese Bilder hinweg, ist beim Alltag, während ein Flugzeug durch die Wolken zieht, bei der Liebe, wenn sich ein paar Wellen brechen, ist dann auf einmal wieder ganz beim Film. So setzt sich jener schließ­lich aus dem zusammen, das er tatsäch­lich zeigt, glei­cher­maßen daraus, was hinein­ge­tragen wird. Vom Betrachter, aber auch von allen anderen im Saal, man bedenke die Raum­geräu­sche, die analoge Kopie.

Eine einzige, große Bewegung

Und so sind es letzt­end­lich sehn­süch­tige Filme, die Werke von Peter Hutton. Eine unglaub­liche Liebe und Faszi­na­tion für die Natur, für ihre Uner­klär­lich­keit und ihren Zufall, gleich­zeitig für den Zustand, aus dem heraus sie betrachtet wird. Industrie, Fort­schritt, eine bewegte Zeit, die unauf­hör­lich nach vorne gleitet, wie die Kamera auf all diesen Schiffen. So hat das Menschen­ge­machte immer etwas Unheim­li­ches, Eing­rei­fendes, Beschnei­dendes, etwas zu Konkretes, das immer stört, wenn es in die Bilder kommt. Und doch ist es unver­meid­lich, bildet es ja gerade die Struktur dieser Filme ab, die selbst nunmal keine Natur sein können, die immer nur dane­ben­stehen, beob­achten, etwas vergöt­tern, das sie nicht erreichen.

In einer Szene von Skagaf­jördur gibt es eine Über­blen­dung von sich brechenden Wellen und einem Blumen­feld. Es ist der schönste Moment des Films, kann sinn­bild­lich für die Utopie nach Hutton stehen: Das Aufbre­chen von Flächen und Formen, von jeder Geometrie, die sich in eine alles beherr­schende Flüs­sig­keit trans­for­miert. Es ist der bestän­dige, umgrei­fende Bruch, der keine Vergan­gen­heit mehr kennt, keine Gegenwart, auch keine Zukunft. Die konstante Bewegung, zufällig und ins Nichts hinein, frei von sämt­li­chen Eingriffen, frei auch von einer Bedeutung, die auf ein Ziel hinaus­führt.

Doch: Es ist lediglich eine Über­blen­dung, ein ausge­stellt künst­li­ches Bild, und natürlich muss es enden. In einer Schwarz­blende, in einem Schnitt, in der nächsten Szene, die die Linea­rität wieder­her­stellt. Mit ihr kommen neue Gedanken, neue Abschwei­fungen, neue Tagträume, die von diesem singulären, konkreten Gedanken wegführen, der sich nur eins verspricht: die voll­kom­mene Unein­deu­tig­keit, die Aufhebung im Unklaren, im roman­ti­schen Bild der Natur.