Ein Glücksfall für den deutschen Film |
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Zu DDR-Zeiten | ||
(Foto: Neue Visionen) |
In Cannes gefeiert und prämiert, zum deutschen Oscarkandidat gekürt, kommt Mascha Schilinskis Sensationserfolg In die Sonne schauen jetzt ins Kino. Im Gespräch berichten die Regisseurin, die Darstellerinnen Luise Heyer und Lena Urzendowsky und andere Beteiligte von ihren Erfahrungen
Um ein Haar wäre diese Geschichte schon sehr früh wieder zuende gewesen. Bei ihrer Diplomprüfung an der Filmhochschule in Potsdam hatte Mascha Schilinski ihr neues Drehbuch eingereicht, ein ambitioniertes Projekt, an dem sie mit ihrer Co-Autorin Julia Peters mehrere Jahre gearbeitet hatte – und wäre um ein Haar durchgefallen. »Es hat die schlechteste Note bekommen, weil die Leute das nicht verstanden haben: Was erzählt denn das? Es gibt keine Hauptfigur. Wo sind denn 'die
Hoffnung und die Furcht'? Es gibt keine 'Heldenreise'«, erinnert sich die Berliner Regisseurin an die Anfänge von In die Sonne schauen: »Wir hatten total viel Gegenwind.«
Dieser Stoff entspricht nicht den Erzähl-Klischees, die wir alle im Kopf haben, und die Filmhochschülern an den Filmschulen eingetrichtert werden. »Er entspricht dem Handwerk nicht«, ergänzt Peters.
Dies ist eine Geschichte, die sehr viel erzählt darüber, was in den Hochschulen unseres Landes gerade los ist, in einer Kulturszene, in der die Bescheidwisser über die Neugier gesiegt haben, die Diskurse über die Sinnlichkeit, und die Pfennigfuchser des Finanzcontrolling über wagemutiges Unternehmertum. Die Geschichte von Schilinski und ihrem Film erklärt auch fast alles über die Misere des deutschen Films, der mit seinen immergleichen durchnormierten Geschichten von A nach B und seinen provinziellen »Stars« im Ausland kaum noch jemanden interessiert. Vergessen der Ruhm von Fritz Lang, Schlöndorff oder Fassbinder.
Aber jetzt könnte alles anders werden. Denn in eben diesem Ausland, beim Filmfestival von Cannes, dem härtesten Pflaster des Weltkinos, gewann dieser Film, den die Hochschulstudenten nicht verstanden und viele Filmförderer abgelehnt hatten, einen Hauptpreis, wurde in alle Welt verkauft und ist seit letzter Woche als deutscher Oscarkandidat nominiert. »So etwas haben wir in über 20 Jahren nicht erlebt«, konstatiert auch Torsten Frehse, dessen Verleih »Neue Visionen« den Film früh gekauft hatte und diese Woche in die deutschen Kinos bringt.
Was ist das Geheimnis dieses Erfolgs? »Wir hatten so eine Sehnsucht danach, andere Filme zu sehen«, sagt Schilinski, »dabei gibt es die ja auch, nur landen sie selten bei uns im Kino. Aber es gibt ganz andere Herangehensweisen, Filme, die Fragen aufweisen, auf die sie selber noch keine Antwort kennen, die sich auf die Suche machen...«
So ein Film ist In die Sonne schauen. Ein Film, der zwischen vier Zeitebenen von einem Haus und seinen Bewohnern zwischen 1900 und 2025 erzählt, manchmal in Köpfen der Figuren spielt, sich manchmal aus dem Reich der Toten meldet, ein poetischer Essay über Tod und Todessehnsucht, über deutsche Gespenster und German Angst, dabei voller Trost und gar nicht morbide. Voller Anspielungen auf moderne Klassiker wie Das weiße Band von Michael Haneke, Sofia Coppolas The Virgin Suicides und Edgar Reitz Heimat. In die Sonne schauen fasziniert auch deshalb so viele Zuschauer, weil hier endlich einmal jemand die Möglichkeiten des Kinos zeigt und ausreizt.
»Mascha ist eine begnadete Regisseurin«, erzählt Luise Heyer, eine von einem knappen Dutzend Hauptdarstellerinnen. »Sie hat Charisma und eine große Überzeugungkraft.« So einen Dreh voller Vergnügen habe sie selten gehabt, die Beteiligten seien schnell zu einem echten Team gewachsen.
»Das Buch hat etwas Literarisches«, erzählt auch Lena Urzendowsky, eine zweite Hauptdarstellerin von ihrer Erfahrung, »es ist sehr sehr präzise. Ich habe nie vorher so etwas gelesen.« Während der Arbeit sei die Rolle nie zerredet worden. »Mascha hat das Talent, mit ganz wenig Worten präzise zu beschreiben, worum es geht.«
Das Ergebnis ist großes Kino. Erzählt mit einer geheimnisvollen, sehr subjektiven Kamera, die das kollektive Unbewusste fasst, einer ungreifbaren Präsenz Ausdruck gibt – frühromantische Ästhetik, die sich auch im fragmentarischen, achronologischen Erzählen dieses ausgezeichneten Films zeigt.
»Unsere Frage ist: Wie können wir Erinnerungen erzählen?«, sagt Schilinski, »es gibt so einen Satz der in den Filmhochschulen herumwandert: 'Kill your Darlings'. Man
soll als Filmemacher immer seine Darlings töten. Warum eigentlich? Wir haben keine Lust auf einen Film, der dramaturgisch korrekt ist, aber wo man diese Urszenen aus den Eingeweiden eines Films, die Gründe, ihn zu machen, plötzlich nicht mehr vorkommen. Wir haben darum während des Schreibens die Regel aufgestellt: 'Darlings only!'«
Man muss zugeben, dass es neben den Zweiflern und Ablehnungsbescheiden auch frühe Unterstützer gab: Neben Torsten Frehse etwa der Ludwigsburger Produzent Jochen Laube und die Münchner Regisseurin Julia von Heinz in der Jury des »Thomas-Strittmatter-Preises«, die das Drehbuch prämierten. Und die Berliner Produzenten Maren Schmitt und Lucas Schmidt (»Studio Zentral«), die den Film für relativ wenig Geld produzierten.
Jetzt warten sie alle höchst gespannt, wie wohl das deutsche Publikum diesen ungewöhnlichen, dabei sehr deutschen Film aufnimmt. So oder so steht fest: In die Sonne schauen ist ein Glücksfall für das deutsche Kino. Dieser Film wird uns lange begleiten.