28.08.2025

Ein Glücksfall für den deutschen Film

In die Sonne schauen
Zu DDR-Zeiten
(Foto: Neue Visionen)

Großes Kino gegen die Klischees, die wir alle im Kopf haben, und die uns eingetrichtert werden. Die Berliner Regisseurin Mascha Schilinski und ihr Film »In die Sonne schauen«

Von Rüdiger Suchsland

In Cannes gefeiert und prämiert, zum deutschen Oscar­kan­didat gekürt, kommt Mascha Schi­lin­skis Sensa­ti­ons­er­folg In die Sonne schauen jetzt ins Kino. Im Gespräch berichten die Regis­seurin, die Darstel­le­rinnen Luise Heyer und Lena Urzen­dowsky und andere Betei­ligte von ihren Erfah­rungen

»Wir hatten total viel Gegenwind.«

Um ein Haar wäre diese Geschichte schon sehr früh wieder zuende gewesen. Bei ihrer Diplom­prü­fung an der Film­hoch­schule in Potsdam hatte Mascha Schi­linski ihr neues Drehbuch einge­reicht, ein ambi­tio­niertes Projekt, an dem sie mit ihrer Co-Autorin Julia Peters mehrere Jahre gear­beitet hatte – und wäre um ein Haar durch­ge­fallen. »Es hat die schlech­teste Note bekommen, weil die Leute das nicht verstanden haben: Was erzählt denn das? Es gibt keine Haupt­figur. Wo sind denn 'die Hoffnung und die Furcht'? Es gibt keine 'Helden­reise'«, erinnert sich die Berliner Regis­seurin an die Anfänge von In die Sonne schauen: »Wir hatten total viel Gegenwind.«
Dieser Stoff entspricht nicht den Erzähl-Klischees, die wir alle im Kopf haben, und die Film­hoch­schü­lern an den Film­schulen einge­trich­tert werden. »Er entspricht dem Handwerk nicht«, ergänzt Peters.

Im Reich der Finanz­con­troller

Dies ist eine Geschichte, die sehr viel erzählt darüber, was in den Hoch­schulen unseres Landes gerade los ist, in einer Kultur­szene, in der die Bescheid­wisser über die Neugier gesiegt haben, die Diskurse über die Sinn­lich­keit, und die Pfen­nig­fuchser des Finanz­con­trol­ling über wage­mu­tiges Unter­neh­mertum. Die Geschichte von Schi­linski und ihrem Film erklärt auch fast alles über die Misere des deutschen Films, der mit seinen immer­glei­chen durch­nor­mierten Geschichten von A nach B und seinen provin­zi­ellen »Stars« im Ausland kaum noch jemanden inter­es­siert. Vergessen der Ruhm von Fritz Lang, Schlön­dorff oder Fass­binder.

Aber jetzt könnte alles anders werden. Denn in eben diesem Ausland, beim Film­fes­tival von Cannes, dem härtesten Pflaster des Weltkinos, gewann dieser Film, den die Hoch­schul­stu­denten nicht verstanden und viele Film­för­derer abgelehnt hatten, einen Haupt­preis, wurde in alle Welt verkauft und ist seit letzter Woche als deutscher Oscar­kan­didat nominiert. »So etwas haben wir in über 20 Jahren nicht erlebt«, konsta­tiert auch Torsten Frehse, dessen Verleih »Neue Visionen« den Film früh gekauft hatte und diese Woche in die deutschen Kinos bringt.

Was ist das Geheimnis dieses Erfolgs? »Wir hatten so eine Sehnsucht danach, andere Filme zu sehen«, sagt Schi­linski, »dabei gibt es die ja auch, nur landen sie selten bei uns im Kino. Aber es gibt ganz andere Heran­ge­hens­weisen, Filme, die Fragen aufweisen, auf die sie selber noch keine Antwort kennen, die sich auf die Suche machen...«

Alle Möglich­keiten des Kinos

So ein Film ist In die Sonne schauen. Ein Film, der zwischen vier Zeit­ebenen von einem Haus und seinen Bewohnern zwischen 1900 und 2025 erzählt, manchmal in Köpfen der Figuren spielt, sich manchmal aus dem Reich der Toten meldet, ein poeti­scher Essay über Tod und Todes­sehn­sucht, über deutsche Gespenster und German Angst, dabei voller Trost und gar nicht morbide. Voller Anspie­lungen auf moderne Klassiker wie Das weiße Band von Michael Haneke, Sofia Coppolas The Virgin Suicides und Edgar Reitz Heimat. In die Sonne schauen faszi­niert auch deshalb so viele Zuschauer, weil hier endlich einmal jemand die Möglich­keiten des Kinos zeigt und ausreizt.

»Mascha ist eine begnadete Regis­seurin«, erzählt Luise Heyer, eine von einem knappen Dutzend Haupt­dar­stel­le­rinnen. »Sie hat Charisma und eine große Über­zeu­gung­kraft.« So einen Dreh voller Vergnügen habe sie selten gehabt, die Betei­ligten seien schnell zu einem echten Team gewachsen.

»Das Buch hat etwas Litera­ri­sches«, erzählt auch Lena Urzen­dowsky, eine zweite Haupt­dar­stel­lerin von ihrer Erfahrung, »es ist sehr sehr präzise. Ich habe nie vorher so etwas gelesen.« Während der Arbeit sei die Rolle nie zerredet worden. »Mascha hat das Talent, mit ganz wenig Worten präzise zu beschreiben, worum es geht.«

Das Ergebnis ist großes Kino. Erzählt mit einer geheim­nis­vollen, sehr subjek­tiven Kamera, die das kollek­tive Unbe­wusste fasst, einer ungreif­baren Präsenz Ausdruck gibt – frühro­man­ti­sche Ästhetik, die sich auch im frag­men­ta­ri­schen, achro­no­lo­gi­schen Erzählen dieses ausge­zeich­neten Films zeigt.
»Unsere Frage ist: Wie können wir Erin­ne­rungen erzählen?«, sagt Schi­linski, »es gibt so einen Satz der in den Film­hoch­schulen herum­wan­dert: 'Kill your Darlings'. Man soll als Filme­ma­cher immer seine Darlings töten. Warum eigent­lich? Wir haben keine Lust auf einen Film, der drama­tur­gisch korrekt ist, aber wo man diese Urszenen aus den Einge­weiden eines Films, die Gründe, ihn zu machen, plötzlich nicht mehr vorkommen. Wir haben darum während des Schrei­bens die Regel aufge­stellt: 'Darlings only!'«

Man muss zugeben, dass es neben den Zweiflern und Ableh­nungs­be­scheiden auch frühe Unter­s­tützer gab: Neben Torsten Frehse etwa der Ludwigs­burger Produzent Jochen Laube und die Münchner Regis­seurin Julia von Heinz in der Jury des »Thomas-Stritt­matter-Preises«, die das Drehbuch prämierten. Und die Berliner Produ­zenten Maren Schmitt und Lucas Schmidt (»Studio Zentral«), die den Film für relativ wenig Geld produ­zierten.

Jetzt warten sie alle höchst gespannt, wie wohl das deutsche Publikum diesen unge­wöhn­li­chen, dabei sehr deutschen Film aufnimmt. So oder so steht fest: In die Sonne schauen ist ein Glücks­fall für das deutsche Kino. Dieser Film wird uns lange begleiten.