10.07.2025
42. Filmfest München 2025

Alles und Nichts

Karla Christina Tournatzés
Beste Regie und bestes Drehbuch: Karla von Christina Tournatzés
(Foto: Florian Emmerich/Achtung Panda!/Filmfest München)

Die Sektion Neues Deutsches Kino beim Filmfest München 2025 überraschte dieses Jahr mit einer »Mixed Bag«. Alles war möglich, im Guten wie im Schlechten. Die Förderpreise gingen an zwei der kompromisslosesten Filme

Von Axel Timo Purr

Gab es die letzten Jahre (siehe 2022, 2023 und 2024) in der viel­leicht inter­es­san­testen Sektion des Filmfest München stets nach­voll­zieh­bare Schwer­punkte und eine homogene Qualität, präsen­tierte sich die Sektion dieses Jahr mit einer hete­ro­genen, wider­sprüch­li­chen Sammlung an Werken. Zwischen Reibung und Rausch, Eska­la­tion und Essenz zeigte die Auswahl eine erstaun­liche Band­breite: mal glatt, mal roh, mal ober­fläch­lich, plump und peinlich und dann wieder so zart, klug und innovativ, dass einem schwin­delte.

Diese Wider­sprüche sind am deut­lichsten in den ausge­wählten Komö­di­en­for­maten zu sehen. Etwa bei Oliver Rihs #Schwar­zeSchafe, der versucht, alle Grenzen zu sprengen und die Erwar­tungs­hal­tungen jeglicher Art gleich mit dazu. Dabei kommt dann ein Neuköllner Clan-Chef raus, der zu einem wilden Grünen mutiert, oder zwei Frauen, die einfach mal die Sau raus lassen wollen. Rihs schneidet diese abstrusen Berlin-Geschichten etwas erratisch zusammen, aber immerhin gibt es einen heißen Sommer, der dem drama­tur­gi­schen Chaos Sinn verleiht. Kein Kalauer ist zu blöd, ihn nicht dann doch zu verheizen, und das Ganze wird durch fettestes Over­ac­ting noch einmal verstärkt. Dadurch verlieren einige der starken Geschichten wie die des Clan-Chefs zwar etwas an Fahrt und ist es bei all dem grotesken, tief­schwarzen Humor dann auch selten wirklich komisch. Aber irgendwie ist die Moral von der Geschicht’ dann einfach zu nett (und der Abschluss­song einfach zu fantas­tisch), um wirklich genervt zu sein: Loser aller Länder, vereinigt euch!

Oder Bernd – Operation Germa­nen­kind von Cornelius Schwalm, der in seiner Burleske mit allen möglichen Meta­ebenen spielt. Er amal­ga­miert die bizarren Ideo­lo­gien um Indi­go­men­schen mit beißender Kritik an herr­schenden Thea­ter­pa­ra­digmen und NS-Kauder­welsch im Peene­münde-Idiom. Daraus entsteht eine immer wieder bizarre, aber auch nervige Dekon­struk­tion unserer gegen­wär­tigen Gesell­schaft, aufge­peppt mit massivem Over­ac­ting und mit einem mit Endzeit­fan­ta­sien »gepreppten« Ensemble, abge­fah­renen musi­ka­li­schen Einlagen, so dass am Ende nur noch Verblüf­fung ob der Tatsache bleibt, dass es tatsäch­lich möglich ist, Christoph Schlin­gen­sief als Zombie­ver­sion wieder­zu­be­leben.

Ähnlich meta­ebenen-verliebt ist Jovana Reisin­gers Unterwegs Im Namen Der Kaiserin, der dann auch wirklich so sinn­ent­leert ist wie ihn beim finalen Dinner eine:r der Prot­ago­nist:innen auch beschreibt und der am besten mit einer queeren Phra­sen­dresch­ma­schine zu verglei­chen ist, der der völlig hohle Jung­brunnen- und Sissi-Inkar­na­ti­ons­plot eigent­lich egal ist. Vignet­ten­artig werden hier ein Meta-Gedan­ken­spiel an das andere gedrech­selt, in einer Redundanz, die einem das Lachen gefrieren lässt. Wer eine wirklich kluge, witzige und dann doch auch spannende Ausein­an­der­set­zung mit dem Sissi-Komplex und allem, was dazu gehört, sehen möchte, dem sei dann doch besser Frauke Fins­ter­wal­ders 2023 erschie­nene, wunder­volle Screwball-Comedy Sisi & ich ans Herz gelegt.

Ähnlich neun­malklug­banal ist Zweig­stelle von Julius Grimm, das Kontrast­pro­gramm zu dem später erwähnten Sechs­wo­chenamt von Jacque­line Jansen. Ist es bei Jansen jedoch auto­fik­tio­nale Inten­sität, die sich an büro­kra­ti­sierten Struk­turen persön­li­cher und behörd­li­cher Art reibt, steht in Julius Grimms Groteske ein Gedan­ken­spiel im Zentrum der Erzählung, das sich nicht um die Verblie­benen, sondern um die Toten und ihr Leben im Himmel­reich kümmert. Das ist meist banaler, bayerisch gefärbter Klamauk und an klein­kind­liche Fantasien über das Leben »im Jenseits« angelehnt wie etwa der Notaus­gang in den Himmel. Auch hier spielt die Büro­kratie wie bei Jansen eine wichtige, dann aber rein komö­di­an­ti­sche Rolle. Dann und wann gelingen Grimm mit seinem starken, jedoch allzu oft um Over­ac­ting bemühten Ensemble auch schöne Tiefen. Nicht nur im Müller­schen Volksbad und ange­sichts des Nichts, das immer schon so war, sondern auch beim Abgleich der Karma­qua­li­täten eines Verstor­benen.

Doch zum Glück sind diese immer an Schmerz- und Quali­täts­grenzen operie­renden Filme die Ausnahme, geht Humor oder zumindest Anteile von Humor auch anders.

Etwa in Danke Für Nichts. Wie in #Schwar­ze­schafe stehen auch in Stella Marie Markerts Film vermeint­liche Berliner Loser im Zentrum der Erzählung. Doch verschluckt sich #Schwar­ze­schafe immer wieder an seinen Kalauern, ist der Humor bei Markert fein dosiert, manchmal schwarz, manchmal zärtlich. Denn Markert schaut sehr genau auf die Charak­tere ihrer vier Mädchen, die in einer WG für betreutes Wohnen mit ihrem Coming-of-Age und ihren Defiziten hadern. Wer an Kikas unfassbar dämlicher Mädchen-WG Freude hat, sollte diesen groß­ar­tigen Film über »Leben­lernen« unbedingt sehen. Denn anders als die dort geskrip­tete Soap-Realität, ist das hier einfach die viel besser geschrie­bene Realität. Allein schon Malous bizarre Geschichte lohnt den Besuch dieses Film, der völlig folge­richtig mit einem Lied Rio Reisers schließt.

Oder Holy Meat, wo schwä­bi­sche Provinz auf Berlin trifft und Berlin auf Katho­li­zismus. In souver­äner, paral­leler Erzähl­technik gelingt es Alison Kuhn, unsere ganze frag­men­tierte Gegenwart in einem kleinen schwä­bi­schen Dorf zu bündeln und so berührend wie klug und komisch davon zu erzählen, was es braucht, um sich bei all dem Irrsinn, den unsere Welt heute ausmacht, zu eman­zi­pieren und neu zu erfinden. Die Ensem­ble­leis­tung ist stark und die Dialoge ein Genuss und der erzäh­le­ri­sche Anker – eine von Pater Iversens veran­stal­tete Laien­thea­ter­in­sze­nie­rung ist ein großer Spaß. Und das nicht nur, weil sie an Oskar Panizzas »Liebes­konzil« erinnert.

Und dann natürlich Home enter­tain­ment. Dietrich Brüg­ge­manns kluges Kammer­spiel handelt an der Ober­fläche vom vermurksten Abend eines Paares, das sich auf der Suche nach Beschäf­ti­gung an den Untiefen des digitalen Alltags reibt. Doch sehr subtil erzählt der Film mit Nadine Dubois und Joseph Bundschuh in groß­ar­tiger Präsenz auch von einer Gesell­schaft der Belie­big­keit, in der selbst Sex nur eine Möglich­keit ist und das Leben so wichtig und unwichtig wie ein Fußball­spiel ist. Eine reale Dystopie, so noncha­lant erzählt, dass es die pure Freude und abgrün­digster Grusel ist.

Aber es gab auch die Filme, die den Humor ganz beiseite lassen, die mutig und kompro­misslos den Ernst des Lebens porträ­tieren. So wie Bubbles. Sebastian Husaks Kammer­spiel an der Nordsee am Watten­meer ist natürlich kein regio­naler Nord­see­krimi. Doch was Husak an psycho­lo­gi­schen Hinter­räumen seiner Prot­ago­nisten nach und nach freilegt, gleicht dann doch fast einem Krimi. Mehr noch, als neben die Sprach­lo­sig­keit einer Beziehung Schuld und Sühne über einen toten Freund gestellt werden und der Film dann auch noch eine poli­ti­sche Ebene öffnet. Die ist vor allem deshalb spannend, weil sie gegen alle stereo­typen Erwar­tungs­hal­tungen zeigt, dass poli­ti­sche Radi­ka­li­sie­rung nicht immer nur aus privatem Unglück erwächst und das Reden und Bezie­hungs­his­torie nicht immer helfen, um die gesell­schaft­li­chen Blasen zu über­winden.

Auch das Das Glück Der Tüchtigen gehört mit seinen gnaden­losen Alltags­spi­ralen aus Lever­kusen in diese Kategorie. Was dröge klingen mag, wird unter der Regie von Franz Müller zu einem regel­rechten Alltags­krimi, in dem soziale Hier­ar­chien, Herkunfts­ge­schichten und familiäre Erwar­tungs­hal­tungen genauso ins Schwanken geraten wie der Balance-Akt zwischen Lüge und Wahrheit. Die Reihen­haus­rea­lität ist dabei genauso aufregend wie die ernüch­ternden Arbeits­ver­hält­nisse der Super­markt­lei­terin Mira und der brenn­glas­ar­tige Blick von Müller auf die Bezie­hungen seiner Prot­ago­nisten. Dass Müller hier eine Geschichte weiter­erzählt, die er vor 16 Jahren in Die Liebe der Kinder begonnen hat, stört gar nicht. Der Film steht wie ein Monolith für sich, macht aber natürlich neugierig auf den Anfang dieser souverän einge­fan­genen, hyper­realen Lebens­li­nien.

Ähnlich ernst verhan­deln die beiden Preis­träger der Sektion Neues Deutsches Kino ihre Themen. Für die völlig unab­hängig produ­zierte Arith­metik eines Todes­falls in Sechs­wo­chenamt erhielt Jacque­line Jansen nicht nur den Preis in der Kategorie »Produ­zen­ti­sche Leistung«, sondern ihre Haupt­dar­stel­lerin Magdalena Laubisch auch den Preis für die »Beste Schau­spie­le­ri­sche Leistung«. Es ist ein konse­quenter Film über den Tod und die Trauer, ganz und gar im Alltag einer kleinen Stadt in NRW verankert. Die Regis­seurin folgt ihrer jungen Prot­ago­nistin Lore, die mit dem Tod ihrer Mutter sich nicht nur dem Verlust dieser Beziehung stellen, sondern auch die Bezie­hungen hinter­fragen muss, die ihr bislang selbst­ver­s­tänd­lich schienen und die sich durch den Tod der Mutter schlag­artig ändern. Momente der Zärt­lich­keit finden genauso Raum wie Momente beißender Banalität. Und die Formen der Trauer und die Fragi­lität der Bezie­hungen sind in Jansens Bildern genau so komplex präsen­tiert wie in dem kürzlich erschie­nenen islän­di­schen Trau­er­drama Wenn das Licht zerbricht.

Christina Tour­natzés’ KARLA wurde nicht nur mit dem Preis für die beste Regie, sondern die Dreh­buch­au­torin Yvonne Görlach auch mit dem Preis für das »Beste Drehbuch« prämiert. Darin und in der filmi­schen Umsetzung des Drehbuchs zeigt KARLA vor allem, dass Selbst­er­mäch­ti­gung und die Arti­ku­lie­rung von Miss­brauchs­er­fah­rung kein Kind unserer Gegenwart sind, sondern schon Anfang der 1960er Jahre Thema waren. Zuerst ein wenig statisch und einer Versuchs­an­ord­nung gleich, erzählt Tour­natzés dann so souverän wie schnör­kellos die wahre Geschichte der 12-jährigen Karla. Die Statik macht dann auch Sinn, denn Tour­natzés unterlegt sie mit einer zunehmend düsteren, poeti­schen Bild­sprache und Dialogen, durch die sich ihr über­ra­gendes Ensemble regel­recht ringen muss, denn es wird spürbar, dass hier erzählt wird, worüber bislang stets geschwiegen wurde. Und die Erkenntnis, dass vor Gericht die Wahrheit nicht ermittelt, sondern nur verhan­delt wird, erinnert an Lars Kraumes Der Staat gegen Fritz Bauer, in dem ebenfalls die »bleierne« Zeit der frühen BRD erklärte, warum unser heutiges Deutsch­land so ist, wie es ist.