42. Filmfest München 2025
Alles und Nichts |
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Beste Regie und bestes Drehbuch: Karla von Christina Tournatzés | ||
(Foto: Florian Emmerich/Achtung Panda!/Filmfest München) |
Von Axel Timo Purr
Gab es die letzten Jahre (siehe 2022, 2023 und 2024) in der vielleicht interessantesten Sektion des Filmfest München stets nachvollziehbare Schwerpunkte und eine homogene Qualität, präsentierte sich die Sektion dieses Jahr mit einer heterogenen, widersprüchlichen Sammlung an Werken. Zwischen Reibung und Rausch, Eskalation und Essenz zeigte die Auswahl eine erstaunliche Bandbreite: mal glatt, mal roh, mal oberflächlich, plump und peinlich und dann wieder so zart, klug und innovativ, dass einem schwindelte.
Diese Widersprüche sind am deutlichsten in den ausgewählten Komödienformaten zu sehen. Etwa bei Oliver Rihs #SchwarzeSchafe, der versucht, alle Grenzen zu sprengen und die Erwartungshaltungen jeglicher Art gleich mit dazu. Dabei kommt dann ein Neuköllner Clan-Chef raus, der zu einem wilden Grünen mutiert, oder zwei Frauen, die einfach mal die Sau raus lassen wollen. Rihs schneidet diese abstrusen Berlin-Geschichten etwas erratisch zusammen, aber immerhin gibt es einen heißen Sommer, der dem dramaturgischen Chaos Sinn verleiht. Kein Kalauer ist zu blöd, ihn nicht dann doch zu verheizen, und das Ganze wird durch fettestes Overacting noch einmal verstärkt. Dadurch verlieren einige der starken Geschichten wie die des Clan-Chefs zwar etwas an Fahrt und ist es bei all dem grotesken, tiefschwarzen Humor dann auch selten wirklich komisch. Aber irgendwie ist die Moral von der Geschicht’ dann einfach zu nett (und der Abschlusssong einfach zu fantastisch), um wirklich genervt zu sein: Loser aller Länder, vereinigt euch!
Oder Bernd – Operation Germanenkind von Cornelius Schwalm, der in seiner Burleske mit allen möglichen Metaebenen spielt. Er amalgamiert die bizarren Ideologien um Indigomenschen mit beißender Kritik an herrschenden Theaterparadigmen und NS-Kauderwelsch im Peenemünde-Idiom. Daraus entsteht eine immer wieder bizarre, aber auch nervige Dekonstruktion unserer gegenwärtigen Gesellschaft, aufgepeppt mit massivem Overacting und mit einem mit Endzeitfantasien »gepreppten« Ensemble, abgefahrenen musikalischen Einlagen, so dass am Ende nur noch Verblüffung ob der Tatsache bleibt, dass es tatsächlich möglich ist, Christoph Schlingensief als Zombieversion wiederzubeleben.
Ähnlich metaebenen-verliebt ist Jovana Reisingers Unterwegs Im Namen Der Kaiserin, der dann auch wirklich so sinnentleert ist wie ihn beim finalen Dinner eine:r der Protagonist:innen auch beschreibt und der am besten mit einer queeren Phrasendreschmaschine zu vergleichen ist, der der völlig hohle Jungbrunnen- und Sissi-Inkarnationsplot eigentlich egal ist. Vignettenartig werden hier ein Meta-Gedankenspiel an das andere gedrechselt, in einer Redundanz, die einem das Lachen gefrieren lässt. Wer eine wirklich kluge, witzige und dann doch auch spannende Auseinandersetzung mit dem Sissi-Komplex und allem, was dazu gehört, sehen möchte, dem sei dann doch besser Frauke Finsterwalders 2023 erschienene, wundervolle Screwball-Comedy Sisi & ich ans Herz gelegt.
Ähnlich neunmalklugbanal ist Zweigstelle von Julius Grimm, das Kontrastprogramm zu dem später erwähnten Sechswochenamt von Jacqueline Jansen. Ist es bei Jansen jedoch autofiktionale Intensität, die sich an bürokratisierten Strukturen persönlicher und behördlicher Art reibt, steht in Julius Grimms Groteske ein Gedankenspiel im Zentrum der Erzählung, das sich nicht um die Verbliebenen, sondern um die Toten und ihr Leben im Himmelreich kümmert. Das ist meist banaler, bayerisch gefärbter Klamauk und an kleinkindliche Fantasien über das Leben »im Jenseits« angelehnt wie etwa der Notausgang in den Himmel. Auch hier spielt die Bürokratie wie bei Jansen eine wichtige, dann aber rein komödiantische Rolle. Dann und wann gelingen Grimm mit seinem starken, jedoch allzu oft um Overacting bemühten Ensemble auch schöne Tiefen. Nicht nur im Müllerschen Volksbad und angesichts des Nichts, das immer schon so war, sondern auch beim Abgleich der Karmaqualitäten eines Verstorbenen.
Doch zum Glück sind diese immer an Schmerz- und Qualitätsgrenzen operierenden Filme die Ausnahme, geht Humor oder zumindest Anteile von Humor auch anders.
Etwa in Danke Für Nichts. Wie in #Schwarzeschafe stehen auch in Stella Marie Markerts Film vermeintliche Berliner Loser im Zentrum der Erzählung. Doch verschluckt sich #Schwarzeschafe immer wieder an seinen Kalauern, ist der Humor bei Markert fein dosiert, manchmal schwarz, manchmal zärtlich. Denn Markert schaut sehr genau auf die Charaktere ihrer vier Mädchen, die in einer WG für betreutes Wohnen mit ihrem Coming-of-Age und ihren Defiziten hadern. Wer an Kikas unfassbar dämlicher Mädchen-WG Freude hat, sollte diesen großartigen Film über »Lebenlernen« unbedingt sehen. Denn anders als die dort geskriptete Soap-Realität, ist das hier einfach die viel besser geschriebene Realität. Allein schon Malous bizarre Geschichte lohnt den Besuch dieses Film, der völlig folgerichtig mit einem Lied Rio Reisers schließt.
Oder Holy Meat, wo schwäbische Provinz auf Berlin trifft und Berlin auf Katholizismus. In souveräner, paralleler Erzähltechnik gelingt es Alison Kuhn, unsere ganze fragmentierte Gegenwart in einem kleinen schwäbischen Dorf zu bündeln und so berührend wie klug und komisch davon zu erzählen, was es braucht, um sich bei all dem Irrsinn, den unsere Welt heute ausmacht, zu emanzipieren und neu zu erfinden. Die Ensembleleistung ist stark und die Dialoge ein Genuss und der erzählerische Anker – eine von Pater Iversens veranstaltete Laientheaterinszenierung ist ein großer Spaß. Und das nicht nur, weil sie an Oskar Panizzas »Liebeskonzil« erinnert.
Und dann natürlich Home entertainment. Dietrich Brüggemanns kluges Kammerspiel handelt an der Oberfläche vom vermurksten Abend eines Paares, das sich auf der Suche nach Beschäftigung an den Untiefen des digitalen Alltags reibt. Doch sehr subtil erzählt der Film mit Nadine Dubois und Joseph Bundschuh in großartiger Präsenz auch von einer Gesellschaft der Beliebigkeit, in der selbst Sex nur eine Möglichkeit ist und das Leben so wichtig und unwichtig wie ein Fußballspiel ist. Eine reale Dystopie, so nonchalant erzählt, dass es die pure Freude und abgründigster Grusel ist.
Aber es gab auch die Filme, die den Humor ganz beiseite lassen, die mutig und kompromisslos den Ernst des Lebens porträtieren. So wie Bubbles. Sebastian Husaks Kammerspiel an der Nordsee am Wattenmeer ist natürlich kein regionaler Nordseekrimi. Doch was Husak an psychologischen Hinterräumen seiner Protagonisten nach und nach freilegt, gleicht dann doch fast einem Krimi. Mehr noch, als neben die Sprachlosigkeit einer Beziehung Schuld und Sühne über einen toten Freund gestellt werden und der Film dann auch noch eine politische Ebene öffnet. Die ist vor allem deshalb spannend, weil sie gegen alle stereotypen Erwartungshaltungen zeigt, dass politische Radikalisierung nicht immer nur aus privatem Unglück erwächst und das Reden und Beziehungshistorie nicht immer helfen, um die gesellschaftlichen Blasen zu überwinden.
Auch das Das Glück Der Tüchtigen gehört mit seinen gnadenlosen Alltagsspiralen aus Leverkusen in diese Kategorie. Was dröge klingen mag, wird unter der Regie von Franz Müller zu einem regelrechten Alltagskrimi, in dem soziale Hierarchien, Herkunftsgeschichten und familiäre Erwartungshaltungen genauso ins Schwanken geraten wie der Balance-Akt zwischen Lüge und Wahrheit. Die Reihenhausrealität ist dabei genauso aufregend wie die ernüchternden Arbeitsverhältnisse der Supermarktleiterin Mira und der brennglasartige Blick von Müller auf die Beziehungen seiner Protagonisten. Dass Müller hier eine Geschichte weitererzählt, die er vor 16 Jahren in Die Liebe der Kinder begonnen hat, stört gar nicht. Der Film steht wie ein Monolith für sich, macht aber natürlich neugierig auf den Anfang dieser souverän eingefangenen, hyperrealen Lebenslinien.
Ähnlich ernst verhandeln die beiden Preisträger der Sektion Neues Deutsches Kino ihre Themen. Für die völlig unabhängig produzierte Arithmetik eines Todesfalls in Sechswochenamt erhielt Jacqueline Jansen nicht nur den Preis in der Kategorie »Produzentische Leistung«, sondern ihre Hauptdarstellerin Magdalena Laubisch auch den Preis für die »Beste Schauspielerische Leistung«. Es ist ein konsequenter Film über den Tod und die Trauer, ganz und gar im Alltag einer kleinen Stadt in NRW verankert. Die Regisseurin folgt ihrer jungen Protagonistin Lore, die mit dem Tod ihrer Mutter sich nicht nur dem Verlust dieser Beziehung stellen, sondern auch die Beziehungen hinterfragen muss, die ihr bislang selbstverständlich schienen und die sich durch den Tod der Mutter schlagartig ändern. Momente der Zärtlichkeit finden genauso Raum wie Momente beißender Banalität. Und die Formen der Trauer und die Fragilität der Beziehungen sind in Jansens Bildern genau so komplex präsentiert wie in dem kürzlich erschienenen isländischen Trauerdrama Wenn das Licht zerbricht.
Christina Tournatzés’ KARLA wurde nicht nur mit dem Preis für die beste Regie, sondern die Drehbuchautorin Yvonne Görlach auch mit dem Preis für das »Beste Drehbuch« prämiert. Darin und in der filmischen Umsetzung des Drehbuchs zeigt KARLA vor allem, dass Selbstermächtigung und die Artikulierung von Missbrauchserfahrung kein Kind unserer Gegenwart sind, sondern schon Anfang der 1960er Jahre Thema waren. Zuerst ein wenig statisch und einer Versuchsanordnung gleich, erzählt Tournatzés dann so souverän wie schnörkellos die wahre Geschichte der 12-jährigen Karla. Die Statik macht dann auch Sinn, denn Tournatzés unterlegt sie mit einer zunehmend düsteren, poetischen Bildsprache und Dialogen, durch die sich ihr überragendes Ensemble regelrecht ringen muss, denn es wird spürbar, dass hier erzählt wird, worüber bislang stets geschwiegen wurde. Und die Erkenntnis, dass vor Gericht die Wahrheit nicht ermittelt, sondern nur verhandelt wird, erinnert an Lars Kraumes Der Staat gegen Fritz Bauer, in dem ebenfalls die »bleierne« Zeit der frühen BRD erklärte, warum unser heutiges Deutschland so ist, wie es ist.