78. Filmfestspiele Cannes 2025
Was von den Palmen übrigblieb... |
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Bürgerliches, lackiertes Arthouse-Kino: Sentimental Value von Joachim Trier | ||
(Foto: Filmfestival Cannes / Kasper Tuxen) |
»In diesen Tagen darf sich niemand auf das versteifen, was er kann. In der Improvisation liegt die Stärke. Alle entscheidenden Schläge werden mit der linken Hand geführt werden.«
– Walter Benjamin, Einbahnstraße»Mal sieht man gern in einen Abgrund und mal lieber aufs Meer. Es ist alles nur eine Kopfwendung voneinander entfernt.«
– Gottfried Benn
Das ist schon eine ganz erstaunliche Erfahrung: Man sieht jemanden, den man noch nie gesehen hat, in diesem Fall eine junge Frau, die noch dazu in eine Nonnenkluft gekleidet ist und von der man darum anfangs nur das Gesicht, nicht aber die Haare und den Hals sehen kann. Aber sofort ist man magnetisiert, kann nicht mehr woanders hinschauen und will wissen, wer denn diese Frau ist, die man noch nie gesehen hat? Das ist Starglamour, das ist Charisma, das ist genau das, was Weltkarrieren
und unsterblichen Ruhm von gutem Handwerk unterscheidet.
In diesem Fall erlebte ich diese Wow-Erfahrung im ansonsten enttäuschenden, weil vor allem ermüdenden Der phönizische Meisterstreich, dem neuen Film von Wes Anderson. Darin spielt neben den üblichen zwei Dutzend Stars Mia Threapleton eine Hauptrolle, die noch unbekannt, aber immerhin die Tochter von Kate Winslet ist.
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Kunst könne und dürfe nicht instrumentalisiert werden, sagt Joachim Trier bei der Abschlussgala, als er für seinen Film Sentimental Value den »Grand Prix de Jury« verliehen bekam: »Wir wissen nicht, warum wir es tun. Es hat keine Zwecke.« Vielleicht war das eine kleine Spitze gegen den einen Film, der seinen noch überflügelt hatte. Jedenfalls aber eine sympathische, notwendige Feststellung.
Joachim Trier arbeitet sich gewissermaßen vor zur Goldenen Palme. Zuerst der Preis für die »Beste Schauspielerin« vor zwei Jahren für Der schlimmste Mensch der Welt, jetzt der »Grand Prix«. Bei manchen klappt dann der allerletzte Schritt nicht, bei ihm wird es wahrscheinlich schon irgendwann passieren.
Sentimental Value war der eigentliche Favorit des
Mainstreams gewesen, und der meisten jener, die keine Goldene Palme für Panahi wollten. Und nicht nur ich glaubte, Trier eine gut aufgefangene Enttäuschung anzusehen.
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Ohne Frage ist dies ein gut gemachter und »funktionierender« Film, und stellenweise ist er sogar richtig gut.
Zuerst sieht man die Silhouette der Stadt Oslo. Ein Kameraschwenk gleitet mit unserem Blick auf einen Friedhof hinüber. Dann tritt der erste Hauptdarsteller auf: ein altes Haus aus dem 19. Jahrhundert. Das Haus erzählt seine Geschichte und die seiner Bewohner über vier Generationen hinweg. Dann begegnen wir Nora (Renate Reinsve in direkter Fortsetzung ihrer
enigmatischen Figur des »schlimmsten Menschen«), einer Schauspielerin mit extremem Lampenfieber. Eine Szene zwischen Komik und Fremdschämen. Sie erzählt mit dem Haus, dass die Eltern sich getrennt haben, dann gibt es da eine Beerdigung. Die Beerdigung der Mutter. Der weit entfernt lebende Vater kommt dazu. Er ist Regisseur. Noras Schwester Agnes (Inga Ibsdotter Lilleaas in einem besonders auffallenden Auftritt) hatte ihn benachrichtigt. Er war ein abwesender Vater, der sich nie
besonders auf das Leben seiner Töchter einließ. Der Vater heißt Gustav Borg und wird von Stellan Skarsgard gespielt in einem der schönsten, besten Auftritte seiner Karriere.
Jetzt möchte er seinen neuen Film drehen. Im alten Familienhaus, zwischen den Geistern mehrerer Generationen, unter anderem seiner Mutter, die einst im norwegischen Widerstand gegen die Nazi-Besatzung war, von den Deutschen gefoltert wurde und sich später das Leben nahm.
Hier beginnt der eigentliche Film: Als sich Vater und Tochter im Café treffen und der Vater der Tochter das Drehbuch gibt, mit der Bemerkung, er habe es für sie geschrieben. Die Tochter nimmt das nicht als Kompliment, sondern als Affront und ist empört; sie möchte nicht, dass sich der Vater für sie als Künstlerin interessiert, sondern für ihre Gefühle und Befindlichkeiten und ihren Narzissmus – und das wiederum interessiert ihn verständlicherweise überhaupt nicht. Für ihn
ist Arbeit und Kunst der Weg, zu kommunizieren und sich seiner Tochter zu nähern. Für die Tochter ist Kunst nur ein Weg, um nur sich selbst idiosynkratisch auszuagieren und ihr Leiden auf perverse, masochistische Weise zu genießen. So reden beide aneinander vorbei, mit dem Ergebnis, dass die Tochter des Drehbuch nicht liest und empört vom Café-Tisch aufsteht.
Was an dieser Szene vor allem ungemein nervt, das ist, dass wir in dem Moment, wo die Tochter aufsteht, schon wissen, dass
es jetzt eine Stunde lang dauern wird, in der sie herumzickt und sich quält und vor allem uns im Publikum quält, um dann doch irgendwann selbstverständlich diese Rolle zu spielen. Das hätte der Film uns ersparen können.
Nötig ist dazu ein auch irgendwie überflüssiges Intermezzo mit Hollywood-Star Elle Fanning, die einen Hollywood-Star spielt, der die Rolle der Tochter im geplanten Film zunächst übernehmen soll – das triggert dann unter anderem auch die Eitelkeit von Nora, und
führt zu der absolut vorhersehbaren Wendung. Und einer ebenso vorhersehbaren Versöhnung zwischen Vater und Tochter. Man könnte sagen: der Vater hat gesiegt. Das ist der einzige Trost in diesem ansonsten eher trostlosen Film, der leider auch mit seinen Bergman- und Ibsen-Anspielungen allzu deutlich hausieren geht.
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Das alles könnte auch eine schrille, schwarze Komödie über Filmwelt und Showbusiness und dessen Rücksichtslosigkeit sein, oder auch über die nostalgische Traurigkeit einer sich verändernden Branche. Peter Bradshaw schrieb zu diesem Aspekt in seiner durchwachsenen Kritik im »Guardian« treffend:
»There are also cinephile in-jokes (which are
also Cannesphile in-jokes). When Agnes’s son has his 10th birthday, Gustav brings the poor boy an outrageously unsuitable present: some brand-new DVDs of horribly shocking films like Michael Haneke’s The Piano Teacher and Gaspar Noé's Irreversible – but Trier shows the ultimate irony is that they don’t have a DVD player. Technological changes have robbed these films of the power to shock.«
In diesem Film gibt es sehr gute Witze, über das Filmemachen, über Kunstbehauptungen, über Netflix und Tiktok-Trolle, und sehr viele witzigen Momente – ich würde ihn trotzdem niemals als Komödie beschreiben, wie das andere tun. Dafür ist er viel zu ernst und viel zu bitter.
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Filmisch gesehen ist das alles ein Drehbuch und seine Vorgaben, seine ausgetüftelte narrative Architektur. Aber es fehlt ein wirklich expressives, eigenständiges Filmemachen. Die Inszenierung bleibt in Sentimental Value meist rein funktional.
Hinzu kommt, dass der Film selbst auf dieser Ebene bald seine ursprüngliche originelle Drehbuch-Prämisse, die Erinnerungen des Hauses selbst, aufgibt, obwohl sich um dieses Haus alles dreht, und stattdessen eher launisch und affektiv zwischen den Perspektiven des Vaters und der beiden Schwestern hin- und herspringt.
So bleibt die emotionale Intensität des Vater-Tochter-Dramas reine Behauptung. Mein Hauptproblem mit diesem Film ist, dass ich die Tochter-Figur in keinem Moment verstehe. Ich weiß bis zum Schluss nicht, was eigentlich mit ihr los ist, was sie antreibt, was sie für ein Problem hat. Den Vater hingegen versteht man ganz gut – aber dies ist nicht der Film des Vaters und deswegen auch nicht der Kunst und einer Haltung, die persönliche Befindlichkeiten hinter der Kunst zurückstellt. Sondern dies ist ein Film, der Partei für die Befindlichkeiten der Tochter nehmen möchte – aber weder das Drehbuch und die Inszenierung des Regisseurs, noch die Performance der Schauspielerin Renate Reinsve sind in der Lage, genau dies auch zu transportieren.
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Mir kommt dieser Film alles in allem wie ein Bluff vor, wie das gelungene Unterfangen des Regisseurs, Publikum und Jury einzulullen, und in ein Netz aus Behauptungen und Prätentionen zu verstricken.
Sentimental Value ist keineswegs schlecht, aber er ist etwas ärgerlich und er ist sehr sehr vorhersehbar. Die Frage ist, ob das, worum es in diesem Film geht, eigentlich wichtig ist?
Die Menschen, mit denen wir hier zu tun haben, denen wir begegnen, sind erst einmal keine Figuren, die man sich in einem Film von Truffaut oder Godard vorstellen kann. Am ehesten noch der alte Regisseur. Der Mann ist, wenn man so will, ein Rebell. Zumindest war er das. Er ist einer, der vom Leben mehr möchte, als nur gut essen und ein großes Haus haben.
Mir scheint, dass dieser Film ansonsten die Privatisierung und den Narzissmus, der Seelenlandschaften, die unserer Zeit
entsprechen, extrem vorantreibt.
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Was für ein Unterschied zu den anderen Filmen, von denen hier jetzt die Rede ist. Triers Film ist bürgerliches, lackiertes Arthouse-Kino, wird aber genau deswegen gut laufen, wenn auch nicht so gut wie Der schlimmste Mensch der Welt. Aber er bietet Vergnügen und keine Probleme.
Die anderen Filme, von denen hier die Rede ist, bieten auch Vergnügen, ein großes Vergnügen sogar, ein Vergnügen, das weit über das von Joachim Trier hinausgeht. Aber es liegt darin, verstört und irritiert und vor den Kopf gestoßen oder anderweitig herausgefordert zu werden. Man muss einfach Genuss daran empfinden, wenn man sich in Frage gestellt fühlt, sonst funktioniert es nicht.
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Der erste von ihnen ist Mascha Silinskis atemberaubend guter Sound of Falling / In die Sonne schauen, den ich mir tatsächlich am Samstag als allerletzten Film noch ein zweites Mal angesehen habe. Er hat es gut ausgehalten.
Ein poetischer Essay über Tod und Todessehnsucht, über deutsche Gespenster und German Angst, dabei voller Trost und gar nicht morbide. Der Tod ist eine tröstende Freundin.
Es gibt tatsächlich viel Fallen, viele Stürze und Sprünge und Abgründe in diesem Film, darum wird er für mich immer »Sound of Falling« heißen. Wir erleben Anspielungen auf Das weiße Band von Michael Haneke wie auf Sofia
Coppolas The Virgin Suicides, man kann auch an Edgar Reitz’ Heimat denken, sich ungedrehte deutsche und deutsch-deutsche Western vorstellen – in denen die Russen manchmal zu bösen Indianern werden – und dann auch Meek’s Cutoff im Kopf haben, aber eben auch The Zone of Interest, an dessen bösen Fluss der Fluss hier in diesem Film mich manches Mal erinnerte.
»To be continued...« gilt für diesen Film mehr als für alle anderen. Er wird mich in diesem Jahr begleiten.
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Der zweite ist Sirât von Olivier Laxe. Ein im Wortsinn unbeschreiblicher Film. Mad Max trifft Apichatpong Weerasethakul, The Sorcerer trifft Zabriskie Point. Das sind so die Filme,
wegen denen man nach Cannes fährt und wie man sie nur in Cannes sehen kann: konsequent, sinnlich, leidenschaftlich, kompromisslos, ohne Zugeständnisse an den Mainstream oder ans Publikum zu machen – im Gegenteil voller Vertrauen darauf, dass es Menschen gibt, die sich mitreißen lassen von Atmosphären und Stimmungen, von erkennbarer Leidenschaft, und eben von dieser Kompromisslosigkeit.
Menschen, die es auch zu schätzen wissen, dass dies ein Film ist, in dem immer alles
möglich ist: Auch der größte Unsinn, auch die schlimmste Überraschung,
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Der dritte ist mein größtes Versäumnis in diesem Jahr: Romería von Carla Simón. Den habe ich gesehen, aber ich war ihm in dem Augenblick nicht gewachsen. Er hat mich gefesselt, aber ich war zu müde, um ihn richtig in mich aufzunehmen, und freue mich schon auf das Wiedersehen beim Filmfest in München oder San Sebastian.
Denn wenige Filmemacherinnen erzählen gleichzeitig derart smart und emotional und derart persönlich, wie Simón. Die Geschichte, die die Regisseurin in ihrem gefeierten Debüt Sommer 1993 erzählte, war direkt autobiographisch, wie auch die in ihrem Cannes-Wettbewerbsbeitrag Romería, im Hintergrund steht die persönliche Katastrophe, die Simón in ihrem Debüt erzählt. Im Fall von Alcarràs, für den sie den Goldenen Bären gewann, war der autobiographische Bezug indirekter, aber auch da ging es um gestörte Familienverhältnisse und Geheimnisse, darum, Tote und Untote zum Leben zu erwecken und die Dämonen, die Kinder quälen, zu bannen. Das Kino kann das leisten: Es kann Tote wiedererwecken, es kann einen Exorzismus mit den Mitteln des Fiktionalen vollziehen, der Schönheit und Schmerz in Balance bringt.
Erneut steht das Thema Familie im Mittelpunkt eines Films von Carla Simón. Diesmal geht es um die Familie, die Simón nie kennengelernt hat, über ihre Großeltern väterlicherseits. In Romería gibt es zwei Kameras und darum zwei Perspektiven: Die erste gehört der jungen Marina, die jene Orte erkundet, die ihr in der Kindheit verwehrt blieben. Mit dieser Kamera filmt sie das Meer, Boote, ein Gebäude, in dem angeblich ihre Eltern lebten, und eine Prozession, in
der sie eine volkstümliche Wärme findet, die ihr Umfeld ihr nicht zu geben vermochte.
Mit der zweiten Kamera filmt Simón Marinas Spurensuche. Ein bisschen erinnert dieser elaborierte Neorealismus, die Verschränkung von Phantasie und Cinéma Vérité, an das betörende Kino Alicia Rohrwachers.
Spanische Freunde und Bekannte wiesen mich darauf hin, was sie in Romería alles entdecken – und es ist viel mehr, als was ich sehen kann: Die Textur der chaotischen Jahre unmittelbar nach der »Transición«; jene Zeit, als das Heroin quasi auf der Straße lag, jedenfalls im Spanien der 80er; die Jahre, in denen die galicische Hafenstadt Vigo nicht nur ein Hafen war, und nicht nur die Stadt des tollen, sehr speziellen Fußballclubs Celta, sondern auch jener Ort, an dem Siniestro Total »Bailaré sobre tu tumba« sangen und Os Resentidos »Galicia caníbal«. Vigo sei die Hauptstadt von Rockmusik und Heroin gewesen – bis Aids alles zum Schweigen brachte. Und schließlich war das Tagebuch der Mutter der Hauptfigur Marina das der realen Mutter von Carla Simón.
Ein rätselhafter, vielschichtiger Film, der noch genauer zu erkunden ist.
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Schließlich der rätselhafteste, schwierigste Film: Resurrection vom Chinesen Bi Gan, dessen Long Day’s Journey Into Night von 2018 eines der großen unbekannten Kino-Meisterwerke der letzten Jahre ist.
Sein neuer Film ist eine weitere hypnotische Traumreise, die die Zuschauer in Trance – oder am Ende des
Cannes-Wettbewerbs: in Schlaf – versetzte. Resurrection ist eine Geschichte, die in fünf Teilen erzählt wird; der letzte allerbeste Teil spielt 1999 Silvester und ist eine romantische Vampirgeschichte. Die erste Episode verschmilzt Méliès mit Murnau, den Lumières... Es folgt der Film Noir, der Neorealismus, das Kino der Fünften Generation. Am Ende Wong Kar-wai.
Alles sieht wunderschön aus, ist sinnlich, spielt mit den Mitteln und den Formen des
Kinos im 20. Jahrhundert und ist insofern auch ganz einfach eine Hommage an den Kinofilm an sich. Aber gleichzeitig macht die Erzählung für mich auch keinen richtigen Sinn. Es sind Kinokurzgeschichten, aufgeladen mit Bezügen und Verweisen, Fragmente einer Universalpoesie des Kinos, Kinoromantik. Jedenfalls habe ich die Handlung, wenn es eine durchgängige gibt, nicht verstanden. Aber dies ist ein Film, über den das Nachdenken und innere Arbeiten lohnt – im Zweifelsfall
wirkt er dann nachvollziehbarer und ist zugleich selbst eine Kritik am begradigten Mainstream.
So entfaltet sich ein traumhafter, fantasievoller Trip voller naiver Begeisterung und melancholischem Abgesang, der das filmische Imaginäre des 20. Jahrhunderts bewusst feiert und zu neuem Leben erwecken will. Und gleichzeitig ist dies auch eine Reise ins chinesische 20. Jahrhundert, eine dystopische Fabel, die visuell spektakulär ist, von elektrisierender ästhetischer Kraft und politisch virtuos und kühn, auch in seiner Lust am visuellen Exzess und amoralischer
Handlung, am Barocken: Pathos und Melancholie feiern Hochzeit.
Eine wagemutige, unkonventionelle und ambitionierte Filmkomposition, die allein schon ausreicht, um ein ganzes Festival zu rechtfertigen.
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Über anderes habe ich schon ausführlich geschrieben. Darum abschließend nochmal, mal wieder zur Filmkritik.
Ich wurde darauf angesprochen, dass meine Texte so viel offener und interessanter seien als die der Konkurrenz. Das freut natürlich. Trotzdem möchte ich mir selbst, der ich ja auch Leser bin, gern erklären, woher denn diese Unterschiede kommen. Ein paar Erklärungen habe ich natürlich schon.
Wie soll ich es aber hier sagen, ohne dass die Textpolizei mit dem Einsatzwagen vorgefahren kommt? Also so, ganz ohne Namensnennungen (und ausdrücklich: Ohne artechock-Autoren zu meinen, ich denke an andere): Ich schreibe meine Texte auch für Leser, die nicht das Filmfestival von Cannes besuchen. Das unterscheidet mich, glaube ich, von einigen Kollegen und Kolleginnen, deren Texte so wirken, als wären sie nur für andere Filmkritiker geschrieben und vielleicht noch für die
Studenten, die in ihrem Seminar lernen sollen, was angeblich gute Filmkritik ist. Darum drückt man etwas, was man auch einfach sagen könnte, kompliziert aus. Darum benutzt man Fremdworte, wo es auch ein deutsches Wort gäbe. Darum versäumt man, mindestens in einem Satz etwas über den Inhalt eines Films zu sagen. Darum hat man den grundsätzlichen Gestus: Wir sind hier unter uns. In der warmen Filterblase von Berlin.
Aber okay – es stimmt: Ich sollte hier kein Ressentiment
entwickeln. Außerdem wohne ich auch in Berlin. Leider.
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Das Politische, das sozial Nützliche oder gesellschaftlich Gewollte eines Films ist oft nur eine faule Ausrede, um auf verzweifelte Weise Klarheit zu erreichen, wo Unklarheit herrschen sollte. Um sich nicht auf das Diffuse, Flirrende, Fragmentarische, Vage und Ambivalente eines Films einzulassen.
Es ist unsere Aufgabe, aber genau darauf zu bestehen.