75. Berlinale 2025
Freiheit. Ein Mensch. Ein Wort |
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Manchmal reicht eine Idee, um einen guten Film schnell und billig zu machen: Radu Judes Kontinental ‘25 | ||
(Foto: Radu Jude) |
Gerhart R. Baum ist am Wochenende gestorben. Er war ein Politiker, der für jene Jahre stand, als die FDP linker war, als die SPD und ein bisschen das bürgerrechtliche Gewissen der Republik. Man hat auch vollkommen, vergessen, dass die FDP die erste Partei war, die – in ihren »Freiburger Thesen« aus dem Jahr 1971, an der
der Journalist der Frankfurter Rundschau, Karl-Hermann Flach als Generalsekretär entscheidend mitwirkte – die erste Partei war, die die Umweltpolitik in ihr Programm schrieb. Diese Feststellung ist eindeutig keine Wahlempfehlung für die FDP am kommenden Sonntag – ganz im Gegenteil! Das Tragische und zugleich Heroische an Gerhard Baum, den ich ein paar mal getroffen und einmal interviewt habe, war, dass er die Ideen gegen die Wirklichkeit der Westerwelles und
Lindners verteidigte, und im Gegensatz zu den jüngeren Linksliberalen der Partei diesen Linksliberalísmus und den funkelnden Kern des Freiheitsgedankens immer gut erklären und zeitgemäß ausbuchstabieren konnte.
Baum stand als Institution im Einzelfall für (links-)liberale Freiheit. Als letzter Mohikaner seiner Partei. Er starb übrigens genau am 80. Jahrestag des Bombardements von Dresden, das er als Zwölfjähriger überlebte. Kein Zufall, da bin ich mir sicher.
Warum das hierher gehört? Gerhart Baum war auch ein großer Kulturpolitiker. Als Innenminister (1978-1982) war er für Kultur zuständig, (ein Staatsministerium wurde erst 1998 von der SPD eingeführt), und ein Verteidiger der Freiheit des Films und des Autorenkinos. In seine Amtszeit fallen die größten internationalen Erfolge des Deutschen Films: Die Goldene Palme in Cannes, der Oscar für Schlöndorff, Löwen für Margarethe von Trotta und Wim Wenders, die Cannes-Teilnahme von Thomas Brasch. Er hat den Deutschen Kulturrat gegründet, und sich für alle Felder der Kultur engagiert. Er war ein Ermöglicher,m ein Streiter für die Erweiterung aller Diskursräume, ein Gegner von Verengungen.
Der Dokumentarfilm-Regisseuer Klaus Stern hat für seinen letzten Film Watching You – Die Welt von Palantir und Alex Karp ein hochinteressantes Interview mit Baum geführt. Auch deshalb lohnt der Film. (Herzlichen Dank für die Übermittlung des kompletten Gesprächs).
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Minus 9 Grad herrscht bei der Berlinale. Die Wärme kommt nur von Innen. Zum Beispiel bei der Einladung der Produktionsfirma »Sommerhaus« – dies ist immer der schönste Moment (und heimliche Vor-Schlusspunkt) nach einer Woche Berlinale. Bevor sie abreisen, kommen hier viele nette Menschen noch einmal vorbei.
Da ging’s dann tatsächlich um Quantenphysik, Religion und Sternzeichen und dann um die Frage wie man die Shoah adäquat im Kino darstellen kann.
Aber es geht natürlich auch um die Berlinale, die erste unter der Leitung durch die Amerikanerin Tricia Tuttle. Die an den ersten Tagen euphorischen und generell positiven Urteile sind seit Anfang der Woche deutlich gemischter. Das liegt nicht nur an den auch in diesem Jahr mehrfachen Antisemitismus-Skandalen (auf die wir ein andermal näher eingehen), sondern am Festival als solchem.
Tricia Tuttle hat die Forumisierung der Berlinale, vor allem des Wettbewerbs, ersetzt durch eine Panoramisierung – so lautet die interessanteste und für mich sehr überzeugende These, die ich an diesem Abend höre. Sie ist als Lob gemeint. Es geht der Leiterin hier auch darum, zu begreifen, was beim Publikum »funktioniere«, eine Art Test .
Die kleinen, manierierten Kunstfilme, die nur das Klischee mit dem Forum der Zeiten unter Christina Nord und Christoph Terhechte verbindet, – heute gibt es im Forum wieder endlich wieder das beste Programm des Festivals – sind wieder in Nebensektionen verdammt. Dafür etwas eingängigere und publikumswirksamere Filme, aber auch viel Beliebiges und manches Schlechte.
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Ein Leitmotiv: In gefühlt jedem zweiten Film, den ich sehe, küssen sich irgendwann zwei Frauen. Ich habe nichts dagegen, im Gegenteil. Aber wenn das zum Auswahlkriterium für schwache Filme wird, dann denke ich, sollten die persönlichen Vorlieben der Direktorin das Programm in Zukunft besser nicht allzu sehr prägen.
Zweites Leitmotiv: Eine ganze Reihe von Filmen hat – so unterschiedlich sie auch sonst sind – schon im Titel den Begriff des »Träumens«. Dies ist ein
interessantes Zeitphänomen: Ganz offensichtlich entdecken Filmemacher gerade wieder Kino als Mittel zur Realitätsflucht und zum Eskapismus. Es geht hier weniger um Kino als Traumfabrik, um das Bauen neuer, ungesehener, nie geahnter Welten, als um Weltflucht, um kleine Paradiese, um private Utopien, leider auch um eine ganze Menge Narzissmus. Insofern ist der Eröffnungsfilm von Tom Tykwer recht repräsentativ gewesen für das, was auf ihn folgte.
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Gefragt nach einer ersten Zwischenbilanz antworte ich: Es gibt ein paar gute bis interessante Filme, aber das meiste, was ich gesehen habe, ist auch etwas beliebig. Es gibt wenig Zwingendes, und es gibt keinen Buzz für auch nur irgendeinen einzigen Film.
Radu Judes neuer Film Kontinental ‘25 im Wettbewerb erzählt von einer Gerichtsvollzieherin im transsilvanischen Cluj, die an ihre moralischen Grenzen stößt. Ich mochte den Film.
Phantastisch war, wie er allen vorführt, dass es geht, schnell und billig einen guten Film zu machen, irgendwie, wenn man nur eine Idee hat. Dass technische (und finanzielle) Grenzen manchmal nur Ausreden
sind. Manchen, gerade junge Filmemacher wollen immer so perfekt sein. Die Bela-Tarr-Fraktion an der dffb zum Beispiel. Jude zeigt, warum das ein falscher Weg ist.
Eine Freundin, auch Regisseurin, ergänzt: dass der Film nach einer Weile auch die technischen/ästhetischen Grenzen verschiebt.
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Die Premierenparty im Anschluss war interessant, weil sie klein und intim war, eine Mischung aus alter Berlinale und neuer (mit Besuch von Tricia Tuttle nach zwei Uhr nachts) und deutscher Filmszene und Adabeis und dazwischen der coole Radu, der das alles eigentlich völlig panne findet, aber mitspielt.
(to be contionued)