20.02.2025
75. Berlinale 2025

Freiheit. Ein Mensch. Ein Wort

Kontinental 25
Manchmal reicht eine Idee, um einen guten Film schnell und billig zu machen: Radu Judes Kontinental ‘25
(Foto: Radu Jude)

Minusgrade: Die Panoramisierung der Berlinale löst die Forumisierung ab – eine erste Zwischenbilanz; Berlinale Tagebuch, Folge 3

Von Rüdiger Suchsland

Gerhart R. Baum ist am Wochen­ende gestorben. Er war ein Politiker, der für jene Jahre stand, als die FDP linker war, als die SPD und ein bisschen das bürger­recht­liche Gewissen der Republik. Man hat auch voll­kommen, vergessen, dass die FDP die erste Partei war, die – in ihren »Frei­burger Thesen« aus dem Jahr 1971, an der der Jour­na­list der Frank­furter Rundschau, Karl-Hermann Flach als Gene­ral­se­kretär entschei­dend mitwirkte – die erste Partei war, die die Umwelt­po­litik in ihr Programm schrieb. Diese Fest­stel­lung ist eindeutig keine Wahl­emp­feh­lung für die FDP am kommenden Sonntag – ganz im Gegenteil! Das Tragische und zugleich Heroische an Gerhard Baum, den ich ein paar mal getroffen und einmal inter­viewt habe, war, dass er die Ideen gegen die Wirk­lich­keit der Wester­welles und Lindners vertei­digte, und im Gegensatz zu den jüngeren Links­li­be­ralen der Partei diesen Links­li­be­ralísmus und den funkelnden Kern des Frei­heits­ge­dan­kens immer gut erklären und zeitgemäß ausbuch­sta­bieren konnte.
Baum stand als Insti­tu­tion im Einzel­fall für (links-)liberale Freiheit. Als letzter Mohikaner seiner Partei. Er starb übrigens genau am 80. Jahrestag des Bombar­de­ments von Dresden, das er als Zwölf­jäh­riger überlebte. Kein Zufall, da bin ich mir sicher.

Warum das hierher gehört? Gerhart Baum war auch ein großer Kultur­po­li­tiker. Als Innen­mi­nister (1978-1982) war er für Kultur zuständig, (ein Staats­mi­nis­te­rium wurde erst 1998 von der SPD einge­führt), und ein Vertei­diger der Freiheit des Films und des Autoren­kinos. In seine Amtszeit fallen die größten inter­na­tio­nalen Erfolge des Deutschen Films: Die Goldene Palme in Cannes, der Oscar für Schlön­dorff, Löwen für Marga­rethe von Trotta und Wim Wenders, die Cannes-Teilnahme von Thomas Brasch. Er hat den Deutschen Kulturrat gegründet, und sich für alle Felder der Kultur engagiert. Er war ein Ermög­li­cher,m ein Streiter für die Erwei­te­rung aller Diskurs­räume, ein Gegner von Veren­gungen.

Der Doku­men­tar­film-Regis­seuer Klaus Stern hat für seinen letzten Film Watching You – Die Welt von Palantir und Alex Karp ein hoch­in­ter­es­santes Interview mit Baum geführt. Auch deshalb lohnt der Film. (Herz­li­chen Dank für die Über­mitt­lung des kompletten Gesprächs).

+ + +

Minus 9 Grad herrscht bei der Berlinale. Die Wärme kommt nur von Innen. Zum Beispiel bei der Einladung der Produk­ti­ons­firma »Sommer­haus« – dies ist immer der schönste Moment (und heimliche Vor-Schluss­punkt) nach einer Woche Berlinale. Bevor sie abreisen, kommen hier viele nette Menschen noch einmal vorbei.

Da ging’s dann tatsäch­lich um Quan­ten­physik, Religion und Stern­zei­chen und dann um die Frage wie man die Shoah adäquat im Kino darstellen kann.

Aber es geht natürlich auch um die Berlinale, die erste unter der Leitung durch die Ameri­ka­nerin Tricia Tuttle. Die an den ersten Tagen eupho­ri­schen und generell positiven Urteile sind seit Anfang der Woche deutlich gemischter. Das liegt nicht nur an den auch in diesem Jahr mehr­fa­chen Anti­se­mi­tismus-Skandalen (auf die wir ein andermal näher eingehen), sondern am Festival als solchem.

Tricia Tuttle hat die Forumi­sie­rung der Berlinale, vor allem des Wett­be­werbs, ersetzt durch eine Pano­r­ami­sie­rung – so lautet die inter­es­san­teste und für mich sehr über­zeu­gende These, die ich an diesem Abend höre. Sie ist als Lob gemeint. Es geht der Leiterin hier auch darum, zu begreifen, was beim Publikum »funk­tio­niere«, eine Art Test .

Die kleinen, manie­rierten Kunst­filme, die nur das Klischee mit dem Forum der Zeiten unter Christina Nord und Christoph Terhechte verbindet, – heute gibt es im Forum wieder endlich wieder das beste Programm des Festivals – sind wieder in Nebensek­tionen verdammt. Dafür etwas eingän­gi­gere und publi­kums­wirk­sa­mere Filme, aber auch viel Belie­biges und manches Schlechte.

+ + +

Ein Leitmotiv: In gefühlt jedem zweiten Film, den ich sehe, küssen sich irgend­wann zwei Frauen. Ich habe nichts dagegen, im Gegenteil. Aber wenn das zum Auswahl­kri­te­rium für schwache Filme wird, dann denke ich, sollten die persön­li­chen Vorlieben der Direk­torin das Programm in Zukunft besser nicht allzu sehr prägen.
Zweites Leitmotiv: Eine ganze Reihe von Filmen hat – so unter­schied­lich sie auch sonst sind – schon im Titel den Begriff des »Träumens«. Dies ist ein inter­es­santes Zeit­phä­nomen: Ganz offen­sicht­lich entdecken Filme­ma­cher gerade wieder Kino als Mittel zur Reali­täts­flucht und zum Eska­pismus. Es geht hier weniger um Kino als Traum­fa­brik, um das Bauen neuer, unge­se­hener, nie geahnter Welten, als um Welt­flucht, um kleine Paradiese, um private Utopien, leider auch um eine ganze Menge Narzissmus. Insofern ist der Eröff­nungs­film von Tom Tykwer recht reprä­sen­tativ gewesen für das, was auf ihn folgte.

+ + +

Gefragt nach einer ersten Zwischen­bi­lanz antworte ich: Es gibt ein paar gute bis inter­es­sante Filme, aber das meiste, was ich gesehen habe, ist auch etwas beliebig. Es gibt wenig Zwin­gendes, und es gibt keinen Buzz für auch nur irgend­einen einzigen Film.

Radu Judes neuer Film Konti­nental ‘25 im Wett­be­werb erzählt von einer Gerichts­voll­zie­herin im trans­sil­va­ni­schen Cluj, die an ihre mora­li­schen Grenzen stößt. Ich mochte den Film.
Phan­tas­tisch war, wie er allen vorführt, dass es geht, schnell und billig einen guten Film zu machen, irgendwie, wenn man nur eine Idee hat. Dass tech­ni­sche (und finan­zi­elle) Grenzen manchmal nur Ausreden sind. Manchen, gerade junge Filme­ma­cher wollen immer so perfekt sein. Die Bela-Tarr-Fraktion an der dffb zum Beispiel. Jude zeigt, warum das ein falscher Weg ist.
Eine Freundin, auch Regis­seurin, ergänzt: dass der Film nach einer Weile auch die tech­ni­schen/ästhe­ti­schen Grenzen verschiebt.

+ + +

Die Premie­ren­party im Anschluss war inter­es­sant, weil sie klein und intim war, eine Mischung aus alter Berlinale und neuer (mit Besuch von Tricia Tuttle nach zwei Uhr nachts) und deutscher Filmszene und Adabeis und dazwi­schen der coole Radu, der das alles eigent­lich völlig panne findet, aber mitspielt.

(to be conti­onued)