14.02.2025
75. Berlinale 2025

Beziehungsstatus: Es ist kompliziert

Das Licht
Guten Appetit beim Humanismus-Eintopf, der mit der realen Welt nicht viel zu tun hat...
(Foto: Frederic Batier / X Verleih AG)

Zwerge auf dem roten Teppich: Tom erzählt von Tim, dem Licht, der Syrerin und dem Berliner Narzissmus. Und nur Nicolette Krebitz erweist sich als Schauspielriesin; Berlinale Tagebuch, Folge 2

Von Rüdiger Suchsland

»Wir sind auch in Europa im Bereich des Films als Deutsche nicht wett­be­werbs­fähig. Wir sind gar nicht in der Lage, auch nur mitzu­halten.«
- Oliver Berben, Produzent, auf dem CDU-Wahl­par­teitag 2025

»In den Filmen der letzten 20 Jahre machen Leute keine Erfah­rungen mehr, die sie dazu zwingen, die Welt anders zu betrachten oder zu verändern. In diesem Kino setzt sich eine neue Wahr­neh­mungs­ö­ko­nomie durch, die ihren Ursprung in Auswei­tung und Kulti­vie­rung von narziss­ti­schen Persön­lich­keits­störungen auf den gesell­schaft­li­chen Verkehr hat.«
- Lars Henrik Gass, »Objekt­ver­lust«, 2025; S.38

Leise rieselt der Schnee auf das Berlinale-Berlin... Gemeint ist leider nicht bele­bendes Kokain, das die Berlinale doch so dringend nötig hätte, und noch mehr das Rebel­li­sche, leicht Verbotene dieses Stoffes, das uns alle an das 20er Jahre Berlin und bessere Zeiten jeden­falls fürs deutsche Kino erinnern könnte. Die Kraft und die Wildheit von Drogen und den Hedo­nismus, der mit ihnen verbunden ist, würden nicht nur der Berlinale sehr gut tun, nein im deutschen Film und seiner Film­kritik auch.

Pünktlich zur Berlinale setzte der Schnee­fall ein und verlang­samte alles ange­messen. Zugleich sorgte der Schnee auch für eine dämpfende, weiche, milde Stimmung – die Berlinale-Gäste wirken plötzlich alle wie die Kinder die sich am Niko­laus­abend vergnügen und nicht wie die erwach­senen Künstler, als die sie hier aufzu­treten versuchen.

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Straßen­bahn und Schnee vertragen sich weniger gut. Die Berliner Verkehrs­be­triebe, die leider auch für Straßen­bahn und U-Bahn und Busse zuständig ist, ist vom Winter­ein­bruch wie üblich über­for­dert.

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Die belieb­teste Frage der Berlinale lautet »Und was wählst du?« und die häufigste Fest­stel­lung »Ich weiß nicht, was ich wählen soll« – und gemeint ist in beiden Fällen nicht der Sieger beim Publi­kums­preis.

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Alles machen sich Sorgen, jeder faselt was von »Weimarer Verhält­nissen« und man wundert sich, dass sich alles über Trump wundern und mal wieder nichts haben kommen sehen.

Aber die gute Laune lassen sich die deutschen Filmleute deshalb noch lange nicht verderben: Beim Chanel-Event am Berlinale-Vorabend waren sie alle dabei. Passend zur Stunde traf man sich zum Dinner im Nazi­luft­schutz­bunker in der Rein­hardtstraße. Tilda Swinton war da mit jungem Anhang, Leonie Benesch, die gerade Sandra Hüller als hoch­ge­han­delster deutscher Film­ex­port in Hollywood abgelöst hat und der bei aller Freund­lich­keit die neue Markt­macht aus jeder Pore strahlt – solche Treffen und Einla­dungen sind die eigent­liche Wahrheit der Berlinale, nicht die geschwät­zigen Reden für die Galerie.

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Vom fünf­stün­digen Eröff­nungs­ga­la­e­vent über­mit­telt mir eine Freundin noch während der Veran­stal­tung: »Die Berlinale wird immer kleiner. Hier sind nur Zwerge auf dem Roten Teppich. Nur Fern­seh­stars.« Ganz stimmt das zwar nicht, aber manche Kinofilme kommen einem wie Fernsehen vor und alle arbeiten daran, dass das Publikum diesen Unter­schied nicht mal mehr theo­re­tisch versteht.

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Tricia Tuttle, die neue Berlinale-Direk­torin, ist zumindest schlau. im Doppel­sinn des Wortes, also klug und clever, taktisch geschickt. Das zeigte sich auch am Eröff­nungs­abend: Die AfD wird ausge­laden, das nicht aber nicht an die große Glocke gehängt und auf Nachfrage dann ganz unpo­li­tisch, mit »Platz­pro­blemen« begründet. Geht’s noch billiger?

Den nach 2024 unver­meid­li­chen Anti­se­mi­tis­mus­vor­würfen begegnet man mit dem Hinweis auf die Vorfüh­rung von Claude Lanzmanns Shoah – das ist zumindest eine Geste. Ob das genug ist?

Todd Haynes als Jury­prä­si­dent steht für stilis­ti­sche Eleganz und erzäh­le­ri­sche Klugheit, für Kino als Ästhetik, nicht als poli­ti­scher Werbe­banner und illus­tra­tiver Kurier für Ansichten die den Main­stream bestä­tigen. Das ist schon eine ganze Menge, und mehr, als in den letzten Jahren in der Jury geboten wurde.

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Alles ist ein Zeichen bei dieser neuen Direk­torin. Auch die Vergabe eines Ehren­bären an Tilda Swinton, die eben nicht nur eine unver­wech­sel­bare Schau­spie­lern ist, sondern auch Queerness-Ikone anti­is­rae­li­sche Akti­vistin und beken­nende Anhän­gerin der anti­se­mi­ti­schen BDS-Bewegung. Tricia Tuttle ist auch das sicher nicht unbekannt.

So steht denn diese Direk­torin auf dem Roten Teppich und hält ein Bild des nach wie vor von Araber-Terro­risten entführten Schau­spie­lers und Berlinale-Preis­trä­gers David Cunio, um kurz darauf Tilda Swinton zu ehren, die eine ganz schön lange Rede hält, die größ­ten­teils aus wohl­ge­fäl­ligen Plat­ti­tüden bestand, aber dann doch »Gaza, Westbank, Libanon« aufzählt, aber keinen Halbsatz über Geiseln und Hamas-Massaker verliert.

In der »Jüdische Allge­meinen« fragt dazu die Kultur­jour­na­listin Maria Ossowski: »Warum darf die Schau­spie­lerin Tilda Swinton die Berlinale als Plattform nutzen, um BDS zu unter­s­tützen? Boykott, Desin­ves­tion und Sank­tionen richtet sich neben wirt­schaft­li­chem Boykott auch gegen die kultu­relle Zusam­men­ar­beit mit Israel. Der Bundestag hatte die Bewegung in einem Beschluss verur­teilt. Sie sei anti­se­mi­tisch. Was hat Swintons Bewun­de­rung für BDS auf einem Film­fes­tival in Berlin zu suchen?«

Die freie Meinungs­äuße­rung ist ein hohes Gut in Deutsch­land, das nicht ange­tastet werden sollte. Die Berlinale-Richt­li­nien weisen darauf hin, insofern sind auch jene Meinungen erlaubt, die gerade nach der Nazizeit und der Shoa uner­träg­lich erscheinen. Sich damit abzu­finden, fällt gerade bei anti­se­mi­tisch grun­dierten Äuße­rungen schwer.

Bezie­hungs­status: Es ist kompli­ziert.

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Die ersten Bilder auf der Festi­val­lein­wand der Berlinale 2025 zeigen die Geschichte Tim und Milena, einem typischen Berlin-Mitte-Paar: Wohl­si­tu­iertes, links­li­be­rales Bildungs­bür­gertum mit drei Kindern und relativ wenig finan­zi­ellen Sorgen. Aber eben auch zwei ein bisschen abge­ho­bene Exemplare der Privi­le­gierten dieser Welt, die jene nur von ihrer strah­lenden schönen Seite kennen. Doch plötzlich kommt diese Welt, und mit ihr auch deren anderes, unan­ge­neh­meres Gesicht zu ihnen, in Gestalt von Farah, einer Psycho­the­ra­peutin aus Syrien, die durch Bürger­krieg und Flucht in Berlin gelandet ist. Sie sucht Arbeit und wird Haus­halts­hilfe bei der Familie. Und ziemlich schnell werden dort auch ihre thera­peu­ti­schen Fähig­keiten gebraucht...

Das Licht, der neue Film des deutschen Regie­stars Tom Tykwer (Lola rennt), seine erste Kino­ar­beit seit fast zehn Jahren Seri­en­er­folg mit Berlin Babylon, der Eröff­nungs­film der 75. Ausgabe der Berliner Film­fest­spiele, ist eine Mischung aus Drama und Komödie: Ernste Probleme treffen auf heitere Situa­tionen. Wobei die Probleme über­wiegen. und die Esoterik. Am Ende kommt so eine Volks­hoch­schul-Version von Hans Küngs »Weltethos« heraus, nichts Schlimmes oder Böses, also, aber doch ein Huma­nismus-Eintopf, der mit der realen Welt nicht viel zu tun hat.

Und diese Licht-Meta­phorik – au weia! Eine Zauber­lampe sorgt für Magischen Irrea­lismus, und soll verdecken, dass dieser Film leider nicht viel zu sagen hat, und auch nicht gut beob­achtet ist.

Immerhin: In Tykwers Berlin regnet es dauernd; dieses Stadt ist hässlich, kalt, unwirt­lich, so wie in Wirk­lich­keit. Hier liegt ein großer Unter­schied zum Sonnen­schein-Film Lola rennt.

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Und am Ende erzählt der Film vor allem vom Klischee des Trosts von Fremden: Die syrische Flücht­lings­frau wird zum Kata­ly­sator und kuriert die mega-narziss­ti­sche selbst­ge­rechte Hipster-Familie sowie andere Wohl­stands­pro­bleme der Deutschen. Aber wer tröstet eigent­lich Farah? Darin, auch in der letzt­li­chen Ignoranz für die Außen­sei­ter­per­spek­tive der Syrerin, steht Tykwers gutge­launter Film durchaus in der Tradition bester Hollywood-Komödien von Lubitsch, Sturges und anderen – ohne aber je auch nur in die Nähe von deren Witz und Subti­lität zu kommen.

Was den Film dann doch noch halbwegs erträg­lich macht, ist anderes: Tykwer hat wenigs­tens eine Hand­schrift und er ist nach wie vor unglaub­lich virtuos in seinen Bildern, im Rückgriff auf hand­werk­liche Mittel. Nur Dreh­bücher sollte er nicht mehr schreiben.

Vor allem aber: Nicolette Krebitz ist wirklich wunderbar und schafft es immer wieder den papiernen Dialogen nicht nur Leben, sondern Wahrheit und Körper­lich­keit einzu­flößen. Das ist bewun­derns­wert, denn Krebitz ist – wenn sie will und zu sich selbst ehrlich ist – viel zu klug für das alles. Aber viel­leicht hat sie ja gehofft, dass es wenigs­tens komisch wird.