75. Berlinale 2025
Beziehungsstatus: Es ist kompliziert |
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Guten Appetit beim Humanismus-Eintopf, der mit der realen Welt nicht viel zu tun hat... | ||
(Foto: Frederic Batier / X Verleih AG) |
»Wir sind auch in Europa im Bereich des Films als Deutsche nicht wettbewerbsfähig. Wir sind gar nicht in der Lage, auch nur mitzuhalten.«
- Oliver Berben, Produzent, auf dem CDU-Wahlparteitag 2025»In den Filmen der letzten 20 Jahre machen Leute keine Erfahrungen mehr, die sie dazu zwingen, die Welt anders zu betrachten oder zu verändern. In diesem Kino setzt sich eine neue Wahrnehmungsökonomie durch, die ihren Ursprung in Ausweitung und Kultivierung von narzisstischen Persönlichkeitsstörungen auf den gesellschaftlichen Verkehr hat.«
- Lars Henrik Gass, »Objektverlust«, 2025; S.38
Leise rieselt der Schnee auf das Berlinale-Berlin... Gemeint ist leider nicht belebendes Kokain, das die Berlinale doch so dringend nötig hätte, und noch mehr das Rebellische, leicht Verbotene dieses Stoffes, das uns alle an das 20er Jahre Berlin und bessere Zeiten jedenfalls fürs deutsche Kino erinnern könnte. Die Kraft und die Wildheit von Drogen und den Hedonismus, der mit ihnen verbunden ist, würden nicht nur der Berlinale sehr gut tun, nein im deutschen Film und seiner Filmkritik auch.
Pünktlich zur Berlinale setzte der Schneefall ein und verlangsamte alles angemessen. Zugleich sorgte der Schnee auch für eine dämpfende, weiche, milde Stimmung – die Berlinale-Gäste wirken plötzlich alle wie die Kinder die sich am Nikolausabend vergnügen und nicht wie die erwachsenen Künstler, als die sie hier aufzutreten versuchen.
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Straßenbahn und Schnee vertragen sich weniger gut. Die Berliner Verkehrsbetriebe, die leider auch für Straßenbahn und U-Bahn und Busse zuständig ist, ist vom Wintereinbruch wie üblich überfordert.
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Die beliebteste Frage der Berlinale lautet »Und was wählst du?« und die häufigste Feststellung »Ich weiß nicht, was ich wählen soll« – und gemeint ist in beiden Fällen nicht der Sieger beim Publikumspreis.
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Alles machen sich Sorgen, jeder faselt was von »Weimarer Verhältnissen« und man wundert sich, dass sich alles über Trump wundern und mal wieder nichts haben kommen sehen.
Aber die gute Laune lassen sich die deutschen Filmleute deshalb noch lange nicht verderben: Beim Chanel-Event am Berlinale-Vorabend waren sie alle dabei. Passend zur Stunde traf man sich zum Dinner im Naziluftschutzbunker in der Reinhardtstraße. Tilda Swinton war da mit jungem Anhang, Leonie Benesch, die gerade Sandra Hüller als hochgehandelster deutscher Filmexport in Hollywood abgelöst hat und der bei aller Freundlichkeit die neue Marktmacht aus jeder Pore strahlt – solche Treffen und Einladungen sind die eigentliche Wahrheit der Berlinale, nicht die geschwätzigen Reden für die Galerie.
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Vom fünfstündigen Eröffnungsgalaevent übermittelt mir eine Freundin noch während der Veranstaltung: »Die Berlinale wird immer kleiner. Hier sind nur Zwerge auf dem Roten Teppich. Nur Fernsehstars.« Ganz stimmt das zwar nicht, aber manche Kinofilme kommen einem wie Fernsehen vor und alle arbeiten daran, dass das Publikum diesen Unterschied nicht mal mehr theoretisch versteht.
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Tricia Tuttle, die neue Berlinale-Direktorin, ist zumindest schlau. im Doppelsinn des Wortes, also klug und clever, taktisch geschickt. Das zeigte sich auch am Eröffnungsabend: Die AfD wird ausgeladen, das nicht aber nicht an die große Glocke gehängt und auf Nachfrage dann ganz unpolitisch, mit »Platzproblemen« begründet. Geht’s noch billiger?
Den nach 2024 unvermeidlichen Antisemitismusvorwürfen begegnet man mit dem Hinweis auf die Vorführung von Claude Lanzmanns Shoah – das ist zumindest eine Geste. Ob das genug ist?
Todd Haynes als Jurypräsident steht für stilistische Eleganz und erzählerische Klugheit, für Kino als Ästhetik, nicht als politischer Werbebanner und illustrativer Kurier für Ansichten die den Mainstream bestätigen. Das ist schon eine ganze Menge, und mehr, als in den letzten Jahren in der Jury geboten wurde.
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Alles ist ein Zeichen bei dieser neuen Direktorin. Auch die Vergabe eines Ehrenbären an Tilda Swinton, die eben nicht nur eine unverwechselbare Schauspielern ist, sondern auch Queerness-Ikone antiisraelische Aktivistin und bekennende Anhängerin der antisemitischen BDS-Bewegung. Tricia Tuttle ist auch das sicher nicht unbekannt.
So steht denn diese Direktorin auf dem Roten Teppich und hält ein Bild des nach wie vor von Araber-Terroristen entführten Schauspielers und Berlinale-Preisträgers David Cunio, um kurz darauf Tilda Swinton zu ehren, die eine ganz schön lange Rede hält, die größtenteils aus wohlgefälligen Plattitüden bestand, aber dann doch »Gaza, Westbank, Libanon« aufzählt, aber keinen Halbsatz über Geiseln und Hamas-Massaker verliert.
In der »Jüdische Allgemeinen« fragt dazu die Kulturjournalistin Maria Ossowski: »Warum darf die Schauspielerin Tilda Swinton die Berlinale als Plattform nutzen, um BDS zu unterstützen? Boykott, Desinvestion und Sanktionen richtet sich neben wirtschaftlichem Boykott auch gegen die kulturelle Zusammenarbeit mit Israel. Der Bundestag hatte die Bewegung in einem Beschluss verurteilt. Sie sei antisemitisch. Was hat Swintons Bewunderung für BDS auf einem Filmfestival in Berlin zu suchen?«
Die freie Meinungsäußerung ist ein hohes Gut in Deutschland, das nicht angetastet werden sollte. Die Berlinale-Richtlinien weisen darauf hin, insofern sind auch jene Meinungen erlaubt, die gerade nach der Nazizeit und der Shoa unerträglich erscheinen. Sich damit abzufinden, fällt gerade bei antisemitisch grundierten Äußerungen schwer.
Beziehungsstatus: Es ist kompliziert.
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Die ersten Bilder auf der Festivalleinwand der Berlinale 2025 zeigen die Geschichte Tim und Milena, einem typischen Berlin-Mitte-Paar: Wohlsituiertes, linksliberales Bildungsbürgertum mit drei Kindern und relativ wenig finanziellen Sorgen. Aber eben auch zwei ein bisschen abgehobene Exemplare der Privilegierten dieser Welt, die jene nur von ihrer strahlenden schönen Seite kennen. Doch plötzlich kommt diese Welt, und mit ihr auch deren anderes, unangenehmeres Gesicht zu ihnen, in Gestalt von Farah, einer Psychotherapeutin aus Syrien, die durch Bürgerkrieg und Flucht in Berlin gelandet ist. Sie sucht Arbeit und wird Haushaltshilfe bei der Familie. Und ziemlich schnell werden dort auch ihre therapeutischen Fähigkeiten gebraucht...
Das Licht, der neue Film des deutschen Regiestars Tom Tykwer (Lola rennt), seine erste Kinoarbeit seit fast zehn Jahren Serienerfolg mit Berlin Babylon, der Eröffnungsfilm der 75. Ausgabe der Berliner Filmfestspiele, ist eine Mischung aus Drama und Komödie: Ernste Probleme treffen auf heitere Situationen. Wobei die Probleme überwiegen. und die Esoterik. Am Ende kommt so eine Volkshochschul-Version von Hans Küngs »Weltethos« heraus, nichts Schlimmes oder Böses, also, aber doch ein Humanismus-Eintopf, der mit der realen Welt nicht viel zu tun hat.
Und diese Licht-Metaphorik – au weia! Eine Zauberlampe sorgt für Magischen Irrealismus, und soll verdecken, dass dieser Film leider nicht viel zu sagen hat, und auch nicht gut beobachtet ist.
Immerhin: In Tykwers Berlin regnet es dauernd; dieses Stadt ist hässlich, kalt, unwirtlich, so wie in Wirklichkeit. Hier liegt ein großer Unterschied zum Sonnenschein-Film Lola rennt.
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Und am Ende erzählt der Film vor allem vom Klischee des Trosts von Fremden: Die syrische Flüchtlingsfrau wird zum Katalysator und kuriert die mega-narzisstische selbstgerechte Hipster-Familie sowie andere Wohlstandsprobleme der Deutschen. Aber wer tröstet eigentlich Farah? Darin, auch in der letztlichen Ignoranz für die Außenseiterperspektive der Syrerin, steht Tykwers gutgelaunter Film durchaus in der Tradition bester Hollywood-Komödien von Lubitsch, Sturges und anderen – ohne aber je auch nur in die Nähe von deren Witz und Subtilität zu kommen.
Was den Film dann doch noch halbwegs erträglich macht, ist anderes: Tykwer hat wenigstens eine Handschrift und er ist nach wie vor unglaublich virtuos in seinen Bildern, im Rückgriff auf handwerkliche Mittel. Nur Drehbücher sollte er nicht mehr schreiben.
Vor allem aber: Nicolette Krebitz ist wirklich wunderbar und schafft es immer wieder den papiernen Dialogen nicht nur Leben, sondern Wahrheit und Körperlichkeit einzuflößen. Das ist bewundernswert, denn Krebitz ist – wenn sie will und zu sich selbst ehrlich ist – viel zu klug für das alles. Aber vielleicht hat sie ja gehofft, dass es wenigstens komisch wird.