14.03.2024

Wenn schon sterben, dann in einem Ferrari

Ferrari
Bilder stilsicher wie der Wagen
(Foto: Amazon Prime)

Fahrkunst und Beziehungshandwerk: Michael Mann filmt Ferrari mit der gleichen Rasanz und Intensität wie einst die Banküberfälle in Heat und erzählt vom Rennsport wie Akira Kurosawa von den Samurai – das Leben als Vorfahren zum Tode

Von Rüdiger Suchsland

Du bist ein Ferrari, ich kann dich nicht kaufen/
Aber ich kann dich leihen, ja/
Ich steig' ein/
Can you fühl what I feel für dich?/
Can I fühl what you feel für mich?/
I can make you fühl/
You can make me feel/
I can make you fühl/
You can make me feel. You can make me feel. You can make me feel. You can make me feel
fuffi­fuf­zich (Vanessa Loibl): »Ferrari«

Die Sonne geht auf über der flachen Land­schaft Nord­ita­liens. Ein Mann erwacht neben seiner Frau. Er steht auf, ohne sie zu wecken, kleidet sich an und steigt in seinen Wagen. Er fährt, schnell, geübt, und dennoch spürt man, wie der Tod jedesmal mitfährt, wenn sich in jenen Zeiten der 50er Jahre ein Automobil in Bewegung setzt. Das Leben als Vorfahren zum Tode. Die Zuschauer wissen da schon – aus den aller­ersten Schwarz­weiß-Bildern, die mit einem digital verjüngten Haupt­dar­steller Enzo Ferraris eigene Karriere als Renn­fahrer der Zwanziger Jahre skizziert haben –, dass es sich bei dem Mann um Enzo Ferrari handelt.
Das Auto fährt weiter über die Ebene, wirbelt die letzten Morgen­ne­bel­schwaden auf, erreicht die Stadt: Modena. Er fährt weiter – zu seiner Frau. Sofort sind Arbeit und Ehe und die Krisen von beidem mitein­ander verbunden: Ein Mann unter Stress, die Aufgaben drohen ihn zu über­wäl­tigen.

Die nächsten beiden Szenen runden diese erste gründ­liche Skiz­zie­rung der Titel­figur ab, noch al fresco: Ein paar Anrufe der Firmen-Spitzel am Bahnhof, ein paar schnelle Blicke des Chefs, um die Situation zu erfassen, ein paar Rückrufe und Aufträge an die Fahrer für die Arbeit an diesem Tag. Dann ein Besuch am Friedhof, mit einem Blumen­strauß. Er spricht zu seinem toten Sohn Dino Ferrari (1932-1956), er spricht zu ihm von seinem Alltag und von den Geistern der Vergan­gen­heit.

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Kurz darauf erlebt man eine der ersten Glanz­leis­tungen dieses Films: Parallel erzählt wird ein auto­mo­biler Rekord­ver­such – ein Sport­wagen fährt Runde um Runde – mit einem Gottes­dienst in der San Pietro Kathe­drahle von Modena. Mozarts »Ave Verum« wird gespielt. Die Männer können in der Kirche den Start­schuss von der nahe­ge­le­genen Strecke hören, sie stoppen die Zeiten des Autos mit ihren (übrigens sowje­ti­schen) Uhren, der Priester feiert das Abendmahl und spricht sein: »Hoc est enim corpus meum«, »dies ist mein Leib«. Vor allem aber predigt er: Wenn Jesus heute geboren würde, wäre er kein Tischler; er würde natürlich Metall schmelzen und Autos bauen.
Das Abendmahl, die Verschmel­zung der Menschen mit dem Gött­li­chen und mit dem Leib Christi ist damit auf gleich zwei Ebenen auch eine Verschmel­zung des Autos mit der Bewegung: Das Auto, aber nur das bewegte, ist ein sakraler Gegen­stand; es ist auch der Leib Christi. Und der Tod wird aufge­hoben durch das ewige Leben.
Denn was sich bewegt, das lebt. Nur der Still­stand ist der Tod.

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Michael Manns Film erzählt eine einzige, viel­leicht aber die entschei­dende Episode aus dem Leben des legen­dären »Commen­da­tore« Enzo Ferrari (1898-1988), des Gründers des gleich­na­migen Renn­stalls, der diesen bis kurz vor seinem Tod regierte. Der US-ameri­ka­ni­sche Meis­ter­re­gis­seur, der mit der visuellen Inten­sität, Melo­dra­matik und Schau­spiel­füh­rung von Werken wie Heat und Colla­teral welt­berühmt wurde, hat aller­dings den legen­dären Renn­fahrer und schnelle rote Autos vor allem im Blick, um sie als Folie und Material für ein weiteres seiner univer­salen, epischen Dramen über exis­ten­ti­elle Fragen einzu­setzen.

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Alles spielt ausschließ­lich im Jahr 1957: Ferrari, der seinem Rennstall seit den 20er Jahren vorsteht und ihn sicher durch Faschismus, Weltkrieg und Nach­kriegs­be­sat­zung steuerte, ist in großen finan­zi­ellen Schwie­rig­keiten und braucht dringend einen neuen Renn­erfolg im Wett­streit mit der Konkur­renz von Maserati.

Noch wichtiger: Vor nicht langer Zeit starb sein geliebter Sohn und einziger Erbe der Firma an einer unheil­baren Krankheit. Im Zuge dessen hat Enzo sich zunehmend seiner Frau Laura entfremdet. Schon seit zwölf Jahren hat er eine Geliebte und mir ihr einen unehe­li­chen Sohn. Dieser Piero wäre der natür­liche Erbe. Nur weiß Laura nichts von ihm und der Geliebten – Enzo will sie nicht kränken. Aber natürlich bekommt sie alles irgend­wann mit.

Penelope Cruz spielt diese betrogene Laura, die eifer­süchtig ist, auch ein wenig als Frus­trierte, Unglück­liche. Schailene Woodly spielt die lang­jäh­rige Geliebte und Mutter des heutigen Firmen­chefs Lina Lardi. Und Adam Drivers Auftritt als Enzo Ferrari ist der beste seiner Karriere.
Dies alles grundiert die Haupt­figur und ihre Heraus­for­de­rungen, gibt ihr Tiefe und emotio­nales Gewicht.

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Selbst­ver­s­tänd­lich aber ist dieser Film vor allem ein großer Auto-Rennfilm in der Tradition von Genre-Klas­si­kern wie John Fran­ken­hei­mers »Grand Prix« (mit Yves Montand, James Garner, Toshiro Mifune) und »Le Mans« (mit Steve McQueen) von John Sturges, die einst beide unter Mitwir­kung echter Formel-1-Stars entstanden waren. Die sechziger und frühen siebziger Jahre waren die Hochzeit dieses Renn­sports, und die genannten entstan­denen Filme spiegeln diesen Boom – zur gleichen Zeit entstanden auch große Renn-Doku­men­tar­fime von Star­re­gis­seuren wie Roman Polanski (Weekend eines Champions, 1971) und Hiroshi Teshiga­hara (Indi Car Race – Roaring course»; 1967«)

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Es gibt im Kino keine Poesie ohne Bewegung. Keine Anmut ohne Atmen, ohne Zögern, ohne jenen Augen­blick des Inne­hal­tens für Sekun­den­bruch­teile: entspannte Anspan­nung, Einatmen vor dem Loslegen, Stille vor dem Schuss.
Das Kino von Michael Mann ist seit jeher ein Kino der Bewegung, des Pulsie­rens, der geschmei­digen Eleganz, des movements der movies, der Geschwin­dig­keit. Manns Kino ist schon seit Thief und The Last of the Mohicans Adrenalin-Kino, das immer in Bewegung ist, nicht stehen bleiben kann und will. Und wenn es einmal keine Bewegung zu geben scheint, so ist sie doch da: In Form dieses anmutigen Innen­hal­tens.

Michael Mann nutzt auch hier all jene Mittel, die nicht nur seine Fans seit jeher begeis­tern: Tempi­ver­la­ge­rung, pulsie­rende Musik zu ständig bewegter Kamera, die ständig in die Subjek­tive wechselt, etwa die eines fahrenden Autos. Mann filmt die Auto­rennen im Zentrum des Films mit der gleichen Rasanz und Inten­sität wie einst die Bankü­ber­fälle in Heat.

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Das wird schon früh deutlich. Da kommt einer von Ferraris Fahrern bei einer Testfahrt zu Tode. Es ist ein spek­ta­kulärer Leinwand-Unfall, vorbe­reitet mit rhyth­mi­schen Beats, mit einer Kamera, die eng an einem rasenden Boliden zu kleben scheint, dabei in einer eleganten, sich beschleu­ni­genden Paral­lel­mon­tage aus den Blicken der Umste­henden am Rand der Rennpiste, der Fahrer­per­spek­tive auf die Strecke mit ihren steilen Kurven, engen »Schikanen« und holpriger Asphalt­fläche und einer Einstel­lung, die die Gang­schal­tung des Wagens zeigt, bei der ein Schalt­fehler schließ­lich den Tod bringen wird. Als es passiert ist, kracht es laut, vor allem aber spürt man das Metall, hört das Krachen und Bersten der Bestand­teile und sieht den Fahrer wie eine Flip­per­kugel durch die Luft schleu­dern.
In dieser klas­si­schen Epoche des Auto­sports und des Auto­mo­bi­lismus überhaupt, der Zeit der 50er und 60er Jahre, waren die Renn­bo­liden rake­ten­schnell und zugleich zerbrech­lich wie rohe Eier, und fast die Hälfte aller Renn­sportler überlebte ihre Karriere nicht. Die Gefahr ist auch hier immer präsent. Der Boulevard-Mob listet fürs Publikum die Namen der Gefal­lenen auf. Den »Commen­da­tore« nennen sie den »Saturn der Industrie, der seine Kinder frisst.«

Enzo Ferrari selbst zuckt dabei kaum mit einer Miene seines Gesichts. Das einzige, was er sagt, ist, dass er sich zu dem Fahrer Alfonso de Portago umdreht, der ihn kurz zuvor noch vergeb­lich auf eine Position in seinem Rennstall ange­spro­chen hatte: »Kommen Sie am Montag in mein Büro.«

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Der Regisseur zeigt Enzo Ferrari als sensibel und weich, tatsäch­lich für seine Ange­stellten eine väterlich sorgende Figur, und zugleich als auto­ri­tären Firmen­chef. Dieser Mann ist wie ein Shogun der heroi­schen Epoche des Renn­sports, in der die Fahrer wie seine glamourösen Samurai sind, die entspre­chend für das Ganze zu sterben haben und sterben wie die Fliegen. Das belegt – eine weiterte Glanz­leis­tung des Regis­seurs – die Szene, in der Enzo nun, nach einem verlo­renen Rennen, eine Rede zu seinen Fahrern hält.

Ihnen fehle es an Commit­ment, Hingabe. Die Konkur­renz habe Männer mit unge­zü­geltem Sieges­willen. Eiskalte Männer »mit einer grausamen Leere in ihren Mägen. Ihre Loyalität gilt nicht der Truppe, sondern nur ihrer Gier zu gewinnen.« Seine Fahrer seien dagegen zu zögerlich und fein­sinnig. Gentle­men­s­portler.
Und dann macht Ferrari klar: »Unsere Leiden­schaft ist todbrin­gend. Eine schreck­liche Freude. Aber wenn Sie in einem meiner Autos starten – und niemand nötigt Sie, sich da rein­zu­setzen –, dann, um zu gewinnen. Bremsen Sie später!«
Es geht auch dem Regisseur darum, zu zeigen, ob und wann man sein Leben riskieren sollte. Es geht, wie eigent­lich immer in Manns Filmen, in denen oft Haupt­fi­guren das Ende nicht überleben, darum, das Sterben zu lernen.

Die besten Momente des Films, die am deut­lichsten auf dieses Thema hinführen, sind aber die ruhigen, ernsten, wie der, in dem die Fahrer nachts im Hotel für den nächsten Renntag Ruhe tanken und vorm Insbett­gehen noch ihre Abschieds­briefe schreiben: »Im Falle meines Todes zu öffnen...« Michael Mann schneidet diese Szenen von fünf Fahrern parallel zuein­ander. Einen von ihnen wird es tatsäch­lich am nächsten Tag erwischen, und wer sich im Rennsport auskennt, weiß, dass vier der acht Fahrer, die man hier näher kennen­lernt, ihre Karriere nicht über­lebten.

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Trotzdem ist dies kein Macho-Schinken – wie immer bei Michael Mann sind die Frauen den Männern eben­bürtig, auch in Härte und Realismus. Laura will ihren Mann zwingen, eine Entschei­dung zu treffen, die auch eine zwischen den beiden Söhnen wäre, zwischen dem toten und dem lebenden. Sie weiß zugleich, dass ihr Mann sich im Zweifel für die Firma entscheiden würde, also für den lebenden Sohn.
Dass aber Enzo Ferrari sich nicht zwischen den beiden Frauen entscheidet, sondern beiden gegenüber loyal bleibt, macht diese Figur modern.

Daneben findet man auch hier eine großen Kino-Itali­en­hymne voller Sinn­lich­keit, mit der sich Mann als Italo­philer outet: Höhe­punkte sind ein großes Mittag­essen mit Pasta, Rotwein und Musik, ein gemein­samer Opern­be­such, bei dem jeder seine eigenen Gedanken zur Musik entwi­ckelt und dann im letzten Drittel die »Mille Miglia«, das Zwei­ta­ge­rennen durch Nord­ost­ita­lien, das die Pracht des Landes auf die Leinwand wirft.

Insgesamt ist Ferrari ein phäno­me­naler Film von geschmei­diger Eleganz, Kino von zwin­gender Inten­sität, flir­render Kinetik und exis­ten­ti­eller Gravitas. Die Feier reiner Schönheit.

Eine italie­ni­sche Nach­kriegs­ge­schichte, die auch eine Aufstiegs­ge­schichte aus den Trümmern des Nach­kriegs ist, zugleich eine der Erlösung: Am Ende nimmt Enzo die Hand seines Sohnes Piero und geht mit ihm auf dem Friedhof von Modena zum Mausoleum, in dem sein Sohn Dino begraben liegt, und wo er schon am Anfang des Films Blumen nieder­legte. »Komm' Piero, ich stelle dir deinen Bruder vor.« Enzo verwei­gert auch die Entschei­dung zwischen seinen beiden Söhnen. Ein Augen­blick des Inne­hal­tens. Vor der nächsten Bewegung.

Ferrari ist auf Amazon Prime zu sehen.