08.02.2024
74. Berlinale 2024

Lektionen der Schwäche

Zone of Interest
1933 war es ganz genauso – manche deutsche Filmorganisation gab es damals schon und es gibt sie heute... (Szene aus The Zone Of Interest)
(Foto: Leonine)

Berlinale-Einladungsdebatte: Demokratische Kultur soll verunsichern, irritieren, herausfordern, infrage stellen. Vor allem die Rechtsextremisten

Von Rüdiger Suchsland

»The people who were really dehu­ma­nized in Auschwitz were those who cut them­selves off from love. They did degrade them­selves in exchange for the will of power. It’s a decision to be a person like that. We choose that hate. Just as we choose love.«
– Regisseur Jonathan Glazer in Berlin, aus Anlass von Zone of Interest

Es geht gar nicht um die AfD bei dieser Debatte. Es geht erst recht nicht um die Berlinale. Es geht um uns. Es geht darum, ob und wie wir uns einer exis­ten­ti­ellen Heraus­for­de­rung stellen. Ob die Rede von der »wehr­haften Demo­kratie« eine blöde Phrase ist, oder Substanz hat. Und ob wir in der Lage sind, unser Verhalten zu verändern, weil sich die Lage geändert hat.

Nur insofern ist die Berlinale und die neueste Berlinale-Debatte, die um die Berlinale Einla­dungs­po­litik, ein Schul­bei­spiel. Wir lernen etwas aus ihr. Wir lernen etwas über uns.

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»Wie kann man in Deutsch­land eine Revo­lu­tion nieder­schlagen? Indem man eine rote Ampel vor das Parlament stellt« – es ist dieser alte, durchaus etwas abge­han­gene Witz, der auch hier wieder voll­kommen zutrifft: Eine unzwei­deu­tige Haltung gegenüber den Anti­de­mo­kraten und Faschisten von der AfD scheitert an formal­ju­ris­ti­schen Einwänden, an Büro­kratie und an falscher Nachsicht.

Das neueste Beispiel dieser schlechten Charak­ter­ei­gen­schaften und der prak­ti­schen Schwächen unserer demo­kra­ti­schen Verhält­nisse bietet gerade die Berlinale – und es ist nur ein Beispiel. Kommende Woche wird die 74. Ausgabe dieses größten und einst­weilen noch wich­tigsten deutschen Film­fes­ti­vals eröffnet.
Zu der Eröff­nungs­gala sind mehrere AfD-Parla­men­ta­rier des Bundes­tags und des Berliner Abge­ord­ne­ten­hauses einge­laden worden – der Bund und das Land Berlin sind Träger und mit einem Gesamt­an­teil von rund 40 Prozent am Etat öffent­li­cher Geldgeber des Festivals.

Gegen diese Einla­dungen gibt es seit vergan­gener Woche massiven und wach­senden öffent­li­chen Wider­stand. Dies kann eigent­lich niemanden über­ra­schen.
Das Ergebnis ist »ein PR-Desaster«, wie jetzt der Deutsch­land­funk treffend kommen­tierte.

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Der »Tages­spiegel« schreibt dagegen auch hier wieder mal Unsinn. Wie ober­fläch­lich auch dieser Text ist, zeigt bereits der erste Satz: Die AfD ist nämlich nicht »seit 2021« im Bundestag vertreten, sondern seit 2017! Das zumindest sollte selbst dem »Tages­spiegel« nicht entgangen sein.
In Berlin sitzen sie seit 2016.

Zweitens: »Dass AfD-Mitglieder, die für ihre Partei in den Kultur­aus­schüssen sitzen, zur Berlinale-Eröffnung einge­laden werden, gehört zunächst mal zur kultur­po­li­ti­schen Etikette.«
Da bin ich mir nicht so sicher, mag sein, könnte aber auch eine gern wieder­holte Behaup­tung sein. Nur – was folgt daraus denn eigent­lich? Was ist denn schon eine »Etikette«, erst recht gegenüber Leuten, die selbst fort­wäh­rend die Etikette verletzen? Etikette bedeutet Umgangs­formen oder Benimm­re­geln. Wie wichtig sind diese denn gegenüber Faschisten?
Man kann die Etikette verändern, in einer neuen Lage neue Verhal­tens­weisen festlegen.

Und gilt denn die Etikette auch, wenn das Haus brennt?
Wer jetzt erwidert, das sei hyste­risch, dem antworte ich: Okay, dann sagt mir doch, ab wann für Euch das Haus brennt? Gibt es eine Rote Linie? Wo liegt sie?

Weiter dann: »Die Gefahr besteht jedoch, dass der Protest vor allem der AfD in die Hände spielt.« Diesen Satz hören wir immer wieder seit dem Aufkommen der AfD.
Schauen wir auf Wahl­er­geb­nisse und Entwick­lung der Partei, könnte es eher sein, dass dieser Satz der AfD in die Hände spielt.

Aber egal. In jedem Fall äußert der Satz eine unbe­wie­sene Behaup­tung. Wenn alle nichts tun, nicht protes­tieren, könnte auch das der AfD in die Hände spielen. Auch eine unbe­wie­sene Behaup­tung. Dann doch lieber Protest. Meine Position gegenüber dieser Partei ist: Tabus errichten, Rote Linien ziehen, Ausgrenzen, und dieje­nigen, die Brand­mauern einreißen und unter dem Mantel der Gleich­be­hand­lung das Ungleiche, Unver­gleich­bare gleich­setzen, dafür gnadenlos und ohne falsches »Vers­tändnis« kriti­sieren.

Das sage ich ohne jede Panik und Empörung. Ich glaube, wir schaffen das. Wir müssen es aber wollen.

Nochmal meine Frage von oben: Wo ist unsere Rote Linie? Ich erwarte keine Antwort, aber würde mich freuen, wenn ihr alle, liebe Leser darüber mal ehrlich mit Euch selbst nachdenkt.

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Der Rückzug aufs Formal­ju­ris­ti­sche und ein Einla­dungs­pro­to­koll, das für entspannte liberale Zeiten, aber nicht für Kultur­kämpfe zwischen auto­ri­tären und demo­kra­ti­schen Parteien entstanden ist, ist de facto eine Kapi­tu­la­ti­ons­er­klärung von Demo­kraten.
Sie höhlt die Grund­lagen aus, auf denen die Demo­kratie steht. Die Extre­misten wissen das auszu­nutzen.

Welcher der vielen linken Hipster, die jetzt gegen ein AfD-Verbot sind, und sich überall, nicht nur bei der Berlinale aufs Protokoll heraus­reden, hat schon mal mit seinem AfD-wählenden Nachbarn debat­tiert?
Wer hört sich mal einen Rechts­extre­mismus-Podcast an? Tut das mal, um zu verstehen!

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Gegen diese kitschige Acht­sam­keits­poesie, die sich im öffent­li­chen Diskurs in letzter Zeit so breit macht, muss man sagen: Rechts­extre­misten verdienen keine Acht­sam­keit, »Protokoll« und »Etikette« sind nicht für Faschisten.

Die Berlinale muss keines­wegs ein »safe space« sein, für niemanden und als Aller­letztes für Rechts­extre­misten. Die Berlinale soll auch nicht zur Selbst­be­s­tä­ti­gung einer gewissen Hipster-Linken der Wohl­stands­länder dienen.
Sondern die Berlinale soll verun­si­chern, irri­tieren, heraus­for­dern, infrage stellen. Nur dann hat sie als Festival überhaupt eine Exis­tenz­be­rech­ti­gung.

Wir brauchen rote Linien. Die rote Linie für Kunst ist das Selbst­ver­s­tändnis von Kunsträumen und links/liberalen Räumen. Die AfD ist aus manchen öffent­li­chen und partei­po­li­ti­schen Räumen nicht fern­zu­halten. Das ist schlimm genug. Kunsträume sollten diesen Leuten nicht die Tür öffnen und sie schon gar nicht einladen, auch nicht einladen müssen. Daher braucht es jetzt eine Verän­de­rung des Proto­kolls. Damit das Problem auch dieje­nigen Festi­val­lei­tungen verstehen, die ansonsten zu träge sind, und damit nächstes Jahr über Wege nach­ge­dacht wird, so eine Einladung gar nicht mehr ausspre­chen zu müssen.

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Was gestern demo­kra­ti­sche Praxis war, kann heute trotzdem ein Skandal sein.

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»Gegen die Berlinale« wollen sie nichts tun, die Berlinale nicht kriti­sieren, sagen manche Stimmen. Oder gar »Berlinale schützen« – echt jetzt? Vor sich selber dann wohl. Gehört die Berlinale ins Reservat, um vor der bösen Wildnis geschützt zu werden? Oh oh oh, nur nix Strenges, Kritik am besten nur intern.

Tatsäch­lich aber richtet sich eine Kritik der Einla­dungs­po­litik der Berlinale (mit der ich nicht allein­stehe) keines­wegs »gegen die Berlinale«. Es kriti­siert sie auch nicht, sondern allen­falls einen bestimmten Punkt.
In meinem Vers­tändnis helfen wir mit klaren Protesten der Berlinale bzw. stärken jene Seite von ihr, die sich klar gegen die AfD und ihre Werte posi­tio­nieren will.

Im Gegenteil könnte es sogar sein, dass »der Berlinale« vor dem Licht der Debatte und ihrer eigenen öffent­li­chen Einlas­sungen eine klare Stel­lung­nahme unse­rer­seits hoch­will­kommen ist. Um der Politik zu signa­li­sieren: Die deutsche Kultur­schaf­fenden wollen dieses Business-as-usual nicht.

Umgekehrt liefern windel­weiche State­ments der Politik den Vorwand, dass »die Branche auch nicht weiß was sie will«, und zu argu­men­tieren, dass der Sturm sich doch gerade schon wieder legt. Es wäre falsch verstan­dene Soli­da­rität.

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Wo bleibt das »Bündnis Film gegen Rechts«, das jetzt schon recht wischi waschi »Netzwerk Film und Demo­kratie« heißt?

Andere tun etwas: Der Schau­spiel­ver­band ist kurz und klar: »Es gibt nichts Gutes, außer: Man tut es.
Demo­kra­tie­ver­ächter sind eine Schande für die Berlinale, aber ein noch größeres Unglück für unsere Parla­mente
Mit großer Empörung hat die Kultur­szene, haben auch viele von uns Schau­spieler*innen die Neuigkeit aufge­nommen, dass zwei Politiker*innen, ausge­wie­sene Demo­kratie- und Kultur­feinde, als Gäste der Berlinale geladen sind. Diese Nachricht ist in der Tat bedrü­ckend.«

Danke für die unzwei­deu­tige Sprache: Demo­kra­tie­ver­ächter ... Schande für die Berlinale ... Empörung .... bedrü­ckend.

So einfach kann es gehen.

Eine wehrhafte Demo­kratie braucht wehrhafte Demo­kraten.

Es gibt aber zu viele super­weiche State­ments – und zwar deswegen, weil die entschei­denden Verbände und Akademien hammer­harte konser­va­tive Funk­ti­onärs­or­ga­ni­sa­tionen mit entspre­chenden Mitglie­dern sind. Solche Indus­trie­ver­treter sind – man muss es so hart sagen – genau die Orga­ni­sa­tionen, die sich dann als aller­erste sehr gut mit einem Kultur­staats­mi­nister der AFD verstehen und arran­gieren werden. Sie werden dann sagen: »Das müssen wir jetzt so machen«. Um das schlimmste zu verhin­dern. 1933 war es ganz genauso – manche deutsche Film­or­ga­ni­sa­tion gab es damals schon und es gibt sie heute.

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Was könnte man aber denn jetzt tun? Nochmal: Es ist gar nicht schwer: Alle anderen demo­kra­ti­schen Parteien müssten auf ihren Sitz bei der Berlinale-Eröffnung öffent­lich verzichten und ihre Einladung zurück­geben.
Das würde die Berlinale von dem angeb­li­chen Zugzwang befreien, alle »demo­kra­tisch gewählten« Parteien einladen zu müssen.

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Das Leben ist ein Lern­pro­zess. Wir lernen etwas über uns, habe ich oben geschrieben. Bislang aller­dings leider vor allem über unsere Schwäche(n).