24.11.2022

Wie tickt der Publikums-Nachwuchs?

Doxs Ruhr | Churchill, Polar Bear Town
Eisige Kälte herrscht in Churchill, Polar Bear Town
(Foto: Doxs Ruhr | Churchill, Polar Bear Town)

DOXS RUHR ist ein eigenständiges Festival im Ruhrgebiet, das sich ganz dem Kinderdokumentarfilm widmet. Ein Überblick über das neue Format

Von Christel Strobel

»doxs-ruhr« war bisher einge­bunden in doxs! doku­men­tar­filme für kinder und jugend­liche und bot bereits seit zehn Jahren unter diesem Label eine Auswahl der Doku­men­tar­filme für Kinder und Jugend­liche in den Städten des Ruhr­ge­biets Bochum, Bottrop, Essen, Dortmund, Gelsen­kir­chen und Moers mit Gesprächen und medi­en­pä­d­ago­gi­schen Projekten. In diesem Jahr nun – während »doxs« in Duisburg auf 20 erfolg­reiche Jahre blickt – hat Gudrun Sommer, Initia­torin und bisherige Leiterin, mit DOXS RUHR ein eigen­s­tän­diges Festival gegründet, das neue Part­ner­schaften eingeht.

Ausgehend von der Frage, »ob Film­kunst­messe, Festival oder Kino­be­trieb: Ideen für die Ansprache von jungem Publikum stehen hoch im Kurs. Wie tickt der Publikums-Nachwuchs? Global oder divers? Ökolo­gisch und politisch engagiert? Was ist Kino im Zeitalter digitaler Netzwerke und Streaming-Platt­formen?«

Zum Auftakt des neuen Festivals hat Gudrun Sommer ihre hohen Ansprüche formu­liert: »Mit seinen Bezügen zur gesell­schafts­po­li­ti­schen Aktua­lität und Lebens­rea­lität junger Biogra­fien entfaltet der doku­men­ta­ri­sche Film seine genuine Kraft.« 23 Doku­men­tar­filme waren dazu ausge­wählt und in den sechs Part­ner­s­tädten im Ruhr­ge­biet gezeigt und disku­tiert.

Gleich am ersten Abend, zur Eröffnung in Bochum, gab es für mich ein über­ra­schendes Wieder­sehen mit dem Film Tsumu – Where Do You Go With Your Dreams? (siehe Bericht von den Nordi­schen Filmtagen Lübeck), hier noch ergänzt mit einem lebhaften Zoom-Gespräch mit dem Regisseur Kasper Kiertzner, was von zwei Bochumer Schü­le­rinnen gut vorbe­reitet war. Zum Film­pro­gramm gehörte auch der erste Doku­men­tar­film von Yoja Thome One for a million.

Einen beson­deren Film hatte Emma Braun aus Wien mitge­bracht: Ihr Einblick (Öster­reich 2022, 20 Min.) gilt einer jungen »Rauch­fang­keh­rerin«, hier­zu­lande Schorn­stein­fe­gerin. Ihr Arbeitstag beginnt einsam am noch dunklen Morgen. Von ihrer Tätigkeit im schwarzen Gewand auf den Dächern von Wien vermit­telt die Filme­ma­cherin ein geradezu poeti­sches Bild in Schwarz­weiß. Es ist ein stiller Film und es geht auch nicht nur um das Schorn­stein­fegen, als die junge Frau erzählt: »Man muss zuhören können und unge­wöhn­liche Orte aufsuchen – manchmal bitte ich Kunden, die Türe offen stehen zu lassen, weil ja noch mein Kollege kommt. Die Betonung liegt auf Kollege.« Die Verbin­dung von einer roman­ti­schen Szenerie – wenn der Blick über die Dächer im Morgen­dunst streift und die Schorn­steine von Ferne rauchen, oder wenn die Schorn­stein­fe­gerin die schwarzen Türchen an den Kaminen oben am Dach öffnet, die den Eindruck einer expres­sio­nis­ti­schen Szenerie vermit­teln – mit dem persön­li­chen Blick der jungen Frau geben hier viel Stoff zum Nach­denken.

In eine ganz andere Welt führt Churchill, Polar Bear Town von Anabelle Amoros (Frank­reich 2022, 37 Min.) Im nord­ka­na­di­schen eisigen Winter, wenn Schnee­stürme übers Land fegen und Eisbären nahe der Siedlung sich tummeln, ist ansonsten nicht viel los. Halloween und Bingo-Abende sind im Winter so ziemlich die einzige Abwechs­lung für den verschla­fenen Ort Churchill. Da ist die dras­ti­sche Schil­de­rung einer jungen Frau, die von einem Eisbären ange­griffen wurde, ein Ereignis, das von der Presse aufge­griffen wird. Das wiederum bringt die Bewohner und ein paar Touristen in Bewegung. Eine nervöse Spannung macht sich breit, Busse und Jeeps bringen die neugie­rigen wie ängst­li­chen Touristen an Plätze, wo sich Eisbären aufhalten, und Hubschrauber kreisen über diesem Gebiet. Es ist der Nerven­kitzel, der sie treibt – selbst in so einer klima­tisch extremen, aber auch gran­diosen Umgebung.

Ein sehr einschnei­dendes Ereignis für Kinder hat der Film Von dem Moment an war alles anderes von Eef Hilgers (Nieder­lande 2021, 15 Min.) thema­ti­siert. Hier erzählen Kinder über die Zeit, als ihre Eltern sich trennten. Über allem liegt eine spürbare Trau­rig­keit, und es ist mitzu­emp­finden, dass für die Kinder eine Welt zerbricht in dem Moment, wenn ihre Eltern ihnen das gestehen. Eef Hilgers hat die Erzäh­lungen in einfühl­samen (Traum-)Bildern visua­li­siert, die ein Gefühl für die Situation der betrof­fenen Kinder vermit­teln. Ein sensibler, viel­seitig einsetz­barer Doku­men­tar­film.

Das Team von DOXS RUHR zieht nach Ende der zehnten, aber ersten eigen­s­tän­digen Film-Ausgabe eine positive Bilanz – ein guter Start für die Zukunft.

DOXS RUHR hat außer dem Film­pro­gramm erstmals das Symposium REALITIES mit inter­na­tio­nalen Teil­neh­mern, die in der Kinder- und Jugend­film­szene aktiv sind, veran­staltet – mehr dazu gibt es hier.