03.11.2022

Menschliche Komödien der Eitelkeiten

Hong Sangsoo, Introduction
Introduction (2020) spielt teilweise in Berlin
(Foto: © Jeonwonsa Film Co.Production)

Das Filmmuseum München setzt seine Werkschau zu Hong Sangsoo fort. Zeitgleich ist nun eine sehr lesenswerte Publikation zu den Filmen des Kultregisseurs erschienen

Von Wolfgang Lasinger

Am Wochen­ende ist im Münchner Film­mu­seum eine kleine Auswahl der jüngsten Filme des korea­ni­schen Autoren­fil­mers Hong Sangsoo zu sehen. Anlass ist der deutsche Kinostart seines mitt­ler­weile schon wieder vorletzten Films Die Schrift­stel­lerin, ihr Film und ein glück­li­cher Zufall am 10. November (im Film­mu­seum als Preview am Freitag, 4.11., 21 Uhr). Der Film erhielt bei der dies­jäh­rigen Berlinale im Wett­be­werb den Preis der Jury. Hong Sangsoo ist als Filmer enorm produktiv, sodass bereits ein weiterer Film von ihm, Walk up, sein 28., auf der eben zu Ende gegan­genen Viennale, dem Wiener Film­fes­tival, gezeigt worden ist, wo Hong Songsoo auch persön­lich zu Gast war und sich erstmals seit längerem wieder in einem Film­ge­spräch öffent­lich präsen­tierte.

Die kleine Auswahl am Wochen­ende im Münchner Film­mu­seum ist eine Art Prolog zu einer großen Werkschau mit Filmen Hongs, die im Dezember 2022 statt­finden soll, genauer gesagt zur Fort­set­zung jener Werkschau, die das Film­mu­seum bereits vor zehn Jahren, im März und April 2012, begann. Die seit damals entstan­denen Filme werden diese Reihe nun weiter­führen.

Zugleich fügt es sich, dass eine schöne kleine, sehr kundige Studie von Sulgi Lie zu Hongs Filmen heraus­ge­kommen ist: »Hong Sangsoo: Das lächer­liche Ernste«, publi­ziert bei der Edition Le Studio in Wien.
Der Titel dieser Studie bezeichnet, was im Zentrum der Geschichten steht, die Hong erzählt. Immer geht es um die Mühen beim Kommu­ni­zieren, in die sich die Menschen bei Hong verstri­cken: unan­ge­nehme zufällige Begeg­nungen führen zu pein­li­chen Situa­tionen und lächer­li­chen Auftritten. Die Figuren kommen meist aus Kunst und Kultur, wobei die Konstel­la­tionen Hier­ar­chien abbilden, die zusätz­liche Befan­gen­heiten und Abhän­gig­keiten mit sich bringen: Lehrer und Studie­rende, Regisseur und Schau­pieler, Meister und Bewun­derer, Autoren, Gale­risten, Kuratoren, Festi­val­leiter, Künstler und Kritiker… Das alles wechselnd besetzt von männ­li­chen und weib­li­chen Prot­ago­nist*innen. Spannend wird es natürlich immer dann, wenn diese Bezie­hungen zu denen von Liebes­paaren werden und die hier­ar­chi­schen Unter­schiede sich brechen und auf über­ra­schende Weise umkehren.

Die enorme Komik bei Hong entspringt zunächst dem Kontrast aus Alltag und Profes­sion, wenn die Intel­lek­tu­ellen und Künstler*innen bei den legen­dären Soju-Trink­ge­lagen wegen ihrer Affären und Sexge­schichten in banalste Erklärungs­nöte geraten. Vor allem die Männer machen hier keine gute Figur. Und die treten denn auch zunehmend in den Hinter­grund in den jüngsten Hong-Filmen, in denen die Frauen im Zentrum stehen.
Man kann Hong nun mit Rohmer verglei­chen oder mit Ozu, da trifft man gewiss Teil­aspekte seiner Filme, aber im Wesent­li­chen verfehlt man sie: Hongs Filme bewahren eine ganz besondere Eigen­tüm­lich­keit, und auf sehr erstaun­liche Weise ist er überhaupt kein Regisseur der cine­philen Anspie­lungen – darauf weist Sulgi Lie im erwähnten Buch eindring­lich hin. Auch in der äußersten Beschrän­kung seiner Mittel sehen manche einen stilis­ti­schen Mini­ma­lismus, wie ihn Bresson prak­ti­zierte: doch nichts steht Hong ferner als dessen aske­ti­sche Strenge (man denke nur an den vielen Alkohol und den Sex bei Hong) – Hong ist vielmehr ein Meister des Spie­le­ri­schen. Das ungeheuer Vergnüg­liche an den endlosen Charaden der Figuren bei Hong ist das spie­le­ri­sche Potential, das hier frei­ge­setzt wird. Die immer wieder neuen Kombi­na­tionen und Varia­tionen lassen den Zuschauer unwill­kür­lich teilhaben an diesen kleinen mensch­li­chen Komödien der gekränkten Eitel­keiten und Verführ­bar­keiten.

Und wer bei der enormen Produk­ti­vität von Hong den Überblick zu verlieren droht und sich nicht sicher ist, den Film (nicht) doch schon gesehen zu haben, der kann jedes Mal erleben: Gerade wenn man die Filme (wieder)sieht, erkennt man sie sofort in ihrer jewei­ligen Unver­wech­sel­bar­keit und Einzig­ar­tig­keit, und es zeigt sich: durch­ein­an­der­bringen tut man diese Filme nur, wenn man sich allzu krampf­haft an sie zu erinnern versucht.
Also bleibt nur eins, diese Filme wieder und wieder anzu­schauen. Und beson­deres Glück haben natürlich dieje­nigen, die diese Filme noch nicht gesehen haben. Für einen Einstieg in sein Schaffen bietet sich am Wochen­ende die Möglich­keit im Münchner Film­mu­seum mit fünf Filmen von Hong Sangsoo aus den Jahren 2015 bis 2022.

Lite­ra­tur­hin­weis:
Sulgi Lie, »Hong Sangsoo. Das lächer­liche Ernste«, Wien: Edition Le Studio 2022.