Jean-Luc Godard 1930-2022
Godard – ein anderes Feuer |
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Plakatwerbung für Eine Frau ist eine Frau (1962) | ||
(Foto: H.P. Hüster, CC BY-SA 3.0) |
Von Michael Klier
Mitte der sechziger Jahre wurde auf der Berlinale ein neuer Film von Godard gezeigt, ich weiß nicht mehr ob es Bande à part oder Une Femme Mariée gewesen ist. Jedenfalls habe ich damals ein Interview mit Godard geführt und zwar für die Filmzeitschrift »Kino«, die von Freunden und mir völlig unabhängig auf die Beine gestellt worden war. Das Interview ist dann in dieser Zeitschrift erschienen. Wir saßen zusammen im Café Möhring (das es heute nicht mehr gibt), gegenüber dem Cinema Paris. Es war an einem schönen Junitag, weil die Berlinale damals noch im Sommer stattfand. Godard war freundlich, umgänglich und lächelte. Er fand wohl meine Fragen interessant, denn es war ein sehr langes Interview.
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Ein andermal, als ich bei Truffauts Film La peau douce als eine Art Praktikant bei den Dreharbeiten in Paris zuschauen konnte – (Truffaut hatte meinen ersten Kurzspielfilm »Probeaufnahmen« gesehen, während er in Südfrankreich Jules et Jim drehte) lernte ich Jean-Pierre Léaud kennen, der bei diesem Film Regieassistent war. Wir stromerten nach den Dreharbeiten zusammen in Paris herum und eines Abends meinte Léaud: »Komm ich zeig dir was!« Er führte mich in eine Seitenstraße vom Champs-Élysées. Dort gab es ein American Diner, ein Lokal in einem langen Schlauch. Es war leer, bis auf eine Person, die ganz hinten saß, eingerahmt zwischen zwei Stapeln Büchern – Godard, der schrieb und nichts um sich herum wahrnahm. Er trug eine graue Hose, dunkles Jackett, weißes Hemd, Krawatte, schwarze Schuhe, unauffällig und gepflegt. Und plötzlich bemerkte ich, dass Jean-Pierre Léaud genau die gleichen Sachen trug wie sein »Meister«: Hose, Schuhe, Hemd, usf. Ich war vollkommen perplex.
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Später, als ich mit meinem Dokumentarfilm Der Riese zum Filmfestival in Salsomaggiore eingeladen wurde, (wo ich einen Preis, verbunden mit einer Geldsumme, gewann), konnte ich nur einen einzigen Film sehen, weil ich mit einer Lungenentzündung im Hotel-Bett bleiben musste. Es war King Lear von Godard, wie im Programmheft zu lesen stand, denn einen Vor– oder Abspann gab es bei diesem Film nicht. Mir gefiel die Kamera und da ich in Bälde meinen ersten Spielfilm (Überall ist es besser, wo wir nicht sind) drehen würde, wollte ich wissen, wer die malerischen Bilder zu diesem surrealistischen Film gemacht hatte. Ich rief bei den »Cahiers du Cinéma« in Paris an und erfuhr, das es Sophie Maintigneux gewesen ist. Sophie sollte dann im Laufe der Jahre die Kamera bei vier meiner Spielfilme führen. Sie erzählte, dass Godard sie bei King Lear mitten im Dreh rausgeschmissen hat und er selbst die Kamera alleine weiter machte. So war Godard.
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Mitte der achtziger Jahre drehte ich für die cineastische Filmredaktion des WDR unter der Leitung des großen Godard-Kenners und -freundes, Wilfried Reichart, einen Interviewfilm mit den Kameramännern Lubtschansky und Berta – die beide für Sauve qui peut (la vie) die Bilder machten. Ich fragte sie nach ihrer Zusammenarbeit mit Godard aus und sie schimpften vom ersten Moment an über »Jean-Luc«, der sie wie Arschlöcher behandelt habe und beim Dreh, nachdem sie das anspruchsvolle Licht eingerichtet hatten, ins Café schickte, wo sie Stunden warten mussten, weil er sie nicht am Set haben wollte.
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Wenn damals ein neuer Film von Godard in Frankreich rauskam, trampte ich Nonstop von Berlin nach Paris, schaute mir den Film an, ging danach in ein Bistro essen, kaufte noch ein paar Bücher und schaute mir ein zweites Mal den Film an und kehrte, ohne in Paris zu übernachten, per Auto-Stop zurück nach Berlin. Dann hatte Godard einen schweren Motorradunfall, verbrachte fast zwei Jahre im Krankenhaus und verließ nach seiner Genesung Paris für immer.
Und meine Godard-Zeit war damit
auch irgendwie vorbei. Er drehte andere Filme, die kühler und kälter waren, für die ich nicht mehr nach Paris trampte.
Ein Kritiker hat mal geschrieben, Godards jugendliches Feuer wäre nach dem Unfall erloschen – aber später ist es ihm gelungen, es immer und immer wieder neu zu entfachen, wenn auch anders...
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Noch etwas, das ich interessant fand: In einem Interview vor ein paar Jahren wurde Godard gefragt, welche Filmemacher für ihn die wichtigsten in der Geschichte des Films gewesen seien – und er antwortete: Bergman und Antonioni.
Michael Klier ist ein deutscher Filmregisseur und Drehbuchautor.