07.10.2021

Keine Zeit zu sterben

Karikatur: Niko B. Urger
Mal auf den Punkt gebracht
(Foto: Karikatur: Niko B. Urger)

Die Wiederauferstehung des Kinos aus dem Geiste von Bond

Von Dunja Bialas

Über eine Millionen Besucher. In der ersten Woche. Über 800 Leinwände. Pro Leinwand fast 1500 Besucher. Sa-gen-haft! Gestatten: Sein Name ist Bond, James Bond. 007 ist die Chiffre für den ulti­ma­tiven Erfolg, ja sogar für die Wieder­auf­er­ste­hung des Kinos. Das, was lange totgesagt war, was im Corona-Koma lag: Endlich lebt es wieder. Endlich!

Was ist das nur für ein Phänomen! Alle reden über Bond. Man kann den Film nach­er­zählen, den Plot sogar ohne Plot­points, und spoilern ohne zu spoilern (Tobias Kniebe in der »Süddeut­schen Zeitung«). Manche spoilern aber, was das Zeug hält (der »Rolling Stone«, begeis­tert: »ulti­ma­tive Spoiler!«), andere koket­tieren nur damit (Hanns-Georg Rodek in der »Welt«: »Der schlimmste Spoiler aller Zeiten: James Bond kehrt zurück!«). Oder aber man kann den Film klein­reden (Dirk Wagner in »M94,5« bei den »Kanal­ratten«: »Im Arri gab’s nur zwanzig Reser­vie­rungen«). Sogar ich kann mitreden, obwohl ich ihn gar nicht gesehen habe. Aber ich habe mich umgehört, ist ja auch unüber­hörbar, denn schließ­lich reden ja alle darüber. Und jetzt hat auch noch unser Haus-Kari­ka­tu­rist Niko B. Urger diese tolle Karikatur geschickt:

Bond-Karikatur von Niko B. Urger
Hier draufkli­cken zum Vergrößern! (Foto: Karikatur: Niko B. Urger)

Beim Umhören und Darüber-Reden kamen Fragen auf. Warum eigent­lich stecken etliche Kritiken so substanzlos im Plot­ge­fängnis fest? Ausge­rechnet dort, als ginge es bei Bond noch darum, was passiert! Oder man ist auf dem Hochsitz bei der Beob­ach­tung der Genre-Verhal­tens­weisen einge­schlafen. Fahle Fanzine-Film­kritik. Den Bond wollen doch eh alle sehen, warum also darüber schreiben? Film­kritik als PR-Maschine. Oder: Film­kritik in der Meis­ter­klasse. Sich einmal am größten Franchise aller Zeiten erproben! Außerdem hat man das ja zwei Jahre lang nicht umsonst hoch­ge­jazzt: Solange Bond nicht in den Kinos läuft, ist das Kino tot. »Keine Zeit zu sterben«, der Titel gab die Steil­vor­lage für das Mantra.

Andere Frage: Warum eigent­lich läuft der Bond auch in den Arthouse-Kinos? Man kann in München den Bond sogar im Neuen Maxim sehen, in dem Kino an der Lands­huter Allee. Nichts gegen das Kino, im Gegenteil! Einst war es Hohes Haus für den poli­ti­schen Doku­men­tar­film, dann wurde es offen für den gepflegten und guten Arthouse-Film, und verfügt heute nur über 47 Corona-Plätze. Zwischen dem Nach­bar­schafts-Kino (bereits fast ausre­ser­viert für den morgigen Donnerstag) und dem Multiplex-Mega-Saal im Mathäser nimmt es sich nicht viel, auch nicht im Eintritts­preis. Außer, man gönnt sich Bond im Mathäser-Kinosaal mit der »3D Atmos D-BOX«, frei flot­tie­render 3D-Sound, wo an »Motion Seats« gerüttelt wird. Gerüttelt, nicht geschüt­telt. Womit das jetzt auch platziert wäre.

Ein Arthouse-Kino­be­treiber, mit dem ich mich unter­halte und der mit vier Häusern als Münchens Kino-Mogul gelten darf, sagt, er habe Bond auch früher schon gespielt. Dass der Film dann seine Säle verstopft, stört ihn nicht, schließ­lich verstopfen dann ja auch Besucher die Säle. »Besser, als wenn ich zwei Hanseln in einem Film sitzen habe, der halt unbedingt die Kino­aus­wer­tung braucht, von dem aber noch nie jemand was gehört hat!« Es geht natürlich ums Geschäft: UPI (Universal Pictures Inter­na­tional) nimmt jetzt einfach alles, was es kriegen kann. Die Masse macht’s, all you can eat. Vorbei die Zeit der Abspiel-Zerti­fi­kate, vorbei der Vorsprung durch Technik. THX und George Lucas sehen heute ziemlich alt aus. Alles geht. Haupt­sache, es bondet!

Ist das jetzt Post-Arthouse oder Post-Popcorn? Die Verab­schie­dung der kleinen Unter­schiede? Kein Geha mehr, kein Pelikan? Stereo oder Dolby Atmos? Egal. Doku­men­tar­film oder Franchise? Egal! Ziel ist, dem »Kunden«, wie Besucher im Kino­be­treiber-Jargon gerne mal genannt werden, alles in einem Haus anzu­bieten, im Kino des Vertrauens. All in one. Dass sie bloß nicht fremd­gehen. Dass sie bloß nicht entdecken, dass andere Kinos auch schöne Leinwände haben, die viel­leicht anderes können. Aber: Erst wenn ein Film von Heinz Emigholz auch im Mathäser läuft, weiß ich, dass die Welt in Ordnung ist. (Sein neuer Film The Lobby läuft am kommenden Samstag in Deutsch­land­pre­miere bei Underdox im Werk­statt­kino, 9.10., 19:30 Uhr. Nehmt das, Bondisten!)

Bond ist gigan­tisch. Sogar Kaiser­schmarrn­drama hat nicht die Besu­cher­zahlen gemacht wie Bond in der ersten Woche, da fehlen in neun Wochen immer noch 100.000. In seiner ersten Woche setzte sich Kaiser­schmarrn­drama mit 220.000 Besuchern an die Chart-Spitze, vermeldet die AG Kino-Gilde. Wenn man berück­sich­tigt, dass der durch­schnitt­liche Deutsche nur 1,4 Mal im Jahr ins Kino geht (2020: 0,4 Mal), und man annimmt, dass Leute, die sich für Kaiser­schmarrn­drama inter­es­sieren, auch Bond gucken, ist das Jahres­kon­tin­gent jetzt wohl ausge­schöpft. Aber immerhin ist Bond an und für sich wieder Werbung fürs Kino. Darauf haben die Kino­be­treiber gewartet, darauf hat auch die Kritik gewartet. Endlich wieder Stress und Embargo, Spoi­ler­verbot und Nacht­schicht. Endlich wieder vital, endlich wieder keine Zeit. Schon gar nicht zu sterben.

Cinema is dead, long live cinema.