Keine Zeit zu sterben

No Time to Die

GB/USA 2020 · 164 min. · FSK: ab 12
Regie: Cary Joji Fukunaga
Drehbuch: , , ,
Kamera: Linus Sandgren
Darsteller: Daniel Craig, Rami Malek, Léa Seydoux, Lashana Lynch, Ben Whishaw u.a.
Auch was für Proust-Fans: Léa Seydoux als Madeleine Swann. Links: Doppel-0-Agentin Nomi (Lashana Lynch)
(Foto: UPI)

Diese Welt ist nicht genug

Abschied vom 9/11-Bond: Der 25. James-Bond ist der letzte mit Daniel Craig

»We have all the time in the world« – auch wenn Louis Armstrongs Song schon gleich zu Beginn spielt, ist auf der Suche nach der verlo­renen Zeit hier nicht nur Madeleine Swann, auch wir sind es mit ihr. Wo ist das, was ein James-Bond-Film einmal war?

Mit vertrauter Musik und den bekannten ikoni­schen 007-Bildern geht es los. Trotzdem kann und muss man allen Zuschauern verspre­chen: So einen James-Bond-Film hat es noch nicht gegeben – und ob das nur eine gute Nachricht ist?

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Dies ist ein Film voller Über­ra­schungen: Für Bond wie für die Zuschauer. Es beginnt gemäch­lich, fast wie eine TV-Soap für’s Senio­ren­pu­blikum: Der ehemalige Agent im Geheim­dienst Ihrer Majestät hat sich nach einem abrupten, nur halb erzwun­genen, eher der eigenen Angst geschul­deten Abschied von der Psycho­login Madeleine Swann (die, gespielt von Léa Seydoux, im Film natürlich später wieder auftaucht) verrentet ins Privat­leben zurück­ge­zogen. Doch die Vergan­gen­heit, insbe­son­dere der fiese Blofield (Christoph Waltz) lässt ihn nicht los, und so wird er zunächst von der CIA reak­ti­viert und dann bald erneut hinein­ge­zogen in das Leben ständiger Orts­wechsel, Verfol­gungs­jagden und Welt­ret­tungs­ak­tionen.

Bis es soweit ist, dauert es aller­dings ganz schön lang, und man fragt sich, warum? Denn jeder Zuschauer weiß ja, wie es enden muss.

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Es ist nun überhaupt nicht inter­es­sant, an einer Figur wie James Bond Macht­kritik oder Gewalt­kritik zu üben. So wenig es inter­es­sant ist, an einem Film wie Dune den Faschismus zu kriti­sieren oder das Messia­ni­sche der Handlung. Macht­kritik ist inter­es­sant an Filmen, die gegen Macht kämpfen wollen, und die behaupten, selber Macht­kritik zu üben. Da muss Film­kritik die versteckte Macht aufdecken, so wie sie in einem Film wie James Bond den Wandel in Gewalt­dar­stel­lungen zeigen und so etwas wie Gewalt­kritik oder Macht­kritik aufdecken muss, nicht umgekehrt. Man muss Filme gegen den Strich lesen und gegen den Strom inter­pre­tieren, wenn man irgend­etwas aus ihnen erfahren möchte.

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Seit 2006 der Ex-Freund von Heike Makatsch, der britische Schau­spieler Daniel Craig, den Job mit der Lizenz zum Töten ausfüllt, ist von Anfang an, bereits mit seinem ersten Film Casino Royale, ein anderer Ton in die James Bond-Franchise einge­zogen.
Daniel Craig als James Bond war schon immer eine Doppel-Null. Der Bond, den er spielte, war gar kein »richtiger« James Bond. Will sagen: Ihm war alles ausge­trieben, was die Figur von anderen Film­reihen-Helden unter­scheidet, was sie einzig­artig macht. Denn die Welt retten tun viele; gegen Super­ver­bre­cher kämpfen tun viele. Zuletzt war Tom Cruise, also natürlich Ethan Hunt in Mission: Impos­sible, der bessere James Bond.

Craigs 007 war ein Bond der Merkel-Ära: Vorsichtig, risi­ko­scheu, politisch korrekt und unin­ter­es­sant. Er war defensiv, er führte einen Abwehr­kampf, er war immer tenden­ziell unter­legen, getrieben, nie selbst­ge­wiss überlegen. Mit dem »neuen Mann« hatte das aller­dings auch nichts zu tun. Dieser Bond war nicht nur blond, sondern ein Fall für den Psych­iater (zu dem er von seinen Vorge­setzten geschickt wird); ein auch zerbrech­li­cher Mann, der seine Emotionen nicht immer unter Kontrolle hat. Ein oft gequälter, nach innen gekehrter Charakter, der sich gefühlt mehr mit sich selbst, seiner Vergan­gen­heit und persön­li­chen Problemen beschäf­tigt als mit der Bekämp­fung der Feinde der freien Welt.
Das alles passte 2006 perfekt zum Zeitgeist: Zur da gerade erwachsen werdenden »Genera­tion Y« der Mill­en­nials, die mehr Fragen hat als Antworten, mehr auf ihre Gefühle hört und ihren Empfind­lich­keiten gerne viel Raum gibt. Das passte auch zur Empfind­lich­keit des Westens nach 9/11, dessen Wunden sich nicht schließen wollten, der sich selbst einen Sünden­fall nach dem anderen einge­stehen musste, dessen Narrativ mit den Türmen von New York und den gewalt­tä­tigen Gegen­po­si­tionen der Terro­risten zerbro­chen war.
Craigs James Bond kämpfte nicht vorrangig gegen Russen, Chinesen oder Isla­misten, was sich ja angeboten hätte. Er kämpfte auch nicht gegen verrückt gewordene Medi­en­mo­gule, oder gegen Herrscher der sozialen Netzwerke, die nach der Weltmacht greifen wollen – was sich ebenfalls angeboten hätte.
Sondern Craigs James Bond kämpfte vor allem gegen sich selbst. Und gegen irgend­welche ungreif­baren reichen Irren, mit denen er oft mehr gemeinsam hatte, als mit M, Q oder der briti­schen Regierung.

Und die Frauen? Nun ja. Sie traten para­do­xer­weise, je mehr in der Gesell­schaft über Gleich­stel­lung debat­tiert wurde, auf der Leinwand um so mehr in den Hinter­grund. Es blieben nur ein paar »starke« Chefinnen als Symbol von Egalität. Es verschwanden aber all die Femmes fatales, mörde­ri­schen Kampf-Girls und verfüh­re­ri­schen Agen­tinnen, die die früheren 007-Filme bevölkert hatten und die Bond selbst­be­wusst und auf Augenhöhe gefähr­li­cher wurden als Blofield und die Russen. Sie verschwanden zusammen mit dem übrigen Playboy-Leben des Agenten. Denn mit Craig wurde Bond auch zum harten Arbeiter: Verschwitzt, gesund und wahn­sinnig puri­ta­nisch. Im neuen Film hat er, hört hört, sogar eine »richtige Beziehung«. Und er wird Vater!

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Nur einmal, für eine großar­tige Vier­tel­stunde, in der Episode, die auf Cuba spielt, darf im neuen Film der alte Hedo­nismus aufleben, und es wird ange­deutet, wie eine neue 007-Zukunft aussehen könnte. Schnell und witzig, mit Lässig­keit und Kampf­kunst und Ironie. Und wenn es wirklich mal einen weib­li­chen James-Bond geben sollte, muss ihn die Spanierin Ana de Armas spielen – ihr Auftritt als MI-6-Agentin auf Cuba ist phäno­menal, und man versteht auch sofort, warum diese Frau demnächst Marilyn Monroe spielen wird.

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Ansonsten geht es für Bond diesmal gegen einen weiteren gefähr­li­chen Verrückten mit dem allzu spre­chenden Namen Lyutsifer (Rami Malek als »Joker«-Abklatsch) und einen bösen Virus, einen biolo­gi­schen Kampf­stoff, der die ganze Welt bedroht und sich in die DNA einzelner Menschen für immer einsetzt. »Man lebt nur zweimal« lautete schon früh eine alte James-Bond-Weisheit. Aber in diesem action­rei­chen, längsten Bond-Film aller Zeiten stirbt 007 auch mehr als einmal.
Das ist abwechs­lungs­reich, aber größ­ten­teils auch erwartbar.

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Zumindest alle Craig-Skeptiker werden aufatmen, dass jetzt endgültig Schluss ist mit seinem James Bond, und dass 007 wieder einmal neu erfunden werden wird. Das wird todsicher geschehen.
Denn – und hier müssen jetzt spätes­tens alle zu lesen aufhören, die sich die Schlus­sü­ber­ra­schung nicht nehmen lassen wollen – es gibt in diesem Film nicht nur eine zweite Nummer 007, die den Rentner ersetzt. Sondern am Schluss geschieht etwas, was alle Bond-Filme bisher vermieden haben: Der Held stirbt im Rake­ten­hagel in selbst­losem Selb­stopfer (das aber auch wieder ein indi­vi­dua­lis­ti­sches Motiv hat! Weib und Kind sollen gerettet werden und der Gefühls­mensch Bond könnte es, würde er überleben, nicht schaffen, ihnen fern­zu­bleiben).

Trotzdem heißt es am Schluss im Abspann: »James Bond will return.« No Time to Die behauptet, dass Indi­vi­dua­lität ein Trug­schluss sei. Der König ist tot, es lebe der König.

Alles in allem erzählt uns dieser Film damit mehr als jeder James Bond zuvor etwas über Austausch­bar­keit. Die Austausch­bar­keit von Freund und Feind, von Lebens­mo­dellen, von Menschen. Selbst die eines James Bond.

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Statt dass Bond am Ende mit einem Wodka-Martini am Pool endlich mal ausspannt, erzählt eine Psycho­login, die so heißt, wie das wich­tigste Gebäck bei Proust und deren Vater ein Killer war, ihrer Tochter, die von einem inzwi­schen toten Mann gezeugt wurde, der auch ein Killer war, und damit uns allen ein Märchen: »Once Upon a Time there was a Man. His name was James Bond...«

Das versetzt uns selbst in die Rolle eines Kindes, dem die Mutter ein Märchen erzählt, und das langsam einschläft, und dies enthüllt uns irgendwo zwischen Traum und Wirk­lich­keit dann doch noch die wahre Natur dieses Helden, der immer eine Wunscher­fül­lungs­phan­tasie war und das auch nach Daniel Craig wieder werden wird.