07.10.2021

Wann kommt seinesgleichen?

Ich bin dein Mensch
Hat den Lola-Hauptgewinn gezogen: Maria Schrader mit Ich bin dein Mensch
(Foto: Majestic/Paramount)

»Kurz prägnant und gerne emotional«: Wann, wenn nicht jetzt? Fernsehfilm gewinnt Kinopreis – ungnädiges Nachwort zur Schwarmdoofheit des deutschen Filmpreises

Von Rüdiger Suchsland

Wofern Ihr Tränen habt, bereitet Euch, sie jetzo zu vergießen! ... Ihr guten lieben Freund', ich muß Euch nicht hinreißen zu des Aufruhrs wildem Sturm; die diese Tat getan, sind ehrenwert. Was für Beschwerden sie persön­lich führen, warum sie’s taten, ach! – das weiß ich nicht. Doch sie sind weis' und ehrenwert und werden Euch sicher­lich mit Gründen Rede stehn.
Shake­speare, »Julius Caesar«; III.2; (Schlegel-Tieck-Über­set­zung)

Ich liebe die Film­aka­demie! Genau gesagt: Ich schätze viele ihrer Mitglieder, bin keines­wegs, wie von manchen inter­es­se­ge­leitet behauptet, »ein Feind«. Obwohl man dies manchmal, in Momenten des Zorns, werden müsste.

Aber es war eine wunder­bare Party, in Berlin am Frei­tag­abend, am Sams­tag­morgen, ich blieb bis 4:30 Uhr, wie Zeugen dies bestä­tigen können; es war aber auch deswegen eine wunder­bare Party, weil eines der Gesprächs­themen des Abends die total fehl­ge­lei­tete Preis­ver­lei­hung war. Also sowohl die Geschmacks­ver­ir­rung, die die soge­nannte Show domi­nierte, die eigent­lich keine Show war, sondern eine einzige Pein­lich­keit, aber natürlich auch die Preis­ent­schei­dung selber.

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Über­rascht hat mich das offen gesagt nicht. Auch hierfür gibt es Zeugen. Ich kenne meine Pappen­heimer!
Aber man hofft doch immer wieder.

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Wann, wenn nicht jetzt? Wann, wenn nicht jetzt hätte Saskia Rosendahl einen Filmpreis bekommen müssen? Wann, wenn nicht jetzt hätte Dominik Graf eine Aner­ken­nung für die beste Regie bekommen müssen? Wann, wenn nicht jetzt?

Es ist peinlich, dass Dominik Graf noch nicht einmal einen Regie­preis erhielt. Es ist voll­kommen unver­ständ­lich, dass Tom Schilling nicht einmal eine Nomi­nie­rung für seine Rolle als Fabian bekommen hat. Ich kann mir das nur so erklären, dass es in diesem Fall außer an der Phan­ta­sie­lo­sig­keit der Akade­mie­ab­stimmer an der Figur des Fabians lag, eine passive, scheinbar »unmänn­liche«, jeden­falls den bekannten Männerkli­schees, der Masucci-Bullen­haf­tig­keit nicht entspre­chende Männ­er­figur, die bei den ganzen echten Männern und echten Frauen in der Film­aka­demie keinen richtigen Beifall findet.

Da könnt ihr, liebe Akade­misten, noch 100 Jahre Genderdada und Aner­ken­nungs­ge­säusel prak­ti­zieren... Wenn ihr das nicht checkt!

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Seit Gründung der Film­aka­demie wird oft zu ihren Gunsten ins Feld geführt, dass doch jetzt endlich Fachleute entscheiden würden, wer die deutschen Film­preise, die Bundes­film­preise bekäme. Dass doch jetzt endlich Expertise, Fach­men­schentum und Objek­ti­vität jede einzelne Stimme bei den Akademie-Preis­ent­schei­dungen leiten würden. Aller­dings spricht alles seit dem ersten Tag, an dem diese Akademie exis­tierte, dagegen! Und wenn man noch einen Beweis gesucht hätte, dann wäre es genau die Preis­ent­schei­dung vom vergan­genen Frei­tag­abend gewesen. Selten erlebte man solch eine kollek­tive Verirrung! Eine Verirrung zudem mit schlechtem Gewissen, denn die Tatsache, dass der Preis für die beste Film­mon­tage und die beste Kamera sehr wohl an Dominik Grafs Fabian ging, zeigt, dass die Film­aka­de­mie­mit­glieder ahnten, dass sie in der Hölle der Film­ge­schichte schmoren würden, weil dieser Film eigent­lich stilis­tisch der bessere sei. Diese Ahnung hat nur leider keinerlei Konse­quenzen.

Wieso gibt es eigent­lich keine Regu­la­rien bei dieser Akademie, die doch angeblich aus lauter Fach­leuten und Exper­ti­se­trä­gern besteht, die dafür sorgt, dass solche Fern­seh­filme wie Ich bin dein Mensch von Anfang an ausge­schlossen bleiben – wenn schon die Expertise der Akademie-Mitglieder selber nicht ausreicht, um diesen Film nicht weiter zu nomi­nieren?

Schämt sich die Deutsche Film­aka­demie eigent­lich selber? Zumindest heimlich vor sich im Spiegel? Dafür dass sie diesem Film den Vorzug vor Dominik Grafs Fabian gegeben hat? Wieso erkennt die Deutsche Film­aka­demie nicht, dass auch das Drehbuch von Fabian, die Umar­bei­tung einer wichtigen lite­ra­ri­schen Vorlage das Balan­cieren verschie­dener Fassungen dieser Vorlage, weitaus anspruchs­voller ist, als das doch bei näherem Hinsehen mehr als banale, nämlich geradezu krude und in seiner impli­ziten poli­ti­schen Pädagogik lachhafte Drehbuch zu Ich bin dein Mensch.

So gesehen fällt es selbst denje­nigen, die wie ich die Akademie eigent­lich lieben möchten, sehr schwer, die Akademie auch nur zu schätzen. Noch mal sei gesagt: Mit den Mitglie­dern dieser Akademie und auch den Mitglie­dern ihrer Orga­ni­sa­tion hat das in den aller­meisten Fällen nicht das Geringste zu tun.

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Alles auf Schrader – so kann man den Abend zusam­men­fassen. Maria Schrader und ihr Film Ich bin dein Mensch gewann in allen zentralen Kate­go­rien beim Deutschen Filmpreis: Bester Film, beste Regie; dazu noch bestes Drehbuch, beste weibliche Haupt­rolle. In den tech­ni­schen Kate­go­rien räumte vor allem der Science-Fiction-Film Tides von Tim Fehlbaum ab, für den außerdem Lorenz Dangel den Preis für die beste Filmmusik bekam. Das war immerhin die »Einsicht in die Notwen­dig­keit« (Hegel), also die Freiheit der Film­aka­demie.
Großer Verlierer des Abends war die Kästner-Verfil­mung Fabian von Dominik Graf, die zwar zehnmal nominiert war, aber nur in drei Kate­go­rien ausge­zeichnet wurde. Immerhin in den visuellen: Claudia Wolscht für den besten Schnitt und Hanno Lentz für die Beste Kamera. Außerdem gab es den Filmpreis in Silber für den zweit­besten Film.

Dies war in diesem Umfang, in dieser Eindeu­tig­keit einfach eine Fehl­ent­schei­dung. Aller­dings eine bezeich­nende.

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Denn Ich bin dein Mensch ist eigent­lich ein Fern­seh­film. Er entstand für das ARD-Fernsehen und hätte ursprüng­lich niemals ins Kino kommen sollen. Erst der Erfolg der Regis­seurin mit ihrer US-Streaming-Serie »Unor­thodox«, Weinstein-Hype und glück­liche Zufälle ermö­g­lichten den Kinostart.

Aber in seiner ganzen Ästhetik, im Bild­aufbau, Schnitt, in der Art und Weise, wie jedes Detail der Handlung auser­zählt wird, und nichts Zwei­deu­tiges, Offenes, Flirrend-freies, nichts von der Poesie, die Kino ausmacht, mehr übrig bleibt, ist der Film eindeutig für den kleinen Bild­schirm gemacht – nicht für die große Leinwand.

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Bezeich­nend ist diese Fehl­ent­schei­dung, weil sie belegt, dass die Schwar­min­tel­li­genz der über 2000 vor allem aus Schau­spie­lern bestehenden Film­aka­demie eine Schwarm­dumm­heit ist, dass sie einfach nicht in der Lage ist, solche Fein­heiten zu berück­sich­tigen und zwischen Fernseh-Drama­turgie und Film-Ästhetik zu unter­scheiden, oder – was viel­leicht noch schlimmer wäre – es ist den Akade­mie­mit­glie­dern voll­kommen egal.
Nicht wenige Filme­ma­cher meinten jeden­falls in den Gesprächen nach der Preis­ver­lei­hung, dass hier vor allem die Persön­lich­keit der von der Schau­spie­lerin zur Regis­seurin gewor­denen Schrader ausge­zeichnet wurde.

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Der Host – oh Gott oh Gott. Ein Schlacht­fest der Geschmack­lo­sig­keit. Und dazu der Spruch: »Wir sind Kino-Nation.«
Sind wir halt nicht.

Der Moderator war unsäglich. Kam sich sehr witzig vor, vor allem darin, politisch-partei­isch zu sein, und erstmal über Frau Grütters »2. Platz« zu spotten, geschmacklos, niveaulos finde ich das als erklärter Nicht-Fan von Moni Grütters; aber dann die AFD mit Ulf Poschardt zusammen zu denken geht gar nicht... Haltlose Gutmen­schen-Dummheit!

Licht­blick dagegen Torsten Merten, wie er sich »bei den Werk­tä­tigen der Deutschen Demo­kra­ti­schen Republik« bedankt »für das Finan­zieren eines kosten­losen Studiums.« Außerdem lobt er seine Agentin und sagt, die Agenten beginnen schon mal Gagen­ver­hand­lung mit dem Satz: »Diesen Film braucht kein Mensch« und holen trotzdem Geld raus. »So: Abgang Merten.« Der war lustig.

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Und immer wenn du denkst, es geht nicht mehr, kommt von irgendwo noch eine Geschmack­lo­sig­keit daher, noch ein Tiefpunkt.

Die Akademie hat wieder einmal bewiesen, dass sie als Insti­tu­tion, in ihrer Gesamt­heit keinen Verstand hat. Genauer: Dass der Verstand vieler Einzelner keinen großen Gesamt­ver­stand ergibt, sondern eine große Schwarm­dumm­heit.

Traurig, dass die Frauen in der Akademie noch nicht mal merken, dass Ich bin dein Mensch auch ein Film ist, der Frauen einge­schränkt und passiv reduziert darstellt und der die weibliche Haupt­figur klein macht.
Lustig, dass das Frau­engleich­be­rech­ti­gungs­dings dazu führt, dass reak­ti­onäre Frau­en­fi­guren von einer Frau insze­niert Preise gewinnen über progres­sive Frau­en­fi­guren, die ein Mann insze­niert.

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»Also kurz prägnant und gerne emotional« – so solle die Rede sein, erführen Nomi­nierte von der Akademie vor der Preis­ver­lei­hung. Viele berei­teten dann lieber nichts vor.

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In der WELT steht es dann präzis und nüchtern: »Fünfmal im Verlauf seiner nun 40-jährigen Karriere war Dominik Graf als bester Regisseur für den Deutschen Filmpreis nominiert, bekommen hat er ihn erst einmal, 1988 für Die Katze. Das ist nichts Unge­wöhn­li­ches, Oliver Masucci hat die Darsteller-Lola am Freitag auch erst im vierten Anlauf gewonnen, für seinen hinreißenden Rainer Werner Fass­binder in Enfant Terrible

Trotzdem muss man ein paar Worte über darüber verlieren, dass die Film­aka­demie die Lola für den besten Film und die beste Regie nicht an Dominik Grafs Fabian vergeben hat, was wirklich jeder Anwesende im Vorfeld für sicher und gerecht hielt.

Fabian ist ein Film, wie es ihn in Deutsch­land nur einmal in zehn Jahren gibt: ein präzises Zeitbild, in kurzen impres­sio­nis­ti­schen Strichen hinge­tupft; eine völlig freie und doch treue Lite­ra­tur­ver­fil­mung; eine achtzig Jahre alte Geschichte, die aktueller nicht sein könnte.

Statt­dessen wurde Maria Schrader beste Regis­seurin und ihr »Du bist mein Mensch« bester Film. Nun geht es nicht darum, einen Film herab­zu­setzen. »Mensch« hat ein hoch­ak­tu­elles Thema (Frau soll mit einem huma­no­iden Robo­ter­mann zusam­men­leben), eine großar­tige Haupt­dar­stel­lerin (Lola für Maren Eggert) und eine wunder­bare Balance zwischen Komödie und Ernst­haf­tig­keit. In jedem anderen Jahr hätten wir solch einen Film gern gekrönt. Aber eben nicht in diesem.

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»And since you know you cannot see yourself so well as by reflec­tion, I, your glass, will modestly discover to yourself that of yourself which you yet know not of.«
Shake­speare

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Erkennbar ist einmal mehr, dass die Entschei­dung der BKM, die über drei Millionen Preis­gelder aus Steu­er­mit­teln des Bundes seit 16 Jahren nicht mehr durch eine Jury in diffe­ren­zierten Debatten und sorg­fältig reflek­tierten Entschei­dungen vergeben zu lassen, sondern einer Massen­ab­stim­mung und damit der Schwarm­doof­heit zu über­ant­worten, dass diese Entschei­dung dem deutschen Film schadet. Denn sie reduziert das Unter­schei­dungs­ver­mögen, führt nicht zu mehr, sondern zu weniger geschmack­li­cher Diffe­ren­zie­rung und immer wieder zu Vergaben von Stimmen nach persön­li­cher Sympathie und vermeint­li­cher Bedeutung.

Erkennbar ist auch, dass die öffent­liche Debatte über den deutschen Film, seit der Filmpreis nicht mehr von einer Jury vergeben wird, ästhe­tisch verküm­mert, dass sie von Ober­fläch­lich­keiten bestimmt wird, sich rein auf Inhalt­li­ches konzen­triert, oder poli­ti­sche Haltungen auszeichnet anstelle von künst­le­ri­schen.
Wann wäre denn je in den letzten 16 Jahren ein künst­le­risch radikaler Film, etwas Expe­ri­men­telles, Mutiges, Irri­tie­rendes oder gar das Publikum Spal­tendes ausge­zeichnet worden?

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Das Publikum spalten tut auch nicht Fabian. Aber dies ist ein anspruchs­voller Film, der eindeutig für das Kino gemacht ist und schon mit seiner dreis­tün­digen Länge auf ein Publikum zielt, das bereit ist, einem Künstler erst einmal zu vertrauen.

Das Schielen auf Beifall und die plumpe Behand­lung wichtiger poli­ti­scher Themen zeigte sich auch an anderen Nomi­nierten – genauso wie die konse­quente Absage an alles, was irgendwie den Trott des im deutschen Kino vorherr­schenden mittleren Realismus verlässt, und stilis­tisch etwas auspro­biert und wagt: Auch die großar­tigen und origi­nellen Doku­men­tar­filme Walchensee Forever und Space Dogs gingen am Freitag leer aus zugunsten eines pädago­gisch wert­vollen, moralisch sympa­thi­schen Films über einen enga­gierten Lehrer.

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Das hier erkenn­bare geschmack­liche Defizit, das die deutsche Filmszene mit ihrem Publikum teilt, das sich in der Masse komplett an einen sehr engen Geschmacks­kor­ridor derart gewöhnt hat, hat Folgen: Vor allem für die Wahr­neh­mung des deutschen Films jenseits der Grenzen. Das Ausland inter­es­siert sich für deutsches Kino nämlich gleich Null. Es ist wirt­schaft­lich erfolglos, und künst­le­risch sowieso: Alle vier großen euro­päi­schen Film­fes­ti­vals kamen in diesem Jahr komplett ohne deutsche Beiträge aus.

Nach dem wahr­schein­li­chen Abgang der staatlich bestallten Film­gou­ver­nante Monika Grütters wird es eine neue Film­po­litik geben. Neben vielem anderen bleibt da den Verant­wort­li­chen hoffent­lich auch Zeit, den Deutschen Filmpreis komplett zu über­denken und seine Vergabe neu zu orga­ni­sieren.

Denn zur Zeit ist da über eine wirklich schöne Selbst­feier der Branche hinaus keine Relevanz.

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Aber ich liebe die Film­aka­demie!