Gestrandet auf Corona Island
Willkommen in der Realität |
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Einer der letzten Filme vor der erneuten, corona-bedingten Schließung der Kinos – Und morgen die ganze Welt |
Von Nora Moschuering
Ich weiß nicht, ob die Schließung der Kinos nötig ist, ob sie sinnvoll ist, oder nicht. Die Kinos, die ich besucht habe, haben alles versucht, um einen Besuch in ihnen so sicher wie möglich zu machen. Alles war angemessen entspannt, weit gesetzt und alle trugen Masken. Trotzdem verstehe ich, warum man sie schließt und auch die Theater, Museen und anderen Kultur- und Veranstaltungsorte.
Es ist für mich keine »staatlich verordnete, corona-bedingte Schließung der Kultur«. Die Kultur ist nicht geschlossen, sie hat bestimmte Orte temporär verloren, ja, und das ist ziemlich schlimm und einige werden vielleicht nicht wieder öffnen. Aber es gibt Bücher, Zeitungen, Streams, Podcasts, Festivals im Internet – die wir hier besprechen. Die Kultur und Kunst verlagert sich gerade in andere Räume und vielleicht auch, um hinterher zu wissen: Das ging gar nicht.
Eine Art Lobbyismus für Kinos und Kinofilme zu betreiben, ist wichtig und richtig. Ich habe selbst 12 Jahre in Kinos gearbeitet in Teilzeit. Um mir mein Studium zu finanzieren, aber das auch immer ganz bewusst an diesem Ort, weil es das Schönste ist, Menschen etwas zu geben, worauf sie sich freuen, worauf sie neugierig sind, es wichtig ist, mit ihnen davor oder im Anschluss darüber zu sprechen, ja nächteweise dort abzuhängen. Mein Leben war und ist durch das Kino als Ort – und eben nicht »nur« die Filme – auf so viele Arten erweitert und bereichert worden. Dabei ging es natürlich um den Film, den Inhalt, die Größe der Leinwand, den Ton, aber auch um das Kino als Ort des Austausches, des Diskurses, der Gemeinschaft, der Öffentlichkeit. Ich habe außerdem meine Abschlussarbeit übers Kino geschrieben und die Folgen der Digitalisierung für die gesamte Produktions- und Distributionskette eines Filmes. Es hängen viele Arbeitsplätze an einem Film.
Trotzdem ist es für mich kein »Kultur-Verbot« und keine »Realitätsverweigerung«, wie es Rüdiger Suchsland auf artechock vor einem Monat formuliert hat. Die Realität ist diffus. Wo stecken sich die Menschen an und wie? Passiert es im Kino oder auf dem Weg dahin? Das ist alles nicht eindeutig, und man hat beschlossen, dass das Risiko ,z.B. die Schulen offen zu halten, eingegangen wird, damit die Bildung weiterläuft, aber sicher auch, um Kindern und Jugendlichen, aber auch ihren arbeitenden Eltern einen Alltag zu ermöglichen. Bei der Schließung bestimmter Institutionen und auch der Kinos geht es auch um Risikominimierung, darum, Gruppen von Menschen zu verhindern, die sich schon beim Fahren zum Kino in U- oder S-Bahnen treffen, in Foyers, auf den Toiletten. Risikominimierung mit räumlicher Entzerrung. Ob man die Menschen damit tatsächlich ins Private treibt, ist erst mal nicht sicher, ist eine Behauptung. Wahrscheinlich geht es neben der Risikominimierung und Entzerrung eben auch darum, wieder ein Bewusstsein dafür zu erzeugen, vorsichtig zu sein. Extrem fragwürdig ist für mich das Offenhalten von Läden und Einkaufszentren (und ich meine nicht Lebensmittelläden), weil man hier natürlich doch sieht, was für wichtig erachtet wird.
Vorfreude auf die Kino-Öffnung und Verständnis für die Schließung!
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Was für mich besorgniserregend ist und auch längerfristig einen starken Einfluss auf Kunst und Kultur und damit auch auf das Kino haben könnte, ist die von Markus Söder lancierte bayerische Hochschulreform. Bisher wurde lediglich ein Eckpunktepapier dazu veröffentlicht. Allein der Zeitpunkt, die Geschwindigkeit und die Wortwahl irritieren, und wenn man sich einliest, auch noch vieles mehr. Konzipiert ist das Ganze am Leitbild größtmöglicher Freiheit, womit die Eigenverantwortung und der Exzellenzgedanke gestärkt und weiter vorangebracht werden soll. Diese Begriffe werden gestreut, als wären sie per se positive Begriffe und nicht auch fragwürdige. Der gesamte Text beschreibt »unternehmerische« Hochschulen. Hochschulen, in denen die Macht an der Spitze gebündelt wird und Gremienarbeit nicht vorkommen muss. Eine Durchökonomisierung der Hochschulen, mit allem, was dazu gehört: Drittmittel, Fundraising & schwammige Findungsverfahren. Es scheint, als wird hier der alte Neoliberalismus neu aufgebrüht und als was frisch Erdachtes verkauft.
Was wird aus den kleineren, nicht monetär-gewinnbringenden, oder doch zumindest prestigebehafteten Fächern? Wie bleibt die Freiheit der Wissenschaft erhalten? Wie misst sich Erfolg? Was ist mit dem steigenden Einfluss von Privatunternehmen? Der Konkurrenz nicht nur außerhalb, sondern auch innerhalb der Hochschulen? Ganz zu schweigen die Frage, warum ein demokratischer Staat ausgerechnet seine Bildungseinrichtungen einem ganz anderen System aussetzen sollte. Ich zahle übrigens auch gerne Steuern für gute und unabhängige Bildungseinrichtungen.
Natürlich sollte es eine Hochschulreform geben. Es gibt etliche Baustellen, an denen man arbeiten könnte, die Verbesserung der Arbeitsbedingungen, Aufstiegschancen, Berufungsverfahren, Gründungen aus Hochschulen heraus ... aber doch nicht so und besonders nicht so schnell. Das Eckpunktepapier könnte einen Prozess einleiten, einen Prozess des Für-und-Widers, einen Prozess, der am Ende vielleicht zu einem ganz eigenen neuen Weg führt. Der aber vielleicht auch das beinhaltet, was sich viele wünschen: Zusammenarbeit, Gemeinschaftlichkeit, Gleichheit und Solidarität, so wie es auch in der Protestnote der Akademie der bildenden Künste zu lesen ist.
Das Eckpunktepapier als Debattenstart, aber bitte nicht mehr.
Zurück zu den Kinos und der Kultur: wenn an Hochschulen nur nach einem Markt für bestimmte Fächer geschaut wird und daran ihr Nutzen gemessen wird, dann heißt das natürlich nicht, dass das irgendwann automatisch auch auf Theater oder Museen angewendet wird, aber die Menschen, die studieren, werden sozialisiert in einem solchen System, und so etwas lässt sich auch später nicht mehr so einfach abschütteln. Das Kino an sich liegt zwischen Kultur und Kommerz, aber es sollte auch die Freiheit haben, sich beides zu gönnen und dafür ein Publikum zu finden.