To end all the films |
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Mindfucking à la Tenet ist nicht die schlechteste Wahl, um das Ende der Filme einzuläuten | ||
(Foto: Warner Bros.) |
Von Dunja Bialas
Gibt es eigentlich nur noch den einen Film? Seit dem Shutdown, seit der Schließung der Kinos, seitdem die Corona-Pandemie auch in den USA angekommen ist, starrt die Filmwelt nur auf die Verkündung des Filmstarts von Tenet, dem neuen Film von Christopher Nolan. Tenet soll der Messias sein, der die Kinos vor dem Untergang rettet, die Filmfans vom Sofa herunterholt und überhaupt die ganze Branche vom Corona-Virus heilt. Tenet ist Wunderwaffe und Impfstoff zugleich, gegen all die kinofeindlichen Übel unserer Zeit. Tenet wird uns retten.
Natürlich ist Tenet im Verleih von Warner Bros. auch Stellvertreter für andere, ähnlich heilsversprechende Titel, wie zum Beispiel Mulan, den Disney jetzt aber gar nicht mehr ins Kino bringt, sondern direkt auf dem hauseigenen Streamingkanal veröffentlicht. Der neue James Bond Keine Zeit zu sterben (im Verleih von Universal) gehört ebenfalls in die Kategorie; er wurde vom Frühjahr in den November verlegt. Bleibt noch Kaiserschmarrndrama, der siebte Eberhofer-Krimi, den Constantin-Film zum Missfallen der bayerischen Kinobetreiber auf unbestimmte Zeit verschoben hat. Der Grund: die Corona-Restriktionen mit nur wenigen Besuchern in den Kinos machen aus jedem noch so großen Film automatisch einen Flop. Verleihkampagnen im großen Stil rechnen sich nicht, schon gar nicht, wenn man global agiert, wie die internationalen Verleiher.
Der Ruf der Branche nach den großen Filmtiteln wird aber nur deshalb so gut gehört, weil hier einige wenige sich besonders lautstark Gehör verschaffen. Andere sind da leiser, obwohl sie guten Grund zum lauten Aufschrei hätten. Das sind die mittelständischen oder noch kleineren Verleiher, die in Deutschland für die Vielfalt im Angebot sorgen. Seit dem Beginn der Corona-Krise führen sie, vertreten durch die AG Verleih (dem Verband der unabhängigen Verleiher), Gespräche mit der BKM, der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien, Staatsministerin Monika Grütters. Hinter verschlossenen Türen, erzählt mir Joachim Kühn, Chef von Realfiction, hätten sie seit Monaten mit Grütters geredet, Vorschläge unterbreitet, wie man in der coronainduzierten Krise den deutschen Verleihern wirklich und nachhaltig helfen könne. »Nichts, aber auch gar nichts davon wurde gemacht«, resümiert er enttäuscht. Auch der Vorschlag, den Verleiherpreis analog zum Kinoprogrammpreis in diesem schwierigen Jahr aufzustocken und mehr Verleihern, beispielsweise allen Antragstellern, zu helfen, wurde ignoriert.
Stattdessen wurde im Rahmen des am 3. August 2020 bekannt gemachten Ministerialprogramms »Neustart Kultur« die Verleihförderung neu aufgelegt und um vier Millionen Euro erhöht. Das klingt ja erst einmal gut. Problematisch sehen die Branchenvertreter wie Joachim Kühn oder die Kleinunternehmer*innen wie Sabine Herpich vom Peripher Filmverleih oder Christos Dassios von Olymp Film jedoch das Anheben der Förder-Untergrenze auf 40.000 Euro für die Herausbringungskosten eines Films. Für die kann bei der BKM ein Antrag auf Förderung gestellt werden, sofern 30 Prozent Eigenanteil vorhanden sind. »Da muss man echtes Geld investieren«, betont Kühn, mit Rückstellungen wie bei Produktionen kann ein Verleiher nicht operieren, er muss in Vorauszahlung gehen. »Das ist ein komplexes Geschäftsmodell, das selbst Produzenten nicht verstehen.« Die BKM habe das auch nicht verstanden und denkt trotz monatelanger Gespräche mit den Verleihern immer noch, diese würden auf Provision die Filme herausbringen, so Kühn.
Mit der Heraufsetzung der minimalen förderbaren Verleihkosten für einen Film hat die BKM all die Verleiher vom Branchenzug abgekoppelt, die entweder nicht so große Filmprojekte im Angebot haben, die entsprechend hohe Herausbringungskosten erfordern, oder die schlichtweg als Firma zu klein sind, um den notwendigen Eigenanteil aufzubringen. »Die wollen den Markt bereinigen«, vermutet Dassios, »und die mutigen und cineastischen Filme weghaben.« Die wenig Geld einbringen, aber für Vielfalt in den Kinosälen sorgen. Und auch dafür, dass Kino selbst hierzulande zur Kultur gerechnet werden darf.
Der Hauptverband Cinephilie (HvC) sieht so auch in einem Schreiben, das er am vergangenen Dienstag veröffentlichte (hier bei »artechock« nachzulesen), »die kulturelle Verleiharbeit vor dem Aus«. In der Tat verlässt die BKM mit der Modifizierung der Richtlinien die ihr zugedachte Rolle der kulturellen Verleihförderung und nähert sich der Wirtschaftsförderung der Filmförderungsanstalt (FFA) an. Wirtschaftsförderung im Verleihsektor bedeutet, dass die Kassen klingeln müssen. Gefördert werden dort im Corona-Jahr 2020 die Verleihe Warner Bros. Entertainment, Constantin Film Verleih, Senator Film Verleih, Leonine Distribution (besser bekannt unter dem alten Namen Universum Film) und Wild Bunch Germany. Also alles Big Player, die die großen Titel ins Kino bringen, für viele Zuschauer sorgen, was wiederum Kinoabgaben an die FFA generiert. Willkommen im FFA-System.
Allein die Summen, die die BKM in ihren neuen Verleihrichtlinien ins Spiel bringt, verraten, dass man jetzt ebenfalls auf das wirtschaftliche Pferd setzen will – im krassen Widerspruch zum Auftrag, die Kultur zu fördern. Die ebenfalls angehobene, maximale Förderhöhe von 150.000 Euro »öffnet Projekten den Weg, die auch bei der FFA antragswürdig sind«, merkt der HvC an. Das Perfide an den Neuregelungen: durch das Anheben der Herausbringungskosten sind jetzt auch Projekte ausgeschlossen, deren einzige Anlaufstelle in der Vergangenheit die kulturelle BKM-Förderung war.
Und dann gibt es noch nicht einmal von den Kinos Rückendeckung. Bereits Ende Mai fordert die AG Verleih zusammen mit dem Produzentenverband in einem Brief an die AG Kino eine »tatsächliche Kinoauswertung« der unterbrochenen oder verschobenen Filme, bevor sie »ein weiteres Mal von den Leinwänden verdrängt werden«, durch die großen, im Herbst dann wohl anlaufenden Filmtitel. Stattdessen setzte die AG Kino auf nationale Einigkeit bei der Wiedereröffnung, um wenigstens die großen Arthouse-Titel gut zu platzieren, wie Berlin Alexanderplatz und Undine.
Bleibt die Frage, weshalb sich die Verleiher erst jetzt bemerkbar machen. Zumindest der HvC hat mit seiner analytischen Brandschrift das Problem deutlich benannt, woraufhin sich nun auch andere Branchenvertreter zu Wort melden. Nach Kühns Einschätzung sei der Sachverhalt für die Presse (und die Leser) zu kompliziert, um sie dafür zu interessieren. Ganz einfach zu verstehen aber ist, dass mit dem Wegfall der Förderung für die kleinen Verleiher auch die kleinen Filme von der Leinwand verschwinden. So setzt unter dem Deckmantel von Corona ein Kahlschlag ein, der aus Deutschland eine öde Monokultur der leicht vermarktbaren Titel macht.
Was wird sein, wenn all die bewegenden, befreienden, mutigen, un- und außergewöhnlichen Filme von den Leinwänden verschwunden sind? Filme wie zuletzt Anna Sofie Hartmanns Giraffe (Grandfilm Verleih), Carolina Hellsgard Sunburned (Camino Filmverleih), Patricio Guzmáns Die Kordillere der Träume (Real Fiction Filmverleih), Emin Alpers Eine Geschichte von drei Schwestern (Grandfilm Verleih), alle seit dem Shutdown ins Kino gekommen, sorgen für Vielfalt und Diversität. Aber vielleicht wollen ja alle nur den einen Film? To end all the films?
Offenlegung: Die Autorin ist Vorstandsmitglied im Hauptverband Cinephilie.