22.03.2019

flimmern&rauschen 2019 – Vielfältigkeit als Programm

DIE GEHEIMNISVOLLE UHR
Spielerische Wiederentdeckung alter Techniken

Von Axel Timo Purr

Zum nun schon 36. Mal findet auch dieses Jahr vom 27. – 29. März das legendäre Kinder & Jugend-Film­fes­tival flimmern&rauschen in München statt. Mit einer gravie­renden Neuerung: das Festival wechselt vom bishe­rigen Standort Muff­at­halle in die Black Box im Gasteig, in der mehr als 15 Stunden Programm und über 70 Filme junger Film­schaf­fender gezeigt werden. Die letztes Jahr erstmals einge­führte und über die Festi­val­zeit hinaus aktive Networ­king-Plattform Glitch&Noise wird auch dort wieder ein Festival beglei­tendes Programm anbieten.

flimmern&rauschen – das sei nicht oft genug wieder­holt – ist das älteste Kinder- und Jugend­film­fes­tival Deutsch­lands, das von klein auf dazu ermutigen will, eine Kamera aufzu­heben, den Lauf einer Geschichte selbst in die Hand zu nehmen und am Ende viel­leicht sogar eine kreative Karriere zu starten. flimmern&rauschen versteht sich aber auch als Treff­punkt der bereits profes­sio­nellen Newcomer der Münchner Filmszene unter 27 Jahren, doch im Andenken an den Titel des Festivals wird auch hier darauf Wert gelegt, dass nicht nur die Perfek­tion, sondern auch die unge­schlif­fenen Macken jeder Art einen Platz auf der Leinwand verdient haben.

So unge­schliffen die Ansprüche, so profes­sio­nell ist die Jury besetzt, denn immerhin zielt das Festival ja auf einen glanz­vollen Höhepunkt hin, die Preis­ver­lei­hung am Freitag, den 29. März um 20:00 Uhr, nach der um 21:00 Uhr noch einmal alle Preis­trä­ger­filme, die in fünf Alters­klas­sen­ka­te­go­rien aufge­teilt sind, gebündelt gezeigt werden. Neben Anna Roller (junge Filme­ma­cherin) sitzen Daniel Aberl (junger Filme­ma­cher), Monika Haas (Filmstadt München, DOK.fest), Sandra Knösel (Filmfest München), Eva Opitz (Medi­en­fach­be­ra­tung Nieder­bayern) und Klaus Schwarzer (Jugend­kul­tur­werk/pomki.de) in der Jury.

Und so alters­klas­senüber­grei­fend die Film­gruppen sind, so viel­seitig sind auch die Themen und Film­genres auf dem Festival. Eröffnet wird das Festival mit dem 12-minütigen Spielfilm Behind The Scene von den film_larrys, in dem eine Jugend­film­gruppe vergeb­lich versucht die entschei­dende Filmszene ihres Trash­films in den Kasten zu bekommen.

Aber es gibt natürlich nicht nur filmische Intro­spek­tiven zu sehen, sondern auch Ausein­an­der­set­zungen mit den Abgründen des Alltags und den eigenen Träumen von einem anderen Leben. Andrea Kurz zeigt in Unge­ziefer zwei Mädchen mit schweren Depres­sionen, die einen Selbst­mord­pakt geschlossen haben.
Tote Fische von FINE Film­pro­duk­tion erzählt die Geschichte von Ben, Raphael und Anna, die ihre Sommer­fe­rien genießen bis Ben an einem Aneurysma stirbt und die Freund­schaft von Anna und Raphael auf die Probe gestellt wird.
Lene Pott­gießer und Christian Hödl verfolgen in FAME den Traum von Ferdi und Tschacki, die in der Tristesse des baye­ri­schen Hinter­landes aufge­wachsen sind und nun als Models die Laufstege der Welt erobern wollen.
In die Die Jungs vom Bolzplatz doku­men­tiert Lukas John Günther drei junge Männer, die sich an vergan­gene, gemein­same Tage auf ihrem damaligen Bolzplatz zurü­cker­in­nern. Woher sie kamen, spielte dort keine Rolle, doch in der Welt außerhalb des Bolz­platzes war dies anders.

Bezie­hungs­leben und Bezie­hungs­suche, mit deut­li­chen Anklängen an die gegen­wär­tige Me-Too-Debatte, ist auch bei flimmern&rauschen präsent: In Plan B, dem kurzen Spielfilm von Berthold Wahjudi, haben Isabell und Ben einen One-Night-Stand, als das Kondom platzt. Isabell findet, dass es ihre Entschei­dung sei, wie sie damit umgehen soll. Doch Ben ist anderer Meinung. Es kommt zu einem Streit darüber, wer über Isabells Körper bestimmen darf. In Benjamin Tomoff und Alexander Bergmanns JULIE sehen wir Julie in ihrer freund­schaft­li­chen und intimen Beziehung mit Lou, doch Lou muss seit einiger Zeit nachts im Kran­ken­haus arbeiten, um die Miete ihrer gemein­samen Wohnung zu zahlen. Julie lebt in den Tag hinein und verbringt die meiste Zeit beim Surfen am Eisbach. Dort lernt sie Ben kennen.

Aber auch der Blick in die Welt, auf das Andere, die Fremde und einen erwei­terten Heimat­be­griff beschäf­tigt etliche Produk­tionen. Mal spie­le­risch wie in dem Anima­ti­ons­film Begeg­nungen von SprachBe­we­gung e.V., der mit einer Schul­klasse der 5. Jahr­gangs­stufe im Rahmen eines Ganz­jah­res­pro­jekts von SprachBe­we­gung e.V., Tanz & Kreatives Schreib­forum entstanden ist und sich an das Thema heran­tastet, auf welche Weise sich Menschen begegnen können.
Dann es geht auch histo­risch wie in dem Doku­men­tar­film Kein Zurück Mehr von Schülern des Wilhelms­gym­na­siums, der sich dem Schicksal vertrie­bener und geflüch­teter Deutscher aus Mittel- und Osteuropa zwischen 1945 und 1947 widmet. Dabei stehen Erin­ne­rungen von Frauen und Mädchen im Fokus. Vier Zeit­zeu­ginnen erzählen über ihre verlorene Heimat, prägende Erleb­nisse und über ihr neues Leben weit weg von zu Hause.
Auch Rassismus wird in diesem Themen­kom­plex verhan­delt. Mal doku­men­ta­risch wie in LEBEN von Drehplan Anita Augspurg – Schule ohne Rassismus, Schule mit Courage, die sich fragen, was Rassismus eigent­lich ist. Schüler*innen der städ­ti­schen Anita-Augspurg-Berufs­ober­schule München berichten über ihre eigenen Erfah­rungen mit Rassismus und Diskri­mi­nie­rung. Inter­views mit Dr. Heigl (Fach­stelle für Demo­kratie der LHS München) und Nimet Gökme­noglu (before e.V.) thema­ti­sieren die Frage, ob Rassismus aktuell wieder gesell­schafts­fähig wird. In Bobby Braun von Jonas Leonard wird Rassismus hingegen weniger doku­men­ta­risch als über eine Geschichte thema­ti­siert: Wie beur­teilen wir unseren Mitmen­schen, wenn er eine andere Hautfarbe hat? Was spielt sich alles in unseren Köpfen ab, bevor wir handeln? Wie bestimmen Ängste unser Denken? Leonard zeigt Deutsch­land in den 1960er Jahren und Bobby Braun, der neu in der Stadt und schwarz ist. Linda ist weiß. Und beide fühlen sich zuein­ander hinge­zogen.
Dass diese Themen sich auch ideal als Science Fiction erzählen lassen, zeigen mirlach.produc­tions, die in FOG die Geschichte des Poli­zisten Liam Walker erzählen, der im Nebel von Kansas City ein Alien entdeckt. Er nimmt es in der Station auf, das Alien zieht es aber weiterhin unter die Menschen, wo es Gewalt und Unge­rech­tig­keit beob­achtet. Es warnt sie davor und fortan wird Liam nicht nur zunehmend mit der Frage, warum es hier ist, sondern auch mit dem patrio­ti­schen Gouver­neur konfron­tiert.

Aber flimmern&rauschen ist nicht nur gut für tolle Geschichten und inter­es­sante Perspek­tiven, sondern auch für die spie­le­ri­sche Wieder­ent­de­ckung alter Techniken. In Die Geheim­nis­volle Uhr etwa werden Erin­ne­rungen an Lotte Reinin­gers Die Abenteuer des Prinzen Achmed wach. In ihrem Sche­ren­schnitt-Trickfilm erzählt eine Produk­tion von Kinder­kino München e.V. / Medi­en­wirk­statt von einem wilden Wolf, einem leeren Akku und einer Reise durch die Zeit und davon wie zwei Kinder die Welt von Mutter und Großvater entdecken und deren Geschichte verändern.

Neben all den Filmen, die in ihrer Viel­fäl­tig­keit kaum zu fassen ist, sollte aber auch ein im letzten Jahr etablierter Treff­punkt unbedingt auf der Agenda jeden Besuchers stehen. Denn Glitch&Noise, die im letzten Jahr einge­führte Veran­stal­tungs­reihe und Networ­king-Plattform begleitet auch dieses Jahr flimmern&rauschen. Glitch&Noise ist als Treff­punkt für den Münchner Film­nach­wuchs gedacht, um bei Fach­ge­sprächen und Geschichten über Fehler anderer, mit Musik, Kalt­ge­tränken und Snacks persön­lich zu profi­tieren. In fünf­minü­tigen Präsen­ta­tionen werden film­spe­zi­fi­sche Themen (von »Respekt beim Doku­men­tar­film«, über »Was tun wenn sich die Darsteller für einen Liebes­film hassen« bis »Die Welt besteht aus Polygonen«) vom jungen Filmvolk für das junge Filmvolk präsen­tiert.

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Flimmern&rauschen – das Festival der jungen Filmszene, findet vom Mittwoch 27. bis Freitag 29. März 2019 in der Black Box im Gasteig statt.
Speziell für Schul­klassen gibt es zu ermäßigten Eintritts­preisen Sonder­vor­füh­rungen am Donnerstag und Freitag. Die Vorfüh­rungen am Donnerstag richten sich an Kinder­ta­ges­stätten und Grund­schul­klassen und starten um 9:30 Uhr und um 11.00 Uhr. Die Programme am Donnerstag um 14 Uhr sowie Freitag um 9:30 Uhr und 14 Uhr richten sich an Schul­klassen ab der 5. Jahr­gangs­stufe.
Eintritts­preise: 1 € pro Schüler*in
Lehr­kräfte und Begleit­per­sonen haben freien Eintritt.
Die Schüler*innen haben mit dem Eintritt ein Festi­val­ti­cket und können alle drei Tage die Programme besuchen. Die Preis­ver­lei­hung findet am Freitag, den 29. März um 20:00 Uhr statt; im Anschluss daran, um ca. 21.00 Uhr, werde noch einmal die Preis­trä­ger­filme gezeigt. Weitere Infos auf der Webseite des Festivals.