Die Wasserzeichen der Hölle |
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»Die Heimat verlässt niemand gern«, weiß der Bauer in Geyrhalters herausragendem Die bauliche Maßnahme |
Fettes, frisches Blut läuft so zäh wie stetig von oben nach unten über die Leinwand: Es ist eine bizarre Mischung aus Schrecken und Wohlgefühl, die sich von Mal zu Mal einstellt, wenn der diesjährige, von Katrina Dascher gestaltete Festivaltrailer der »Diagonale« jeweils vor den Filmen gezeigt wird. Das Blutrot, das bestimmt aus dem Farbtopf eines kunstvollen Setdesigners stammt, trifft auch genau den Farbton der österreichischen Landesflagge, und das dürfte so wenig zufällig sein, wie irgendeine andere Programmentscheidung bei diesem wichtigsten Schaufenster des österreichischen Kinos.
Es ist keine normale Woche, die zwischen dem 11. und dem 18. März, auf die in diesem Jahr die Grazer Diagonale fiel. Denn genau in diesen Tagen gedenkt das politische Österreich des sogenannten »Anschlusses« an Nazideutschland vor 80 Jahren. Beim bloßen Jahrestag und den üblichen mahnend-stolzen Gedenk-Reden bleibt es dabei diesmal schon deshalb nicht, weil das Gedenken von »Türkis-Blau« überschattet wird, der Koalition zwischen Neo-Konservativen mit der rechtsradikal durchsetzen FPÖ.
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»Stadt der Volkserhebung« war der zweifelhafte Titel, den Graz vom NS-Regime 1938 verliehen bekam. Die Erinnerung an den Titel kommt dieser Tage zurück wie ein Blutfleck auf weißer Weste.
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»Es gibt Dinge in der Vergangenheit, die lässt man besser dort, besonders wenn man im Glashaus sitzt.«
aus: »Murer – Anatomie eines Prozesses«
Das Programm der Diagonale zielt direkt hierauf: Eine Podiumsdiskussion über »Propaganda heute« ergänzt ein historisches Spezialprogramm und Filme, die über Provinzialität und das Provinzielle im österreichischen Kino nachdenken.
Aber auch im Hauptprogramm der Diagonale finden sich mehrere Filme, die zeigen, wie die politisch-soziale Gegenwart Österreichs von der NS-Vergangenheit gewissermaßen imprägniert ist.
Es gehe um Kritik an heutigen antidemokratischen, antiliberalen Tendenzen, am »widerwärtigen Opportunismus«, sagte die Festivaldirektion in ihrer Eröffnungsrede und schloss sich der Kritik der österreichischen Filmschaffenden an der neuen Regierung an.
Auch die Auswahl des Eröffnungsfilms hätte in dieser Hinsicht eindeutiger nicht sein können.
Murer – Anatomie eines Prozesses heißt Christian Froschs Justizthriller. Eng angelehnt an die Gerichtsakten stellt er jenen berühmten Grazer NS-Prozess von 1963 nach, bei dem der steirische NS-Verbrecher Franz Murer, der berüchtigte »Schlächter von Wilna«, der für den Tod zehntausender Litauer mitverantwortlich war, wegen siebzehnfachen persönlichen Mordes angeklagt, aber
trotz erdrückender Beweise freigesprochen wurde.
Ein Film, der empört und fassungslos macht. Darüber, was noch Anfang der sechziger Jahre, zwei Jahrzehnte nach dem Krieg möglich war, an Denunziation, Manipulation, Einschüchterung.
Zugleich ein aktueller Beleg, dass es »alternative facts« schon damals gab.
Wichtig sind Froschs Seitenblicke auf die Politik, das bewusste Wegschauen der Sozialdemokratie, die es, ähnlich wie in Deutschland, bei der Verfolgung der Nazi-Täter oft an Nachdruck fehlen ließ, weil sie sich mit den Nazis in der Gegenwartsgesellschaft alltäglich arrangieren musste.
Zeitlos ist die Darstellung eines kalten Pokerns um die Wählergunst, und jenes Flirten der Mainstream-Politik mit rechtsextremem Gedankengut, das man heute gern als Populismus verharmlost.
Frosch Rekonstruktion des Österreich der frühen 60er führte vor Augen, dass auch dort der radikale Bruch mit jenem Milieu, das Steigbügelhalter Hitlers war, ausblieb.
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Bis 1994 lebte Murer auf seinem Bauernhof. Friedlich, und vermutlich triumphierend im Reinen mit sich. Man hätte ihm eine Kugel des Mossad gewünscht, mindestens, oder besser noch die Entführung nach Jerusalem und dort einen fairen Prozess.
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Ein noch größeres Politikum war die »Waldheim Affaire« um den einstigen UNO-Generalsekretär, der 1986 als Präsidentschaftskandidat der Konservativen plötzlich mit den sorgsam verschwiegenen Seiten seiner Vergangenheit konfrontiert wurde. Er war als Wehrmachtsoffizier an Massakern auf dem Balkan beteiligt, beharrte aber darauf, von nichts gewusst zu haben.
»Das war eine ganz normale Tätigkeit und hat nichts mit Greueltaten oder Kriminalitäten zu tun. Das ist eine ganz korrekte anständige Tätigkeit...« – so Waldheim in einem Fernsehinterview aus dieser Zeit, einem der vielen, an absurdes Theater erinnernden O-Töne des Films.
Der Anstand immer wieder… Hauptsache, anständig sein, dann darf man auch morden. So wie Murer in den 60ern beharrte Waldheim in den 80ern darauf, »anständig geblieben« zu sein.
In ihrem Film Waldheims Walzer rekonstruiert die Wiener Regisseurin Ruth Beckermann die Waldheim-Affaire aus eigenen Aufnahmen, Nachrichtenbildern und Archiv-Material aus der ganzen Welt, dass sie selbst aus persönlicher Sicht rekonstruiert.
Waldheims
Walzer ist ein Montage-Kunstwerk, und ein meisterlicher Essayfilm.
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Gleiches gilt auch für Die bauliche Maßnahme, den neuen Film von Nikolaus Geyrhalter. Der Titel bezieht sich auf jenen Grenzzaun am Brenner, mit dessen großspuriger Ankündigung Österreichs Politiker von Rechts, ganz Rechts und Rechtsaußen im Sommer 2016 auf Wählerfang gingen.
Der Filmemacher reist nach Tirol und spricht mit den Menschen auf beiden Seiten der Grenze. Schnell wird klar: Der Grenzzaun steht bis heute nicht, wird auch nicht kommen, denn er ist technisch unpraktisch und praktisch unnötig, weil die von der Politik behaupteten »Flüchtlingsströme« bis heute auf sich warten lassen.
Im Zentrum von Geýrhalters Film stehen aber die Menschen in Tirol, ihr Verhältnis zu Heimat, Tradition und Rechtsstaat, und zu jenen Menschen, die ihre Heimat verlassen müssen, weil dort Krieg herrscht oder sie hungern. Hier geht es nicht um Meinungen oder um Rechts und Links, sondern um konkreten Alltag. Um Leben und leben lassen.
Aber in den Reden der Politiker, in ihren Worten und darin, wie der Zaun inszeniert wird, wie durch Illusionsspiele Ängste geschürt und geschaffen werden, öffnet die alte Hölle von Krieg und Gewalt ihre Tore.
Wie ein Wasserzeichen wird die Vergangenheit auch in der Gegenwart sichtbar, wenn Feinde bestimmt und ein »Wir« behauptet wird.
Die bauliche Maßnahme ist ein Meisterwerk. Ein Film voller unmittelbarer Menschlichkeit und manchmal von philosophischer Tiefe.
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»Es ist eine schizophrene, eine tragische Situation, sich vor denen zu fürchten, die vor Krieg und Gewalt flüchten mussten. Vor denen braucht man sich normalerweise nicht fürchten. Die Heimat verlässt niemand gern«, so ein Tiroler Bauer in Geyrhalters herausragendem Film.