05.04.2018

Die Wasser­zei­chen der Hölle

Subjektiv - Dokumentarfilm im 21. Jahrhundert
»Die Heimat verlässt niemand gern«, weiß der Bauer in Geyrhalters herausragendem Die bauliche Maßnahme

Schwierigkeiten mit dem Vergessen und türkisblaue Illusionsspiele: Spuren des Austrofaschismus im österreichischen Gegenwartsfilm – Eindrücke von der 21. Diagonale in Graz

Von Rüdiger Suchsland

Fettes, frisches Blut läuft so zäh wie stetig von oben nach unten über die Leinwand: Es ist eine bizarre Mischung aus Schrecken und Wohl­ge­fühl, die sich von Mal zu Mal einstellt, wenn der dies­jäh­rige, von Katrina Dascher gestal­tete Festi­val­trailer der »Diagonale« jeweils vor den Filmen gezeigt wird. Das Blutrot, das bestimmt aus dem Farbtopf eines kunst­vollen Setde­si­gners stammt, trifft auch genau den Farbton der öster­rei­chi­schen Landes­flagge, und das dürfte so wenig zufällig sein, wie irgend­eine andere Programm­ent­schei­dung bei diesem wich­tigsten Schau­fenster des öster­rei­chi­schen Kinos.

Es ist keine normale Woche, die zwischen dem 11. und dem 18. März, auf die in diesem Jahr die Grazer Diagonale fiel. Denn genau in diesen Tagen gedenkt das poli­ti­sche Öster­reich des soge­nannten »Anschlusses« an Nazi­deutsch­land vor 80 Jahren. Beim bloßen Jahrestag und den üblichen mahnend-stolzen Gedenk-Reden bleibt es dabei diesmal schon deshalb nicht, weil das Gedenken von »Türkis-Blau« über­schattet wird, der Koalition zwischen Neo-Konser­va­tiven mit der rechts­ra­dikal durch­setzen FPÖ.

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»Stadt der Volks­er­he­bung« war der zwei­fel­hafte Titel, den Graz vom NS-Regime 1938 verliehen bekam. Die Erin­ne­rung an den Titel kommt dieser Tage zurück wie ein Blutfleck auf weißer Weste.

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»Es gibt Dinge in der Vergan­gen­heit, die lässt man besser dort, besonders wenn man im Glashaus sitzt.«
aus: »Murer – Anatomie eines Prozesses«

Das Programm der Diagonale zielt direkt hierauf: Eine Podi­ums­dis­kus­sion über »Propa­ganda heute« ergänzt ein histo­ri­sches Spezi­al­pro­gramm und Filme, die über Provin­zia­lität und das Provin­zi­elle im öster­rei­chi­schen Kino nach­denken.
Aber auch im Haupt­pro­gramm der Diagonale finden sich mehrere Filme, die zeigen, wie die politisch-soziale Gegenwart Öster­reichs von der NS-Vergan­gen­heit gewis­ser­maßen imprä­gniert ist.

Es gehe um Kritik an heutigen anti­de­mo­kra­ti­schen, anti­li­be­ralen Tendenzen, am »wider­wär­tigen Oppor­tu­nismus«, sagte die Festi­val­di­rek­tion in ihrer Eröff­nungs­rede und schloss sich der Kritik der öster­rei­chi­schen Film­schaf­fenden an der neuen Regierung an.
Auch die Auswahl des Eröff­nungs­films hätte in dieser Hinsicht eindeu­tiger nicht sein können.

Murer – Anatomie eines Prozesses heißt Christian Froschs Justiz­thriller. Eng angelehnt an die Gerichts­akten stellt er jenen berühmten Grazer NS-Prozess von 1963 nach, bei dem der stei­ri­sche NS-Verbre­cher Franz Murer, der berüch­tigte »Schlächter von Wilna«, der für den Tod zehn­tau­sender Litauer mitver­ant­wort­lich war, wegen sieb­zehn­fa­chen persön­li­chen Mordes angeklagt, aber trotz erdrü­ckender Beweise frei­ge­spro­chen wurde.
Ein Film, der empört und fassungslos macht. Darüber, was noch Anfang der sechziger Jahre, zwei Jahr­zehnte nach dem Krieg möglich war, an Denun­zia­tion, Mani­pu­la­tion, Einschüch­te­rung.
Zugleich ein aktueller Beleg, dass es »alter­na­tive facts« schon damals gab.

Wichtig sind Froschs Seiten­blicke auf die Politik, das bewusste Wegschauen der Sozi­al­de­mo­kratie, die es, ähnlich wie in Deutsch­land, bei der Verfol­gung der Nazi-Täter oft an Nachdruck fehlen ließ, weil sie sich mit den Nazis in der Gegen­warts­ge­sell­schaft alltäg­lich arran­gieren musste.

Zeitlos ist die Darstel­lung eines kalten Pokerns um die Wähler­gunst, und jenes Flirten der Main­stream-Politik mit rechts­extremem Gedan­kengut, das man heute gern als Popu­lismus verharm­lost.

Frosch Rekon­struk­tion des Öster­reich der frühen 60er führte vor Augen, dass auch dort der radikale Bruch mit jenem Milieu, das Steig­bü­gel­halter Hitlers war, ausblieb.

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Bis 1994 lebte Murer auf seinem Bauernhof. Friedlich, und vermut­lich trium­phie­rend im Reinen mit sich. Man hätte ihm eine Kugel des Mossad gewünscht, mindes­tens, oder besser noch die Entfüh­rung nach Jerusalem und dort einen fairen Prozess.

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Ein noch größeres Politikum war die »Waldheim Affaire« um den einstigen UNO-Gene­ral­se­kretär, der 1986 als Präsi­dent­schafts­kan­didat der Konser­va­tiven plötzlich mit den sorgsam verschwie­genen Seiten seiner Vergan­gen­heit konfron­tiert wurde. Er war als Wehr­machts­of­fi­zier an Massakern auf dem Balkan beteiligt, beharrte aber darauf, von nichts gewusst zu haben.

»Das war eine ganz normale Tätigkeit und hat nichts mit Greu­el­taten oder Krimi­na­li­täten zu tun. Das ist eine ganz korrekte anstän­dige Tätigkeit...« – so Waldheim in einem Fern­seh­in­ter­view aus dieser Zeit, einem der vielen, an absurdes Theater erin­nernden O-Töne des Films.

Der Anstand immer wieder… Haupt­sache, anständig sein, dann darf man auch morden. So wie Murer in den 60ern beharrte Waldheim in den 80ern darauf, »anständig geblieben« zu sein.
In ihrem Film Waldheims Walzer rekon­stru­iert die Wiener Regis­seurin Ruth Becker­mann die Waldheim-Affaire aus eigenen Aufnahmen, Nach­rich­ten­bil­dern und Archiv-Material aus der ganzen Welt, dass sie selbst aus persön­li­cher Sicht rekon­stru­iert.
Waldheims Walzer ist ein Montage-Kunstwerk, und ein meis­ter­li­cher Essayfilm.

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Gleiches gilt auch für Die bauliche Maßnahme, den neuen Film von Nikolaus Geyr­halter. Der Titel bezieht sich auf jenen Grenzzaun am Brenner, mit dessen groß­spu­riger Ankün­di­gung Öster­reichs Politiker von Rechts, ganz Rechts und Rechts­außen im Sommer 2016 auf Wähler­fang gingen.

Der Filme­ma­cher reist nach Tirol und spricht mit den Menschen auf beiden Seiten der Grenze. Schnell wird klar: Der Grenzzaun steht bis heute nicht, wird auch nicht kommen, denn er ist technisch unprak­tisch und praktisch unnötig, weil die von der Politik behaup­teten »Flücht­lings­ströme« bis heute auf sich warten lassen.

Im Zentrum von Geýr­hal­ters Film stehen aber die Menschen in Tirol, ihr Verhältnis zu Heimat, Tradition und Rechts­staat, und zu jenen Menschen, die ihre Heimat verlassen müssen, weil dort Krieg herrscht oder sie hungern. Hier geht es nicht um Meinungen oder um Rechts und Links, sondern um konkreten Alltag. Um Leben und leben lassen.

Aber in den Reden der Politiker, in ihren Worten und darin, wie der Zaun insze­niert wird, wie durch Illu­si­ons­spiele Ängste geschürt und geschaffen werden, öffnet die alte Hölle von Krieg und Gewalt ihre Tore.

Wie ein Wasser­zei­chen wird die Vergan­gen­heit auch in der Gegenwart sichtbar, wenn Feinde bestimmt und ein »Wir« behauptet wird.
Die bauliche Maßnahme ist ein Meis­ter­werk. Ein Film voller unmit­tel­barer Mensch­lich­keit und manchmal von philo­so­phi­scher Tiefe.

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»Es ist eine schi­zo­phrene, eine tragische Situation, sich vor denen zu fürchten, die vor Krieg und Gewalt flüchten mussten. Vor denen braucht man sich norma­ler­weise nicht fürchten. Die Heimat verlässt niemand gern«, so ein Tiroler Bauer in Geyr­hal­ters heraus­ra­gendem Film.