03.08.2017

Die Frau, die nicht still­sitzen wollte

Fahrstuhl zum Schafott
Fahrstuhl zum Schafott : Eine ihrer größten Rollen hatte Jeanne Moreau im Film von Louis Malle

Charme, Neugier, Selbstbewusstsein: Zum Tod von Jeanne Moreau

Von Rüdiger Suchsland

Eine hypno­ti­sche Erschei­nung: Strahlend, auch wenn sie nicht lächelte, das Gesicht dominiert vom starken Kinn, das immer ein wenig nach vorn geschoben wirkte, dazu die berühmten Mund­winkel, die Verach­tung ebenso ausdrü­cken konnten wie Ironie. Egal, wo man sie sah und traf, stand Jeanne Moreau im Zentrum. Noch hoch in ihren 80ern drehte sie Filme, allein 2012 waren es vier, noch mit weit über 70 Jahren reiste sie durch die Welt, um hier einen Ehren­preis entge­gen­zu­nehmen, dort eine Retro­spek­tive ihrer Filme zu eröffnen und ein paar Tage lang Inter­views zu geben.

Auch von uns ließ sie sich zweimal inter­viewen – zuletzt vor elf Jahren, als Die Zeit die bleibt, ihr Film mit François Ozon ins deutsche Kino kam. In dem geht es um den Umgang eines jungen Mannes mit dem Sterben. Sehr freimütig sprach Moreau über den eigenen Tod: »Sterben kann man jeden Tag«, meinte sie, die Frage nach dem Tod habe nichts mit dem Alter zu tun. Aber »Das Leben ist ein großer Schatz.«

Selbst­be­wusst­sein und Gelas­sen­heit, auch Expe­ri­men­tier­freude zeich­neten sie aus. Die Grundlage zu diesen Eigen­schaften legte eine glück­liche Kindheit: 1928 geboren, als Tochter eines Franzosen und einer Britin, wuchs die Moreau im fran­zö­si­schen Zentral­massiv auf – inmitten einer wilden Natur. Später erzählte sie gern vom Barfußlaufen im Gebirge, von Über­nach­tungen im Wald, vom Unter­schied zwischen Schlangen und Vipern. Einiges von dieser Wildheit brachte sie nach Paris mit, wohin sie schon während der Zeit der deutschen Besatzung, also mit dreizehn, vierzehn ausriss und wohin sie Ende der 40er Jahre endgültig zog. Dort begann sie am Theater, lernte Cocteau kennen, wurde mit zwanzig das bis dato jüngste Mitglied der Comedie Française, auch dies ein Ausweis der frühen Perfek­tion ihrer Kunst.
Es dauerte nicht lang, da wurde sie fürs Kino entdeckt. Von Anfang an spielte Jeanne Moreau in der ersten Garde des fran­zö­si­schen Kinos, zuerst für klas­si­sche, am Theater orien­tierte Filme, bald aber im Kino des neuen Aufbruchs, aus dem die »Nouvelle Vague« wurde. Sie war ein neuer Frauentyp mit ihrer Auzsstrah­lung, die unor­tho­doxe Schönheit und Intel­li­genz verreinte.

Bei Jacques Becker war sie an der Seite von Jean Gabin in dem großen Gangs­ter­film Touchez pas au grisbi zu sehen, dann in zwei Klas­si­kern des jungen Louis Malle: Fahrstuhl zum Schafott (1957) und Die Liebenden (1958). Es folgten ihre ersten Auftritte bei François Truffaut, die sie unsterb­lich werden ließen: Sie küßten und sie schlugen ihn und Jules und Jim. Aber auch wenn sie dann nochmal für Truffaut und noch zweimal für Malle – bezeich­nen­der­weise nur einmal in einer Neben­rolle für Godard –, vor der Kamera stand, wenn sie zu einer der Musen der Nouvelle Vague wurde, war Jeanne Moreau nicht der Typ, der sich auf dem Erreichten oder irgrend­wel­chen Lorbeern ausruhte. Sie konnte und wollte nicht still­sitzen. Und auch wenn sie in Frank­reich wohnen blieb, hatte die Moreau schon sehr jung Lust, zu expe­ri­men­tieren: In La notte spielte sie bei Antonioni, in Tagebuch einer Kammer­zofe bei Luis Buñuel, in Der Prozeß bei Orson Welles – bei dreien der größten Regis­seure des Kinos.

In den 70ern dann ging sie für ein paar Jahre nach Amerika – ausge­rechnet mit William Friedkin war sie, die alle möglichen Anträge abgelehnt hatte, eine Weile verhei­ratet, auch das einer der vielen rätsel­haften Episoden in diesem Leben.

Später waren es dann weniger inter­es­sante Filme – auch eine Jeanne Moreau musste mit den Beständen rechnen, dem Alter Tribut zollen und der um sich grei­fenden Ödnis, der Ratlo­sig­keit des Auto­ren­films. Querelle immerhin passte durch den Bezug zu Genet. Auftritte bei Wenders und Ange­lo­poulos waren achtbar, blieben aber im Vergleich marginal und konnten ihrer Aura doch nichts anhaben.

Aber sie blieb immer neugierig, hatte Spaß daran, Jeanne Moreau zu sein, und ihr Esprit flackerte immer wieder auf. So spielte sie bei Luc Besson und eben bei François Ozon – zwei Vertreter ganz anderer Gene­ra­tionen, Post-Nouvelle-Vague.

Die Moreau faszi­nierte ihre Regis­seure auch als Männer – mit nicht wenigen soll sie Verhält­nisse gehabt haben, neben den »offi­zi­ellen« mit Louis Malle und Lee Marvin (!). Zugleich war ihre Wirkung immer ambi­va­lent: Der Charme könnte im Nu in eisige Kälte umschlagen, und ihr auch sexuelles Selbst­be­wusst­sein schüch­terte genau so ein, wie es faszi­nierte.

Auch deshalb hat man sie gern als »Femme fatale« bezeichnet – was sie selbst nicht besonders schätzte, schon weil es vom Blick der Männer dominiert war. Tatsäch­lich ging des ihr mehr auf Freiheit und Gleich­be­rech­ti­gung. Und wenn es eine Konti­nuität im Werk dieser Charak­ter­dar­stel­lerin gab, dann dies: Dass sie immer, schon als ganz junge Anfän­gerin, eine ausge­wach­sene Frau war, nie ein Mädchen, nie ganz unschuldig, nie passiv. Und dass sie zugleich, bis ins hohe Alter, verfüh­re­risch blieb, einen Hauch von Laszi­vität auss­strahlte – Jeanne Moreau war nie eine »nette Oma«.

Eine ihrer schönsten Rollen fängt diese grund­sätz­liche Ambi­va­lenz ein: In Die blonde Sünderin spielt sie für Jacques Demy eine Spiel­süch­tige. Wasser­stoff­blond im weißen Sport­wagen, strahlte sie, wenn sie gewonnen hat, heller als die Sonne und wenn sie verlor, sah sie aus wie eine uralte Geis­ter­frau.
Es ist dieses Schillern zwischen zwei Seiten, über deren Verbin­dung man nie ganz klar, das man nie komplett durch­schaut, und das deswegen immer ein Rätsel bleibt, das man erfor­schen möchte, mit dem Jeanne Moreau noch lange im Gedächtnis bleiben wird.