18.08.2016

Brain statt Bytes

Dark Star
John Carpenters Dark Star setzte 1973 LowFiSciFi-Maßstäbe

Warum Low-Fi-Sci-Fi die smartere Science-Fiction ist

Von Gregor Torinus

Roland Emmerich ist mit sich zufrieden. Sein neuster Block­buster Inde­pen­dence Day: Wieder­kehr war mal wieder ein echtes Schnäpp­chen: Läppische 180 Millionen Dollar hat der Science-Fiction-Film gekostet. »Die anderen brauchen dafür immer mindes­tens 200 bis 250 Millionen Dollar, selbst wenn sie etwas anderes sagen«, ließ der gebürtige Schwabe jüngst in einem Interview zum Film verlauten. – Zu »den anderen« gehört aller­dings auch der Ameri­kaner Shane Carruth. Der bewies 2004 mit seinem Sci-Fi-Film Primer, dass es doch noch eine Spur günstiger geht: Sein auf dem Sundance Film Festival mit dem Grand Prize ausge­zeich­neter Debütfilm kostete gerade einmal 7000 Dollar

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Primer entstand zu großen Teilen in der elter­li­chen Garage des Regis­seurs. Im Zentrum der Geschichte stehen zwei Nerds, die aus recht seltsamen Gerät­schaften eine Zeit­ma­schine zusam­men­bas­teln. Als dies gelingt, kommt es zu einer Reihe von Zeit­rei­se­pa­ra­do­xien, die von den beiden Erfindern lebhaft disku­tiert werden. Kenn­zeich­nend für Primer ist der Fokus auf diesen mit den Zeit­reisen verknüpften Para­do­xien, und nicht auf spek­ta­ku­lären Szenarien, wie sie viele bekannte Zeit­rei­se­filme prägen, darunter James Camerons Klassiker Termi­nator von 1984.

So hat Shane Carruth in Primer die Not der Geld­knapp­heit in eine Tugend verwan­delt und damit zugleich einen neuen Trend im Bereich des Science-Fiction-Film initiiert, der insbe­son­dere im Angel­säch­si­schen unter der Bezeich­nung »Lo(w)-Fi Sci-Fi« bekannt wurde.

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Primer ist sozusagen der Prototyp des neuen Subgenres und zugleich selbst bereits ein Sonder­fall. Denn anders als die meisten Filme­ma­cher versteht Shane Carruth tatsäch­lich einiges von Technik: Der studierte Mathe­ma­tiker hatte vor dem Film unter anderen an der Entwick­lung von Flug­si­mu­la­toren mitge­ar­beitet. Zudem hat Carruth sich für Primer noch physi­ka­li­sches Fach­wissen ange­eignet. All dies schlägt sich nieder in Form einer dicken Schicht von oftmals kaum vers­tänd­li­chem Tech-Talk, welches über den Großteil der Spielzeit hinweg die Bildebene über­la­gert.

So ist der Zuschauer damit beschäf­tigt, den fach­li­chen Ausfüh­rungen zu folgen, so dass er kaum wahrnimmt, wenn ein in der Garage stehender Labor­tisch verdächtig nach einer Tisch­ten­nis­platte und die Zeit­ma­schine selbst nach einer Ansamm­lung von Elek­tro­nik­schrott aussieht. Carruth arbeitet mit zahl­rei­chen Ellipsen und einer eher asso­zia­tiven Logik, die den Film in eine ganz eigene Paral­lel­welt entrücken. Dies macht den beson­deren Charme von Primer aus, führt aber auch dazu, dass sich nicht wenige Zuschauer letzt­end­lich ein wenig von Carruth verschau­kelt fühlen.

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Für vergleichs­weise üppige 200.000 Dollar hat 2011 der Ameri­kaner Mike Cahill seinen Low-Fi Sci-Fi-Film Another Earth gedreht. Der Inde­pen­d­ent­film rankt sich wie ein Drama um ein tragi­sches Ereignis; der Sci-Fi-Aspekt ergibt sich erst aus einem der Erde glei­chenden Planeten, der uner­wartet am Himmel auftaucht. Dies wirft eine Reihe inter­es­santer Fragen auf: Gibt es auch von uns selbst dort oben eine zweite Version? Und könnte es sein, dass »Erde 2« doch kein perfektes, sondern ein leicht abwei­chendes Spielbild unserer Erde ist? Wäre es dann nicht möglich, dass unser Schicksal dort oben einen leicht abwei­chenden Verlauf genommen hat? Diese Fragen sollen mittels eines bemannten Fluges zu »Erde 2« geklärt werden, der hingegen gar nicht gezeigt wird. Somit ist das Bild der zweiten Erde fast der einzige »Special Effect« in Carhills intel­li­gentem Film.

Auch sein nächster Film I Origins – Im Auge des Ursprungs ist Low-Fi Sci-Fi, der das Genre als Vehikel benützt, um hoch­in­ter­es­sante Fragen zu stellen. Aller­dings verhebt sich der Filme­ma­cher bei dem Versuch, seine »wissen­schaft­liche Fiktion« in den Bereich des Mysti­schen hinein auszu­dehnen: Die Handlung dreht sich um einen Wissen­schaftler, der die Entwick­lung des Auges erforscht. Er will klären, ob Darwin damit recht hatte, Evolution als zufäl­liges Ereignis aufgrund von Mutation und Selektion anzu­nehmen oder ob ihr eine ziel­ge­rich­tete Steuerung im Sinne des »Intel­li­gent Design« zugrunde liegt. Leider verflacht die inter­es­sante Diskus­sion bei Cahill zu einer plaka­tiven Gegenüber­stel­lung von Religion versus Wissen­schaft und von Mystik versus Ratio­na­lität. So geht es später um das Auge als Tor zur Seele und um Seelen­wan­de­rung.

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Obwohl der Begriff »Low-Fi Sci-Fi« erst jetzt populär wurde, gab es auch schon früher einige Science-Fiction-Filme mit einem äußerst beschei­denen Budget. Ein bekanntes Beispiel ist John Carpen­ters Spiel­film­debüt Dark Star von 1973: Die ursprüng­lich als Studen­ten­film gedrehte – und später um 10 Minuten gestreckt ins Kino gebrachte – Parodie von Stanley Kubricks 2001 – Odyssee im Weltraum entstand für lediglich 60.000 Dollar. Der groteske Höhepunkt des Film besteht in einer schreiend komischen philo­so­phi­schen Diskus­sion zwischen einem Astro­nauten mit einer am Bord befind­li­chen intel­li­genten Bombe, bei der unter anderem Descartes und die Genesis ins Feld geführt werden. Im Gegensatz zu den neueren Low-Fi-Sci-Fi-Filmen, versucht Dark Star dabei keines­wegs, sein geringes Budget zu verschleiern, sondern erhebt eine entspre­chende Ästhetik zum gestal­te­ri­schen Prinzip des Films.

In der Konzen­tra­tion auf philo­so­phi­sche Fragen und auf ein Umfeld, das kaum von unserer gewöhn­li­chen Alltags­rea­lität abweicht, verdanken heutige Low-Fi-Sci-Fi-Filme viel den Werken von Andrej Tarkowski und insbe­son­dere seinem Meis­ter­werk Stalker: Der Film von 1979 zeigt eine Expe­di­tion in eine auf der Erde befind­liche geheim­nis­volle »Zone«, in der die unbe­wussten Wünsche der Menschen wahr werden sollen. Außer, dass es dort recht neblig ist, ist diese Zone optisch nicht erkennbar. Umso inter­es­santer sind die sich dort abspie­lenden Dinge. Jene werden dadurch poten­ziert, dass sich außer dem orts­kun­digen »Stalker« ein Professor und ein Schrift­steller in die Zone begeben.

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Dass »Science-Fiction« ursprüng­lich keines­wegs zwingend mit Aliens und Reisen durchs All verknüpft war, ruft auch Darren Aron­ofskys Debütfilm Pi von 1998 in Erin­ne­rung: Das ebenfalls für nur 60.000 Dollar in grob­kör­nigem Schwarz­weiß gedrehte expe­ri­men­telle Werk ist Low-Fi Sci-Fi par excel­lence: Pi erzählt die Geschichte des para­no­iden Mathe­ma­tik­ge­nies Maxi­mil­lian Cohen, der in der ganzen Welt durch Zahlen gebildete Muster erblickt. Als er bei seinen Forschungen auf die funda­men­tale Bedeutung der Zahl Pi stößt, wird er von Fana­ti­kern gejagt, während er selbst immer mehr dem Wahnsinn anheim fällt. Mit Pi gelingt Aronofsky eine extrem origi­nelle Verschmel­zung von Mathe­matik, Meta­physik und Unter­hal­tung, die längst zu einem Kultfilm avanciert ist.

Auf ähnlichen Pfaden wie Pi wandelt auch Coherence von James Ward Byrkit von 2013. Der Film zeigt eine Dinner­party, bei der ein die Erde passie­render Komet seltsame Phänomene auslöst. Eine Schlüs­sel­rolle spielt hierbei das bekannte Gedan­ken­ex­pe­ri­ment mit »Schrö­din­gers Katze«. Bei Coherence mag sich zwar ein Quan­ten­phy­siker ob der nicht ganz kohä­renten filmi­schen Umsetzung dieses Gedan­ken­spiels zur Veran­schau­li­chung von Quan­ten­pa­ra­do­xien die Haare raufen. Als Film ist das jedoch hoch originell und extrem unter­haltsam. Besonders bemer­kens­wert ist zudem, dass sich Byrkit visuell am unge­fil­terten Realismus der Dogma-Filme orien­tiert und somit denkbar weit von jeder gängigen Main­stream-Sci-Fi-Ästhetik entfernt.

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2013 kam neben Coherence mit Upstream Color auch Shane Carruths zweiter Film nach Primer in die Kinos. In dem auf der Berlinale gezeigten Film präsen­tiert Carruth eine unge­wöhn­liche und oft schwer durch­schau­bare Handlung, bei der diesmal ein myste­riöser, durch bestimmte Orchideen verbrei­teter Parasit im Zentrum steht. Im selben Jahr erschien auch der Low-Fi-Sci-Fi-Film Her von Spike Jonze: Es ist der erste Spielfilm des Regis­seurs, der mit surrealen Werken wie Being John Malkovich (1999) und Adaption (2002) bekannt wurde, zu dem er auch selbst das Drehbuch verfasste. Im Vergleich zu seinen früheren Filmen ist Her bemer­kens­wert leise und subtil. Für sein intel­li­gentes Drehbuch erhielt Jonze 2014 einen Oscar.

In dem in der nahen Zukunft ange­sie­delten Film spielt Joaquin Phoenix den einsamen Ange­stellten Theodore Twombly, der als Ghost­writer Briefe für emotional verschlos­sene Menschen schreibt. Er selbst ist dabei, sich in sein neues Betriebs­system »Samantha« zu verlieben. Die künst­liche Intel­li­genz erwidert Theodores Gefühle. Doch sie besitzt keinen Körper, mit dem sie diese Liebe auch physisch ausleben könnte. Somit bleibt ihr nur ihre verfüh­re­ri­sche Stimme, um mit Theodore zu kommu­ni­zieren. Jene wird im Original von Scarlett Johansson gespro­chen. Johansson war 2013 auch als außer­ir­di­sche künst­liche Intel­li­genz in Jonathan Glazers expe­ri­men­tellen Sci-Fi-Film Under the Skin und 2014 als mensch­liche Intel­li­genz­bestie in Luc Bessons Sci-Fi-Spektabel Lucy zu sehen.

Bei letzterem fährt Besson sein Thema inhalt­lich komplett an die Wand. Trotzdem war der Block­buster aus Frank­reich mit spek­ta­ku­lären Effekten und der sexy Haupt­dar­stel­lerin inter­na­tional so erfolg­reich, dass er von seinen Produk­ti­ons­kosten von 40 Millionen Dollar, weltweit mehr als das Zehnfache wieder einspielte. Aber auch Spike Jonze gelang mit seinem leisen Science-Fiction-Film Her ein achtens­werter kommer­zi­eller Erfolg: Das mit einem Budget von nur 23 Millionen Dollar für rund 10 Prozent der Kosten eines großen Hollywood-Studio­tan­kers gedrehte Sci-Fi-Drama spielte mit 47 Millionen Dollar immerhin gut das Doppelte seiner Produk­ti­ons­kosten ein.

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Low-Fi-Sci-Fi-Filme stellen heute eine echte Alter­na­tive für dieje­nigen Zuschauer dar, die nicht damit einver­standen sind, dass die Begriffe »Science-Fiction« und »Space-Opera« seit Star Wars fast zu Synonymen geworden sind, und deren Interesse eher einer intel­li­genten Handlung als möglichst spek­ta­ku­lären Effekten gilt.