Der Tod des Pelikan |
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OK Mister, sagt Parviz Kimiavi, angesichts des Ölschocks und der Investoren-Invasion in den Iran |
Von Dunja Bialas
Er wollte unbedingt einen Film über den alten Mann in den Ruinen von Tabas machen. »Nein, ich bin nicht verrückt«, ruft der Alte den feixenden Kindern zu. Er singt, brabbelt Unverständliches. »Wurde ich nicht so alt, weil ich so lange auf sie gewartet habe, vierzig Jahre in Ruinen?« Dazwischen werden Pferde geschnitten, die Beine eilen über den Asphalt, die Bilder laufen stumm.
Parviz Kimiavis Kurzdokumentarfilm P wie Pelikan (1971) war eine Erschütterung im iranischen Filmschaffen und ist ein kleines Meisterwerk. Seine experimentelle Montage mit deutlichen Anleihen an die Filmgeschichte, dazu die Hinwendung an die verborgenen Seiten des Landes, an das einfache Volkes, seine Armut und Poetik, statteten sein Kino von Anbeginn mit einer politischen Kraft aus, die immer wieder an Filme wie Luis Buñuels Las Hurdes zu erinnern vermag. Kimiavis Bilder kommen heute aus einer versunkenen Zeit und einer nicht mehr existenten Welt. Ein Erdbeben erschütterte wenige Jahre später Tabas und begrub den alten Mann von den Ruinen und die Kinder, die er gefilmt hatte, zusammen mit 25000 Toten. Wenn das Kino den Tod ansichtig werden lässt, dann ist P wie Pelikan das erschütternde Zeugnis.
Mit Mogholha (1973), seinem Langfilmdebüt, setzte er seine labyrinthische und sich wie ein verschachteltes Muster bewegende Mise-en-scène fort, wie er sie bereits in seinen ersten Kurzfilmen entwickelt hatte. Er wagt kühne Sujetvermischung in der Montage, und feiert die Mises en abyme, zentriert um das Medium selbst, das ihn am meisten interessiert: das Kino – und das aufkommende Fernsehen. In Mogholha wird ein Fernsehregisseur in den Süden Irans geschickt, um eine Übertragungsantenne zu installieren und erhofft sich von der Reise die Möglichkeit, einen Film über die Geschichte des Kinos zu drehen. Seine Frau arbeitet zur selben Zeit an einer Doktorarbeit über die Mongolen – dies sind die Sprungbretter, die der Film nimmt, um in ein mediales, non-diskursives Jenseits der Begriffe zu gelangen: Kimiavi zielt direkt in das Imaginäre des Kinos.
Noch eine Figur wie aus P wie Pelikan: Ein alter Mann in der Wüste, der einen rätselhaften Garten pflegt, in dem scheinbar Steine an den blattlosen Bäumen wachsen. Ist es ein Zufall, dass er sie mit einem Draht verbindet, den er einem Telegrafenmast entwendet? Im Voice over heißt es, nachdem er die Steine an den Bäumen befestigt hat, in märchenhafter Tonlage: »Außer sich vor Freude begann er zu tanzen, es war ein Tanz, den er erfunden hatte.«
»Onirisch« wird das Kino des 1939 in Machad geborenen Parviz Kimiavi genannt, traumhaft, auch traumwandelnd, der Begrifflichkeit entgleitend, oft erscheinen die Figuren seiner Filme wie aus tausendundeiner Nacht. Seine Filme sind aber auch fiktionalisierte ethnographische Beschreibungen, die direkt aus der Mitte des beschriebenen Felds kommen, sind hellsichtige anti-kolonialistische Würfe, die in ihrer Leichtigkeit und ihrem Witz immer wieder auch an das Kino des philippinischen Kino-Erneuerers Kidlat Tahimik erinnern. Und dann plötzlich auch an die Sketche von Monty Python.
OK Mister, sein aberwitziger Spielfilm über einen Archäolgoen, einen Journalisten und eine Frau »voll Anmut und Liebreiz« (Filmmuseum München), beginnt mit den Worten: »Es war einmal.« Und zeigt eine von Manufakturen geprägte Welt, bevor wie in einer Science Fiction »eine seltsame Person« einem Loch entsteigt: Ein Investor, der gekommen ist, »to make money, to exploit«. Es ist die satirische Überspitzung dessen, was als Ölschock 1975 über das Land kam, mit ihm Reichtum, Plastikprodukte, das Fernsehen und das Verschwinden der alten Kultur. Oft schon kündigen sich auch die Veränderungen an, die die islamische Revolution mit sich brachte, die, indem sie ein neues Zeitalter ausrief, eine neue Kultur installierte und das alte Leben unter sich begrub wie die herabstürzenden Häuserbrocken in P wie Pelikan.
»C'est quoi, le cinéma? – Was ist das Kino?«, lässt Kimiavi, der an der Pariser Idhec Film studiert hat, in Deux ou trois choses que je sais d’Iran fragen, ein Film, den er als fünf-Kanal-Installation aus seinen eigenen Filmen kompiliert hat. Seine Verbeugung vor dem großen Kino-Theoretiker André Bazin und dem Kino-Denker Jean-Luc Godard ist aufrichtig. Das Kino als »forme qui pense«, als denkende Form, wie es Godard forderte, fällt selten so leichthändig aus wie bei Parviz Kimiavi.
Werkschau Parviz Kimiavi
9.-12. Juni 2016
Filmmuseum München
Parviz Kimiavi ist an allen Vorstellungen zu Gast.
Kartenvorbestellung unter: Tel: 089 / 23 39 64 50