17.03.2016

Der Kosmos, dem Chaos entrissen

Ik ben Alice
Antlitz und Angesicht: Cosmos von Żuławski liebt die Rätsel, ohne sie jedoch aufzulösen

Zum Tod des französisch-polnischen Regisseurs Andrzej Żuławski zeigt das Filmmuseum München am heutigen Donnerstag, 17.3. um 19 Uhr, noch einmal sein letztes Meisterwerk: Cosmos

Von Dunja Bialas

»Dies Werk nenne ich gern 'eine Erzählung vom Entstehen der Wirk­lich­keit'. Und da ein Krimi­nal­roman eben dies ist – ein Versuch der Orga­ni­sa­tion des Chaos –, also hat Kosmos ein wenig die Form eines Krimi­nal­ro­mans.
Ich lege zwei Ausgangs­punkte fest, zwei Anomalien, sehr vonein­ander entfernte: a ein gehenkter Spatz; b Verbin­dung des Mundes von Katasia mit dem Mund von Lena.
Diese beiden Rätsel werden nach einem Sinn zu verlangen beginne. Das eine wird das andere durch­dringen, nach einer Ganzheit strebend. Ein Prozeß von Vermu­tungen wird beginnen, von Asso­zia­tionen, Verdachts­gründen, etwas wird zu entstehen beginnen, doch womöglich ein unge­heu­er­li­cher Embryo, und diese trübe, unbe­greif­liche Scharade wird nach ihrer Lösung rufen, eine klärende, ordnende Idee suchen.« – Witold Gombro­wicz zu seinem Roman »Kosmos«

Fünfzehn Jahre waren seit seinem letzten Film vergangen. Dann legte Andrzej Żuławski wie aus dem Nichts einen neuen Film auf dem Festival von Locarno vor: Cosmos, eine Verfil­mung des Romans von Witold Gombro­wicz. Ein Feuerwerk, ein Irrwitz, ein Meis­ter­werk, für das Żuławski den Silbernen Leoparden für die beste Regie erhielt. Nur einmal noch sollte Cosmos zu seinen Lebzeiten aufge­führt werden, zwei Vorfüh­rungen waren auf der Woche der Kritik in Berlin vorge­sehen, beide an einem Sonntag: am 14. und 21. Februar. Dazwi­schen schob sich der Tod Żuławskis. Der polnische Regisseur, der über­wie­gend in Paris gelebt hatte, seit dem Verbot seines zweiten Films Diabel (1972) durch die polnische Zensur, verstarb am 17. Februar 2016 in Warschau.

Bei der letzten Vorfüh­rung von Cosmos zu Lebzeiten des Regis­seurs trat der portu­gie­si­sche Produzent Paulo Branco vors Publikum, entschul­digte den Erkrankten und erzählte, wie der Film entstanden war. Er war mit dem Projekt an Żuławski heran­ge­treten, der nach La Fidélité, seinem letzten Werk und filmi­schen Abschieds­brief an seine Frau Sophie Marceau, keinen weiteren Film mehr in Angriff genommen hatte. Statt­dessen verfasste er, wie schon sein Großvater und sein Vater, Literatur und veröf­fent­lichte in Polen einen Skan­dal­roman: »Der Nachttopf«, in dem er von seiner Beziehung mit der Tochter des früheren Außen­mi­nis­ters, der Schau­spie­lerin Weronika Rosati, schrieb. Das Buch wurde schließ­lich verboten. Żuławski war und blieb in seinem eigenen Land ein poète maudit, interdit.

Jetzt sollte Żuławski »Cosmos« des polni­schen Autors Witold Gombro­wicz verfilmen, so Brancos Idee. Der Roman war 1965 entstanden, wenige Jahre vor Żuławskis Filmdebüt Der dritte Teil der Nacht (1971), mit dem er zum ersten Mal Zeugnis ablegte von seiner atemlosen, fiebrigen Erzähl­weise und der Lust an Irr- und Abwegen. Hirn­ge­spinste paaren sich mit blutigem Natu­ra­lismus, histo­ri­scher Dekor mit dem mikro­sko­pi­schen Science-Fiction einer Läuse-Farm. Die Welt fällt in diesem ersten Film in unbän­diger Hast ausein­ander, als entfes­selter Bilder­sturm auf die Kriegs­er­in­ne­rungen seines Vaters, nach denen der Film entstand. Die vibrie­renden Körper, die apoka­lyp­ti­sche Stimmung und der Mensch am Rande des Irreseins kehren auch in seinen späteren Filmen zurück, geradezu monströs in Posses­sion, dem Film, in dem er 1982 eine männer­mor­dende Isabelle Adjani mit einem riesigen Kraken Sex haben lässt. Das Blutüber­strömte, Verwund­bare und Ausweg­lose der Welt verbinden sich zu einem Exzess des Unge­heu­er­li­chen, auch der geteilten Stadt Berlin, die der Film als morbiden und mordenden Schau­platz insze­niert.

Gehetzt und verfolgt, auf ihren Irrwegen ins Monströse hinein­glei­tend, waren viele Figuren Żuławskis. In dem Film, der ihn aus Polen verbannte, Diabel, wird sein Prot­ago­nist vom Teufel heim­ge­sucht und in der dem Chaos anheim­fal­lenden Welt des 18. Jahr­hun­derts zum Königs­mörder. Żuławskis Filme sind dunkel, besonders dunkel auch der hier­zu­lande wohl bekann­teste, Nacht­blende von 1975 mit Romy Schneider und dem dämo­ni­schen Klaus Kinski, ange­sie­delt in der halb­schat­tigen Porno-Welt.

Mit Cosmos wandte sich Żuławski am Ende noch einmal dem Licht zu. In Frank­reich am Meer gedreht, vereint der Film einen weiten Himmel und die sattgrüne Natur mit überaus hellem Irr- und in Phoneme zerfal­lendem Sprach­witz. In der fieber­haften Unrast der Figuren beginnen die Konstel­la­tionen Karussell zu fahren, ange­sta­chelt von Sabine Azéma als hyper­ven­ti­lie­render Pensi­ons­wirtin. Dem allen entweicht der melan­cho­li­sche Pensi­ons­vater (Jean-François Balmer) in den Trost der Natur und in ein »tiri­lie­rendes« Delirium, in dem sich die Sprache in Absur­dität auflöst: Tiri-tiri-tiri. Der am Ende dem Chaos aller Logik zum Trotz entris­sene Kosmos birgt seinen eigenen Wider­spruch: er ist und ist zugleich nicht. – Die absurde Komö­di­en­haf­tig­keit des Romans gliedert sich mühelos ein in das filmische Universum des Żuławski: Fast als hätte der Text nur auf die Verfil­mung gewartet, und, welch ein Glück, dass es dazu noch kam.

»Ist Wirk­lich­keit ihrem Wesen nach zwangs­vor­stell­haft? Ange­sichts dessen, dass wir unsere Welten aufbauen, indem wir Erschei­nungen asso­zi­ieren, würde es mich nicht wundern, wenn am Uranfang der Zeiten eine zweifache Asso­zi­ie­rung gewesen wäre. Sie bringt die Richtung ins Chaos hinein und ist der Anfang der Ordnung.« – Witold Gombro­wicz

Żuławski sollte man jetzt wieder zeigen. Viel­leicht, weil man mit seinem Tod einen Anlass hat, mehr noch aber, weil seine Filme Para­digmen eines befreiten Kinos sind, das heute sehr frisch und ungestüm auf uns herein­bricht, Verwun­de­rung auslösend darüber, was und wen wir alles verloren haben. Man sollte sein Werk wieder sehen, ebenso das anderer Regis­seure der ersten, zweiten oder dritten polni­schen Welle (ob Neue Welle, Drittes polni­sches Kino, Kino der Jungen Kultur): Die Kurzfilme Roman Polanskis und das Frühwerk Jerzy Skoli­mow­skis (der auf dem Festival in Rotterdam noch mal einen Film vorge­stellt hat, 11 minut), und unbedingt Krzysztof Zanussis Die Struktur des Kristalls und Illu­mi­n­acja – Illu­mi­na­tion über einen Wissen­schaftler, der an der Unbe­re­chen­bar­keit der eigenen Physis scheitert. Ein kreatives Aus- und Aufbre­chen aus einem eng und enger werdenden Korsett: das wirkt auch heute befreiend für die Seele.