Schwellen der Verheißung |
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Für diese Szene hat man die vierte Wand weggenommen: David Finchers Panic Room |
»Here’s Johnny!« Klopfen, Schläge, Schreie. Immer wieder hämmert die Axt gegen die Tür... Drinnen im Badezimmer kauert eine Frau in Panik; draußen steht ein Mann mit weit aufgerissenen Augen und einem irgendwie wahnsinnigen Gesichtsausdruck. Und vor allem: Mit einer riesigen Feuerwehraxt in den Händen. Es ist der pure Horror: Er will hinein, sie kann nicht hinaus, und die Grenze zwischen ihnen ist eine weiße Holztür, die minutenlang systematisch zu Brei geschlagen wird.
Diese Szene an der Badezimmertür ist der Schlüsselmoment in Shining, Stanley Kubricks Psychohorrorthriller um einen Schriftsteller, der mit seiner Familie in einem gottverlassenen und ein bisschen mysteriösen Hotel haust und dort allmählich durchdreht. Wenn die Tür dann endlich erwartbar entzwei geht, wird auch die Grenze zwischen Wirklichkeit und Wahn zerschlagen.
Türen sind in Shining ein zentrales Motiv. Es gibt ihrer sehr viele. In einer Szene wird die Tür zu einer Tafel, auf der eine Warnung geschrieben steht: »Redrum« also verkehrt herum das englische Wort für »Mord«. Meist aber bilden Türen bei Kubrick Grenzen und Übergangschwellen zwischen Bewusstseinszuständen.
Grundsätzlich sind Türen im Kino Elemente des Übergangs, die den Filmfiguren und damit uns Zuschauern Blickrichtungen und Bewegungsmöglichkeiten vorführen. Sie markieren Chancen, aber auch Gefahren und Hindernisse. Technisch funktionieren Türen, die sich öffnen oder schließen, im Film wie Bildschnitte: Sie verbinden zwei unzusammenhängende Szenen und Welten; sie sind innere Montageelemente des Kinos.
Natürlich kommen in fast allen Filmen irgendwelche Türen vor. Denn sie sind Teil des täglichen Lebens. Über den Komödienmeister Ernst Lubitsch etwa lästerten enttäuschte Schauspieler, er interessiere sich ja in seinen flotten Gesellschaftskomödien im Grunde nur für dauerndes Türenschlagen. Aber bestimmte Genres scheinen für Türen besondere Verwendung zu haben. Dabei zeigt sich gerade das Genre des Horrorfilms und des Psychothrillers als besonders interessiert an Tür-Motiven. Türen bilden Grenzen, die mal Versuchung, mal Bedrohung sein können – aber immer sind sie Orte des Übergangs von einem Realitätsstadium in ein anderes. Tatsächlich sind es Horror, Thriller und der »Phantastische Film« (schöner antiquierter Ausdruck), in denen sich immer wieder alles um Türen dreht. In diesen Filmen werden sie zu eigenen Akteuren, zu Teilen der Handlung.
Besonders auffällig in einem Klassiker des Genres: Ernest B. Schoedsacks und Merian C. Coopers The Most Dangerous Game entstand 1932 eigentlich als Nebenprodukt zu deren King Kong, also parallel und oft in den gleichen Kulissen, zu Teilen mit den gleichen Darstellern drehte man diesen RKO-Thriller nach Richard Connells Roman über einen verrückten jagdbesessenen Grafen und dessen Menschenjagd auf Schriffbrüchige. Während noch die Titel-Credits laufen ist eine große schwere Holztür zu sehen, die sich später als Eingangstor zum Schloß des Wahnsinnigen entpuppt. Der robuste Türknauf hat die Form eines Monsters mit schmerzverzerrtem Teufelsantlitz. Er trägt den toten Christus, und in sein Herz ist ein Pfeil eingedrungen.
Auch Friedrich Wilhelm Murnau sagt man nach, dass in seinen Filmen immer wieder Tore, Pforten, Türen, Schubläden und Deckel zu sehen sind, die sich öffnen und schließen – sie sind immer auch Zugänge in verschlossene Reiche unserer Seele.
Oder in der klassischen Edgar-Wallace-Verfilmung »Die Tür mit den sieben Schlössern«. Der Film von Alfred Vohrer ist grandioser 60er-Jahre-Tash und weist Dialogpassagen von geradezu Reineckerhafter Redundanzvariation auf:
»Sagen Sie Inspektor, ich will wirklich nicht neugierig sein, aber Sie suchen doch hier etwas ganz Bestimmtes«
»Ja. Eine Tür mit sieben Schlössen.«
»Also: was ist mit der Tür?«
»Also das war ne ganz alte dicke Tür. Aber mit sieben modernen Schlössern.«
(Dialogausschnitt)
Türen sind im Kino aber selten reine MacGuffins, sondern in allererster Linie Schwellen von einer Welt in einer andere. Etwa in der Kino-Schauermär Die Tür von 2009, in der ein verzweifelter Vater sich die Schuld daran gibt, dass er seine Tochter nicht vor dem Ertrinken retten konnte. Dann entdeckt er eine Tür, die ihm und seiner Tochter eine zweite Chance bietet, die Möglichkeit eröffnet, alles noch einmal und besser zu machen – er wird ein anderer, die Welt um ihn herum aber natürlich auch.
Es ist das klassische, doch immer wieder faszinierende Motiv des Genrekinos, dass der Schritt durch rätselhafte Türen, denjenigen, der ihn wagt, in parallele Welten oder in andere Zeiten führt, die oft besser sind als jene, die er gerade hinter sich gelassen hat. Meist sind solche Paralleluniversen einem Wunschtraum entwachsen – gelegentlich sind es aber auch dunkle Welten, die eine Figur zu sich hinüberziehen. Mitunter sogar in den Tod. Türen sind da auch Ankündigungen, Verheißungen. Sie geben Zugang. Sind sie geschlossen, wecken sie Neugier.
Weit über den Horrorfilm hinaus arbeitet das Kino mit dem entgegengesetzten Motiv einer fest verschlossenen, theoretisch unzugänglichen Tür, deren Öffnung streng verboten ist. Um so verführerischer scheint der Zugang. Aber manchmal sind solche Öffnungen auch bedrohlich. Die Räume hinter den Türen enthalten etwas, das man besser nicht genau kennen will, ein Geheimnis, an das man nicht rühren möchte: Zuletzt war es der Mexikaner Guillermo del Toro, der in Crimson Peak ein solches Szenario konstruierte, in dem ein ganzes Haus aus verschlossenen Türen bestand, hinter denen sich grauenhafte Familiengeheimnisse verbargen.
»Diese Tür muss immer verschlossen bleiben. Der Teufel schläft nicht«, so heißt es sehr früh in Hotel, dem zweiten Spielfilm von Jessica Hausner. Wie in dem auch stilistisch verwandten Film Ulrich Köhlers Montag kommen die Fenster wird ein abgelegenes Hotel zum symbolischen Ort des Übergangs, der Lebenspassage wird.
Von innen betrachtet können verschlossene Türen aber auch beschützen. Dem amerikanischen Thriller-Regisseur David Fincher gelang mit Panic Room eine Geschichte, in der sich eine Frau mit ihrer Tochter (übrigens: Kristin Stewart in einem ihrer ersten Auftritte) vor Verbrechern in einen total sicheren Raum flüchtet – doch gerade dieser Ort absoluter Sicherheit wird den beiden dann zur Falle und zum fast tödlichen Gefängnis.
Panic Room ist ein anspruchvoller, philosophischer Thriller. Der Meister dieser Art von Filmen war Alfred Hitchcock. Bei ihm sind verschlossene Türen immer wieder Symbole für beides: Für Schutz wie Gefangenschaft, Hineinlassen wie das Außen-vor-bleiben. Vor allem sind die Türen Hitchcocks aber Einlasspforten für das Unbewusste, Tore in einen anderen Bewusstseinszustand.
Sein Klassiker Rebecca beginnt damit dass sich die Titelfigur in die Vergangenheit zurückträumt, dass sie sich an den Ort namens Manderlay erinnert, in dem sie unvergleichliche Erfahrungen des Glücks und des Schreckens gemacht hat. Es gebe kein Zurück, sagt sie – doch dann steht sie vor der Eingangstür des Hauses die für sie zur Startrampe einer Erinnerungszeitreise wird:
»Last night I dreamt, I went to Manderlay again... We can never go back to Manderlay again, that much is certain. But sometimes, in my dreams, I do go back to the strange days of my life.«
Die eigentliche Hauptrolle in Rebecca spielen nicht Joan Fontaine, nicht Lawrence Olivier, sondern eben dieses Haus namens »Manderlay«. Es ist dominiert von einer dunklen Vergangenheit – und es
birgt ein ganzes Arsenal von verschlossenen Türen. Türen, die zu verbotenen Zimmern führen; Türen, die sich plötzlich öffnen; Türen, die Geheimnisse bergen. Letztlich Türen ins Verdrängte, ins Unterbewusstsein.
Bei Hitchcock gibt es so etwas oft. In seinem poetischen Film Vertigo – nach Ansicht nicht weniger der beste Film der Filmgeschichte – öffnet die von James Stewart gespielte Hauptfigur Scottie, nachdem er Madeleine, der Frau seiner Phantasie, dorthin gefolgt ist, eine Tür zu einem dunklen Gang und am Ende dieses Ganges eine weitere Tür. Sie gibt den Blick in einen farbenprächtigen Blumenladen frei. Und dort sieht er Madeleine, schön und verführerisch wie nie zuvor.
Solcher Schritt durch eine Tür zwischen zwei gegensätzlichen Welten, der wie eine Initiation ist, steht in der Tradition von Lewis Carolls »Alice in Wonderland«. Natürlich ist dieser Schritt, diese Grenzüberscheitung auch eine Persönlichkeitsverwandlung, ein Schritt des Erwachsenwerdens.
Eine amerikanische und sehr sehr kinoaffine Variante dieses Märchens um ein junges Mädchen, dass sich allein durch die Kraft der Phantasie in eine zauberhafte Parallelwelt versetzt, ist Victor Flemmings The Wizard of Oz. Dort gerät das All-American Girl Dorothy zunächst in einen Tornado, und öffnet dann dessen Ende die Tür ihres Hauses: Und plötzlich zwitschern die Vögel und es wandelt sich
das Schwarzweißbild zu einem kunterbunten Technicolor-Reich.
Eine schönere, fröhlichere Türschwelle hat es auf der Leinwand nie gegeben.