24.12.2015

Schwellen der Verheißung

David Finchers PANIC ROOM
Für diese Szene hat man die vierte Wand weggenommen: David Finchers Panic Room

Macht hoch die Tür, die Tor macht weit – Einlasspforten für das Unbewusste: Motivische Bedeutungsfacetten der Tür im Kinofilm

Von Rüdiger Suchsland

»Here’s Johnny!« Klopfen, Schläge, Schreie. Immer wieder hämmert die Axt gegen die Tür... Drinnen im Bade­zimmer kauert eine Frau in Panik; draußen steht ein Mann mit weit aufge­ris­senen Augen und einem irgendwie wahn­sin­nigen Gesichts­aus­druck. Und vor allem: Mit einer riesigen Feuer­wehraxt in den Händen. Es ist der pure Horror: Er will hinein, sie kann nicht hinaus, und die Grenze zwischen ihnen ist eine weiße Holztür, die minu­ten­lang syste­ma­tisch zu Brei geschlagen wird.

Diese Szene an der Bade­zim­mertür ist der Schlüs­sel­mo­ment in Shining, Stanley Kubricks Psych­o­hor­ror­thriller um einen Schrift­steller, der mit seiner Familie in einem gott­ver­las­senen und ein bisschen myste­riösen Hotel haust und dort allmäh­lich durch­dreht. Wenn die Tür dann endlich erwartbar entzwei geht, wird auch die Grenze zwischen Wirk­lich­keit und Wahn zerschlagen.

Türen sind in Shining ein zentrales Motiv. Es gibt ihrer sehr viele. In einer Szene wird die Tür zu einer Tafel, auf der eine Warnung geschrieben steht: »Redrum« also verkehrt herum das englische Wort für »Mord«. Meist aber bilden Türen bei Kubrick Grenzen und Über­gang­schwellen zwischen Bewusst­seins­zu­ständen.

Innere Monta­ge­ele­mente des Kinos

Grund­sätz­lich sind Türen im Kino Elemente des Übergangs, die den Film­fi­guren und damit uns Zuschauern Blick­rich­tungen und Bewe­gungs­mög­lich­keiten vorführen. Sie markieren Chancen, aber auch Gefahren und Hinder­nisse. Technisch funk­tio­nieren Türen, die sich öffnen oder schließen, im Film wie Bild­schnitte: Sie verbinden zwei unzu­sam­men­hän­gende Szenen und Welten; sie sind innere Monta­ge­ele­mente des Kinos.

Natürlich kommen in fast allen Filmen irgend­welche Türen vor. Denn sie sind Teil des täglichen Lebens. Über den Komö­di­en­meister Ernst Lubitsch etwa lästerten enttäuschte Schau­spieler, er inter­es­siere sich ja in seinen flotten Gesell­schafts­komö­dien im Grunde nur für dauerndes Türen­schlagen. Aber bestimmte Genres scheinen für Türen besondere Verwen­dung zu haben. Dabei zeigt sich gerade das Genre des Horror­films und des Psycho­thril­lers als besonders inter­es­siert an Tür-Motiven. Türen bilden Grenzen, die mal Versu­chung, mal Bedrohung sein können – aber immer sind sie Orte des Übergangs von einem Realitäts­sta­dium in ein anderes. Tatsäch­lich sind es Horror, Thriller und der »Phan­tas­ti­sche Film« (schöner anti­quierter Ausdruck), in denen sich immer wieder alles um Türen dreht. In diesen Filmen werden sie zu eigenen Akteuren, zu Teilen der Handlung.

Besonders auffällig in einem Klassiker des Genres: Ernest B. Scho­ed­sacks und Merian C. Coopers The Most Dangerous Game entstand 1932 eigent­lich als Neben­pro­dukt zu deren King Kong, also parallel und oft in den gleichen Kulissen, zu Teilen mit den gleichen Darstel­lern drehte man diesen RKO-Thriller nach Richard Connells Roman über einen verrückten jagd­be­ses­senen Grafen und dessen Menschen­jagd auf Schriff­brüchige. Während noch die Titel-Credits laufen ist eine große schwere Holztür zu sehen, die sich später als Eingangstor zum Schloß des Wahn­sin­nigen entpuppt. Der robuste Türknauf hat die Form eines Monsters mit schmerz­ver­zerrtem Teufel­s­ant­litz. Er trägt den toten Christus, und in sein Herz ist ein Pfeil einge­drungen.

Auch Friedrich Wilhelm Murnau sagt man nach, dass in seinen Filmen immer wieder Tore, Pforten, Türen, Schub­läden und Deckel zu sehen sind, die sich öffnen und schließen – sie sind immer auch Zugänge in verschlos­sene Reiche unserer Seele.

Oder in der klas­si­schen Edgar-Wallace-Verfil­mung »Die Tür mit den sieben Schlös­sern«. Der Film von Alfred Vohrer ist gran­dioser 60er-Jahre-Tash und weist Dialog­pas­sagen von geradezu Reine­ck­er­hafter Redun­danz­va­ria­tion auf:

»Sagen Sie Inspektor, ich will wirklich nicht neugierig sein, aber Sie suchen doch hier etwas ganz Bestimmtes«
»Ja. Eine Tür mit sieben Schlössen.«
»Also: was ist mit der Tür?«
»Also das war ne ganz alte dicke Tür. Aber mit sieben modernen Schlös­sern.«
(Dialog­aus­schnitt)

Eingänge zur Verwand­lung

Türen sind im Kino aber selten reine MacGuf­fins, sondern in aller­erster Linie Schwellen von einer Welt in einer andere. Etwa in der Kino-Schau­ermär Die Tür von 2009, in der ein verzwei­felter Vater sich die Schuld daran gibt, dass er seine Tochter nicht vor dem Ertrinken retten konnte. Dann entdeckt er eine Tür, die ihm und seiner Tochter eine zweite Chance bietet, die Möglich­keit eröffnet, alles noch einmal und besser zu machen – er wird ein anderer, die Welt um ihn herum aber natürlich auch.

Es ist das klas­si­sche, doch immer wieder faszi­nie­rende Motiv des Genre­kinos, dass der Schritt durch rätsel­hafte Türen, denje­nigen, der ihn wagt, in parallele Welten oder in andere Zeiten führt, die oft besser sind als jene, die er gerade hinter sich gelassen hat. Meist sind solche Paral­lel­uni­versen einem Wunsch­traum entwachsen – gele­gent­lich sind es aber auch dunkle Welten, die eine Figur zu sich hinüber­ziehen. Mitunter sogar in den Tod. Türen sind da auch Ankün­di­gungen, Verheißungen. Sie geben Zugang. Sind sie geschlossen, wecken sie Neugier.

Unüber­wind­liche Grenzen

Weit über den Horror­film hinaus arbeitet das Kino mit dem entge­gen­ge­setzten Motiv einer fest verschlos­senen, theo­re­tisch unzu­gäng­li­chen Tür, deren Öffnung streng verboten ist. Um so verfüh­re­ri­scher scheint der Zugang. Aber manchmal sind solche Öffnungen auch bedroh­lich. Die Räume hinter den Türen enthalten etwas, das man besser nicht genau kennen will, ein Geheimnis, an das man nicht rühren möchte: Zuletzt war es der Mexikaner Guillermo del Toro, der in Crimson Peak ein solches Szenario konstru­ierte, in dem ein ganzes Haus aus verschlos­senen Türen bestand, hinter denen sich grau­en­hafte Fami­li­en­ge­heim­nisse verbargen.

»Diese Tür muss immer verschlossen bleiben. Der Teufel schläft nicht«, so heißt es sehr früh in Hotel, dem zweiten Spielfilm von Jessica Hausner. Wie in dem auch stilis­tisch verwandten Film Ulrich Köhlers Montag kommen die Fenster wird ein abge­le­genes Hotel zum symbo­li­schen Ort des Übergangs, der Lebenspas­sage wird.

Von innen betrachtet können verschlos­sene Türen aber auch beschützen. Dem ameri­ka­ni­schen Thriller-Regisseur David Fincher gelang mit Panic Room eine Geschichte, in der sich eine Frau mit ihrer Tochter (übrigens: Kristin Stewart in einem ihrer ersten Auftritte) vor Verbre­chern in einen total sicheren Raum flüchtet – doch gerade dieser Ort absoluter Sicher­heit wird den beiden dann zur Falle und zum fast tödlichen Gefängnis.

Panic Room ist ein anspruch­voller, philo­so­phi­scher Thriller. Der Meister dieser Art von Filmen war Alfred Hitchcock. Bei ihm sind verschlos­sene Türen immer wieder Symbole für beides: Für Schutz wie Gefan­gen­schaft, Hinein­lassen wie das Außen-vor-bleiben. Vor allem sind die Türen Hitch­cocks aber Einlass­pforten für das Unbe­wusste, Tore in einen anderen Bewusst­seins­zu­stand.

Pforten ins Verdrängte

Sein Klassiker Rebecca beginnt damit dass sich die Titel­figur in die Vergan­gen­heit zurück­träumt, dass sie sich an den Ort namens Manderlay erinnert, in dem sie unver­gleich­liche Erfah­rungen des Glücks und des Schre­ckens gemacht hat. Es gebe kein Zurück, sagt sie – doch dann steht sie vor der Eingangstür des Hauses die für sie zur Start­rampe einer Erin­ne­rungs­zeit­reise wird: »Last night I dreamt, I went to Manderlay again... We can never go back to Manderlay again, that much is certain. But sometimes, in my dreams, I do go back to the strange days of my life.«
Die eigent­liche Haupt­rolle in Rebecca spielen nicht Joan Fontaine, nicht Lawrence Olivier, sondern eben dieses Haus namens »Manderlay«. Es ist dominiert von einer dunklen Vergan­gen­heit – und es birgt ein ganzes Arsenal von verschlos­senen Türen. Türen, die zu verbo­tenen Zimmern führen; Türen, die sich plötzlich öffnen; Türen, die Geheim­nisse bergen. Letztlich Türen ins Verdrängte, ins Unter­be­wusst­sein.

Bei Hitchcock gibt es so etwas oft. In seinem poeti­schen Film Vertigo – nach Ansicht nicht weniger der beste Film der Film­ge­schichte – öffnet die von James Stewart gespielte Haupt­figur Scottie, nachdem er Madeleine, der Frau seiner Phantasie, dorthin gefolgt ist, eine Tür zu einem dunklen Gang und am Ende dieses Ganges eine weitere Tür. Sie gibt den Blick in einen farben­präch­tigen Blumen­laden frei. Und dort sieht er Madeleine, schön und verfüh­re­risch wie nie zuvor.

Solcher Schritt durch eine Tür zwischen zwei gegen­sätz­li­chen Welten, der wie eine Initia­tion ist, steht in der Tradition von Lewis Carolls »Alice in Wonder­land«. Natürlich ist dieser Schritt, diese Gren­züber­schei­tung auch eine Persön­lich­keits­ver­wand­lung, ein Schritt des Erwach­sen­wer­dens.

Eine ameri­ka­ni­sche und sehr sehr kino­af­fine Variante dieses Märchens um ein junges Mädchen, dass sich allein durch die Kraft der Phantasie in eine zauber­hafte Paral­lel­welt versetzt, ist Victor Flemmings The Wizard of Oz. Dort gerät das All-American Girl Dorothy zunächst in einen Tornado, und öffnet dann dessen Ende die Tür ihres Hauses: Und plötzlich zwit­schern die Vögel und es wandelt sich das Schwarz­weiß­bild zu einem kunter­bunten Tech­ni­color-Reich.
Eine schönere, fröh­li­chere Türschwelle hat es auf der Leinwand nie gegeben.