Bon baisers à bientôt |
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Don’t miss it: Die 3. Late Night Film Lecture der Filmkunstwochen widmet sich den Vorläufern der Musikvideos |
Von Dunja Bialas
Kinobetreiber fürchten nichts so sehr wie einen schlechten Filmjahrgang und einen schönen Sommer. Dann bricht das ohnehin unkalkulierbare Geschäft ein. Vor etlichen Jahren war es noch so, dass man als Kinobetreiber in den Sommermonaten am liebsten gleich ganz zugemacht hätte: Laue Luft traf auf maue Filme. Eine denkbar schlechte Kombination.
In den goldenen Kinojahren der 50er, als die wenigsten Privathaushalte über Fernseher verfügten und die Kinos wahre Paläste mit 700 Sitzplätzen und mehr waren – war dies auch schon so. Fritz Falter, der in München sein »Studio für Filmkunst« betrieb und der im Meilenstein-Buch über die jüngere Münchner Kinogeschichte »Neue Paradiese für Kinosüchtige« »der eigentliche Pionier der anspruchsvollen Filmkunst in München« genannt wird, hatte deshalb die Idee, im Sommer einfach noch mal zu zeigen, was an schönen Filmen übers Jahr über die Leinwand gelaufen war. Er erfand 1953 die Filmkunstwochen München, in denen sich Kinobetreiber der Stadt zusammentaten und ein Programm aus Repertoirefilmen und bis dato ungesehenen Werken zeigten.
Bis vor wenigen Jahren organisierten dieses in Deutschland einzigartige und für das Selbstbewusstsein der Münchner Kinoszene so vielsagende Sommerfestival die Kinobetreiber in eigener Regie. Louis Anschütz, der das Studio Isabella 1980 als eines der Filmkunst-Studios von Fritz Falter übernommen hatte, war selbst einmal der Organisator der Filmkunstwochen und zeigte bei ihnen zur Sommerzeit 400 verschiedenen Filme. Ein Wahnsinn.
Der bis heute anhält. In seinem 63. Jahr zeigen die Filmkunstwochen jeden Abend einen anderen spanischen Film im Original, selbstverständlich im Studio Isabella und ausgewählt von Louis Anschütz. Andere Programme sind ähnlich überbordend-kenntnisreich. Denn auch wenn die Filmkunstwochen mittlerweile von Nicht-Kinobetreibern organisiert werden (bis vor zwei Jahren machten dies Michi Linninger und Roxana Panetta, seit letztem Jahr wurde mir die leitende Organisation übertragen), das Prinzip wurde beibehalten: Die Kinobetreiber sorgen selbst für ihr vielfältiges und ausgefallenes Sommerprogramm, das bei so manch einem durchaus auch als Visitenkarte gelten darf.
Vom traditionellen Repertoire-Programm, das einfach die besten oder liebsten Filme des vergangenen Jahres zeigte, ist man in den letzten beiden Jahren etwas abgerückt. Im Zeitalter von DVD, Video on Demand und anderen Quellen, über die man Filme sehen kann, hat sich diese Art von Bereithaltung aktueller, jedoch bereits abgespielter Filme erübrigt. Die Kinoauswertung von Filmen ist heute nur noch ein kurzer Wimpernschlag. Das Programm der 63. Filmkunstwochen geht die veränderten Verhältnisse aufrecht an und hat sich in diesem Jahr mehr denn je zu einem regelrechten Festivalprogramm aufgeschwungen: Louis Anschütz zeigt in seinem Studio Isabella den Länderschwerpunkt (Spanien), Thomas Kuchenreuther hält im ABC Kino die Retrospektive bereit (Joel & Ethan Coen), Gästen begegnet man im Rio Filmpalast bei Elisabeth Kuonen-Reich, Christian Pfeil und Markus Eisele sorgen für Filmklassiker im Arena-Kino, Marlies Kirchner zeigt Matineen im Theatiner, das Rottmann einen Themenschwerpunkt (Kunst) und das City/Atelier an der »Feierbanane« Sonnenstraße macht Events und Specials. Und das Filmeck Gräfelfing, das mit Werner Scholz auch schon seit Urzeiten bei den Filmkunstwochen mitspielt, zeigt vor den Toren der Stadt Filmkunst.
Auch wenn der »Speckgürtel«, wie die Umgebung von München so gerne genannt wird, aus der innerstädtischen Perspektive gerne mal aus dem Blickfeld gerät, sei gesagt: da braut sich was zusammen. Am 23. Juli erreichte uns die Pressemitteilung mit dem Betreff: »Germering im Kinofieber – das Cineplex Kino in Germering startet am 23.7. seinen Probebetrieb.« Einen Katzensprung von Gräfelfing entfernt werden bald 800 Sitzplätze vor sieben Leinwänden für Popcorn-Kino sorgen. Wenn man bedenkt, dass auch in Pasing ein Cineplex mit über 1800 Sitzplätzen und zwölf Sälen geplant ist, dann wird von allen zuerst das Filmeck Gräfelfing und das Rex-Kino in Laim von der neuen Multiplex-Welle unterspült werden. Mit tsunamiähnlichen Auswirkungen bis in die Münchner Innenstadt hinein; es ist zu erwarten, dass die Welle der Vorstadt das Mathäser am ärgsten treffen wird.
Noch ist es aber nicht soweit. Auch wenn das Filmeck Gräfelfing in der letzten Woche nicht mehr dabei ist, haben doch in den vergangenen Wochen die Filmkunstwochen auch vor den Toren der Stadt noch das Bewusstsein für handgemachte Programme und ausgewählte Filme geschärft. In der Stadt gehen die Filmkunstwochen indes in die letzte Runde. Abschließend seien noch ein paar Filmtipps für den Endspurt vorgestellt.
Gleich heute gibt es einen Höhepunkt der Filmkunstwochen zu erleben: die 3. Late Night Film Lecture mit der Präsentation von Scopitones. Bernd Brehmer, einer der Mitbetreiber des Werkstattkinos, ist auch Filmsammler und hat in den letzten Jahren eine ansehnliche Sammlung aus 60er-Jahre-Streifen zusammengetragen, die als Vorläufer der Musikvideos gelten dürfen. »Scopitones«, wie sie heißen, wurden von Jukebox-ähnlichen Apparaturen gespielt, die auf öffentlichen Plätzen zu finden waren. Off the record waren sie bislang nur als Einstieg in eine lange Nacht im Werkstattkino zu sehen, heute zeigt Bernd Brehmer sie zum ersten Mal öffentlich in München (Do. 06.08., 22:30 Uhr, Atelier1). Das Motto: leicht beschürzt singt es sich befreiter oder: »Bon baiser à bientôt«, wie eines der entzückendsten Lieder heißt.
Die Filmkunstwochen als einstige Bastion des Repertoires zeigt heute zunehmend ausgefallene Filme und Programme. Dazu gehört auch Tanger – Die Legende einer Stadt von Peter Goedel, den er 1998 realisierte. In ihm wendet er sich der mythischen Stadt von Paul Bowles, Tennessee Williams, Allen Ginsberg und William S. Borroughs zu, dem »Grandhotel Abstieg«. Der Film enthält eines der letzten Interviews mit Paul Bowles, Armin Müller-Stahl spielt einen erratischen Geheimagenten (So. 09.08., 11:00 Uhr, Theatiner, OmU, 35mm!).
Previews haben dieses Jahr einen großen Programmpunkt eingenommen. Jetzt, noch vor dem Urlaub und bevor die stressige Herbstzeit mit Schulbeginn und Arbeitskoller beginnt, können bei den Filmkunstwochen noch ein paar Filme der nächsten Saison zwischen Isarbad und Biergarten genossen werden. In der letzen Woche sind das 45 Years mit Charlotte Rampling (Do. 06.08., 21:15 Uhr, City/Atelier, OmU), Das Märchen der Märchen von Matteo Garrone, Eröffnungsfilm von Cannes (Sa. 08.08., 19:30 Uhr, ABC, DF), Trainwreck – The Dating Queen mit Sitcom-Star Amy Schumer. »Trainwreck« kann man übrigens ungefähr paraphrasieren als »total fucking desaster« (Di. 11.08., 21:45 Uhr, ABC, DF). Queen of Desert, das umstrittene Nicole-Kidman-Wüstenprojekt von Werner Herzog, ist am Mi. 12.08. um 19:30 und 22:15 Uhr im ABC sehen. Mit dem chilenischen El Club von NO!-Regissuer Pablo Larraín (Di. 11.08., 21:15 Uhr, Atelier/City, OmU, No! läuft am Fr. 07.08. um 18:00 Uhr im Studio Isabella, OmU) und dem costa-ricanischen Por las plumas, einer Komödie mit einem Kampfhahn, der zum Schoßhündchen mutiert (Mi. 12.08., 18:30 und 22:30 Uhr, Studio Isabella, OmU). So kann man »Los Filmkunst Wochos« dann stilgerecht ausklingen lassen.
63. Filmkunstwochen München, gefördert durch das Kulturreferat der Landeshauptstadt München. Noch bis 12. August 2015 in den Kinos ABC, Arena, Atelier / City, Neues Rottmann, Rio Filmpalast, Studio Isabella, Theatiner.
Das ganze Programm: www.filmkunstwochen-muenchen.de