ADIDAS, MCDONALD’S & BUDWEISER präsentieren: Der artechock-Text zu FIFAs UNITED PASSIONS! |
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Spiel, Spaß, Spannung |
Von Anna Edelmann & Thomas Willmann
»You always forgive, just as one should never forget.«
Sepp Blatter steht im Schlafzimmer vor dem Spiegel, rückt die Krawatte, zupft die Manschetten.
Schon nicht schlecht, aber das geht doch noch besser.
Er spult noch einmal die DVD zurück. Wirft einen Blick auf Tim Roth in der Rolle seines Lebens. Seines Lebens.
Studiert die Mimik, den Rhythmus.
Versucht, zu sich selbst zu finden.
»Are you talking to m... errr:
You always forgive, just as one should never
forget.«
Ja, fast.
Aber Sepp Blatter weiß doch, dass er ein noch besserer Schauspieler sein kann.
Das mit dem Vergeben, aber nicht Vergessen, sagt Sepp Blatter nach seiner umkämpften Bestätigung im Amt als FIFA-Präsident am 29. Mai 2015. Er sagt es auf die Frage nach seinem Umgang mit den Abweichlern.
Und vielleicht sagte er das nach jedem Angriff auf seine Macht.
Aber dieser Satz fällt auch fast identisch in United Passions, in einer Szene vor der ebenso kontroversen Wiederwahl 2002. Und es drängt sich einem der Verdacht auf, dass nicht die
Wirklichkeit Vorlage der Fiktion war, sondern dass Blatter selbst seine filmische Hofmalerei nachträglich kopierte.
United Passions ist Kino in Zeiten des Neo-Feudalismus: Scheinbar ein regulärer Spielfilm – eine Art Biopic des Fußball-Weltverbandes von seiner Gründung 1904 bis zur Vergabe der WM an Südafrika 2002. Besetzt mit gestandenen Stars wie Gerard Depardieu, Tim Roth, Sam Neill und unserem deutschen Film-Libero Thomas Kretschmann. Gedreht von Frédéric Auburtin, der sich in dem Episodenfilm Paris, je t'aime immerhin unter Regisseure einreihen durfte wie Joel & Ethan Coen, Gus Van Sant, Tom Tykwer, Alfonso Cuarón und Olivier Assayas.
Doch $25 Mio. des Budgets von $30 Mio kamen (laut New York Times) direkt von der für gemeinnützige Kunstförderung ja allgemein bekannten FIFA.
United Passions ist der vielleicht
teuerste Imagefilm aller Zeiten – ein »vanity project«, eine Selbstbeweihräucherung Don Blatters und seiner famiglia.
Die anfangs anzitierte Szene gibt, isoliert betrachtet, durchaus eine Ahnung, dass der Regisseur, und von den Darstellern zumindest Tim Roth (der sich als einziger bemüht, nicht allein seinen Scheck einzulösen, sondern zu Schauspielern und seinem Unbehagen Gestalt zu verleihen), sich nicht kampflos der reinen Hagiographie ergeben wollten. Blatters Leinwand-Inkarnation sitzt im abgedunkelten Privatjet und erklärt, fast schon im Halbschlaf, einem Getreuen wie er mit seinen
Widersachen umzugehen gedenkt. Roth murmelt den Satz fast gnädig sanft – und es ist genau diese Beiläufigkeit, welche die Drohung wirklich gespenstisch werden lässt.
Was für ein Film hätte das werden können, hätte er seine vereinzelten solchen Andeutungen einlösen dürfen! Ein FIFA-Exposé, unter anderen Bedingungen und mit anderen Leuten hinter der Kamera, wäre ja durchaus ergiebiger Kino-Stoff: Etwas im Stil von Moneyball oder The Insider, ein Game Of Goals oder House Of Yellow And Red Cards.
Freilich ist so etwas unter der gestrengen Aufsicht von Mäzenen fast unmöglich. Ein bisschen, letztlich harm- und konsequenzlose Schmuggelware, um das eigene künstlerische Gewissen zu beschwichtigen – zu mehr hat es
bei United Passions nicht gereicht. (Ist’s Zufall oder Absicht, dass das erste Treffen zwischen Blatter und dem Chef des zukünftigen Sponsors Adidas auf dem Parkplatz einer Schweizer Tankstelle eher wirkt wie ein Drogendeal? Ist’s Zufall oder Absicht, dass der Film Sam Neill in der Rolle von João Havelange den Namen seines Nachfolgers konsequent als »Mr. Bladder« – zu Deutsch: »Herr Blase« – aussprechen lässt?)
Mit einem Jahr Abstand zur Uraufführung, und dem Ende von Blatters Regime, geben sich der Regisseur und Tim Roth offen kritisch gegenüber dem Projekt, selbstkritisch gegenüber ihrer willfährigen Teilnahme. Mit gutem Grund: So, wie er gestattet wurde, dient United Passions allein dazu, ungebrochen das Selbstbild der FIFA dem Fuß(ball)volk zu kredenzen.
Im Film besiegt die FIFA im souveränen Sturmsolo die Apartheid (»Die UN-Resolution ändert daran gar
nichts! Wir werden unsere Entscheidung nicht zurücknehmen. Südafrika wird solange nicht wieder in die FIFA aufgenommen, bis es die Apartheid-Problematik nicht geregelt hat!«) und grätscht dem Rassismus in den Lauf; zeigt allen Sexisten die Gelbe Karte; durchschaut vor allen Politikern die Bösheit des Nazi-Regimes – und kann nur knapp die Gräuel des Zweiten Weltkriegs nicht verhindern. (»We weren’t there«, schluchzt Depardieu als Jules Rimet, »wir hätten da sein sollen!«
– und es klingt weniger nach Selbstbezichtigung als nach einer Anklage an die Welt, die FIFA nicht als Retter gerufen zu haben.)
Und wäre der Film nur etwas später entstanden, hätte er vermutlich auch die jüngste philanthropische Leistung der FIFA zumindest in der Nachspielzeit untergebracht: Die Eindämmung Ebolas. Denn der Größenwahn in der Selbstwahrnehmung wie -darstellung ist keine Erfindung von United Passions – auf Blatters letztem
FIFA-Kongress wurde unter Programmpunkt 11.7 stolz demonstriert, wie sie mit ihrer »Wasch Deine Hände!«-Kampagne unter Mithilfe von Cristiano Ronaldo und Philipp Lahm die Seuche vom Platz gestellt hat.
Man könnte dem Film abnehmen, dass er solche Hybris nicht teilt sondern bloßstellt, wenn er einen FIFA-Präsidenten sagen lässt: »Die von uns veranstalteten Weltmeisterschaften tun mehr für den Weltfrieden als jede UN-Resolution.« Aber er legt diese Worte João Havelanche (Sam
Neill) in den Mund – den er nicht aus aufklärerischen Gründen latent zum Sündenbock auserwählt, bei welchem auch Themen wie Korruption und die Dominanz macht- statt sportpolitischer Motive aufscheinen. United Passions bedient damit nämlich genau Blatters Legendenschreibung der Gewinner: Er inszeniert seinen Vorgänger als Bösewicht – und ausgerechnet Blatter als unbestechlichen Menschenfreund, der mit allen unlauteren Machenschaften bei
der FIFA aufräumt.
Schade, dass sich der Film nicht für mehr als 100 Jahre Zeit nehmen konnte – man hätte zu gerne noch die mutig der Borniertheit der Weltgemeinde trotzende Vergabe der WMs an Russland und Katar gesehen.
Kein Wunder, dass dieses Auftragswerk Blatter und die Seinen begeistert. FIFA-Generalsekretär Jérôme Valcke nannte ihn »offen, selbstkritisch und höchst unterhaltsam«. Aber kann er ernsthaft glauben, dass das irgendjemand außerhalb des Zirkels der von dem Film Geschmeichelten ähnlich empfindet? Doch vielleicht ist es beim unwidersprochenen Narzissmus so, dass man wahrhaft überzeugt ist, alle müssten die grenzenlose Faszination für die eigene Herrlichkeit teilen.
Mal
objektiv betrachtet: Für wen hätte dieser Film von Interesse sein sollen? Für Fußballfans, die lieber die VIP-Logen als das Spielfeld sehen? Für das Publikum, das schon Episode One: The Phantom Menace wegen seiner aufwändig inszenierten Vertragsverhandlungen mehr als alle anderen Star Wars-Teile liebte? Für Cineasten, die den Blick hinter die Kulissen schätzen, aber befürchten, durch die zu schonungslose Auseinandersetzung mit den Realitäten des dreckigen Geschäfts wie in Jerry Maguire oder Any Given
Sunday die Freude am Sport zu verlieren?
Mit dieser Fragestellung scheinen schon Regisseur und Drehbuchautor konfrontiert gewesen zu sein. Wir freuen uns ja durchaus an der Vorstellung, dass Frédéric Auburtin und der französische Schriftsteller Jean-Paul Delfino bei der FIFA vorstellig wurden und hoffnungsfroh der Authentizität zuliebe um Einsicht baten in die internen Akten und die Erlaubnis zur Beiwohnung nichtöffentlicher Sitzungen. Und die dann nach Abklingen ihrer Verwunderung über das ihnen
entgegenschlagende Gelächter schlicht beschlossen:
»Warum lassen wir nicht einfach den Wikipedia-Artikel zur Geschichte des Weltfußballverbandes mit verteilten Rollen vorlesen?!«
»Ja aber wird das nicht langweilig?«
»Und wenn jeder einen anderen lustigen Akzent hat?!«
»Super!«
United Passions ist ein Spurt durch die FIFA-Geschichte, bei dem jedes Hindernis – von unfertigen WM-Stadien bis zu Weltkriegen – in exakt einer Szene Erwähnung
findet, um in der nächsten bereits bewältigt zu sein. Ohne dass der Prozess dazwischen dramaturgisch Gelegenheit bekäme, in Form von Spannung aufzukeimen. Die Figuren kommunizieren ausschließlich in Deklarationen, die Zwischenüberschriften aus einer FIFA-Werbebroschüre sein könnten. Wann immer der Film einen Punkt erreicht, wo ein zu inhaltsreicher Handlungsfortschritt droht, verfällt er in Montagen, wo er nebenher zeiteffizient die immer mal wieder erwähnten,
eigentlichen Sport-Großereignisse im Sekundentakt abarbeitet. (Die größte sportliche Leistung, die der Film ausführlicher zeigt, ist dass Gerard Depardieu seine diversen Zentner mindestens 15 Meter fortbewegt, ohne sich abzustützen.)
Und als Bemühung um strukturelle Pfeiler dienen United Passions berührende Szenen eines Straßenfußball-Matches multiethnischer Kinder in einem Krisengebiet, bei dem das einzige Mädchen von der bloßen Zuschauerin
zur unfähigen Torfrau zur Schützin des (total nach aktuellen FIFA-Regeln!) Golden Goals wird. Was freilich lediglich wirkt wie Werbeunterbrechungen durch einen Adidas-Spot, den der Verband noch ungenutzt rumliegen hatte.
So kommt es zu solch bizarren Szene wie jener, wo – unparteiisch hin oder her – beim Final-Sieg von Uruguay gegen Brasilien 1950 Jules Rimet mit der Trophäe wie in einer Todesvision durch den Spielertunnel und den Freudenstaumel stapft, als wäre eben
ein Krieg verloren gegangen. Ohne dass irgendetwas vorher oder nachher in dem Film je rechtfertigen würde, woher in jenem Moment diese Emotionalität rührt.
Außer den selbstverliebten Geldgebern kann es niemanden ernsthaft verwundert haben, dass der Film lediglich in wenige Länder wie Serbien, Russland oder Portugal verkauft wurde. Und dass er nun am Wochenende seines Kinostarts in den USA laut Hollywood Reporter ganze $918 einspielte – inklusive Kinos, in denen er binnen drei Tagen ganze zwei Zuschauer fand.
Freilich ist es leicht, sich darüber zu mokkieren und amüsieren. Aber bei aller Häme (begüngstigt durch das epochale
Timing des US-Starts nach Blatters unmittelbar auf seine Wiederwahl folgenden Rücktritt) verdrängt dies nur das Beängstigende an (dem bezeichnend unleidenschaftlichen) United Passions: Der FIFA ist das Einspielergebnis letztendlich egal. Sie hat die (angeblich) $25 Mio. von vornherein unter »Sonderausgaben« verbucht. Und ist absolut nicht auf die Einnahmen an der Kinokasse angewiesen.
Der Film feiert die FIFA-Funktionäre nicht nach den gewöhnlichen
Formen des Funktionierens von Filmen: Die Investition spekulierte nur bedingt auf einen Gewinn durch Besucherzahlen – der wäre allenfalls ein willkommener Nebeneffekt gewesen. Und nicht etwa, weil künstlerischer vor monetärem Mehrwert ging. Der Film beweist schlicht, wie genügend Kapital sich auch im Kino ein Denkmal setzen kann. Wie man sich nach eitlem Gutdünken einen Spielfilm und das dazugehörige Renommée durch angeheuertes Talent kaufen kann. Cannes-Premiere mit
Rotem Teppich inklusive. (Weshalb zur ewigen Schande des Festivals United Passions sich vor dem Vorspann schmücken darf mit dem »Cannes – Sélection officielle«-Emblem.)
Tim Roth immerhin – der für den damaligen, ja auch allgemein nicht gerade heißgeliebten Eröffnungsfilm Grace of Monaco vor Ort war – hatte bezeichnenderweise am Abend der
Uraufführung anderweitige Verpflichtungen. Während Gerard Depardieu mit breitem Obelix-Grinsen und emporgerecktem Sieger-Daumen sich Arm in Arm mit Sepp Blatter feiern ließ. Depardieu hat die Zeichen der Zeit erkannt: Er ist schon längst bereitwillig Freund und Maskottchen aller Despoten. War vermutlich auch glücklich, für die Dreharbeiten Aserbaidschan einen Besuch abzustatten. (Eine der beeindruckendsten Darstellerleistung liefert eine osteuropäische Straßenecke in der
Rolle des »Swinging London«.)
Wir steuern auf eine Renaissance feudaler Kunst zu: Beherrscht nicht von den Gesetzen der Marktwirtschaft, sondern vom Wunsch des Geldadels und der neuerstarkten Autokraten nach Repräsentation, nach Volkes Bewunderung. Wahrscheinlich steht Putin längst vor dem Spiegel und überlegt, ob er nicht Daniel Craig ein Angebot machen soll, das der nicht ablehnen kann. Wahrscheinlich wartet Rupert Murdoch nicht mehr ewig darauf, dass jemand anderes erkennt, dass er beim richtigen Lichteinfall durchaus täuschende Ähnlichkeit mit Michael Fassbender hat. Und wahrscheinlich gibt es mehr als genug Ölmagnaten, die durchschnittliche Hollywood-Budgets mit ihren wöchentlichen Ausgaben für diamantbestäubte Platin-Ohrstäbchen vergleichen und sich denken: »Ach ja, wieso eigentlich nicht?«