Filme gegen den Krieg |
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Architektur der Grausamkeit: ein militärischer Beobachtungsposten von 1914 in Verdun, aus dem Film Blicke in die Hölle – Eine Reise durch die Architektur des Krieges |
Von Dunja Bialas
»Kriege sind nicht einfach aus. In den Seelen der Völker hinterlassen sie Spuren, die sich wahrscheinlich über Generationen hinwegziehen.« – Christoph Boekel
Nicht den Krieg filmen, wie es die Reporter weltweit tagtäglich praktizieren, sondern gegen den Krieg filmen und dabei herausarbeiten, was »Krieg« überhaupt bedeutet: Christoph Boekel, Jahrgang 1949, hat sich dreißig Jahre lang mit den Folgen des Zweiten Weltkriegs befasst. Der Zweite Weltkrieg ist für seine Generation der Krieg schlechthin. Noch zu unmittelbar waren die Kinder der Wehrmachtssoldaten und Kriegsopfer durch die Folgen des Krieges betroffen, wuchsen auf den Trümmerfeldern der zerbombten Städte auf und unter dem Eindruck der Erzählungen der aus Krieg oder Gefangenschaft Heimkehrenden.
Siebzig Jahre liegt nun das Ende des Weltkrieges zurück, der noch unmittelbar an eine heutige Generation rührte. Siebzig Jahre – das ist ein ganzes Menschenleben. Boekel nähert sich in vielfältigen filmischen Ansätzen an diesen letzten – hoffentlich im starken Wortsinn – deutschen Krieg an, und versucht auch das herauszufinden, was Kriegen generell gemeinsam ist. Dabei geht es Boekel jedoch nie um trockene Analysen. Er wählt in seinen Dokumentarfilmen, die er seit den achtziger Jahren realisiert, oftmals einen sehr persönlichen Ansatz, stellvertretend für das Schicksal, das er mit seiner Generation teilt: seinen eigenen Vater, der am Kriegsgeschehen als Wehrmachtssoldat beteiligt war. Damit sieht Boekel der unbequemen Wahrheit ins Gesicht, indirekt selbst in die Geschichte involviert zu sein. Kriege sind nicht einfach da, Kriege werden gemacht, von jedem einzelnen, und so auch von den Mitgliedern der eigenen Familie.
Die Spur des Vaters heißt so auch sein sehr persönlich gehaltener Film über die Marschroute, die der Vater des Filmemachers 1941 als Soldat durch die Ukraine und Russland bis kurz vor Moskau zurücklegen musste. Boekel rekonstruiert anhand der Tagebuchaufzeichnungen und Photographien, die sein Vater während des Russlandfeldzugs machte, die Ereignisse entlang dieses Gewaltmarsches. Russische Überlebende sowie sein eigener Vater erzählen in Gesprächen von ihren emotionalen Erschütterungen, die sie in dieser Zeit erlitten – beide Seiten kommen zu Wort. Der 1989 entstandene Film erhielt zahlreiche Auszeichnungen, darunter den Adolf-Grimme-Preis. (Fr., 24.04., 21:00 Uhr, und Sa., 25.04., 19:00 Uhr)
Beide Seiten zu betrachten, ist die dialektische Herangehensweise Boekels, die ihn an den Kern des Krieg herantasten lässt. Sein Dreiteiler Kriegsgefangene, 1995 für das ZDF entstanden, betrachtet die erschreckende Tatsache, dass über drei Millionen russische Soldaten in deutscher Kriegsgefangenschaft umkamen und über eine der drei Millionen Wehrmachtssoldaten in sowjetischer Kriegsgefangenschaft starben. Krieg fordert seine Opfer nicht allein durch Waffengewalt; Hunger, Seuchen und Erschöpfung sind seine tödlichen Begleiter. Russische und deutsche Überlebende kehren in Boekels Film an die Orte ihrer Gefangenschaft zurück und geben Zeugnis von den erschütternden Erlebnissen. (Fr., 24.04., 19:00 Uhr, und Montag, 27.04., 21:00 Uhr)
»Schwert und Schild«, so lautet die komplexe Dialektik von Krieg. Schwert und Schild symbolisieren den Angreifenden und jenen, der sich verteidigt. Jeder von ihnen jedoch ist zugleich Träger von Schwert und Schild, Angriff und Verteidigung wechseln so unaufhörlich einander ab, das ist die Mechanik des Krieges. »Ein sich ständig aufschaukelndes System anwachsender Gewaltpotentiale«, nennt Boekel dies in seinem erhellenden Dokumentarfilm Blicke in die Hölle – Eine Reise durch die Architektur des Krieges, in dem er eine Reise durch die Architektur des Krieges unternimmt. Bunker, Stadtmauern und Befestigungsanlagen entlarvt er als Zeugnisse militärischer Verteidung: Wir leben in kriegerischen Städten. (Do., 23.04., 21:00 Uhr, und Sa., 25.04., 21:00 Uhr)
Sofern man von »Klassikern« des Anti-Kriegsfilm sprechen möchte, hat Boekel mindestens zwei Filme für den Kanon geschaffen. Verstrahlt und vergessen erinnert an Tschernobyl und seine Opfer, als zivile Folgen der militärisch motivierten atomaren Entwicklung, und betrachtet die Konsequenzen oberirdischer Atomversuche und des Uranabbaus in Sibirien. Der Film sei als Warnung zu verstehen, macht Boekel deutlich. (So., 26.04., 19:00 Uhr, und Di., 28.04., 21:00 Uhr, als Vorfilm läuft der experimentelle Film Enola über »die Gefährlichkeit des Unvorstellbaren« auf 35mm!)
Der lange Atem heißt der gleichfalls kanongewordene Film über die anti-militaristische Opposition in Westdeutschland. Ausgehend von den 50er Jahren, in denen sich die Anti-Kriegsbewegung formierte, erinnert der Film an den großen Widerstand gegen die Wiederbewaffnung Westdeutschlands nach dem Krieg. Oskar Neumann, Publizist und Aktivist, steht im Zentrum der »spannenden historischen Lektion«, wie H.G. Pflaum den Film in der »Süddeutschen Zeitung« bei seinem Erscheinen 1981 nannte. Der Film gewann den Preis der deutschen Filmkritik. Ein frühe und wegweisende Auszeichnung für Christoph Boekel, der mit ihm seinen Abschlussfilm an der Münchner Hochschule für Fernsehen und Film vorlegte, als Auftakt eines unermüdlich engagierten Filmschaffens des »langen Atems«. (So., 26.04., 21:00 Uhr, und Di., 28.04., 19:00 Uhr)
»Filme gegen den Krieg« von Christoph Boekel
23.-28.04.2015
Maxim Kino, Landshuter Allee 33.
Gefördert vom Kulturreferat der Landeshauptstadt München.