23.07.2009

Mode und Revolution, Sport und Krieg

William Klein
William Klein in der Cinémathèque française
(Foto: privat)

Amerikaner in Paris: Das Werk des Kino-Solitärs Willam Klein

Von Rüdiger Suchsland

Viel­leicht ist es ja wirklich einfach das Geheimnis guter Photo­gra­phen, im richtigen Moment, wie man sagt, an der richtigen Stelle zu sein. Viel­leicht gehört aber dann doch auch jene Eigen­schaft dazu, die man etwas hilflos als »Instinkt« bezeichnet, die aber im Grunde genau das Gegenteil davon ist: Die Fähigkeit nämlich, alle instink­tiven Reserven und Vorur­teile in sich zu igno­rieren, sich ganz für Erfah­rungen und den jewei­ligen Moment empfäng­lich zu machen, und ihnen dann doch etwas hinzu­zu­fügen, sie zu gestalten. William Klein, der Photo­graph unter den Filme­ma­chern, vereint jeden­falls beide Eigen­schaften: Er war ziemlich oft an der richtigen Stelle. Und er besitzt eine unglaub­liche Offenheit für das Hier und Jetzt.

Wer ihm persön­lich begegnet, merkt das sofort: Intensiv, überaus neugierig, aber nie aufdring­lich blickt der über 80-Jährige – etwa bei der Retro­spek­tive eines Teils seines Kinowerks in Istanbul – nach der Vorstel­lung ins Kino­pu­blikum und findet gar kein Ende in seiner Lust daran, auch schlich­tere Fragen zu beant­worten. Im persön­li­chen Gespräch sucht er Dialog und Wider­spruch und scheint selbst fast etwas befremdet auf seine Filme zu blicken, die zum Teil schon über 40 Jahre alt sind: »Können Sie heute noch etwas mit denen anfangen?« – »Vieles, was ich gemacht habe, sind reine Zufalls­pro­dukte.« Ganz so banal und einfach ist das alles natürlich nicht. Das Under­state­ment, das Klein an den Tag legt, hat eher etwas damit zu tun, dass er sich für die Gegenwart mehr inter­es­siert, als für die Vergan­gen­heit – und genau darin liegt dann auch die Qualität seiner Filme.

Künst­lich­keit und Natu­ra­lismus

Trotzdem ist der Filme­ma­cher William Klein nicht nur in Deutsch­land nach wie vor ein Unbe­kannter. 1928 in New York geboren, kam er als ameri­ka­ni­scher Soldat ins Nach­kriegs­paris. Er verliebte sich und blieb für immer. Zunächst begann er als Maler, arbeitete als Assistent von Léger. Aber schnell begann er auch zu photo­gra­phieren, bald für die »Vogue«, und hatte Erfolg. Schon in den fünfziger Jahren wurden Kleins Mode­stre­cken und seine Bildbände über Metro­polen welt­berühmt, beein­flussten ganze Gene­ra­tionen, und mitt­ler­weile wurden ihm mehrere große Werk­aus­stel­lungen, unter anderem zweimal im Pariser Centre Pompidou und 2004 auch im Berliner Martin-Gropius Bau gewidmet.

Zur persön­lich wirklich prägenden Zeit und zugleich der inten­sivsten als Filme­ma­cher wurde aber die zweite Hälfte der Sechziger: »Ich hatte die Mode­bilder satt, suchte nach etwas Neuem.« Schon einige Jahre zuvor hatte Klein erste Doku­men­tar­filme gedreht, in denen er ganz dem Zeitgeist entspre­chend einen neuen, schräg-subver­siven, auch provo­kanten Blick auf Mode und Politik versuchte, oder auch einfach das Treiben auf dem Pariser Gare de Lyon porträ­tierte. Hinzu kam der Kontakt zu den fran­zö­si­schen Filme­ma­chern seiner Gene­ra­tion, zu Chris Marker, Agnès Varda und vor allem zu Louis Malle, zu dessen Zazie dans le métro er einige Hinter­grund­bilder und seinen künst­le­ri­schen Rat beisteu­erte. Der übrigen Nouvelle Vague fühlte er sich bei aller Sympathie eher fremd, und dieses Gefühl war auch einer der Ausgangs­im­pulse für Kleins ersten eigenen Spielfilm: Who Are You, Polly Magoo? von 1966. »Resnais' Letztes Jahr in Marienbad war mir ziemlich fremd. Ich konnte mit diesem ernsten und getra­genen intel­lek­tu­ellen Gestus nichts anfangen, das entsprach so gar nicht dem Lebens­ge­fühl von mir und den Leuten, die ich in Paris kannte, und hat uns eher amüsiert. Polly Magoo ist eigent­lich auch eine Parodie von Marienbad.« Kleins Stil­mittel als Photo­graph war bereits die Verbin­dung der völligen Künst­lich­keit der Modewelt mit dem Natu­ra­lismus des Alltags­le­bens gewesen, das Aufbre­chen der Pseudo-Objek­ti­vität des klini­schen Studio­stils, das Sicht­bar­ma­chen des Wider­spruchs von Mode­schein und Realität. Who Are You, Polly Magoo? erzählt von einem Pariser Model, das zum Idol einer TV-Doku wird, und ist auch eine listige Reflexion der Medi­enöf­fent­lich­keit und des Star­be­triebs. Aber wirklich entschei­dend ist, wie unglaub­lich stylisch der Film ist, was für unge­wöhn­liche schräge Bilder Klein findet, wie er die Ästhetik der 50er- und 60er-Jahre mitein­ander konfron­tiert, das Eindringen des Schmutzes in die saubere Reinheit der Abstrak­tion zeigt – ein Solitär im Kino der Sechziger, und zugleich ganz zeit­ty­pisch, und in manchem auch ein früher Fall bzw. die Vorweg­nahme der psycho­de­li­schen Ästhetik späterer Jahre.

Kleins Stern­stunde

Dann kam der Pariser Mai von 1968 – die Stern­stunde Kleins, bei der er alle seine Quali­täten entfalten konnte. Denn wo andere Filme­ma­cher entweder lange über­legten, was zu tun sei, oder meinten, das Kino sei in der Stunde der Revo­lu­tion sowieso obsolet, fackelte Klein nicht lange und stürzte sich ins Getümmel. Auch Godard, Marker und Lelouch filmten seiner­zeit auf den Straßen, aber das was Klein schon immer besonders gut konnte, nämlich ohne Berüh­rungs­ängste den Menschen dicht­mög­lichst auf den Leib rücken, war genau das, was er hier brauchte, und was dem kurzen Moment der Anarchie gemäß war: Ähnlich wie der ostdeut­sche Filme­ma­cher Thomas Heise (in seinem 1989-Film Material) nimmt sich Klein alle Zeit der Welt, um den Menschen auf der Straße beim Disku­tieren zuzuhören, die Sprache in dem Augen­blick einzu­fangen, in dem sie aus den Fügen gerät, tastet, stammelt, und sich neu formiert. Man erlebt viel Unbe­kanntes, aber u.a. auch Charles de Gaulle, Daniel Cohn-Bendit und Bernard Kouchner in Aktion. Der Zeit vertraut Klein auch hand­werk­lich – jahrelang sichtete er die vielen Stunden Material und erst 1978 zum zehn­jäh­rigen Jubiläum veröf­fent­lichte er die vier­stün­dige Doku­men­ta­tion Grands soirs et petits matins den wohl emotional genau­esten Film über 1968; ein Film, der Agitation zeigt, aber selbst nicht agitiert, und gerade dadurch wirkt. Agitiert hat Klein aber auch: Vor wenigen Wochen erst lief beim Film­fes­tival in Cannes der nahezu verges­sene Kollek­tiv­film Loin de Vietnam von 1967, zu dem Klein neben u.a. Godard, Ivens, Varda und Marker einen Beitrag besteu­erte. Für eine ganz andere Form steht Mr. Freedom. Kleins zweiter Spielfilm, eine grelle, comic-haft erzählte, aber bei allem Witz bittere Parodie auf Impe­ria­lismus und poli­ti­schen Messia­nismus seiner ameri­ka­ni­schen Heimat, wirkt stilis­tisch ein wenig wie ein sarkas­ti­sches – und masku­lines – Pendant zu Roger Vadims roman­ti­schen Barba­rella: Delphine Seyrig spielt eine Haupt­rolle – »als wir sie hatten, war alles ein Kinder­spiel. Sie inspie­rierte das ganze Team, wollte immer noch einen drauf­setzen.« erinnert sich Klein. Mr. Freedoms gleich­na­miger Titelheld ist ein reak­ti­onärer Superheld, ebenso brutal wie dumm, der vor nichts zurück­schreckt, und Frank­reich vor den Kommu­nisten retten will. Der renom­mierte Kritiker Jonathan Rosenbaum nannte Mr. Freedom durchaus zustim­mend »den anti­ame­ri­ka­nischten Film, der je gemacht wurde – aber nur ein Ameri­kaner konnte ihn machen.«

Zeitgeist pur

Auch hier zeigt der Filme­ma­cher Klein alle Tugenden, die seine Filme zu etwas Beson­derem machen: Den Spaß am Tabubruch, den Spaß am Eingehen auf die jeweilige Situation. Das Spontitum, und das Spie­le­ri­sche, der Situa­tio­nismus des Mai 68 sind es, die auch Kleins weitere Filme prägen, seinen beson­deren Stil und seine Sensi­bi­lität kenn­zeichnen: Viel­leicht konnte nur so einer, das Gegenteil eines diszi­pli­nierten Kino-Calvi­nisten wie Godard neben Spiel­filmen und poli­ti­schen Doku­men­ta­tionen auch einer der besten Sport-Doku­men­ta­risten werden: Muhammad Ali, the Greatest eine Lang­zeit­doku über den Boxstar, die Michael Mann zu seinem ALI inspi­rierte, ist natürlich auch unerhört politisch, und zeigt neben der Eleganz Alis dessen Anti-Vietnam-Kamp, wie die den Würge­griff des Geldes, der bereits vor über 30 Jahren den Sport gefangen hielt. The French von 1981 ist vergleichs­weise milde, eine Betrach­tung der French Open als Ballett hoch­be­gabter Einzel­künstler – und heute eine nost­al­gi­sche Erin­ne­rung an das Goldene Zeitalter des Tennis mit Conners, McEnroe, Borg, Evert und Navra­ti­lova.

Seinen letzten, den dritten Spielfilm drehte Klein wenige Jahre zuvor, 1978: The Model Couple nimmt – wenn auch in ungleich elegan­terem Stil – prophe­tisch alles vorweg, was wir erst durch »Big Brother« und Peter Weirs Die Truman Show begriffen haben: Es geht um ein Mittel­klasse-Paar, das fürs Fernsehen mona­te­lang in einem Muster­haus lebt – unter Vollü­ber­wa­chung und live über­tragen.

Mode und Revo­lu­tion, Sport und Krieg – William Kleins Werk verbindet Neugier und Voyeu­rismus mit dem Vertrauen auf den glück­li­chen Zufall und die Unmit­tel­bar­keit der Alltags­er­fah­rung. Es feiert die Schön­heiten der Welt und übt poli­ti­sche Kritik, die wehtut, weil sie nicht wohlfeil ist. Es ist Zeitgeist pur, und darum erstaun­lich aktuell. Noch immer ist Kleins Kino-Werk zu entdecken.

DVDs sind erhält­lich:

»The Delerious Fictions of William Klein«; 3-Disc-Box-Set-Criterion Coll­ec­tion

»Coffret William Klein: Muhammad Ali the Greatest / Grands soirs et petits Matins / The French«