Mode und Revolution, Sport und Krieg |
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William Klein in der Cinémathèque française | ||
(Foto: privat) |
Vielleicht ist es ja wirklich einfach das Geheimnis guter Photographen, im richtigen Moment, wie man sagt, an der richtigen Stelle zu sein. Vielleicht gehört aber dann doch auch jene Eigenschaft dazu, die man etwas hilflos als »Instinkt« bezeichnet, die aber im Grunde genau das Gegenteil davon ist: Die Fähigkeit nämlich, alle instinktiven Reserven und Vorurteile in sich zu ignorieren, sich ganz für Erfahrungen und den jeweiligen Moment empfänglich zu machen, und ihnen dann doch etwas hinzuzufügen, sie zu gestalten. William Klein, der Photograph unter den Filmemachern, vereint jedenfalls beide Eigenschaften: Er war ziemlich oft an der richtigen Stelle. Und er besitzt eine unglaubliche Offenheit für das Hier und Jetzt.
Wer ihm persönlich begegnet, merkt das sofort: Intensiv, überaus neugierig, aber nie aufdringlich blickt der über 80-Jährige – etwa bei der Retrospektive eines Teils seines Kinowerks in Istanbul – nach der Vorstellung ins Kinopublikum und findet gar kein Ende in seiner Lust daran, auch schlichtere Fragen zu beantworten. Im persönlichen Gespräch sucht er Dialog und Widerspruch und scheint selbst fast etwas befremdet auf seine Filme zu blicken, die zum Teil schon über 40 Jahre alt sind: »Können Sie heute noch etwas mit denen anfangen?« – »Vieles, was ich gemacht habe, sind reine Zufallsprodukte.« Ganz so banal und einfach ist das alles natürlich nicht. Das Understatement, das Klein an den Tag legt, hat eher etwas damit zu tun, dass er sich für die Gegenwart mehr interessiert, als für die Vergangenheit – und genau darin liegt dann auch die Qualität seiner Filme.
Trotzdem ist der Filmemacher William Klein nicht nur in Deutschland nach wie vor ein Unbekannter. 1928 in New York geboren, kam er als amerikanischer Soldat ins Nachkriegsparis. Er verliebte sich und blieb für immer. Zunächst begann er als Maler, arbeitete als Assistent von Léger. Aber schnell begann er auch zu photographieren, bald für die »Vogue«, und hatte Erfolg. Schon in den fünfziger Jahren wurden Kleins Modestrecken und seine Bildbände über Metropolen weltberühmt, beeinflussten ganze Generationen, und mittlerweile wurden ihm mehrere große Werkausstellungen, unter anderem zweimal im Pariser Centre Pompidou und 2004 auch im Berliner Martin-Gropius Bau gewidmet.
Zur persönlich wirklich prägenden Zeit und zugleich der intensivsten als Filmemacher wurde aber die zweite Hälfte der Sechziger: »Ich hatte die Modebilder satt, suchte nach etwas Neuem.« Schon einige Jahre zuvor hatte Klein erste Dokumentarfilme gedreht, in denen er ganz dem Zeitgeist entsprechend einen neuen, schräg-subversiven, auch provokanten Blick auf Mode und Politik versuchte, oder auch einfach das Treiben auf dem Pariser Gare de Lyon porträtierte. Hinzu kam der Kontakt zu den französischen Filmemachern seiner Generation, zu Chris Marker, Agnès Varda und vor allem zu Louis Malle, zu dessen Zazie dans le métro er einige Hintergrundbilder und seinen künstlerischen Rat beisteuerte. Der übrigen Nouvelle Vague fühlte er sich bei aller Sympathie eher fremd, und dieses Gefühl war auch einer der Ausgangsimpulse für Kleins ersten eigenen Spielfilm: Who Are You, Polly Magoo? von 1966. »Resnais' Letztes Jahr in Marienbad war mir ziemlich fremd. Ich konnte mit diesem ernsten und getragenen intellektuellen Gestus nichts anfangen, das entsprach so gar nicht dem Lebensgefühl von mir und den Leuten, die ich in Paris kannte, und hat uns eher amüsiert. Polly Magoo ist eigentlich auch eine Parodie von Marienbad.« Kleins Stilmittel als Photograph war bereits die Verbindung der völligen Künstlichkeit der Modewelt mit dem Naturalismus des Alltagslebens gewesen, das Aufbrechen der Pseudo-Objektivität des klinischen Studiostils, das Sichtbarmachen des Widerspruchs von Modeschein und Realität. Who Are You, Polly Magoo? erzählt von einem Pariser Model, das zum Idol einer TV-Doku wird, und ist auch eine listige Reflexion der Medienöffentlichkeit und des Starbetriebs. Aber wirklich entscheidend ist, wie unglaublich stylisch der Film ist, was für ungewöhnliche schräge Bilder Klein findet, wie er die Ästhetik der 50er- und 60er-Jahre miteinander konfrontiert, das Eindringen des Schmutzes in die saubere Reinheit der Abstraktion zeigt – ein Solitär im Kino der Sechziger, und zugleich ganz zeittypisch, und in manchem auch ein früher Fall bzw. die Vorwegnahme der psychodelischen Ästhetik späterer Jahre.
Dann kam der Pariser Mai von 1968 – die Sternstunde Kleins, bei der er alle seine Qualitäten entfalten konnte. Denn wo andere Filmemacher entweder lange überlegten, was zu tun sei, oder meinten, das Kino sei in der Stunde der Revolution sowieso obsolet, fackelte Klein nicht lange und stürzte sich ins Getümmel. Auch Godard, Marker und Lelouch filmten seinerzeit auf den Straßen, aber das was Klein schon immer besonders gut konnte, nämlich ohne Berührungsängste den Menschen dichtmöglichst auf den Leib rücken, war genau das, was er hier brauchte, und was dem kurzen Moment der Anarchie gemäß war: Ähnlich wie der ostdeutsche Filmemacher Thomas Heise (in seinem 1989-Film Material) nimmt sich Klein alle Zeit der Welt, um den Menschen auf der Straße beim Diskutieren zuzuhören, die Sprache in dem Augenblick einzufangen, in dem sie aus den Fügen gerät, tastet, stammelt, und sich neu formiert. Man erlebt viel Unbekanntes, aber u.a. auch Charles de Gaulle, Daniel Cohn-Bendit und Bernard Kouchner in Aktion. Der Zeit vertraut Klein auch handwerklich – jahrelang sichtete er die vielen Stunden Material und erst 1978 zum zehnjährigen Jubiläum veröffentlichte er die vierstündige Dokumentation Grands soirs et petits matins den wohl emotional genauesten Film über 1968; ein Film, der Agitation zeigt, aber selbst nicht agitiert, und gerade dadurch wirkt. Agitiert hat Klein aber auch: Vor wenigen Wochen erst lief beim Filmfestival in Cannes der nahezu vergessene Kollektivfilm Loin de Vietnam von 1967, zu dem Klein neben u.a. Godard, Ivens, Varda und Marker einen Beitrag besteuerte. Für eine ganz andere Form steht Mr. Freedom. Kleins zweiter Spielfilm, eine grelle, comic-haft erzählte, aber bei allem Witz bittere Parodie auf Imperialismus und politischen Messianismus seiner amerikanischen Heimat, wirkt stilistisch ein wenig wie ein sarkastisches – und maskulines – Pendant zu Roger Vadims romantischen Barbarella: Delphine Seyrig spielt eine Hauptrolle – »als wir sie hatten, war alles ein Kinderspiel. Sie inspierierte das ganze Team, wollte immer noch einen draufsetzen.« erinnert sich Klein. Mr. Freedoms gleichnamiger Titelheld ist ein reaktionärer Superheld, ebenso brutal wie dumm, der vor nichts zurückschreckt, und Frankreich vor den Kommunisten retten will. Der renommierte Kritiker Jonathan Rosenbaum nannte Mr. Freedom durchaus zustimmend »den antiamerikanischten Film, der je gemacht wurde – aber nur ein Amerikaner konnte ihn machen.«
Auch hier zeigt der Filmemacher Klein alle Tugenden, die seine Filme zu etwas Besonderem machen: Den Spaß am Tabubruch, den Spaß am Eingehen auf die jeweilige Situation. Das Spontitum, und das Spielerische, der Situationismus des Mai 68 sind es, die auch Kleins weitere Filme prägen, seinen besonderen Stil und seine Sensibilität kennzeichnen: Vielleicht konnte nur so einer, das Gegenteil eines disziplinierten Kino-Calvinisten wie Godard neben Spielfilmen und politischen Dokumentationen auch einer der besten Sport-Dokumentaristen werden: Muhammad Ali, the Greatest eine Langzeitdoku über den Boxstar, die Michael Mann zu seinem ALI inspirierte, ist natürlich auch unerhört politisch, und zeigt neben der Eleganz Alis dessen Anti-Vietnam-Kamp, wie die den Würgegriff des Geldes, der bereits vor über 30 Jahren den Sport gefangen hielt. The French von 1981 ist vergleichsweise milde, eine Betrachtung der French Open als Ballett hochbegabter Einzelkünstler – und heute eine nostalgische Erinnerung an das Goldene Zeitalter des Tennis mit Conners, McEnroe, Borg, Evert und Navratilova.
Seinen letzten, den dritten Spielfilm drehte Klein wenige Jahre zuvor, 1978: The Model Couple nimmt – wenn auch in ungleich eleganterem Stil – prophetisch alles vorweg, was wir erst durch »Big Brother« und Peter Weirs Die Truman Show begriffen haben: Es geht um ein Mittelklasse-Paar, das fürs Fernsehen monatelang in einem Musterhaus lebt – unter Vollüberwachung und live übertragen.
Mode und Revolution, Sport und Krieg – William Kleins Werk verbindet Neugier und Voyeurismus mit dem Vertrauen auf den glücklichen Zufall und die Unmittelbarkeit der Alltagserfahrung. Es feiert die Schönheiten der Welt und übt politische Kritik, die wehtut, weil sie nicht wohlfeil ist. Es ist Zeitgeist pur, und darum erstaunlich aktuell. Noch immer ist Kleins Kino-Werk zu entdecken.
DVDs sind erhältlich:
»The Delerious Fictions of William Klein«; 3-Disc-Box-Set-Criterion Collection
»Coffret William Klein: Muhammad Ali the Greatest / Grands soirs et petits Matins / The French«