78. Filmfestspiele Cannes 2025
Cannes ohne Strom |
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Gewinner der Goldenen Palme: »Un Simple Accident« von Jafar Panahi | ||
(Foto: Filmfestival Cannes) |
»Freiheit wäre, nicht zwischen Schwarz und Weiß zu wählen, sondern aus solcher vorgeschriebenen Wahl herauszutreten.« – Adorno
Er hat den Goldenen Löwen von Venedig gewonnen, er gewann den Goldenen Bären in Berlin, nun gewann er die Goldene Palme: Gegen die starke Konkurrenz der Filme des Brasilianers Kleber Mendonça Filho, des Norwegers Joachim Trier, und einiger anderer setzte sich am Ende der Iraner Jafar Panahi durch, und gewann für seinen Film »Un Simple Accident« im diesjährigen Wettbewerb von Cannes den Hauptpreis.
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Die Würfel sind gefallen: So endet mit dem Sieg des Vorab-Favoriten vieler Beobachter ein durchschnittlicher Cannes-Jahrgang der einige starke, aber keinen herausragenden, das Kino irgendwie weiterführenden Film bot.
Deren Formen blieben fast durchweg im Rahmen des Konventionellen, Bekannten, mit wenigen Ausnahmen, wie dem deutschen »Sound of Falling« von Masha Schilinski, dem spanisch-französischen »Sirat« von Olivier Laxe und dem chinesischen »Resurrection« von Bi
Gan.
Auffallend viele Beiträge im Wettbewerb blickten in die Vergangenheit und spielten in historischen Perioden. Einiges kreiste um Tod und Todessehnsucht, vieles um menschliche Versehrungen: Allein in vier Filmen erlebte man Menschen, die ein Bein verloren hatten.
Ebenso war das Mutter-Tochter-Thema ein roter Faden, erst recht allgemeiner das Verhältnis von Eltern und Kindern.
So revisioniert das Gegenwartskino gerade die Bestände der Gesellschaften, überprüft und befragt Soll und Haben. Es scheint festzuhängen in der Schleife der Vergangenheit. Aber zukunftsweisenden Antworten auf die Krisen der Gesellschaft begegnet man im Gegenwartskino dagegen gerade selten.
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Hier macht der iranische Siegerfilm keine Ausnahme.
Was tun mit Folterknechten? Was ist Gerechtigkeit? So könnte man die beiden Leitfragen von Panahis neuem Film zusammenfassen. Schon aus diesen Fragen geht hervor: Der Film ist ein Lehrstück. Eine Parabel auf die politischen Verhältnisse im Iran. Sehr theatralisch, sehr schematisch, mit Grautönen, die allerdings sorgfältig unter einem grundsätzlichen Schwarz-Weiß-Schema verborgen werden. Filmisch scheint mir »Un simple accident« mehr als bescheiden zu sein. Ohne Frage ist er gut gemacht; man könnte das Ganze und würde es bei anderen aber auch einfach »routiniert« nennen.
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Der Filmtitel könnte zwar einen »Unfall« meinen, nämlich das versehentliche Überfahren eines Straßenköters durch ein Auto in der Dunkelheit der Nacht, er meint aber eher noch einen »Zufall«. Den der tote Hund zu Beginn dient als Ausgangspunkt einer Verkettung von Ereignissen, die zugleich schnell eine symbolische Dimension bekommt: Ein Automechaniker ist nämlich überzeugt, dass es sich bei dem Fahrer um seinen ehemaligen Folterknecht handelt. Er ist zunächst entschlossen, den Mann aus Rache für das, was der ihm einst angetan hatte, zu töten und entführt den Fahrer. Doch dann wachsen Zweifel: Ist es wirklich der, für den er ihn gehalten hat? Der Entführte leugnet hartnäckig und nennt einige Indizien, die zu seinen Gunsten sprechen. Sein Entführer zögert und kontaktiert weitere ehemalige Leidensgenossen.
Doch dann wachsen Zweifel: Ist es wirklich der, für den er ihn gehalten hat? Der Gefangene leugnet hartnäckig und nennt einige Indizien, die dagegen sprechen, dass er der Gesuchte ist. Sein Entführer zögert und kontaktiert weitere ehemalige Leidensgenossen.
In der zweiten Hälfte des Films befinden sich deshalb dann gleich fünf ehemalige Opfer des Regimes im Minibus des Entführers, sowie ihr Gefangener, der in einer Kiste eingeschlossen seinem Schicksal hart – eine ebenso grausame, wie absurd komische Situation.
Denn die Kidnapper sind sich zum Teil ganz sicher, zum Teil überaus unsicher, ob es sich um ihren ehemaligen Schergen handelt – manche von ihnen konnten ihre Folterer nämlich nie sehen sondern nur hören und riechen.
Hier stellt der Film elementare Fragen nach Wahrheit und dem Verhältnis von Anschein und Wirklichkeit. Doch selbst wenn es sich um den Folterknecht handeln sollte – was tun? Will man ihn nach dem »Auge um Auge«-Prinzip selbst quälen und am Ende umbringen? Oder ihn anders strafen? Oder wäre Verzeihung die beste Antwort?
Stilistisch betonen Anspielungen auf Beckett das Theatrale, Abstrakte von Film und Drehbuch. In mehreren Momenten nimmt alles auch Züge einer Komödie an, ohne je den Ernst der Situation zu übertünchen: die Diskussion der Opfer darüber, was sie mit einem Folterer tun sollen? Der Regisseur entwickelt dieses Streitgespräch an verschiedenen Schauplätzen durch teils surreal anmutende, aber gemäßigt unterhaltsame Szenen.
Der Film entfaltet elementare Fragen nach Wahrheit und dem Verhältnis von Anschein und Wirklichkeit. Und nach Moral: Am Ende entsteht eine originelle Fabel über Rache und Vergebung, über die Verantwortung der Täter und die Moral der Opfer – bis schließlich der Triumph von Ethik und Menschlichkeit zwar greifbar wird, aber dennoch nicht vergessen lässt, dass Terror und Tyrannei im Iran (und nicht nur dort) weiterhin gegenwärtig sind.
Panahi stellt die Frage nach den Grenzen des Mitgefühls und danach ob das Böse tatsächlich so banal ist, wie oft behauptet wurde. Sind die Handlanger der Macht menschliche Wesen, oder bloß Werkzeuge einer unmenschlichen Maschinerie, die perverse Befehle ausführen? Oder Monster?
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Das Ergebnis ist ein sehr guter Film, dem doch auch bis zum Ende etwas Akademisches und »Trockenes«, Geschriebenes anhaftet.
Leider bleibt alles ohne jede Überraschung. Und das schon inhaltlich: Die Geschichte nimmt Wendungen an, sie stellt Fragen, sie tendiert zu Positionen, die wir allesamt schon sehr sehr oft gehört haben und entsprechend vorhersehen können. Sie werden nicht wahrer oder falscher dadurch dass man sie wiederholt , sie werden allerdings ermüdender.
Filmisch hat Panahi dem Kino nichts zu geben und hinzuzufügen, was wir nicht schon auf der Theaterbühne von Tschechow und Brecht gesehen haben und im Kino zum Beispiel von Frank Capra und Panahi selbst.
Das ist zu wenig für ein Filmfestival wie das von Cannes und es ist viel zu wenig, um einen der Hauptpreise bei diesem Festival zu gewinnen – andere Filme im Wettbewerb waren pulsierender, standen für leidenschaftlicheres, mit Bildern argumentierendes Kino.
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So liegt es nahe diese Preisvergabe durch die Jury um Juliette Binoche auch als politisch motiviert zu verstehen – das wäre im Fall Panahis, der seit Jahrzehnten vom Mullahregime drangsaliert, und mit Hausarrest und Berufsverbot überzogen wird, nur ehrenwert.
Sie ist aber vor allem auch ein bequemer ästhetischer Kompromiss, mit dem die offensichtlich uneinige Jury harten Entscheidungen über Geschmacksfragen ausweicht: Die interessanten Debatten des cinephilen Teils der Cannes-Besucher kreisten eher um andere Filme, die mit Silbernen Palmen abgespeist wurden:
Der atemberaubende »Sound of Falling« von Masha Schilinski zum Beispiel, die erste Cannes-Palme für einen deutschen Film seit vielen Jahren.
Oder der abgründige
Wüstentrip »Sirat« von Olivier Laxe.
Oder der großartige »Resurrection« von Bi Gan, eine Reise durch das chinesische 20.Jahrhundert und eine Beschwörung der Macht der Kino-Bilder.
Panahis Film bietet dagegen nicht mehr als einen guten bequemen Kompromiss.
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Dass der Jurypreis auch noch geteilt wurde, machte aus dem »Prix de Jury« endgültig den Trostpreis der Jury.
Das fühlte sich insgesamt als ein trauriges Totalversagen der Jury an. Einmal mehr ein trauriges Versagen einer Cannes-Jury.
In Cannes geht es darum, in den Jury-Entscheidungen die Frage zu beantworten, was gerade im Weltkino passiert, was ästhetisch vorne steht, und was zu vernachlässigen ist. Es geht darum, mit den Preisen deutlich zu machen, »wohin die Reise geht«, darum Entscheidungen voller ästhetischer Kennerschaft zu treffen und nicht nur »wichtige« Themen und lautere
politische Überzeugungen zu prämieren.
Es geht auch nicht alleine um die Frage, ob man jemandem, der bereits in Venedig und Berlin den Hauptpreis gewonnen hat, nun unbedingt auch noch eine Goldene Palme geben muss.
In allen diesen Punkten ist die Jury feige ausgewichen.
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Noch eine Anmerkung zum Preis für den deutschen Film: Vielleicht war es bezeichnend, dass Mascha Schilinski unter allen Preisträgern am Samstag die einzige war, die sich in ihrer Preisrede sehr artig bei allen Filmförderinstitutionen bedankte. Andere taten das allesamt nicht, obwohl sie gute Gründe hätten, sie dankten der Familie, dem Team, dem Festival, Idolen und Anregern.
Das ist nicht nur mir aufgefallen, sondern auch ausländischen Kollegen, die mich danach darauf
ansprachen. Mir scheint es, wie gesagt, eine bezeichnende Geste zu sein für eine deutsche Filmszene, die wie eine Bittstellerin auftritt, wie der Knecht dem Herren gegenüber, die dankbar und höflich sein will, anstatt Ansprüche einzufordern, und stellvertretend für die die Kunst des Kinos Ansprüche zu erheben.
Wann, wenn nicht im Augenblick eines Palmengewinns soll und kann man das tun?
»Sound of Falling«/»In die Sonne schauen« ist ein toller Film, ich habe das hier schon mehrfach gesagt und werde nicht müde werden, es immer wieder zu wiederholen.
Trotzdem ist klar, was jetzt mit Mascha Schilinski und ihrem großartigen Werk passieren wird: Es wird vereinnahmt werden vom deutschen Filmsystem und seinen Funktionären; es wird wie eine Monstranz herumgezeigt werden, als eine Bestätigung dafür, das doch alles richtig und hervorragend bei uns läuft. Es wird
behauptet werden, der Film sei der Inbegriff des deutschen Kinos. Und Mascha Schilinski wird zur Madonna werden, zur Madonna des heiligen Richtigmachens; sie wird vorgezeigt werden als Beweis dafür, dass es geht und wie es geht.
Dabei ist das Gegenteil der Fall: »Sound of Falling« ist überaus untypisch für alles, was im deutschen Film passiert. Es ist nicht etwa der Ausdruck dessen, was deutsches Kino bedeutet, sondern es ist die Antithese zu allen systemischen und strategischen
Entscheidungen im deutschen Kino.
Jetzt sollten wir weiter denken und von diesem Erfolg lernen. Die wichtigste Lektion ist die: Vertraut den Regisseurinnen und Regisseuren! Misstraut allen Funktionären und Gremien!!
Die zweite Lektion ist die, dass wir in Deutschland endlich den Filmen, die leidlichen Erfolg auf irgendeinem Festival haben, auch ein Leben im Kino geben müssen. Dass wir sie nicht verramschen dürfen in der ersten und zweiten Startwoche.
Die Filme und die Produktionsfirmen und die Verleiher, die wir alle so lieben, sind größtenteils Zombies, die untot am Tropf der Förderer gerade mal so existieren und dahinsiechen können: Halb leben sie, halb sterben sie, der himmlische
Vater ernähret sie nicht und die Filmförderung ernähret sie kaum. Das muss sich ändern!
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Die Rhythmen eines Filmfestivals: Die letzten Tage gingen wie immer sehr schnell vorüber. Wie jeden Morgen laufe ich gegen acht Uhr wieder zum Palais. Zum letzten Mal in diesem Jahr der tägliche Weg, und darum versuche ich jedes Detail noch einmal intensiv wahrzunehmen, die Luft kräftig einzuatmen: Die frisch abgespritzten Straßen, die Sonne, die gerade beginnt...
Morgen am Sonntag bin ich zwar noch den ganzen Tag da, aber das wird eine Mischung aus Arbeit und Strand, das Festival
2025 ist dann Geschichte.
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Was dann passierte, habe ich in 22 Jahren Cannes noch nie erlebt: Während der ersten Reprise-Vorführung am Morgen – ich sehe mir den deutschen Wettbewerbsfilm »Sound of Falling« noch einmal an – geht plötzlich um Minute 90 herum das Licht an. In Cannes und Umgebung, möglicherweise der ganzen Cote d’Azur von Nizza bis Saint-Tropez ist der Strom ausgefallen! Später ist von einem mutwillig gelegten Feuer die Rede. Der Ausfall geschah ziemlich genau gegen 10 Uhr am
Morgen und ist bis jetzt, etwa fünf Stunden später noch nicht behoben.
Die Festivalvorführung geht allerdings schon nach zehn Minuten weiter, genau an der stelle, o der Film unterbrochen wurde. Denn das Festival hat auch sein eigenes, vom übrigen Netz unabhängiges Stromaggregat. Noch nie war so zutreffend, wie jetzt, was ich hier schon öfters beschrieben habe: Dass das Palais nicht nur äußerlich, sondern auch von der Anmutung dort zwei Wochen lang zu leben und zu arbeiten wie ein
Raumschiff ist. Man befindet sich in seinem eigenen Orbit und was Außen passiert, das berührt die, die drin sind, nur wenig.
Trotzdem ist es ein Glück fürs Festival, das alles am letzten Tag geschah.
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Ausgerechnet am letzten Tag kann man auch sagen, denn der letzte Tag wird oft von Festivalbesuchern dazu genutzt, in Cannes etwas einzukaufen. Jetzt haben die meisten Geschäfte geschlossen.
Lustig ist auch, dass die Werbetafeln ihre Botschaften munter weiterdrehen. Offenbar werden sie mit Sonnenkollektoren betrieben.
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Alles wird leerer, den Leuten der Security, jedenfalls, die mit denen man inzwischen kurze Gespräch austauscht, wünscht man wie immer einen schönen Tag und sagt diesmal dazu: »Merci pour votre travail pendant le festival.«
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Nur dreieinhalb Stunden habe ich in der Nacht von Donnerstag auf Freitag geschlafen. Deswegen sitze ich schon um 8:30 Uhr wieder im Kino, als ich bereits zwei Stunden wach bin, weil ich nämlich im Festivalpalais Radio gemacht habe –, auf einen Platz, wo links und rechts daneben keiner sitzt, genau in der Absicht, im Fall des Falls zu schlafen. »Dalloway« von Yann Gozlan ist ein Psychothriller, aber auch ein Mitternachtsfilm, insofern musste man mal abwarten, ob man in ihm schlafen kann. Aber besser, sich einen Film auszusuchen, indem man proaktiv die Augen zumacht, als in irgendeinem Film nicht weiter zu können und schlafen zu müssen.
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Zum Abschluss läuft im Wettbewerb noch mal das, was man so »Große Namen« nennt. Die Brüder Dardenne und Kelly Reichardt. Ob mit ihnen auch automatisch große Filme verbunden sind, bleibt noch die Frage.
Kelly Reichardt habe ich früher sehr gemocht. Ihre Filme »Wendy und Lucy« und Meek’s Cutoff gehören zu den besten, schönsten und feministischten US-Filmen der Nuller-Jahre und auch noch Night Moves war 2013 schlau und witzig.
Doch danach ist Reichardt bei ihrem Versuch sich noch einmal neu zu erfinden, vom Weg abgekommen und hat sich im Labyrinth verschwurbelter Metadiskurse verirrt, die für filmwissenschaftliche Seminare taugen mögen, aber nicht für ein breiteres und sei es auch nur aus Filmkritikern bestehendes Publikum – auch wenn sie sie weiterhin nach Cannes bringen. Wie »Showing Up« und »Certain Women« ist auch »The Mastermind« ein banaler, nicht einmal lustiger Witz, der sich als Genrespiel verkauft.
Man könnte von »Minuskino« sprechen, in dieser Geschichte eines dummen Kunsträubers, die den Mann einen Großteil der Laufzeit dabei begleitet, wie er sich versteckt, und nach Hilfe sucht. Ein leerer Film über innere Leere, aber ohne Lust an irgendetwas jenseits der Destruktion.
Das Interessanteste an »The Mastermind« ist noch, dass die Flucht im Jahr 1970 spielt: Im Fernsehen spricht man über die Vietnamkrise, auf den Straßen protestieren die Jugendlichen gegen Nixon, und die Polizei prügelt Demonstranten zusammen.
»The Mastermind« hätte ich auch am ersten Tag als außerordentlich öde empfunden – jetzt erscheint bin ich überzeugt, dass es ein schlampiger, nichtssagender, und einer der langweiligsten Filme des ganzen Wettbewerbs ist.
Das einzig Gute an diesem Film sind die alten Autos.
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Am Ende eines Festivals verliere ich wirklich die Geduld mit manchen Filmen. Aber am neuen Film der Dardenne-Brüder »Jeunes Mères« über ein Zentrum für junge Mütter und vier Insassen gibt es ganz und gar nichts auszusetzen.
Im Jahr 2005 gewannen die Brüder Dardenne ihre zweite Goldene Palme mit »Das Kind«, in dem sie die Geschichte eines jungen Paares erzählten, das unter prekären Bedingungen lebte und ein Kind zur Welt brachte, das es kaum versorgen konnte. Darin sprachen die Dardennes über die Prekarität einer Generation, die sich überstürzt den Härten des Lebens stellen musste.
»Jeunes mères« könnte eine Fortsetzung jenes Films sein – 20 Jahre später. Die Regisseure konzentrieren sich
diesmal nicht auf ein Paar, sondern erzählen ein Mosaik vier Geschichten. Diese sind mit der gewohnten Strenge und Präzision der Filmemacher inszeniert und wechselt zwischen den parallelen Erzählungen und den Abläufen der Sozialdienste. Wie so oft im Kino der Dardenne-Brüder offenbart sich am Ende des Weges ein Funken Menschlichkeit, der bis dahin im Verborgenen geschlummert hat.
Wir erleben auch visuell die bekannte Rezeptur des System Dardenne, die Kombination aus Nahaufnahmen und Problemen, einer Handkamera und großartigen jungen Schauspielerinnen, die noch zu entdecken sind, und von den Regisseuren mit entzückender Aufmerksamkeit geführt werden, Hauptfiguren, die voll im Stress sind, und Problemen, die allzu dicht und geschmeidig ineinander greifen.
Aber ich finde den Film trotz alldem nicht stark, sondern einfach nur solide. Die Zeit ist über die Dardenne hinweg gegangen. Jetzt sind sie alt, jetzt geben sie zum ersten Mal einem ihrer Filme ein Happy End und jetzt zitieren sie Apollinaires Gedicht »Adieu« – man hat ein bisschen das Gefühl, es könnte auch das Adieu dieser beiden wichtigen Regisseure sein.
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Die Ex-Saalleiterin vom Debussy, eine sehr junge Frau von vielleicht allenfalls Mitte 30, die ich immer schon ganz großartig und souverän in ihrem Auftreten fand, und mit der ich jedes Jahr ein paar Sätze wechsle, obwohl wir uns noch nie unsere Namen gesagt haben, ist aufgestiegen, und betreut jetzt die Premieren im Lumiere.
Auch ihr sagte ich heute »Bonsoir et au revoir!«